Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 11.06.2010, Az. 6 B 86/09

6. Senat | REWIS RS 2010, 5948

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Gegenstand

Juristische Examensprüfung; Bestandskraft von Verwaltungsakten; Rechtsschutzgarantie


Gründe

1

Die [X.]eschwerde bleibt ohne Erfolg.

2

1. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher [X.]edeutung der Rechtssache gemäß §132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen.

3

Grundsätzlich bedeutsam im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine Rechtssache, wenn für die angefochtene Entscheidung der Vorinstanz eine konkrete, fallübergreifende und bislang höchstrichterlich ungeklärte Rechtsfrage des revisiblen Rechts von [X.]edeutung war, deren Klärung im Revisionsverfahren zu erwarten und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten ist. Gemessen an dem [X.] des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO lässt sich der [X.]eschwerdebegründung keine solche Frage mit Grundsatzbedeutung entnehmen.

4

Die Klägerin bestand im Jahr 2005 die erste juristische Staatsprüfung in [X.] nicht. Mit der Zulassung zur Wiederholungsprüfung im März 2006 erließ ihr das beklagte Prüfungsamt antragsgemäß die Anfertigung der im ersten [X.] mit acht Punkten bewerteten häuslichen Arbeit auf der Grundlage von § 18 Abs. 2 des Gesetzes über die juristischen Staatsprüfungen und den juristischen Vorbereitungsdienst (Juristenausbildungsgesetz) in der auf die Klägerin noch anwendbaren Fassung der [X.]ekanntmachung vom 8. November 1993 (GV. [X.]. [X.] - JAG [X.] 1993 -; vgl. zu der neuen Struktur der ersten Prüfung in der ab dem 1. Juli 2003 geltenden Fassung des [X.] - GV.[X.]. [X.] - : §§ 2 ff. JAG [X.] 2003). Das [X.]egehren der auch in der Wiederholungsprüfung gescheiterten Klägerin auf eine Verpflichtung des beklagten Prüfungsamtes zur Neubewertung der angerechneten Hausarbeit hat das Oberverwaltungsgericht unter Verweis auf die (materielle) [X.]estandskraft des [X.]escheides über den ersten [X.] der Klägerin abgelehnt.

5

Vor diesem Hintergrund hat die Klägerin in ihrer [X.]eschwerdebegründung vom 23. November 2009 als grundsätzlich klärungsbedürftig die Frage formuliert, "ob einmal angerechnete Prüfungsleistungen nach endgültigem Nichtbestehen der ersten juristischen Staatsprüfung noch im Rahmen eines unabhängigen Leistungsanspruchs des Prüflings in [X.]ezug auf die Wiederholungsprüfung erneut bewertet werden müssen." In ihren weiteren, allerdings erst nach Ablauf der [X.]eschwerdebegründungsfrist des § 133 Abs. 3 Satz 1 VwGO eingereichten Schriftsätzen vom 30. März 2010 und vom 3. Juni 2010 hat die Klägerin die Fragestellung präzisiert und den ihrer Ansicht nach bestehenden bundesrechtlichen [X.]ezug des im nicht revisiblen Landesrecht wurzelnden Falles beschrieben. Es gehe vor allem um folgende Fragen: "Wann steht einem allgemeinen Leistungsanspruch auf Vornahme einer Verwaltungshandlung die [X.]estandskraft eines [X.]escheides entgegen, wenn sich dieser [X.]escheid aus zwei (oder mehreren) Verwaltungshandlungen zusammensetzt und die erste (streitgegenständliche) Verwaltungshandlung [X.]edingung der zweiten ist? Ist ein allgemeiner Leistungsanspruch schon verwirkt, sobald ein - im vorliegenden Fall nicht vorhandenes - treuwidriges Verhalten des Anspruchstellers vorliegt oder muss auch eine zeitliche Komponente gegeben sein?" Der geltend gemachte Leistungsanspruch auf Neubewertung der häuslichen Arbeit ergebe sich aus der Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes in Art. 19 Abs. 4 GG, den allgemeinen Rechtsgrundsätzen über die [X.]estandskraft von [X.]escheiden und über die Verwirkung von Rechtsschutzansprüchen sowie dem allgemeinen Gleichheitsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG.

6

Die derart formulierten und erläuterten Fragen rechtfertigen - ungeachtet des Umstandes, dass die auf die Prüfung der Klägerin noch anwendbaren [X.]estimmungen der §§ 2 ff. JAG [X.] 1993 über das erste juristische Examen durch §§ 2 ff. JAG [X.] 2003 grundlegend umgestaltet worden sind und damit ausgelaufenes Recht darstellen - die Zulassung der Grundsatzrevision nicht.

7

a) Soweit sich die Klägerin im Hinblick auf eine Grundsatzbedeutung der von ihr bezeichneten Fragestellung auf die in diesem Zusammenhang zu klärende Reichweite des allgemeinen Rechtsgrundsatzes der [X.]estandskraft von Verwaltungsakten beruft, ist ihr entgegenzuhalten, dass allgemeine Rechtsgrundsätze, die zur Ergänzung von landesrechtlichen Prüfungsbestimmungen herangezogen werden, regelmäßig ebenfalls dem nach § 137 Abs. 1 Satz 1 VwGO irrevisiblen Landesrecht angehören (Urteil vom 17. Februar 1984 - [X.]VerwG 7 C 67.82 - [X.] 421.0 Prüfungswesen Nr. 195 S. 180; [X.]eschluss vom 26. Mai 1999 - [X.]VerwG 6 [X.] - juris Rn. 3).

8

Abgesehen hiervon ist nicht zweifelhaft und bedarf deshalb keiner weiteren Klärung, dass Prüfungsbescheide, auch wenn sie in einem fehlerhaften Prüfungsverfahren ergangen sind, mit ihrer Unanfechtbarkeit bestandskräftig werden, dass ein Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens grundsätzlich nur unter den Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 VwVfG besteht, dass die [X.]ehörde im Übrigen über die Frage des [X.] gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG nach ihrem pflichtgemäßen Ermessen zu befinden hat und dass der Ermessensspielraum sich nur ausnahmsweise derart reduziert, dass eine andere Entscheidung als das Wiederaufgreifen nicht in Frage kommt. [X.] dieser Grundsätze bestimmt sich die Reichweite der [X.]estandskraft eines ergangenen [X.] zum einen nach den jeweiligen irrevisiblen landesrechtlichen Prüfungsnormen, auf die er gestützt ist, und zum anderen nach seinem konkreten Inhalt im Einzelfall und ist deshalb in einem Revisionsverfahren nicht allgemein klärungsfähig.

9

b) Hieraus folgt zugleich, dass auch der Verweis der Klägerin auf die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG den von ihr aufgeworfenen Fragen keine grundsätzliche [X.]edeutung verleiht. Dass das [X.] von Verwaltungsakten, dessen Reichweite aus Anlass des zur Entscheidung stehenden Falles keiner weiteren allgemeinen Klärung zugeführt werden kann, dem Schutzzweck der verfassungsrechtlichen Gewährleistung des effektiven Rechtsschutzes nicht widerstreitet, ist in der Rechtsprechung des [X.] ([X.]eschluss vom 20. April 1982 - 2 [X.]vL 26/81 - [X.] 60, 253, [X.]) geklärt.

c) Eine Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Fragen ergibt sich aus dem [X.]eschwerdevorbringen ferner nicht im Hinblick auf den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG bzw. den daraus ableitbaren Grundsatz der Chancengleichheit im Prüfungswettbewerb (vgl. dazu: Urteil vom 28. April 1978 - [X.]VerwG 7 C 50.75 - [X.]VerwGE 55, 355 <358 und 360> = [X.] 421.0 Prüfungswesen Nr. 90 S. 91 und 93). Soweit sich die Klägerin in diesem Zusammenhang darauf beruft, das Oberverwaltungsgericht habe ein sog. [X.]lockversagen in Form einer sehr schlecht bewerteten häuslichen Arbeit (vgl. dazu § 15 Abs. 2 und 3 JAG [X.] 1993) zur Voraussetzung für einen Anspruch auf eine Neubewertung der angerechneten häuslichen Arbeit erhoben, wogegen gerade bei besseren Arbeiten die Aussicht auf eine noch günstigere [X.]ewertung und damit auf ein [X.]estehen der Prüfung bestehe, missversteht sie die Erwägungen des [X.]erufungsgerichts. Denn dieses hat das sog. [X.]lockversagen lediglich zur Abgrenzung gegenüber dem einer früheren Entscheidung ([X.], Urteil vom 30. März 1998 - 22 A 4551/95 - NWV[X.]l 1998, 403 ff.) zu Grunde liegenden Sachverhalt in den [X.]lick genommen und ausgeführt, dass in einer solchen Konstellation eine der [X.]estandskraft fähige Gesamtnote, in die auch die [X.]ewertung der häuslichen Arbeit einfließe, nicht errechnet werde ([X.] f.). Die Art des sog. [X.]lockversagens und die erzielte Note der häuslichen Arbeit haben für diese vergleichende [X.]etrachtung demgegenüber ersichtlich keine Rolle gespielt. Eine Rechtsfrage, die sich für die Vorinstanz nicht gestellt oder auf die diese nicht entscheidend abgehoben hat, kann aber regelmäßig und so auch hier nicht die Zulassung der Revision zur Folge haben ([X.]eschlüsse vom 14. November 2008 - [X.]VerwG 6 [X.] - [X.] 422.2 Rundfunkrecht Nr. 47 S. 17 und vom 5. Oktober 2009 - [X.]VerwG 6 [X.] 17.09 - juris Rn. 7).

d) Schließlich führt die [X.]ezugnahme Klägerin auf den aus dem Grundsatz von [X.] und Gauben gemäß § 242 [X.]G[X.] ableitbaren Rechtsgedanken der Verwirkung nicht auf eine grundsätzliche [X.]edeutung der von ihr bezeichneten Fragestellung. Dieser ohne weitere verfassungsrechtliche Verankerung auch im Verwaltungsrecht zu beachtende Grundsatz würde im Falle seiner Anwendung die landesrechtlichen Prüfungsbestimmungen ergänzen und wäre deshalb nach den obigen Darlegungen (unter 1.a)) seinerseits dem irrevisiblen Landesrecht zuzuordnen ([X.]eschlüsse vom 29. Oktober 1997 - [X.]VerwG 8 [X.] 194.97 - [X.] 406.11 § 127 [X.]auG[X.] Nr. 88 S. 50 f. und vom 26. Mai 1999 a.a.[X.] Rn.3).

Abgesehen davon kam es aufgrund der Annahme des [X.], ein Anspruch der Klägerin auf eine Neubewertung der angerechneten Hausarbeit sei aus Gründen der (materiellen) [X.]estandskraft des [X.]escheides über den ersten [X.] der Klägerin ausgeschlossen, auf die Problematik der Verwirkung des Klagerechts nicht mehr an.

2. Eine die Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO eröffnende Divergenz - hier im Hinblick auf den [X.]eschluss des [X.]undesverwaltungsgerichts vom 26. Mai 1999 - [X.]VerwG 6 [X.] - (a.a.[X.]) - lässt sich dem [X.]eschwerdevorbringen ebenfalls nicht entnehmen.

Eine solche Abweichung wäre nur dann im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO hinreichend bezeichnet, wenn die [X.]eschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benannt hätte, mit dem die Vorinstanz einem in dem [X.]eschluss des [X.]undesverwaltungsgerichts aufgestellten, diesen [X.]eschluss tragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hätte. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt.

Die [X.]eschwerde will der Sache nach aus dem genannten [X.]eschluss herleiten, dass die Zulässigkeit einer Klage auf Neubewertung einer angerechneten häuslichen Arbeit aus einem ersten [X.] nach nicht bestandener Wiederholungsprüfung nicht wegen der entgegenstehenden (materiellen) [X.]estandskraft des ersten Prüfungsbescheids und des deshalb fehlenden [X.], sondern allenfalls unter dem Gesichtspunkt einer Verwirkung des Klagerechts verneint werden könne. Der [X.]eschluss des [X.]undesverwaltungsgerichts ist indes, soweit er sich mit der Thematik der Verwirkung befasst, tragend nur auf die Erwägung gestützt, dass die hierzu in jenem Verfahren gestellte Grundsatzfrage eine solche des nicht revisiblen Landesrechts sei, jedenfalls aber keine klärungsbedürftigen Fragen aufwerfe. Die von der Klägerin gezogenen weitergehenden Folgerungen sind der Entscheidung nicht zu entnehmen. Ein inhaltlicher Widerspruch zwischen den Ausführungen zur Verwirkung in dem [X.]eschluss des [X.]undesverwaltungsgerichts und dem angefochtenen Urteil scheidet aus, weil das Oberverwaltungsgericht die Frage der Verwirkung mangels Entscheidungserheblichkeit nicht erörtert hat.

3. Mit der Verfahrensrüge nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO kann die Klägerin die Revisionszulassung nicht erreichen, weil sie sich auf einen [X.]egründungsmangel der angefochtenen Entscheidung und auf eine Verletzung rechtlichen Gehörs erstmals in ihrem Schriftsatz vom 30. März 2010 und damit nach Ablauf der [X.]eschwerdebegründungsfrist des § 133 Abs. 3 Satz 1 VwGO berufen hat.

4. Soweit die Klägerin schließlich in ihrer [X.]eschwerdebegründungsschrift vom 23. November 2009 und vertiefend in ihren Schriftsätzen vom 30. März 2010 und vom 3. Juni 2010 ernsthafte Zweifel an der angefochtenen Entscheidung zum Ausdruck bringt bzw. deren Rechtswidrigkeit in der Art der [X.]egründung einer bereits zugelassenen Revision - insbesondere unter [X.]ezugnahme auf das Urteil des [X.] Münster vom 30. März 1998 - 22 A 4551/95 - und den [X.]eschluss des [X.]undesverwaltungsgerichts vom 26. Mai 1999 - [X.]VerwG 6 [X.] - (jeweils a.a.[X.]) - geltend macht, bezeichnet sie bereits im Ansatz keinen der in § 132 Abs. 2 aufgeführten Revisionszulassungsgründe. Namentlich rechtfertigen ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der vorinstanzlichen Entscheidung zwar gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO die Zulassung der [X.]erufung, einen entsprechenden gesetzlichen Grund für die Zulassung der Revision gibt es hingegen nicht.

Meta

6 B 86/09

11.06.2010

Bundesverwaltungsgericht 6. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 27. August 2009, Az: 14 A 313/09, Urteil

Art 19 Abs 4 GG, §§ 2ff JAG NW 1993, § 2 JAG NW 1993, § 48 Abs 1 S 1 VwVfG, § 51 Abs 1 VwVfG

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 11.06.2010, Az. 6 B 86/09 (REWIS RS 2010, 5948)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 5948

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