Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 18.01.2023, Az. 4 BN 36/22

4. Senat | REWIS RS 2023, 982

© Bundesverwaltungsgericht, Foto: Michael Moser

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Konfliktverlagerung in einem Bebauungsplan (Lärmimmissionen)


Tenor

Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs [X.] vom 13. April 2022 wird zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 30 000 € festgesetzt.

Gründe

1

Der Verwaltungsgerichtshof hat den angegriffenen Bebauungsplan wegen eines Fehlers im [X.] insgesamt für unwirksam erklärt, weil es weiterer Festsetzungen zum baulichen Schallschutz bedurft hätte. Die Revision hat er nicht zugelassen. Die dagegen gerichtete, auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 2 VwGO gestützte Beschwerde bleibt erfolglos. Sie ist unbegründet.

2

I. Die Rechtssache hat insoweit nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr die Beschwerde beimisst.

3

Grundsätzlich bedeutsam ist eine Rechtssache, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zu Grunde liegenden Einzelfall hinausgehenden, klärungsbedürftigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist. In der Beschwerdebegründung muss dargelegt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO), also näher ausgeführt werden, dass und inwieweit eine bestimmte Rechtsfrage des revisiblen Rechts im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig und warum ihre Klärung in dem beabsichtigten Revisionsverfahren zu erwarten ist (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 14. Oktober 2019 - 4 [X.] - [X.] 406.11 § 34 BauGB Nr. 225 Rn. 4 und vom 28. September 2022 - 4 [X.] 6.22 - juris Rn. 16).

4

1. Die Beschwerde möchte [X.] klären lassen,

ob im Vollzug eines Bebauungsplans ausreichender Schallschutz durch Beachtung einer allgemeinen Anforderung nach § 3 [X.] in Gestalt einer technischen Baubestimmung sichergestellt werden kann, wenn in einem (auch) dem Wohnen dienenden Baugebiet die Orientierungswerte der [X.] 18005 derart überschritten werden, dass es zur Gewährleistung gesunder Wohnverhältnisse und zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen weiterer Vorkehrungen bedarf, oder ob in einem solchen Fall weitere Festsetzungen baulicher Schallschutzmaßnahmen nach § 9 Abs. 1 Nr. 24 BauGB geboten sind.

5

Die auf den Einzelfall gemünzte Frage führt nicht zur Zulassung der Revision. Sie ist in der Rechtsprechung des Senats beantwortet, soweit der Fall sie aufwirft und sie [X.]er Klärung zugänglich ist.

6

a) Nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs war die Antragsgegnerin angesichts des bestehenden, erheblichen Immissionskonflikts nach § 1 Abs. 7 BauGB grundsätzlich verpflichtet, das [X.] selbst zu bestimmen. Sie habe von dieser Entscheidung nicht im Hinblick auf bauordnungsrechtliche Anforderungen absehen dürfen ([X.]). Dem tritt die Beschwerde entgegen: Die Antragsgegnerin habe das bauordnungsrechtlich einzuhaltende Schutzniveau bauplanungsrechtlich für ausreichend gehalten; es gewährleiste - auch bei möglichen künftigen Änderungen - hinreichenden Lärmschutz.

7

Die Beschwerde kritisiert insoweit die Rechtsanwendung im Einzelfall, ohne eine grundsätzlich bedeutsame Rechtsfrage darzulegen. Im Übrigen tragen die beanstandeten Ausführungen das Urteil nicht. Denn die Vorinstanz hat angenommen ([X.]: "wie hier"), dass die Antragsgegnerin die bauordnungsrechtlich gebotene Einhaltung der [X.]-Vorschrift 4109-1 zur Konfliktlösung bauplanungsrechtlich als ausreichend erachtet habe. Ob dieses Vorgehen überhaupt zulässig sein könnte, hat der Verwaltungsgerichtshof bezweifelt, aber offengelassen.

8

b) [X.] ist das Urteil damit auf die Annahme gestützt, das Bauordnungsrecht genüge nicht zur Konfliktlösung. Insoweit zeigt die Beschwerde keine grundsätzlich klärungsbedürftige Frage des revisiblen Rechts auf.

9

Nach § 1 Abs. 7 BauGB sind bei der Aufstellung von Bebauungsplänen die öffentlichen und privaten Belange gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen. Das Abwägungsgebot ist verletzt, wenn eine Abwägung überhaupt nicht stattfindet oder in die Abwägung an Belangen nicht eingestellt wird, was nach Lage der Dinge in sie eingestellt werden muss, oder wenn der Ausgleich zwischen den von der Planung berührten Belangen in einer Weise vorgenommen wird, der zur objektiven Gewichtigkeit einzelner Belange außer Verhältnis steht (stRspr, vgl. BVerwG, Urteile vom 12. Dezember 1969 - 4 [X.] 105.66 - BVerwGE 34, 301 <308 f.> und vom 23. November 2016 - 4 [X.]N 2.16 - BVerwGE 156, 336 Rn. 12). Der Bebauungsplan hat grundsätzlich die von ihm selbst geschaffenen oder ihm sonst zurechenbaren Konflikte zu lösen, indem die von der Planung berührten Belange zu einem gerechten Ausgleich gebracht werden. Die Planung darf nicht dazu führen, dass Konflikte, die durch sie hervorgerufen werden, zu Lasten Betroffener letztlich ungelöst bleiben. Das gilt namentlich für [X.] (BVerwG, Urteile vom 17. Oktober 2019 - 4 [X.]N 8.18 - BVerwGE 166, 378 Rn. 25 und vom 10. Mai 2022 - 4 [X.]N 2.20 - NVwZ 2022, 1464 Rn. 14).

Das schließt nicht aus, die Lösung von Problemen aus dem Bebauungsplanverfahren auf nachfolgendes Verwaltungshandeln zu verlagern. Die Grenzen zulässiger Konfliktverlagerung auf den [X.] sind allerdings überschritten, wenn bereits im Planungsstadium absehbar ist, dass sich der offengelassene Interessenkonflikt in einem nachfolgenden Verfahren nicht sachgerecht wird lösen lassen. Ein Konflikttransfer ist mithin nur zulässig, wenn die Durchführung der Maßnahmen zur Konfliktbewältigung auf einer nachfolgenden Stufe möglich und sichergestellt ist (stRspr, vgl. BVerwG, Urteile vom 19. April 2012 - 4 [X.]N 3.11 - BVerwGE 143, 24 Rn. 19 und vom 5. Mai 2015 - 4 [X.]N 4.14 - [X.] 406.11 § 1 BauGB Nr. 136 Rn. 14 m. w. N.).

Von diesen bundesrechtlichen Grundsätzen ist der Verwaltungsgerichtshof ausgegangen und hat angesichts einer Abweichungsmöglichkeit und der bestehenden Kontrollmechanismen in dem nach § 560 ZPO i. V. m. § 173 Satz 1 VwGO nicht revisiblen Bauordnungsrecht die Grenze zulässiger Konfliktverlagerung überschritten gesehen. Die Kritik der Beschwerde an dieser Würdigung im Einzelfall zeigt grundsätzlichen Klärungsbedarf im revisiblen Recht nicht auf. Ihr Hinweis auf den Senatsbeschluss vom 29. Juli 2010 - 4 [X.] 21.10 - ([X.] 406.11 § 10 BauGB Nr. 46) führt nicht weiter, weil die Beachtung der [X.] 4109 seinerzeit Gegenstand der textlichen Festsetzungen war, während der angegriffene Bebauungsplan informatorisch auf die [X.]-Vorschrift hinweist (UA S. 13).

2. Die Beschwerde möchte in anderem Zusammenhang als Frage grundsätzlicher Bedeutung beantwortet wissen, ob die Rechtsprechung zum Verhältnis von Teil- und Gesamtunwirksamkeit von Bebauungsplänen einer Korrektur bedarf (vgl. BVerwG, Urteile vom 5. Mai 2015 - 4 [X.]N 4.14 - [X.] 406.11 § 1 BauGB Nr. 136 Rn. 19 und vom 25. Januar 2022 - 4 [X.]N 5.20 - [X.] 406.12 § 11 [X.] Nr. 43 Rn. 16). Mit Blick auf den Fehler im [X.] führt dies schon deswegen nicht zur Zulassung der Revision, weil die Beschwerde die Entscheidungserheblichkeit der Frage insoweit nicht darlegt.

II. Den Zulassungsgrund der Divergenz nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO bezeichnet die Beschwerde nicht im Sinne von § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO. Sie legt nicht dar, mit welchem abstrakten Rechtssatz die angegriffene Entscheidung von einem abstrakten Rechtssatz aus dem Senatsurteil vom 7. Mai 2014 - 4 [X.]N 5.13 - ([X.] 406.11 § 3 BauGB Nr. 15) oder aus dem Senatsbeschluss vom 16. März 2010 - 4 [X.] 66.09 - ([X.] 406.25 § 50 BImSchG Nr. 7) abgewichen sein könnte (zu den Anforderungen vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - [X.] 310 § 133 VwGO Nr. 26 S. 14 f. und vom 23. August 2021 - 4 [X.] 10.21 - NVwZ 2021, 1702 Rn. 11).

Auf die weiteren Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofs und der Beschwerde kommt es nicht an, weil nur der Fehler im [X.] den [X.] vollständig trägt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung zum Streitwert auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.

Meta

4 BN 36/22

18.01.2023

Bundesverwaltungsgericht 4. Senat

Beschluss

Sachgebiet: BN

vorgehend Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, 13. April 2022, Az: 8 S 847/21, Urteil

§ 9 Abs 1 Nr 24 BauGB, § 1 Abs 7 BauGB

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 18.01.2023, Az. 4 BN 36/22 (REWIS RS 2023, 982)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 982

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

4 BN 37/22 (Bundesverwaltungsgericht)


4 BN 1/22 (Bundesverwaltungsgericht)

Erfolglose Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in einem Normenkontrollverfahren gegen den Bebauungsplan "Alter Stadthafen/südlich …


4 BN 2/22 (Bundesverwaltungsgericht)


4 BN 8/23 (Bundesverwaltungsgericht)


4 BN 9/23 (Bundesverwaltungsgericht)

Umdeutung von Festsetzungen eines Bebauungsplans


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.