Bundesgerichtshof, Beschluss vom 23.01.2024, Az. X ZR 161/23

10. Zivilsenat | REWIS RS 2024, 517

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Gegenstand

Festsetzung des Streitwerts eines Patentnichtigkeitsverfahrens: Zu erwartende Umsätze mit einem bestimmten Arzneimittel als Grundlage; Streitwert eines Verletzungsverfahrens als maßgeblicher Anhaltspunkt für den Wert des Patents - Nichtigkeitsstreitwert V


Leitsatz

Nichtigkeitsstreitwert V

1. Die während der möglichen Restlaufzeit eines Formulierungspatents zu erwartenden Umsätze der Patentinhaberin mit einem bestimmten Arzneimittel bilden keine geeignete Grundlage für die Festsetzung des Streitwerts eines Patentnichtigkeitsverfahrens, wenn dieses Arzneimittel von der Lehre des Streitpatents keinen Gebrauch macht.

2. Der Streitwert eines Verletzungsrechtsstreits bildet grundsätzlich auch dann einen maßgeblichen Anhaltspunkt für den Wert des mit einer Nichtigkeitsklage angegriffenen Patents, wenn die Anträge im Verletzungsverfahren zurückgenommen worden sind.

Tenor

Der Streitwert für beide Instanzen des Berufungsverfahrens wird auf 4,5 Millionen Euro festgesetzt.

Gründe

1

I.    Die Beklagte ist Inhaberin des europäischen Patents 3 143 990 ([X.]), das am 30. März 2012 unter Inanspruchnahme [X.] Prioritäten vom 1. April und 11. Oktober 2011 angemeldet wurde und eine für die orale Verabreichung geeignete feste Formulierung mit 0,5 Milligramm Fingolimod, einem Füllstoff und einem Cyclodextrin enthaltenden Stabilisator betrifft.

2

Die Beklagte hat sich mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen den Vertrieb eines von der Lehre des [X.] Gebrauch machenden Medikaments durch die Klägerin gewandt. Im Verfügungsverfahren ist der Streitwert zunächst auf 3,6 Millionen Euro und nach Rücknahme eines Teils der Anträge auf 2,4 Millionen Euro festgesetzt worden. Im Berufungsverfahren vor dem [X.] hat die [X.] Beklagte ihre Anträge in vollem Umfang zurückgenommen.

3

Das Patentgericht hat das Streitpatent mit Wirkung für die [X.] für nichtig erklärt und den erstinstanzlichen Streitwert auf 30 Millionen Euro festgesetzt.

4

Die Beklagte hat gegen das erstinstanzliche Urteil Berufung eingelegt.

5

Sie beantragt vorab, den Streitwert für beide Instanzen auf 3,6 Millionen Euro festzusetzen.

6

Die Klägerin hält eine Festsetzung auf 4,5 Millionen Euro für angemessen.

7

II.    Die Festsetzung des Streitwerts für die Berufungsinstanz ist in der derzeitigen Verfahrenslage gemäß § 63 Abs. 1 GKG zulässig, die Änderung der Festsetzung für die erste Instanz gemäß § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG.

8

III.    Zu Recht machen beide Parteien geltend, dass die Festsetzung des erstinstanzlichen Streitwerts durch das Patentgericht auf rechtsfehlerhaften Erwägungen beruht.

9

1.    Wie auch das Patentgericht im Ansatz nicht verkannt hat, ist der für die Festsetzung des Streitwerts maßgebliche gemeine Wert des mit der Nichtigkeitsklage angefochtenen Patents in Ermangelung anderer Anhaltspunkte anhand der (vorläufigen) Streitwertfestsetzung aus anhängigen [X.] zuzüglich eines Zuschlags von 25 % zu bemessen (vgl. nur [X.], Beschluss vom 11. Mai 2021 - [X.], [X.], 1105 Rn. 10 f. - [X.] III).

2.    Im Ansatz ebenfalls noch zutreffend ist das Patentgericht davon ausgegangen, dass eine abweichende Festsetzung möglich und geboten ist, wenn besondere Umstände vorliegen, aus denen sich ein abweichender Wert ergibt.

3.    Entgegen der Auffassung des Patentgerichts bilden die während der möglichen Restlaufzeit des Patents zu erwartenden Umsätze der Beklagten mit dem Medikament [X.] im Streitfall jedoch keine geeignete Grundlage für eine abweichende Festsetzung.

Nach dem übereinstimmenden Vortrag beider Parteien macht [X.] - anders als die von der Klägerin angebotene Ausführungsform - von der Lehre des [X.] keinen Gebrauch, weil es nicht den Stabilisator Cyclodextrin enthält.

Vor diesem Hintergrund besteht keine gesicherte Grundlage für die Annahme, dass die Umsätze mit [X.] durch die Nichtigerklärung des [X.] in einem für den Streitwert des vorliegenden Verfahrens erheblichen Umfang beeinflusst werden. Der Wert des [X.] wird vielmehr im Wesentlichen durch die Möglichkeit bestimmt, den Vertrieb von Ausführungsformen, die von der Lehre des [X.] Gebrauch machen, zu unterbinden.

Dieser Wert spiegelt sich im Streitwert des [X.]s wider. Anhaltspunkte, die Anlass geben könnten, von dem üblichen Zuschlag von 25 % abzuweichen, sind demgegenüber nicht ersichtlich.

IV.    Mit der Klägerin hält der Senat eine Festsetzung auf 4,5 Millionen Euro für angemessen.

1.    Dieser Betrag korreliert mit dem im [X.] ursprünglich festgesetzten Streitwert von 3,6 Millionen Euro.

2.    Dass der Streitwert des [X.]s später auf 2,4 Millionen Euro reduziert wurde, ist - ebenso wie die später erfolgte vollständige Rücknahme des [X.] - demgegenüber nicht zu berücksichtigen.

Durch die Rücknahme der Anträge ist die [X.] Beklagte nicht gehindert, ihre gegen die angegriffene Ausführungsform gerichteten Ansprüche erneut geltend zu machen. Der aus dieser Möglichkeit resultierende Wert ist mangels besonderer Anhaltspunkte anhand des ursprünglich festgesetzten Streitwerts zuzüglich des üblichen Zuschlags zu bemessen.

[X.]                                            [X.]

Meta

X ZR 161/23

23.01.2024

Bundesgerichtshof 10. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZR

vorgehend BPatG München, 27. Juni 2023, Az: 3 Ni 13/22 (EP), Urteil

§ 51 Abs 1 GKG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 23.01.2024, Az. X ZR 161/23 (REWIS RS 2024, 517)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2024, 517 MDR 2024, 515 REWIS RS 2024, 517

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