Bundesgerichtshof, Beschluss vom 12.03.2019, Az. VI ZR 435/18

6. Zivilsenat | REWIS RS 2019, 9489

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Gegenstand

Gehörsverletzung im Arzthaftungsprozess: Nichtberücksichtigung von Kernvorbringen einer Partei


Leitsatz

Zur Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs durch Nichtberücksichtigung von Kernvorbringen einer Partei.

Tenor

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des [X.] wird das Urteil des 7. Zivilsenats des [X.] vom 24. Oktober 2018 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Streitwert: 50.000 €

Gründe

I.

1

Der Kläger begehrt die Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für materielle und immaterielle Schäden wegen behaupteter Fehler im Zusammenhang mit der Behandlung einer Ellenbogenverletzung.

2

Der Kläger erlitt eine Ellenbogenluxationsfraktur mit Radiusköpfchenfraktur. Nach einem Aufklärungsgespräch am 18. März 2014 wurde er am 19. März 2014 im Hause der Beklagten operiert. Dabei wurde ein Fixateur externe angebracht und bei dessen Verschraubung der Nervus radialis gequetscht, so dass sich der Kläger einer [X.] am 22. März 2014 in einem anderen Krankenhaus unterziehen musste. Der Kläger leidet unter einer kompletten Radialparese rechts.

3

Der Kläger behauptet, über die mögliche Erforderlichkeit der Anbringung eines [X.] externe und die damit verbundenen Risiken sei er nicht aufgeklärt worden. Die Anbringung des [X.] sei nicht indiziert gewesen. Auch die postoperative Behandlung sei fehlerhaft gewesen.

4

Das [X.] hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das [X.] das landgerichtliche Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Hiergegen wendet sich der Kläger mit der Nichtzulassungsbeschwerde, mit der er eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör rügt.

II.

5

Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht. Das angefochtene Urteil beruht auf einer Verletzung des Anspruchs des [X.] auf Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG.

6

1. Der Kläger rügt zu Recht, das Berufungsgericht habe seinen Anspruch aus Art. 103 Abs. 1 GG dadurch verletzt, dass es auf seinen Vortrag zu den verschiedenen Versionen des [X.] vom 24. März 2014 nicht eingegangen sei.

7

a) Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen. Dabei soll das Gebot des rechtlichen Gehörs als Prozessgrundrecht sicherstellen, dass die Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, welche ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben. Daraus folgt zwar nicht, dass das Gericht verpflichtet wäre, jedes Vorbringen der Beteiligten in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu bescheiden (vgl. [X.] 88, 366, 375 f. mwN). Die wesentlichen der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung dienenden Tatsachenbehauptungen müssen in den Gründen aber verarbeitet werden (vgl. [X.] 47, 182, 189). Geht ein Gericht auf [X.] des [X.] zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, in den Entscheidungsgründen nicht ein, so lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder offensichtlich unsubstantiiert war (vgl. [X.] 86, 133, 146; [X.], Beschluss vom 15. Mai 2012 - 1 BvR 1999/09, juris Rn. 13).

8

b) Diesen Anforderungen genügt das Berufungsurteil nicht. Der Kläger hat mit [X.] vom 22. Mai 2018 ([X.] ff.) vorgetragen, dass es zwei verschiedene Versionen des [X.] gebe, und hierzu die Anlagen [X.] und [X.] vorgelegt. Eine Version habe der Kläger am 3. April 2014 erhalten, die andere sein Prozessbevollmächtigter am 10. Juni 2014. Er hat dargelegt, dass und inwieweit sich die beiden Versionen voneinander unterscheiden und den Verdacht geäußert, dass der [X.]sbericht der jeweiligen Entwicklung angepasst worden sei. Auffällig sei auch, dass der [X.]sbericht erst einige Tage nach der [X.] erstellt worden sei. Es gebe auch zwei Versionen des Entlassungsbriefes.

9

Nachdem der vom Berufungsgericht beauftragte Sachverständige [X.]seine Beurteilung, dass kein Behandlungsfehler vorliege, maßgeblich auf den [X.]sbericht der Beklagten gestützt hat, gehört der Vortrag des [X.], der den Beweiswert des Berichts in Frage stellt, mit zu seinem Kernvorbringen in der Berufungsinstanz. Das angefochtene Urteil befasst sich mit diesem Vorbringen nicht.

2. [X.] ist entscheidungserheblich. Das Berufungsgericht hat seine Beurteilung, dass die Anbringung des Fixateur externe indiziert gewesen sei, dem Sachverständigen folgend darauf gestützt, dass nach dem [X.]sbericht eine intraoperative Luxationstendenz vorgelegen habe. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht bei der gebotenen Berücksichtigung des Vorbringens des [X.] zu den verschiedenen Versionen des [X.] zu einer anderen Beurteilung gelangt wäre.

Die neue Verhandlung gibt dem Berufungsgericht im Übrigen Gelegenheit, sich mit dem weiteren Vorbringen der Parteien im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde zu befassen.

von [X.]     

      

Offenloch     

      

[X.]

      

Müller     

      

[X.]     

      

Meta

VI ZR 435/18

12.03.2019

Bundesgerichtshof 6. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Karlsruhe, 24. Oktober 2018, Az: 7 U 89/16

Art 103 Abs 1 GG, § 286 ZPO, § 544 Abs 7 ZPO, § 823 Abs 1 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 12.03.2019, Az. VI ZR 435/18 (REWIS RS 2019, 9489)

Papier­fundstellen: MDR 2019, 758 REWIS RS 2019, 9489

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Referenzen
Wird zitiert von

1 ZRR 4/19

1 AR 23/19

1 AR 44/19

Zitiert

1 BvR 1999/09

Zitieren mit Quelle:
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