Bundessozialgericht, Beschluss vom 04.04.2017, Az. B 11 AL 93/16 B

11. Senat | REWIS RS 2017, 12937

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Gegenstand

Insolvenzgeldantrag - Insolvenzgeldbescheinigung - kein Antrag durch Insolvenzverwalter


Tenor

Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des [X.] vom 23. September 2016 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe

1

I. Im Streit steht, ob die Erben als Rechtsnachfolger des früheren Arbeitnehmers einen Anspruch auf Insolvenzgeld ([X.]) haben.

2

Die Kläger sind gesetzliche Erben des am 20.9.1978 geborenen und am 7.1.2016 verstorbenen W [X.] ([X.]). [X.] war vom 2.2.2012 bis 18.2.2013 bei der [X.] beschäftigt. Über das Vermögen der GmbH eröffnete das [X.] mit Beschluss vom [X.] das Insolvenzverfahren. Der Insolvenzverwalter übersandte der Beklagten die [X.] vom [X.], nach der die Arbeitgeberin dem [X.] Nettoarbeitsentgelt von 1569,66 Euro für Januar 2013 und von 1102,69 Euro für Februar 2013 nicht bezahlt habe. Der anwaltlich vertretene [X.] erhob vor dem Arbeitsgericht ([X.]) [X.] Klage auf Zahlung rückständigen Entgelts. Das [X.] hat die Arbeitgeberin verurteilt, 2545,85 Euro nebst Zinsen an [X.] zu zahlen.

3

Am [X.] beantragte [X.] bei der Beklagten [X.]. Diese lehnte den Antrag ab (Bescheid vom [X.], Widerspruchsbescheid vom [X.]), weil er nicht innerhalb der Ausschlussfrist von zwei Monaten nach Eintritt des [X.] gestellt worden sei. Das [X.] hat die Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 22.6.2014), das Hessische [X.]SG hat die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 23.9.2016).

4

Mit der Nichtzulassungsbeschwerde machen die Erben als Rechtsnachfolger des [X.] die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend und werfen die Frage auf,

                 
        

"ob in dem rechtzeitigen Übersenden der [X.] durch den Insolvenzverwalter an den Beschwerdegegner die Frist von zwei Monaten zur Beantragung von Insolvenzgeld gewahrt ist."

5

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist zulässig, in der Sache aber nicht begründet, denn die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 160 Abs 2 [X.] SGG).

6

Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist (stRspr; [X.] Beschluss vom 24.10.2016 - B 10 [X.]W 6/16 B - juris Rd[X.] 8 mwN).

7

Zwar machen die Kläger noch hinreichend deutlich, dass sich die Rechtsfrage auf die Auslegung und Anwendung des § 324 Abs 3 [X.] bezieht, obwohl die Norm in der Beschwerdeschrift nicht genannt wird. Sie legen auch die Klärungsbedürftigkeit und -fähigkeit der aufgeworfenen Rechtsfrage dar, sodass die Beschwerde zulässig ist.

8

Die Beschwerde ist aber unbegründet und zurückzuweisen, weil sich die aufgeworfene Rechtsfrage anhand der in der Rechtsprechung des [X.] entwickelten Maßstäbe zum Erfordernis einer Antragstellung und deren Rechtsnatur beantworten lässt.

9

1. [X.] hat innerhalb der zweimonatigen Ausschlussfrist nach dem [X.] vom [X.] keinen Antrag auf [X.] gestellt.

Gemäß § 324 Abs 3 [X.] ist [X.] abweichend von [X.] der Vorschrift innerhalb einer Ausschlussfrist von zwei Monaten nach dem [X.] zu beantragen. Das [X.] ist mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Arbeitgeberin am [X.] eingetreten (§ 165 Abs 1 S 2 [X.] [X.]). Damit wurde die Frist des § 324 Abs 3 [X.] in [X.]auf gesetzt. Sie endete nach zwei Monaten mit Ablauf des [X.] (Montag). Der Kläger hat aber erst am [X.], also nach Ablauf der Ausschlussfrist, den Antrag auf [X.] gestellt.

2. Die an die Beklagte gerichtete [X.] des Insolvenzverwalters beinhaltet weder generell noch im Einzelfall einen Antrag auf Zahlung von [X.] an [X.].

a) Der Insolvenzverwalter stellt mit Abgabe der [X.] nicht generell einen Antrag auf Zahlung von [X.] an die Arbeitnehmer.

§ 314 [X.] begründet eine öffentlich-rechtliche Pflicht des Insolvenzverwalters, der [X.] die dort näher bestimmten Daten zu bescheinigen. Zur Erstellung und Abgabe der Bescheinigung ist der Insolvenzverwalter verpflichtet, während die [X.] Adressatin der Bescheinigung ist (Voelzke in [X.]/[X.], [X.], § 314 Rd[X.]3). Die dem Insolvenzverwalter gemäß § 314 [X.] (vgl auch § 316 Abs 2 [X.]) obliegende Bescheinigungspflicht verleiht ihm aber nicht die Befugnis, Rechte der Arbeitnehmer gegenüber der Beklagten wahrzunehmen (Voelzke, aaO, § 314 Rd[X.]2).

Seine Rechtsstellung ist insoweit nicht mit derjenigen des Arbeitgebers im Kurzarbeitergeldverfahren vergleichbar, dem die Durchsetzung der Ansprüche der Arbeitnehmer obliegt und anvertraut ist ([X.] vom 11.12.2014 - [X.] A[X.] 3/14 R - [X.] 4-4300 § 170 [X.] Rd[X.] 9). Auch räumt § 323 Abs 2 [X.] dem Arbeitgeber ausdrücklich ein Antragsrecht für das Kurzarbeitergeld der Arbeitnehmer ein. Eine analoge Anwendung des § 323 Abs 2 [X.] auf das [X.] scheidet aus, weil das [X.] zwischen den Anträgen auf verschiedene [X.]eistungen deutlich unterscheidet. Es regelt insoweit unterschiedliche Anforderungen und Fristen (vgl § 324 Abs 2 zu Berufsausbildungsbeihilfe, Ausbildungsgeld, Arbeitslosengeld und Kurzarbeitergeld; § 324 Abs 3 zu Insolvenzgeld), sodass Regelungen über die Antragstellung für eine spezifische [X.]eistung nicht auf andere - ebenfalls geregelte - Antragserfordernisse übertragbar ist.

Antragsberechtigt beim [X.] sind die Arbeitnehmer. Sie können den Antrag einzeln oder auch als Sammelantrag stellen. Ein Sammelantrag muss aber von allen Arbeitnehmern unterschrieben sein. Soweit Arbeitnehmer den Antrag nicht selbst stellen, sondern sich dabei vertreten lassen (§ 13 [X.]), muss die entsprechende Vollmacht von dem jeweiligen Arbeitnehmer unterschrieben sein ([X.] in Mutschler/[X.], [X.], 6. Aufl 2017, § 324 Rd[X.]5).

Mangels Antragsberechtigung des Insolvenzverwalters ist die Abgabe der [X.] nach § 314 Abs 1 [X.] nur als Erfüllung der Bescheinigungspflicht zu verstehen. Die Erfüllung der öffentlich-rechtlichen Pflicht beinhaltet keine generelle Erklärung dahingehend, der Insolvenzverwalter wolle für die Arbeitnehmer den Antrag auf [X.] stellen.

b) Der Insolvenzverwalter hat mit Abgabe der [X.] auch nicht im Einzelfall [X.] für [X.] beantragt.

Obwohl der Insolvenzverwalter von Gesetzes wegen nicht antragsberechtigt ist, könnte er für einen Arbeitnehmer den Antrag auf [X.] stellen, wenn er im Einzelfall dazu bevollmächtigt worden wäre (denkbar zB nach Vorfinanzierung). In Betracht kommt auch, dass er als vollmachtloser Vertreter einen Antrag gestellt hat.

Da es sich bei der Antragstellung um die Abgabe einer einseitigen, empfangsbedürftigen öffentlich-rechtlichen Willenserklärung handelt ([X.] in [X.] Kommentar, Stand Januar 2009, § 14 Rd[X.]; Mönch-Kalina in [X.]/Voelzke, [X.], 2. Aufl 2011, § 16 Rd[X.]6), wäre für eine wirksame Antragstellung erforderlich, dass eine Erklärung abgegeben worden ist, die von der [X.] als deren Empfängerin so verstanden werden kann, dass der Insolvenzverwalter namens und in Vollmacht eines Arbeitnehmers - hier des [X.] - den Antrag auf [X.] stellen wollte. Im vorliegenden Fall hat der Insolvenzverwalter aber keine Erklärung abgegeben, die die Beklagte als Antragstellung für [X.] verstehen konnte.

Aus dem Urteil des [X.] vom 23.10.1984 (10 [X.] - [X.] 4100 § 141e [X.]) ergibt sich nichts anderes. Denn jener Entscheidung lag ein Fall zugrunde, in dem der Anspruch auf das (damalige) [X.] abgetreten worden war, aber der Arbeitnehmer ohne Vollmacht des Abtretungsempfängers den Antrag auf [X.] gestellt hatte. Die Entscheidung betrifft also gerade einen Fall, in dem ein Antrag - wenn auch durch einen "Nichtberechtigten" - gestellt worden ist. Dies ist in dem vorliegenden Rechtsstreit - wie oben ausgeführt - gerade nicht der Fall.

3. Auch eine Nachfrist ist [X.] nicht einzuräumen gewesen.

Gemäß § 324 Abs 3 S 2 [X.] wird Nachfrist gewährt, wenn die Ausschlussfrist nach Satz 1 der Vorschrift aus nicht selbst zu vertretenden Gründen versäumt worden ist. Ein zu vertretender Grund liegt vor, wenn sich ein Arbeitnehmer nicht mit der erforderlichen Sorgfalt um die Durchsetzung seiner Ansprüche bemüht hat (§ 324 Abs 3 S 3 [X.]). Der Arbeitnehmer hat dabei jede - auch leichte - Fahrlässigkeit zu vertreten (§ 276 BGB; vgl auch [X.] vom 26.8.1983 - 10 [X.] - [X.]E 55, 284 = [X.] 4100 § 141e [X.] 5).

[X.] hat seine [X.]ohnrückstände arbeitsgerichtlich verfolgt. Er hat sie im März 2013 titulieren lassen, in dem Zusammenhang hätte er vorsorglich auch einen Antrag auf [X.] stellen können. Soweit er im März 2013 das [X.] noch nicht gekannt haben sollte, hätte er durch alsbaldige Vollstreckung des titulierten Zahlungsanspruchs von dem [X.] erfahren können (vgl [X.] vom 29.10.1992 - 10 [X.] - [X.]E 71, 213 = [X.] 3-4100 § 141e [X.] 2; [X.] in Brand, [X.], § 324 Rd[X.] 23). Auch hat der Insolvenzverwalter, auf dessen Bescheinigung sich die Kläger berufen, die Betroffenen im April 2013 auf die Notwendigkeit der fristgerechten Antragstellung hingewiesen.

Die Beschwerde ist mithin gemäß § 160a Abs 4 S 1 SGG unter Zuziehung [X.] durch Beschluss zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG.

Meta

B 11 AL 93/16 B

04.04.2017

Bundessozialgericht 11. Senat

Beschluss

Sachgebiet: AL

vorgehend SG Frankfurt, 23. Juni 2014, Az: S 15 AL 317/13, Gerichtsbescheid

§ 314 Abs 1 SGB 3, § 324 Abs 3 SGB 3

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 04.04.2017, Az. B 11 AL 93/16 B (REWIS RS 2017, 12937)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 12937

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