Bundessozialgericht, Urteil vom 26.02.2019, Az. B 11 AL 3/18 R

11. Senat | REWIS RS 2019, 9940

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Insolvenzgeldanspruch - rückständiger Arbeitsentgeltanspruch - Betriebsübergang vor Eintritt des Insolvenzereignisses - Beendigung des Insolvenzgeldzeitraums mit Eintritt des Betriebsübergangs - objektive Beweislast der Agentur für Arbeit


Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des [X.] vom 20. Oktober 2017 aufgehoben, soweit die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 24. Juli 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. September 2015 verurteilt worden ist, der Klägerin auch vom 12. Dezember 2014 bis 31. Januar 2015 Insolvenzgeld in Höhe von 1885,02 Euro unter Anrechnung des bereits geleisteten Vorschusses zu erbringen.

Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Streitig ist ein Anspruch auf Insolvenzgeld ([X.]).

2

Die Klägerin war seit August 2014 als Büroangestellte bei der [X.] (im Folgenden: Arbeitgeberin) beschäftigt. Zur Vermeidung nachteiliger Veränderungen in der Vermögenslage der Arbeitgeberin ordnete das [X.] auf Antrag der [X.] vom 30.10.2014 deren vorläufige Insolvenzverwaltung an (Beschluss vom 13.11.2014). Mit den Beschlüssen vom 13.7.2015 (11 IN 384/14 bzw 11 IN 418/14) lehnte es die Anträge der [X.] und der Arbeitgeberin auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse ab. Die Arbeitgeberin kündigte das Arbeitsverhältnis der Klägerin mit sofortiger unwiderruflicher Freistellung und mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters mit Wirkung zum 31.1.2015 (Schreiben vom 12.12.2014).

3

In ihrem Antrag auf [X.] vom 23.12.2014 gab die Klägerin an, dass Lohnzahlungen für November 2014, Dezember 2014 und Januar 2015 ausstünden. Der vorläufige Insolvenzverwalter informierte die Beklagte mit Hinweis auf eine Anzeige zur Entlassung gemäß § 17 KSchG (Massenentlassungsanzeige). Der Geschäftsbetrieb der Arbeitgeberin sei zum 11.12.2014 vollständig eingestellt worden (Schreiben vom 22.12.2014; Gutachten vom 11.6.2015). Dagegen ging die Beklagte von einer Fortführung des Betriebs bzw einer Übernahme der Arbeitsverhältnisse durch die [X.] aus und teilte dieser mit, dass sie gemäß § 613a BGB neben der Insolvenzschuldnerin für den ausgefallenen Lohn hafte (Schreiben vom 27.2.2015).

4

Sodann bewilligte die Beklagte der Klägerin [X.] als Vorschuss in Höhe von 1750 Euro. Zugleich wies sie darauf hin, dass dieser Betrag zu erstatten sei, soweit ein Anspruch auf [X.] nicht oder nur in geringerer Höhe zuerkannt werde (Bescheid vom [X.]). Später bewilligte sie [X.] nur in Höhe von 1577,25 Euro. [X.] könne vom 1.11.2014 bis längstens zum 11.12.2014 gezahlt werden, weil die Arbeitsverhältnisse durch Betriebsübergang am 12.12.2014 auf die [X.] übergegangen seien. Der überzahlte Betrag in Höhe von 172,75 Euro sei zu erstatten (Bescheid vom [X.]; Widerspruchsbescheid vom 2.9.2015).

5

Das [X.] hat die Beklagte unter Abänderung der angefochtenen Bescheide verurteilt, der Klägerin weiteres [X.] für den [X.]raum vom 12.12.2014 bis 31.1.2015 in Höhe von 1961,46 Euro zu gewähren (Urteil vom 20.4.2016). Es lasse sich aufgrund des von der Beklagten mitgeteilten Sachverhalts nicht feststellen, dass der Betrieb der Arbeitgeberin mit ursprünglich mindestens 80 Arbeitnehmern und zahlreichen Filialen vollumfänglich von der [X.] weitergeführt worden sei.

6

Das [X.] hat das Urteil des [X.] abgeändert und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom [X.] in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2.9.2015 verurteilt, der Klägerin auch für die [X.] vom 12.12.2014 bis 31.1.2015 [X.] in Höhe von 1885,02 Euro unter Anrechnung des bereits geleisteten Vorschusses zu gewähren, im Übrigen die Klage abgewiesen und die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 20.10.2017). [X.] sei der Beschluss des [X.] vom 13.7.2015. Eine von der Beklagten behauptete Zahlungsunfähigkeit der Arbeitgeberin schon bei Betriebsaufnahme stehe einem Anspruch auf [X.] nicht entgegen. Es könne auch nicht eingewandt werden, dass ein Dritter in die Pflichten der zahlungsunfähig gewordenen Arbeitgeberin eingetreten sei. Der [X.] könne offenlassen, ob tatsächlich ein Betriebsübergang vorliege. Es widerspreche dem Zweck des [X.], wenn der Arbeitnehmer nach einer durch ein gesetzliches [X.] eingetretenen Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers auf das Ergebnis des Insolvenzverfahrens bzw die Geltendmachung von ausstehenden Arbeitsentgeltansprüchen gegen Dritte verwiesen werde. Anders als vom [X.] ausgesprochen, habe die Klägerin keinen (Rest-)Anspruch auf [X.] in Höhe von 1961,46 Euro, sondern nur einen solchen in Höhe von 1885,02 Euro.

7

Mit ihrer vom [X.] zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung der § 165 Abs 1 [X.]B III, § 166 Abs 1 [X.], 2. Alt [X.]B III, § 169 Satz 1 [X.]B III sowie des § 613a Abs 2 Satz 1 BGB. Habe bei einem Betriebsübergang ein Arbeitgeberwechsel vor dem [X.] stattgefunden, ende der Insolvenzgeldzeitraum mit der Betriebsübernahme. Das vom [X.] zitierte Urteil des B[X.] (Urteil vom 2.11.2000 - B 11 AL 23/00 R - [X.] 3-4100 § 141b [X.]) betreffe nur den [X.]raum einer gesamtschuldnerischen Haftung von Arbeitgeber und Betriebsübernehmer für die [X.] vor einem Betriebsübergang.

8

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des [X.] vom 20. Oktober 2017 insoweit aufzuheben, als damit das Urteil des [X.] vom 20. April 2016 abgeändert und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 24. Juli 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. September 2015 verurteilt worden ist, der Klägerin auch für die [X.] vom 12. Dezember 2014 bis 31. Januar 2015 Insolvenzgeld in Höhe von 1885,02 Euro unter Anrechnung des bereits geleisteten Vorschusses zu gewähren, und das Urteil des [X.] vom 20. April 2016 auch im Übrigen aufzuheben und die Klage insgesamt abzuweisen.

9

Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Das [X.] habe keine weiteren Ermittlungen zum Betriebsübergang anstellen müssen. Die Beklagte habe nicht dargelegt, dass das Arbeitsverhältnis auf die [X.] übergegangen sei. Zudem habe sie keine Kenntnis vom Übergang ihres Arbeitsverhältnisses gehabt.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision der [X.] hat im Umfang der von ihr beantragten Aufhebung des angefochtenen Urteils des [X.] und Zurückverweisung der Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht Erfolg (§ 170 Abs 2 Satz 2 [X.]G). Ob die [X.]lägerin einen Anspruch auf höheres [X.] hat, lässt sich auf der Grundlage der bisherigen Tatsachenfeststellungen des [X.] nicht abschließend beurteilen.

1. Streitgegenstand des Revisionsverfahrens ist neben den vorinstanzlichen Entscheidungen der Bescheid vom [X.] in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom [X.], mit dem es die Beklagte abgelehnt hat, höheres [X.] unter Berücksichtigung auch des Zeitraums vom 12.12.2014 bis 31.1.2015 zu zahlen. Weiter hat sie mit diesem Bescheid die teilweise Erstattung des vorschussweise erbrachten [X.] in Höhe von 172,75 Euro verlangt. Der Bescheid vom [X.] hat den Vorschussbescheid vom [X.] vollständig ersetzt (§ 168 [X.], § 39 Abs 2 [X.]B X). Da das Berufungsgericht das zusprechende Urteil des [X.] auf die Berufung der [X.] nur insoweit aufgehoben hat, als diese zur Zahlung von [X.] in Höhe eines Betrags von mehr als 1885,02 Euro verurteilt worden ist, ist Streitgegenstand mangels Revision der [X.]lägerin letztlich das Begehren der [X.], deren statthafte kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage 54 Abs 1 und 4 [X.]G) insgesamt abzuweisen.

2. a) Rechtsgrundlage für einen Anspruch auf [X.] ist § 165 Abs 1 Satz 1 [X.] [X.] idF des [X.] der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt vom 20.12.2011 ([X.]). Hiernach haben Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Anspruch auf [X.], wenn sie im Inland beschäftigt waren und bei einem [X.] für die vorausgegangenen drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt haben. Als [X.] gilt nach § 165 Abs 1 Satz 2 [X.] die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Arbeitgebers ([X.]), die Abweisung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse ([X.]) oder die vollständige Beendigung der Betriebstätigkeit im Inland, wenn ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht gestellt worden ist und ein Insolvenzverfahren offensichtlich mangels Masse nicht in Betracht kommt (Nr 3).

Durch die Beschlüsse des [X.] zur Abweisung der Anträge auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der ehemaligen Arbeitgeberin der [X.]lägerin vom 13.7.2015 ist ein [X.] iS des § 165 Abs 1 Satz 2 [X.] [X.] eingetreten. Das Berufungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass eine ohnehin nicht festgestellte, von vornherein bestehende Zahlungsunfähigkeit der bisherigen Arbeitgeberin einem Anspruch auf [X.] nicht entgegenstünde. Nur bei einem [X.] nach § 165 Abs 1 Satz 2 Nr 3 [X.] wird eine [X.]ausalität zwischen einer neu eingetretenen Zahlungsunfähigkeit und der vollständigen Beendigung der Betriebstätigkeit im Inland gefordert. Die [X.]lägerin hatte nach den tatsächlichen Feststellungen des [X.] (§ 163 [X.]G) grundsätzlich aus dem bis zum 31.1.2015 bestehenden Arbeitsverhältnis noch [X.]. [X.] ihrer unwiderruflichen Freistellung ab 12.12.2014 ist für das Ende des Arbeitsverhältnisses iS des § 165 Abs 1 Satz 1 [X.] nicht dessen faktisches Ende (im Sinne des sozialrechtlichen Beschäftigungsverhältnisses), sondern das rechtliche Ende (nach arbeitsrechtlichen Maßstäben) maßgebend (Voelzke in [X.]/[X.], [X.], [X.] § 165 RdNr 90, Stand Juni 2018; [X.]ühl in Brand, [X.], 8. Aufl 2018, § 165 RdNr 31). Die [X.]lägerin hat auch die Ausschlussfrist des § 324 Abs 3 [X.] für die Beantragung von [X.] gewahrt.

b) Der Ausgleich von Ansprüchen auf rückständiges Arbeitsentgelt durch [X.] iS des § 165 Abs 1 Satz 1 [X.] erfolgt jedoch nur für solche arbeitsrechtlichen Ansprüche, die in den Insolvenzgeldzeitraum fallen. Die Lage des [X.] bestimmt sich neben dem Zeitpunkt des [X.]ses nach den letzten drei Monaten des Arbeitsverhältnisses mit dem jeweiligen insolventen Arbeitgeber vor Eintritt des [X.]ses. § 165 Abs 1 Satz 1 [X.] sichert also nicht jegliches ausgefallenes Arbeitsentgelt im Zusammenhang mit einer Insolvenz, sondern nur arbeitsrechtliche Ansprüche des Arbeitnehmers gegen einen konkreten Arbeitgeber (Voelzke in [X.]/[X.], [X.], [X.] § 165 RdNr 46, Stand Juni 2018), der wiederum von einem der in § 165 Abs 1 Satz 2 [X.] bezeichneten [X.]se betroffen sein muss ([X.] in [X.]Voelzke, jurisP[X.]-[X.], 2. Aufl 2019, § 165 RdNr 38).

c) Im Falle eines Betriebsübergangs vor dem [X.] endet der Insolvenzgeldzeitraum trotz fortbestehenden Arbeitsverhältnisses des Arbeitnehmers (hierzu sogleich) mit der Betriebsübernahme durch den neuen Erwerber. Wegen eines [X.]ses bei dem (bisherigen) Arbeitgeber steht dem Arbeitnehmer [X.] dann nur bis zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs zu (so auch [X.] Berlin-Brandenburg vom 13.6.2018 - L 18 AL 52/16 - juris Rd[X.]5; [X.] in G[X.]- [X.], § 165 Rd[X.]89, Stand November 2017; [X.]ühl in Brand, [X.], 8. Aufl 2018, § 165 RdNr 34; [X.] in Nomos-[X.]ommentar [X.], 6. Aufl 2017, § 165 Rd[X.]7; [X.]/[X.], Aktuelles Arbeitsrecht in [X.]rise und Insolvenz, [X.], 349 f).

Dies folgt aus § 613a BGB. Geht ein Betrieb oder Betriebsteil durch Rechtsgeschäft auf einen anderen Inhaber über, so tritt dieser nach § 613a Abs 1 Satz 1 BGB in die Rechte und Pflichten aus den im Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnissen ein. Nach der Rechtsprechung des [X.] enthält § 613a Abs 1 BGB als Tatbestandsmerkmal kein auf die bestehenden Arbeitsverhältnisse bezogenes Rechtsgeschäft. Der Übergang des Arbeitsverhältnisses ist nicht Tatbestandsvoraussetzung des § 613a Abs 1 BGB, sondern die gesetzliche Rechtsfolge des Betriebsübergangs (vgl nur [X.] vom 30.10.1986 - 2 [X.] - [X.]E 53, 251). Mit dem Betriebsübergang ist der Betriebserwerber der neue Arbeitgeber bei Fortbestand des bisherigen Arbeitsverhältnisses. Das Arbeitsverhältnis geht auf ihn über ([X.] in [X.] [X.]ommentar, 7. Aufl 2016, § 613a BGB RdNr 77 "Vertragspartnerwechsel auf Arbeitgeberseite"; [X.] vom 11.11.2010 - 8 [X.] - [X.], 763, 765).

Zwar bestimmt § 613a Abs 2 BGB, dass der bisherige Arbeitgeber neben dem neuen Inhaber als Gesamtschuldner für Verpflichtungen nach § 613a Abs 1 BGB haftet, soweit sie vor dem Zeitpunkt des Übergangs entstanden sind und vor Ablauf von einem Jahr nach diesem Zeitpunkt fällig werden. Für noch ausstehende [X.] der [X.]lägerin gegenüber ihrer bisherigen Arbeitgeberin vor dem von der [X.] behaupteten Betriebsübergang am 12.12.2014 hat die Beklagte jedoch [X.] bewilligt.

Eine [X.]onstellation, in welcher die Arbeitsverhältnisse bei dem [X.] verbleiben, weil die betroffenen Arbeitnehmer dem Betriebsübergang widersprechen, ist hier nicht gegeben. Insofern bestimmt § 613a Abs 6 BGB, dass der Arbeitnehmer dem Übergang des Arbeitsverhältnisses innerhalb eines Monats nach Zugang der Unterrichtung zu dem Betriebsübergang schriftlich widersprechen kann. Der Widerspruch gegen den Betriebsübergang wirkt auf den Zeitpunkt des Betriebsübergangs zurück (vgl nur [X.] vom 19.2.2009 - 8 [X.] - [X.]E 129, 343, 348). Nach § 613a Abs 5 BGB hat der bisherige Arbeitgeber oder der neue Inhaber die von einem Übergang betroffenen Arbeitnehmer vor dem Übergang über Einzelheiten des Betriebsübergangs (Zeitpunkt, Grund, Folgen, Maßnahmen) zu unterrichten. Erfolgt die Unterrichtung erst nach dem Betriebsübergang, beginnt - unbesehen des Zeitpunktes des Übergangs - die Monatsfrist erst nach dem Zugang der Unterrichtung zu laufen ([X.] in [X.] [X.]ommentar, 7. Aufl 2016, § 613a BGB Rd[X.]20; vgl auch [X.] vom 28.6.2018 - 8 [X.] - [X.] zu § 613a BGB zur Verwirkung des Widerspruchsrechts nach nicht ordnungsgemäßer Unterrichtung bei widerspruchsloser Weiterarbeit bei dem neuen Inhaber über einen Zeitraum von sieben Jahren). Hier liegen jedoch weder eine (ordnungsgemäße) Unterrichtung noch ein Widerspruch der [X.]lägerin gegen den fraglichen Betriebsübergang vor.

d) Anders als die [X.]lägerin und das Berufungsgericht meinen, ergibt sich aus der bisherigen Rechtsprechung des B[X.] nicht, dass ein Betriebsübergang in der vorliegenden [X.]onstellation unbeachtlich wäre. Hiernach setzt ein [X.]-Anspruch voraus, dass ein Arbeitnehmer bestimmte [X.] gegen seinen Arbeitgeber hat, diese nicht erfüllt worden sind und bei dem Arbeitgeber ein [X.] eingetreten ist. [X.]ann der Arbeitnehmer Dritte neben dem Arbeitgeber wegen seiner Entgeltforderungen in Anspruch nehmen, sieht das Gesetz nicht vor, dass der Anspruch auf [X.] nicht oder erst entsteht, wenn auch der Dritte zahlungsunfähig geworden ist (B[X.] vom 30.4.1981 - 10/8b/12 [X.] - B[X.]E 51, 296, 298 = [X.] 4100 § 141b [X.]8 S 73; B[X.] vom 2.11.2000 - [X.]1 AL 23/00 R - [X.] 3-4100 § 141b [X.]2 S 99). Diese Entscheidungen betrafen jedoch jeweils Sachverhaltskonstellationen, in denen arbeitsrechtliche Ansprüche im Insolvenzgeldzeitraum sowohl gegenüber dem bisherigen Arbeitgeber als auch gegenüber [X.] bestanden. Die hier vorliegende Fallgestaltung eines Betriebsübergangs vor dem [X.] weicht davon ab, weil eine (zeitgleiche) Einstandspflicht von Veräußerer und Betriebserwerber für die Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis regelmäßig nur bis zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs besteht. Fand ein möglicher Betriebsübergang - wie vorliegend von der [X.] behauptet - in den letzten drei Monaten vor Eintritt des [X.]ses statt, entfällt wegen des [X.] der Anspruch auf Arbeitsentgelt gegen den bisherigen Arbeitgeber. Es kann daher für eine Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des Bescheides vom [X.] in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom [X.] nicht dahingestellt bleiben, ob - wie die Beklagte meint - am 12.12.2014 ein Betriebsübergang stattgefunden hat.

3. Für das weitere Verfahren gibt der Senat zunächst folgende Hinweise: Bei der Prüfung, ob der Betrieb der ehemaligen Arbeitgeberin auf die [X.] übergegangen ist und dies zudem auch die Tätigkeit der [X.]lägerin als Büroangestellte umfasste, ist die Rechtsprechung des [X.] zugrunde zu legen. Danach liegt ein Betriebs(teil)übergang iS von § 613a Abs 1 Satz 1 BGB - wie auch im Sinne der Richtlinie 2001/23/[X.] vom 12.3.2001 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- und Betriebsteilen ([X.]) - vor, wenn die für den Betrieb verantwortliche natürliche oder juristische Person, die Arbeitgeberverpflichtungen gegenüber den Beschäftigten eingeht, im Rahmen vertraglicher Beziehungen wechselt und die in Rede stehende Einheit nach Übernahme durch den neuen Inhaber ihre Identität bewahrt ([X.] vom 25.8.2016 - 8 [X.] - [X.] zu § 613a BGB Rd[X.]5 ff mwN). Bei der Prüfung, ob eine solche Einheit ihre Identität bewahrt, müssen sämtliche den Vorgang des Betriebsübergangs kennzeichnende Tatsachen, insbesondere die Art des Unternehmens oder Betriebs, der etwaige Übergang der materiellen Betriebsmittel wie Gebäude und bewegliche Güter, der Wert der immateriellen Aktiva im Zeitpunkt des Übergangs, die etwaige Übernahme der Hauptbelegschaft durch den neuen Inhaber, der etwaige Übergang der [X.]undschaft sowie der Grad der Ähnlichkeit zwischen den vor und nach dem Übergang verrichteten Tätigkeiten und die Dauer einer eventuellen Unterbrechung dieser Tätigkeiten berücksichtigt werden. Diese Umstände sind Teilaspekte der vorzunehmenden Gesamtbewertung ([X.] aaO Rd[X.]7).

Fraglich ist nach den bisher getroffenen Feststellungen schon ein Inhaberwechsel durch Rechtsgeschäft, also durch vertragliche Übertragung oder durch Verschmelzung (vgl hierzu Winter in [X.]/[X.]/[X.], [X.]ommentar zum [X.], 2. Aufl 2018, Art 1 RL 2001/23/[X.], RdNr 36) und dessen Zeitpunkt. Unklar ist auch, ob der Betrieb tatsächlich in der bisherigen Struktur einschließlich einer gesonderten Verwaltungsabteilung weitergeführt worden ist. [X.] sind ferner die näheren Umstände der von der [X.] behaupteten "Übernahme von rechnerisch weniger als die Hälfte der ursprünglichen Belegschaft", evtl durch Rückfrage bei dem vorläufigen Insolvenzverwalter. Allerdings ist das Gericht nur zu solchen Ermittlungen verpflichtet, die der Sachverhalt und der Vortrag der Beteiligten nahe legen ([X.] in [X.], [X.]G, 12. Aufl 2017, § 103 RdNr 7 mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen). Zu Ermittlungen ohne konkrete Anhaltspunkte "aufs Geratewohl" oder "ins Blaue hinein" besteht (auch unter verfassungsrechtlichen Erwägungen) keine Verpflichtung ([X.] vom 9.10.2007 - 2 BvR 1268/03 - juris Rd[X.]9; vgl B[X.] vom 17.12.1997 - 11 [X.]/97 - B[X.]E 81, 259 = [X.] 3-4100 § 128 Nr 5).

4. Lässt sich nach Ausschöpfung der Möglichkeiten zur Aufklärung des Sachverhalts nicht feststellen, ob ein Betriebsübergang stattgefunden hat, trägt die Beklagte hierfür die objektive Beweislast (Feststellungslast).

Nach den Grundsätzen der Verteilung der objektiven Beweislast, die die Rechtsprechung des B[X.] entwickelt hat (stRspr vgl B[X.] vom 26.11.1992 - 7 [X.] - B[X.]E 71, 256, 260 = [X.] 3-4100 § 119 [X.] mwN; vgl B[X.] vom 14.10.2014 - [X.] [X.]R 27/13 R - B[X.]E 117, 82 = [X.] 4-2500 § 109 [X.], Rd[X.]8 mwN, jeweils mit weiteren Nachweisen), gilt, dass die [X.] einer Tatsache im Zweifel zulasten des Beteiligten geht, der aus ihr eine ihm günstige Rechtsfolge herleitet. Ist die objektive Beweislast nicht unmittelbar selbst und eindeutig vom Gesetz bestimmt, ist letztlich maßgeblich, welche Seite nach dem Plan des Gesetzgebers, hilfsweise nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen, mit dem potentiellen "Unrecht" belastet werden kann. Es sind dabei nicht nur der Zweck der Norm, sondern auch ihre Stellung sowie Erfordernisse wirksamen Rechtsschutzes zu berücksichtigen. Anhaltspunkte für die Abgrenzung bieten so unterschiedliche [X.]riterien wie Regel und Ausnahme, die Zumutbarkeit der Belastung mit einem Beweisnachteil und der Zurechenbarkeit der Ungewissheit bzw [X.] zur [X.] der einen oder anderen Seite (B[X.] vom 26.11.1992 und 14.10.2014, aaO).

Nach diesen Grundsätzen und dem Regelungsgefüge der §§ 165 ff [X.] trägt die Beklagte die objektive Beweislast für das Vorliegen eines Betriebsübergangs im Insolvenzgeldzeitraum; denn dies kann zu einer für die Arbeitsverwaltung vorteilhaften Verkürzung der Insolvenzgeldzahlung führen. Zwar müssen Arbeitnehmer im Falle eines späteren [X.]ses darlegen, dass sie "für die vorangegangenen drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt" haben. § 165 Abs 1 Satz 1 [X.] liegt aber der Regelfall eines (weiterhin bestehenden) Arbeitsverhältnisses mit dem bisherigen (insolventen) Arbeitgeber ohne Entgeltzahlung zugrunde. Die [X.]onstellation eines Betriebsübergangs, bei dem das bisherige Arbeitsverhältnis ohne tatsächliche Entgeltzahlung zwar fortbesteht, es aber wegen des Wechsels in der Person des Arbeitgebers zu einer Vorverlagerung des [X.] kommen kann, ist demgegenüber der Ausnahmefall.

Bestätigt wird dieses Ergebnis durch den Zweck des [X.], das der Sicherung des Lebensunterhalts des Arbeitnehmers dienen und deshalb möglichst schnell erbracht werden soll (B[X.] vom [X.] - B[X.]E 56, 211, 214 = [X.] 4100 § 141b [X.]). Dies findet seinen Ausdruck auch in der Regelung zum Anspruchsübergang. Nach § 169 Satz 1 [X.] gehen Ansprüche auf Arbeitsentgelt, die einen Anspruch auf [X.] begründen, mit dem Antrag auf [X.] auf die [X.] über. Dieser Anspruchsübergang vollzieht sich bereits mit der Antragstellung, also zu einem Zeitpunkt, zu dem über den Antrag auf [X.] noch nicht entschieden worden ist. In Zweifelsfällen findet deshalb stets ein Anspruchsübergang statt (B[X.] vom 20.6.2001 - [X.]1 AL 97/00 R - [X.] 3-4100 § 141m [X.]), dessen Umfang noch nicht konkretisiert werden kann. Das Risiko der Realisierung von [X.]n liegt demnach bei der [X.] bei gleichzeitig vollständiger Absicherung der Arbeitnehmer über das für höchstens drei Monate zu erbringende [X.]. Auch diese "[X.]lärungsverantwortung" der [X.] für etwaige, noch nicht abschließend feststehende [X.] bestätigt, dass die objektive Beweislast für den von ihr behaupteten Betriebsübergang nach der Schutzrichtung der [X.] bei ihr liegt.

Das [X.] wird ggf auch über die [X.]osten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

Meta

B 11 AL 3/18 R

26.02.2019

Bundessozialgericht 11. Senat

Urteil

Sachgebiet: AL

vorgehend SG Mannheim, 20. April 2016, Az: S 12 AL 2954/15, Urteil

§ 165 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB 3, § 165 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB 3, § 165 Abs 1 S 2 Nr 3 SGB 3, § 169 S 1 SGB 3, § 613a Abs 1 S 1 BGB

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 26.02.2019, Az. B 11 AL 3/18 R (REWIS RS 2019, 9940)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 9940

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

B 11 AL 14/16 R (Bundessozialgericht)

(Insolvenzgeldanspruch - erneutes Insolvenzereignis - Freigabeerklärung zur weiteren Ausübung einer selbständigen Tätigkeit gem § 35 …


B 11 AL 11/11 R (Bundessozialgericht)

(Insolvenzgeldanspruch - erneutes Insolvenzereignis - Aufhebung des ersten Insolvenzverfahrens und sich anschließender nicht überwachter Insolvenzplan …


B 11 AL 21/12 R (Bundessozialgericht)

Bemessung des Insolvenzgeldes - Begrenzung des Bruttoarbeitsentgelts auf monatliche Beitragsbemessungsgrenze - verfassungs- und europarechtskonforme Auslegung


B 11 AL 93/16 B (Bundessozialgericht)

Insolvenzgeldantrag - Insolvenzgeldbescheinigung - kein Antrag durch Insolvenzverwalter


B 12 AL 1/15 R (Bundessozialgericht)

Sozialversicherung - Zahlung von Pflichtbeiträgen bei Insolvenzereignis - Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses im Rahmen einer Freigabe …


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

8 AZR 392/09

8 AZR 100/17

8 AZR 53/15

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.