Bundesgerichtshof, Beschluss vom 29.01.2014, Az. 4 StR 254/13

4. Strafsenat | REWIS RS 2014, 8301

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Gegenstand

Verständigung im Strafverfahren: Notwendiger Hinweis auf konkret in Betracht kommende Bewährungsauflagen


Leitsatz

Der Grundsatz des fairen Verfahrens gebietet es, den Angeklagten vor einer Verständigung gemäß § 257c StPO, deren Gegenstand die Verhängung einer zur Bewährung auszusetzenden Freiheitsstrafe ist, auf konkret in Betracht kommende Bewährungsauflagen gemäß § 56b Abs. 1 Satz 1 StGB hinzuweisen.

Tenor

Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 18. Dezember 2012 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat die Angeklagte wegen Betrugs in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Die hiergegen gerichtete, auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision hat mit der Verfahrensrüge Erfolg.

2

1. Die Angeklagte rügt zu Recht, das [X.] habe ihren Anspruch auf ein faires Verfahren verletzt (Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK), weil ihr vor einer Verständigung über eine Bewährungsstrafe kein Hinweis auf die Anordnung einer Bewährungsauflage nach § 56b Abs. 1 Satz 1 StGB erteilt worden ist.

3

a) Dem liegt folgendes Verfahrensgeschehen zu Grunde:

4

Am 18. Dezember 2012 kam es zwischen den Verfahrensbeteiligten und dem [X.] zu einer Verständigung gemäß § 257c [X.]. Darin stellte das [X.] der Angeklagten für den Fall eines Geständnisses eine Strafuntergrenze von einem Jahr und zehn Monaten und eine Strafobergrenze von zwei Jahren Freiheitsstrafe, jeweils mit Strafaussetzung zur Bewährung, in Aussicht. Weder im Rahmen der Verständigung noch bei den Vorgesprächen über ihr Zustandekommen wurden mögliche Bewährungsauflagen erörtert.

5

Nachdem sich die Angeklagte geständig eingelassen hatte, beantragte der [X.] der Staatsanwaltschaft in seinem Schlussvortrag, die Angeklagte zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren zu verurteilen, deren Vollstreckung zur Bewährung auszusetzen und ihr aufzuerlegen, 300 Stunden gemeinnützige Arbeit zu leisten. In ihrem sich anschließenden Schlussvortrag wies die Verteidigerin der Angeklagten darauf hin, dass sie über den Antrag der Staatsanwaltschaft im Hinblick auf die Bewährungsauflage verwundert sei, da im Rahmen der verfahrensbeendenden Absprache über Bewährungsauflagen nicht gesprochen worden und diese Auflage deshalb überraschend sei. Sie gehe davon aus, dass eine solche nicht verhängt werde.

6

Die [X.] verkündete sodann das oben bezeichnete Urteil sowie einen [X.], in dem u.a. Folgendes angeordnet wurde:

Der Angeklagten „wird die Auflage erteilt, 300 Stunden gemeinnützige Arbeit und zwar im Umfang von mindestens 50 Stunden binnen jeweils eines halben Jahres nach näherer Weisung des [X.] abzuleisten. Eine Umwandlung der Auflage in eine Zahlungsauflage bei Aufnahme einer Arbeitstätigkeit bleibt vorbehalten.“

7

Die Beschwerdeführerin sieht in dem Verfahren der [X.] einen Verstoß gegen § 257c [X.] sowie den Grundsatz des fairen Verfahrens und macht hierzu geltend, die [X.] habe die Bewährungsauflage zum Gegenstand der getroffenen verfahrensbeendenden Absprache machen müssen. Sie hätte die verfahrensbeendende Absprache nicht getroffen, wenn eine solche Bewährungsauflage zuvor angesprochen worden wäre.

8

b) Die Verfahrensrüge ist zulässig und begründet.

9

Die Beschwerdeführerin ist in ihrem Anspruch auf ein faires Verfahren (Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK) verletzt.

aa) Aus dessen Gewährleistung ergibt sich, dass der Angeklagte vor einer Verständigung gemäß § 257c [X.], deren Gegenstand die Verhängung einer zur Bewährung auszusetzenden Freiheitsstrafe ist, auf konkret in Betracht kommende Bewährungsauflagen hingewiesen werden muss, die nach § 56b Abs. 1 Satz 1 StGB der Genugtuung für das begangene Unrecht dienen und deren Erteilung Voraussetzung für die in Aussicht gestellte Strafaussetzung ist (vgl. [X.], NJW 2014, 238, 239; [X.], NJW 1999, 373, 374; [X.], [X.], 56. Aufl., § 257c Rn. 12; MüKoStGB/[X.], 2. Aufl., § 56b Rn. 35; [X.] in [X.], 12. Aufl., § 56b Rn. 30; SK-[X.]/[X.], 4. Aufl., § 305a Rn. 13; [X.], [X.], 267; [X.]/[X.] in [X.]/[X.], StGB, 28. Aufl., § 56b Rn. 33; [X.], [X.], 253, 255).

Die Verständigung im Strafverfahren ist nur dann mit dem Grundsatz des fairen Verfahrens zu vereinbaren, wenn durch eine vorherige Belehrung sichergestellt ist, dass der Angeklagte vollumfänglich über die Tragweite seiner Mitwirkung informiert ist. Nur in diesem Fall ist gewährleistet, dass er autonom darüber entscheiden kann, ob er von seiner Freiheit, die Aussage zu verweigern, Gebrauch macht oder sich auf eine Verständigung einlässt ([X.], NJW 2013, 1058, 1071; vgl. auch BT-Drucks. 16/12310, [X.], 15). Diese Grundsätze erfordern es, dass das Gericht vor einer Verständigung offenlegt, dass es die Verhängung einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe allein nicht für ausreichend hält, sondern zur Verwirklichung der Genugtuungsfunktion des Strafverfahrens Bewährungsauflagen in Betracht zieht. Denn nur wenn der Angeklagte über den gesamten Umfang der Rechtsfolgenerwartung bei der Verständigung informiert ist, kann er autonom eine Entscheidung über seine Mitwirkung treffen ([X.], NJW 2014, 238, 239).

Bewährungsauflagen sind Bestandteil dieser Rechtsfolgenerwartung. Sie dienen gemäß § 56b Abs. 1 Satz 1 StGB der Genugtuung für das begangene Unrecht und stellen damit eine strafähnliche Sanktion dar ([X.]/[X.] in [X.]/[X.], aaO, § 56b Rn. 1, 2; [X.], NStZ 1990, 148, 149). Erst die Kenntnis des Umstandes, dass ihm neben der zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe weitere Maßnahmen mit Vergeltungscharakter drohen, die – wie im Fall von Zahlungs- oder Arbeitsauflagen, die in [X.] umgewandelt werden können – eine erhebliche Belastung darstellen können, versetzt den Angeklagten in die Lage, von seiner Entscheidungsfreiheit, ob er auf das Angebot des Gerichts eingehen möchte, auf einer hinreichenden tatsächlichen Grundlage Gebrauch zu machen.

bb) Diesen Anforderungen hat die [X.] nicht entsprochen. Die Angeklagte wurde erstmals durch den Schlussvortrag des [X.]s der Staatsanwaltschaft mit der Auffassung eines Verfahrensbeteiligten konfrontiert, dass die Verhängung einer Bewährungsauflage erforderlich sei. Das Gericht hat darauf vor Erlass des [X.] nicht hingewiesen.

cc) Auf den Umstand, dass die verhängte Bewährungsauflage dem Inhalt der getroffenen Verständigung nicht widersprach, weil sich diese zu der Frage der Bewährungsauflage nicht verhielt, kommt es aus den vorgenannten Gründen ebenso wenig an wie auf die Frage, ob die Angeklagte auf das Ausbleiben von Bewährungsauflagen vertrauen durfte (vgl. [X.], Beschluss vom 26. Februar 2007 – 1 Ws 24/07, Rn. 6, 7 [juris]). Denn der Verfahrensfehler besteht nicht in einem Widerspruch des [X.] zur Absprache, sondern in der fehlenden Offenlegung des gesamten Umfangs der Rechtsfolgenerwartung vor Zustandekommen der Verständigung. Adressat dieser aus dem Recht auf ein faires Verfahren folgenden Offenlegungsverpflichtung ist allein das Gericht. Sie entfällt deshalb auch nicht durch die Mitwirkung eines Verteidigers – mag diesem auch die grundsätzliche Möglichkeit der Verhängung von Bewährungsauflagen bekannt gewesen sein.

Hinzu kommt, dass die Verhängung von Bewährungsauflagen gemäß § 56b StGB im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts steht. Dass der [X.] enthalten werde, musste sich der Angeklagten daher nicht als selbstverständlich aufdrängen.

2. Auf dem dargelegten Rechtsfehler beruht das Urteil der [X.].

An dem Beruhenszusammenhang fehlt es nur, wenn feststeht, dass ein rechtsfehlerfreies Verfahren zu demselben Ergebnis geführt hätte ([X.], Urteil vom 15. November 1968 – 4 [X.], [X.]St 22, 278, 280; [X.] in LR-[X.], 26. Aufl., § 337 Rn. 180 mwN). Der [X.] kann indes nicht ausschließen, dass die Angeklagte von ihrem Schweigerecht Gebrauch gemacht hätte, wenn sie vor dem Zustandekommen der Verständigung darauf hingewiesen worden wäre, dass zur Genugtuung für das begangene Unrecht die Erteilung einer Bewährungsauflage gemäß § 56b StGB in Betracht kommt, und dass in diesem Fall das Urteil anders ausgefallen wäre (vgl. [X.], NJW 2013, 1058, 1067, 1071; [X.], Urteil vom 7. August 2013 – 5 [X.], [X.], 728). Eine Fallkonstellation, in der ausnahmsweise ein Beruhen des Urteils auf der Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren bei Zustandekommen einer Verständigung ausgeschlossen werden kann (vgl. [X.], aaO; vgl. auch [X.], NJW 2013, 1058, 1071, [X.]. 127), liegt hier nicht vor.

3. Einer Divergenzvorlage nach § 132 Abs. 2 [X.] im Hinblick auf den Beschluss des 2. Strafsenats vom 17. Februar 1995 (2 StR 29/95, [X.]R [X.] vor § 1/faires Verfahren, Vereinbarung 6) bedarf es nicht. Die Entscheidung des 2. Strafsenats, wonach die Angeklagte aufgrund einer getroffenen „Einigung“ nicht habe darauf vertrauen können, dass die [X.] davon absehen werde, ihr im Rahmen eines [X.] die Zahlung eines Geldbetrages aufzuerlegen, ist vor Inkrafttreten der gesetzlichen Regelung von verfahrensbeendenden Absprachen im Strafverfahren (Gesetz zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren vom 29. Juli 2009, [X.] I S. 2353) und vor der Entscheidung des [X.] vom 19. März 2013, in der Mindestanforderungen an eine verfassungskonforme Ausgestaltung solcher Absprachen formuliert worden sind ([X.], NJW 2013, 1058), ergangen. Durch diese Gesetzesänderung und die Entscheidung des [X.] ist die Entscheidung vom 17. Februar 1995 insoweit überholt (vgl. [X.], Beschlüsse vom 10. August 2005 – 5 [X.], [X.]St 50, 216, 224; vom 9. September 1997 – 1 [X.], [X.]St 43, 237, 239; vom 26. September 2002 – 1 [X.], NJW 2003, 74, 75; KK-[X.]/Hannich, 7. Aufl., § 132 [X.], Rn. 8).

4. Die Aufhebung des Urteils entzieht zugleich dem [X.] vom 18. Dezember 2012 die Grundlage. Die von der Beschwerdeführerin zugleich mit der Revision erhobene Beschwerde gegen den [X.] ist daher gegenstandslos (KK-[X.]/[X.], 7. Aufl., § 305a Rn. 17).

Sost-Scheible                   Roggenbuck                    [X.]

                     Bender                          [X.]

Meta

4 StR 254/13

29.01.2014

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Arnsberg, 18. Dezember 2012, Az: II-6 KLs 212 Js 30/12 - 21/12

§ 56b Abs 1 S 1 StGB, § 257c StPO, Art 5 MRK, Art 6 Abs 1 MRK, Art 2 Abs 1 GG, Art 20 Abs 3 GG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 29.01.2014, Az. 4 StR 254/13 (REWIS RS 2014, 8301)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 8301

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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