Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 12.06.2017, Az. GSSt 2/17

Großer Senat für Strafsachen | REWIS RS 2017, 9682

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[X.]:[X.]:[X.]:2017:120617BGSST2.17.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
GSSt 2/17
vom
12. Juni 2017

[X.]St:
ja
[X.]R:
ja
Nachschlagewerk:
ja
Veröffentlichung:
ja

[X.] § 78b Abs. 1 Nr. 1, § 46

Dem zeitlichen Abstand zwischen Tat und Urteil kommt im Rahmen der [X.] bei Taten, die den sexuellen Missbrauch von Kindern zum Gegen-stand haben, die gleiche Bedeutung zu wie bei anderen Straftaten.

[X.], Beschluss vom 12.
Juni 2017-
GSSt 2/17

in der Strafsache
gegen

wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern

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2
-
Der Große Senat für Strafsachen des [X.] hat durch die Präsi-dentin des [X.] [X.], [X.] am Bundes-gerichtshof Dr.
Raum, die Vorsitzende Richterin am [X.] Sost-Scheible, [X.] am [X.] Prof. Dr. Graf, Dr.
[X.] und Dr.
Schäfer, [X.]in am [X.] Dr.
[X.] sowie die Rich-ter am [X.] Prof. Dr. König, Prof. Dr. [X.], [X.] und [X.] am 12. Juni 2017 beschlossen:
Dem zeitlichen Abstand zwischen Tat und Urteil kommt
im Rah-men der Strafzumessung bei Taten, die den sexuellen Missbrauch von Kindern zum Gegenstand haben, die gleiche Bedeutung zu wie bei anderen Straftaten.

Gründe:

Die Vorlage betrifft eine Frage aus dem Bereich der Strafzumessung.
I.
1.
In dem beim
3.
Strafsenat anhängigen Verfahren hat das [X.] den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in 35 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt und ihn im Übrigen freigesprochen.
Nach den von der [X.] getroffenen Feststellungen nahm der Angeklagte in dem [X.]raum vom 1. März 1990 bis zum 1. März 1994 in [X.] 35 Fällen beim Zubettbringen seiner am 1. März 1985 geborenen 1
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Tochter an ihr sexuelle Handlungen vor oder ließ solche von ihr an sich vor-nehmen. Während der Taten erklärte der einen offenen und liberalen [X.] pflegende Angeklagte, dass dies "dazu gehöre" und eine "gute [X.] das so mache". Allerdings schärfte er seiner Tochter auch ein, sie dürfe niemandem von den Geschehnissen berichten, da er sonst "ins Gefängnis müsse".
Der Angeklagte hat die Verurteilung mit der Revision umfassend [X.] und die Verletzung formellen und materiellen Rechts beanstandet.
Der [X.] hat beantragt, die Revision durch Beschluss gemäß §
349 Abs. 2 [X.] zu verwerfen.
Nach Auffassung des 3.
Strafsenats dringen die Verfahrensbeanstan-dungen aus den in der Antragsschrift des [X.]s ausgeführten Gründen nicht durch. Er ist der Ansicht, der Schuldspruch halte auch
materiell-rechtlicher Überprüfung stand. Die Feststellungen beruhten auf einer nicht zu beanstandenden Beweiswürdigung; gegen die rechtliche Würdigung des [X.] sei ebenfalls nichts zu erinnern.
Der 3. Strafsenat beabsichtigt allerdings, auf die Sachrüge den gesam-ten Strafausspruch aufzuheben. Anlass hierzu gibt ihm die unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die Rechtsprechung des 1. Strafsenats ([X.], Beschluss vom 8. Februar 2006 -
1 [X.], [X.], 393) vorgenommene Wertung des [X.]s, zu Gunsten des Angeklagten spreche zwar, dass die Taten in-zwischen sehr lange zurück lägen; jedoch könne dieser Umstand vorliegend nicht in gleicher Weise Berücksichtigung finden wie bei anderen Straftaten, da der sexuelle Kindesmissbrauch im familiären Umfeld
erfolgt und die späte An-4
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zeige der Tat hierdurch mitbedingt gewesen sei, so dass die gesetzgeberische Wertung des § 78b [X.] tangiert werde.
Im Einzelnen hatte der 1. Strafsenat in der vom [X.] in Bezug genommenen Entscheidung im Einklang mit Erwägungen in einem früheren Urteil des 3. Strafsenats ([X.], Urteil vom 10. November 1999 -
3 [X.], [X.], 748, 749), das zu dem in § 358 Abs. 2 [X.] normierten [X.] ergangen war, ausgeführt, dem langen Abstand zwischen Tat und Urteil komme bei Fällen sexuellen Kindesmissbrauchs nicht eine gleich hohe Bedeutung wie in anderen Fällen zu. Dies gelte insbesondere in den [X.], in denen ein Kind vom im selben Familienverband lebenden (Stief-)Vater missbraucht werde und erst im Erwachsenenalter [X.] zu einer [X.] finde. Deshalb habe der Ge-setzgeber auch die besondere Verjährungsregelung in § 78b [X.] getroffen. Zuvor hatte der 5. Strafsenat in einem Fall, der die Vergewaltigung eines zur Tatzeit 14 Jahre alten Mädchens betraf, -
nicht tragend -
darauf hingewiesen, der Umstand, dass der Angeklagte erst 18 Jahre nach der Tat strafrechtlich zur Verantwortung gezogen worden sei, stelle einen strafmildernd zu berücksichti-genden Gesichtspunkt dar, auch wenn Fälle der vorliegenden Art aus tatsächli-chen Gründen vielfach lange Jahre unbekannt blieben und der Gesetzgeber diesem Umstand in § 78b Abs. 1 Nr. 1 [X.] dadurch Rechnung getragen ha-be, dass die Verjährung bei diesen Delikten bis zur Vollendung des 18. Lebens-jahres des Opfers ruhe ([X.], Beschluss vom 29. September 1997 -
5 [X.], [X.], 207). In der Literatur hat die Auffassung des [X.] überwiegend Zustimmung gefunden (vgl. [X.]/[X.], [X.]., §
176 Rn. 13; LK/[X.], [X.], 12. Aufl., § 176 Rn. 55; S/[X.], [X.], 29.
Aufl., § 176 Rn. 29; MüKo[X.]/[X.]/[X.], 3. Aufl., § 46 Rn. 323); zum 8
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Teil ist sie aber auch auf Ablehnung gestoßen (vgl. [X.], [X.], 64. Aufl., §
46 Rn. 61, § 176 Rn. 35; MüKo[X.]/[X.], 3.
Aufl., § 176 Rn. 72).
Der 3. Strafsenat versteht die Ausführungen der [X.] dahin, diese habe durch den ausdrücklichen Verweis auf die Entscheidung des 1.
Strafsenats und die Betonung der gesetzgeberischen Wertung des § 78b [X.] deutlich
gemacht, dass sie bezüglich des Gewichts des Strafzumes-sungsgesichtspunktes [X.]ablauf zwischen Tat und Urteil zwischen Straftaten, die den sexuellen Missbrauch eines Kindes zum Gegenstand haben, und sons-tigen Straftaten generell unterscheide. Er hält diese Erwägung für [X.] und kann nicht ausschließen, dass die Einzelstrafen und die Gesamtstrafe niedriger ausgefallen wären, hätte das [X.] diesen Gesichtspunkt nicht in die Abwägung eingestellt.
2.
Der 3. Strafsenat hat deshalb unter Darlegung seiner Auffassung bei den anderen Strafsenaten gemäß §
132 Abs. 3 Satz 1 [X.] angefragt, ob [X.] an (gegebenenfalls) entgegenstehender Rechtsprechung festhalten ([X.], Beschluss vom 29.
Oktober 2015 -
3 [X.], [X.], 277, mit [X.]. [X.], [X.], 336).
Hierauf hat der 1.
Strafsenat mit Beschluss vom 10.
Mai 2016 (1
[X.]
5/16, [X.], 336) mitgeteilt, dass die beabsichtigte Entschei-dung des 3. Strafsenats seiner Rechtsprechung wi[X.]preche und er an seiner Rechtsansicht grundsätzlich festhalte. Zur Begründung hat er im Wesentlichen ausgeführt, einem beson[X.] langen [X.]raum zwischen Tat und Urteil komme für sich genommen eine strafmildernde Wirkung zu. Die strafzumessungstheo-retische Verankerung dieses selbständigen [X.]es sei nicht eindeutig, beruhe aber bei [X.] auf einem allgemein ab-nehmenden Sühnebedürfnis bzw. einer geminderten Notwendigkeit von Sühne; 9
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daneben könnten besondere Prüfungspflichten im Hinblick auf spezialpräventiv wirksame Umstände ausgelöst werden. Dies führe zu der Notwendigkeit einer individuellen Gewichtung des Faktors [X.]ablauf; diese Wertung sei grundsätz-lich Sache des Tatgerichts. Nach den Maßgaben, die für die Überprüfung der tatgerichtlichen Strafzumessung in der Revisionsinstanz gelten, sei es rechts-fehlerfrei, wenn das Tatgericht in diesem Zusammenhang auf die gesetzgeberi-schen Wertungen zurückgreife, die in den Verjährungsvorschriften zum Aus-druck gekommen seien. Er könne deshalb die Ansicht nicht teilen, dass das Gewicht des [X.]ablaufs von der Länge der Verjährungsfrist nicht beeinflusst werden dürfe. Eine entsprechende Anknüpfung finde sich in mehreren Ent-scheidungen des [X.] und des [X.]. Die Verjährungsvorschriften hätten zwar "zum Teil" eine andere Zielrichtung als die Strafzumessungsregelungen, letztlich komme aber in ihnen auch zum Aus-druck, dass die Rechtsordnung ein Strafbedürfnis infolge [X.]ablaufs verneine. Es gehe mithin um die Bewertung ein und desselben Phänomens, nämlich des [X.]ablaufs seit den Taten. Durch den Rückgriff auf die in den Verjährungsvor-schriften zum Ausdruck gekommene gesetzgeberische Wertung werde der [X.] [X.]ablauf entsprechend dieser Wertung ausgefüllt. Zu den Verjährungsvorschriften, an denen sich das Tatgericht orientieren dürfe, zähle auch § 78b Abs. 1 Nr. 1 [X.]. Dass der Gesetzgeber mit dieser "Rege-lung betreffend die Verfolgbarkeit von Taten" nicht den ersichtlichen Willen kundgetan habe, Strafzumessungskriterien oder deren Gewichtung zu modifi-zieren, sei nicht aussagekräftig.
Der 2. Strafsenat hat mit näher begründetem Beschluss vom 14. Juni 2016 (2 [X.], juris) geantwortet, er stimme der Rechtsauffassung des 3.
Strafsenats zu.
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Der 4. und der 5. Strafsenat haben mitgeteilt, ihre Rechtsprechung stehe der beabsichtigten Entscheidung des 3. Strafsenats nicht entgegen.
3.
Mit Beschluss vom 17.
November 2016 (3 [X.], [X.], 103) hat der 3.
Strafsenat dem [X.] gemäß §
132 Abs. 2 [X.]
folgende Rechtsfrage zur Entscheidung vorgelegt:
"Kann der zeitliche Abstand zwischen Tat und Urteil im Rahmen der Strafzumessung wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes nicht in gleicher Weise Berücksichtigung finden wie bei anderen Straftaten?"
Er hat ausgeführt, er vermöge sich der Ansicht des 1. Strafsenats auch unter Berücksichtigung der Erwägungen in dem Beschluss vom 10. Mai 2016 nicht anzuschließen; denn sie vermische in sachlich nicht gerechtfertigter [X.] Gesichtspunkte der Strafzumessung mit solchen der Verjährung. Er halte deshalb an seiner in dem [X.] vom 29. Oktober 2015 dargelegten Auffassung fest; soweit er in der Entscheidung vom 10. November 1999 noch Anderes vertreten habe, gebe er diese Rechtsprechung auf. Danach könne der zeitliche Abstand zwischen Tat und Urteil im Rahmen der Strafzumessung we-gen sexuellen Missbrauchs eines Kindes in gleicher Weise Berücksichtigung finden wie bei anderen Straftaten; die gesetzliche Regelung des Ruhens der Verjährung in § 78b Abs. 1 Nr. 1 [X.] führe nicht zu einem anderen Ergebnis.
Dem hat die Verteidigung mit näheren Ausführungen zugestimmt.
4.
Der [X.] erachtet die Vorlage für zulässig und [X.] zu beschließen:
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"Es ist nicht rechtsfehlerhaft, wenn im Einzelfall
bei einer Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern im Rahmen der Strafzumes-sung der zeitliche Abstand zwischen Tat und Urteil unter Berücksichti-gung der dem §
78b Abs. 1 Nr.
1 [X.] zugrundeliegenden Motive des Gesetzgebers nicht in gleicher Weise Beachtung findet wie bei anderen Straftaten."

II.
Die Vorlage ist zulässig.
1. Sie betrifft eine Rechtsfrage im Sinne des § 132 Abs. 2 [X.] und nicht die tatgerichtliche Wertung von für die Strafzumessung bedeutsamen Tatsa-chen, die dem Revisionsgericht grundsätzlich verschlossen und damit dem
Divergenzverfahren nicht zugänglich ist (vgl. [X.], Beschlüsse vom 28. Juni 1977 -
5 StR 30/77, [X.]St 27, 212, 213 ff.; vom 15. November 2007 -
4 [X.], [X.]St 52, 84, 86 ff.); denn es steht die vom 3. Strafsenat bereits im rechtlichen Ansatz und damit losgelöst von dem konkreten Einzelfall als [X.] erachtete Erwägung in Rede, aufgrund einer Vorschrift aus dem Bereich der [X.] sei ein strafzumessungsrechtlich erheblicher [X.] für
bestimmte Delikte generell mit einem geringeren Gewicht zu bewerten als bei anderen Straftaten.
2. Die Vorlagefrage ist entscheidungserheblich. Nach dem jedenfalls ver-tretbaren und deshalb für den [X.] bindenden Ver-ständnis der tatgerichtlichen Urteilsgründe (vgl. [X.], Beschlüsse vom 25. Juli 1995 -
GSSt 1/95, [X.]St 41, 187, 194; vom 23. April 2007 -
GSSt 1/06, 18
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[X.]St 51, 298, 302; [X.]/[X.], [X.], 8. Aufl., §
132 Rn.
29; LR/[X.], [X.], 26.
Aufl., §
132 [X.] Rn.
42) durch den 3. Strafsenat hängt die Ent-scheidung über die Revision des Angeklagten davon ab, ob die Ausführungen der [X.] als rechtsfehlerhaft oder rechtsfehlerfrei zu bewerten sind. Durch ihre Beantwortung wird somit das Ergebnis des konkreten [X.] beeinflusst (vgl. [X.], Beschlüsse vom 17. Januar 2008 -
GSSt 1/07, [X.]St 52, 124, 128; vom 15. Juli 2016 -
GSSt 1/16, [X.], 94, 95).
3. Der 3.
Strafsenat kann auch mit Blick auf den im [X.] des 1. Strafsenats nicht wie beabsichtigt [X.], ohne von dessen Rechtsauffassung abzuweichen. Dem steht im Ergebnis nicht entgegen, dass der 1. Strafsenat ausgeführt hat, er halte "grundsätzlich" an seiner Rechtsansicht fest, und im Folgenden -
jedenfalls auch -
darauf [X.] hat, es beurteile sich nach dem Einzelfall, mit welchem Gewicht sich der [X.]ablauf strafmildernd auswirke. Hierdurch haben sich die Auffassungen der beiden Senate zwar angenähert, indes ist die entscheidungserhebliche Di-vergenz zwischen den verschiedenen Ansichten betreffend die Frage, ob die in § 78b Abs. 1 Nr. 1 [X.] getroffene Regelung dazu führt, dass dem [X.]ablauf zwischen Tat und Urteil bei Straftaten, die den sexuellen Missbrauch von [X.] zum Gegenstand haben, generell eine geringere Bedeutung als bei ande-ren Straftaten zukommt, nicht beseitigt.

III.
Der Große Senat für Strafsachen beantwortet die [X.] in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Sinne.
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Die Strafzumessung erfordert eine sich am Einzelfall orientierende Be-wertung der hierfür bedeutsamen Umstände (hierzu u. 1.). Zu diesen kann auch
der eigenständige Strafzumessungsgesichtspunkt des zeitlichen Abstands zwi-schen Tat und Urteil gehören (hierzu u. 2.). Die Verjährungsvorschriften und dabei insbesondere die Regelung des § 78b [X.] stehen dieser sich nach den Umständen des konkreten Falles richtenden Würdigung nicht entgegen; aus ihnen ergibt sich insbesondere nicht, dass bei dem von § 78b Abs. 1 Nr. 1 [X.] erfassten sexuellen Missbrauch von Kindern (§ 176 [X.]) dem [X.]ablauf
zwischen Tat und Urteil generell, d.h. losgelöst von den konkreten Einzelfall-umständen, ein geringeres Gewicht zukommt als bei anderen Straftaten (hierzu u. 3.). Allerdings kann das Tatgericht diejenigen Gesichtspunkte, die der Rege-lung des § 78b Abs. 1 Nr. 1 [X.] zugrunde liegen, bei der Strafzumessung berücksichtigen, sofern sie im Einzelfall festgestellt und für die Bemessung der Strafe von Bedeutung sind (hierzu u. 4.). Im Einzelnen:
1. [X.] soll eine angemessene st[X.]tliche Reaktion auf die Bege-hung einer Straftat sein. Ihre Bemessung ist zugleich tatrichterlicher [X.] und Rechtsanwendung auf einen bestimmten Strafzumessungssachverhalt unter vom Gesetzgeber formulierten Strafzumessungskriterien und Leitlinien (vgl. [X.], Beschluss vom 14. Juni 2007 -
2 BvR 1447, 136/05, [X.]E 118, 212, 228 ff.; [X.], Beschluss vom 15. November 2007 -
4 [X.], [X.]St 52, 84, 87); sie erfordert nach anerkannten Grundsätzen (vgl. [X.], [X.] vom 28. Juni 1977 -
5 StR 30/77, [X.]St 27, 212, 215) eine einzelfall-orientierte Abwägung der strafzumessungsrelevanten Umstände. Grundlagen der Strafzumessung sind dabei die Schwere der Tat in ihrer Bedeutung für die verletzte Rechtsordnung und der Grad der persönlichen Schuld des [X.] (§
46 Abs. 1 Satz 1 [X.]; [X.], Urteil vom 4. August 1965 -
2 StR 282/65, [X.]St 20, 264, 266). Daneben ist dessen Resozialisierung der zentrale Ge-23
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sichtspunkt, denn das Tatgericht hat bei der konkreten Strafbemessung die Wirkungen zu berücksichtigen, die von der Strafe für das künftige Leben des [X.] in der Gesellschaft zu erwarten sind (§ 46 Abs. 1 Satz 2 [X.]). Es ist im Rahmen der konkreten Strafzumessung gehalten, auf der Grundlage des um-fassenden Eindrucks, den es in der Hauptverhandlung von der Tat und der Persönlichkeit des [X.] gewonnen hat, die wesentlichen für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände festzustellen, zu bewerten, gegeneinan-der abzuwägen (§
46 Abs. 2 Satz 1 [X.]) und die Strafe innerhalb des ihm zur Verfügung stehenden Strafrahmens zu bestimmen. Eine "Mathematisierung" oder ein sonstiger Schematismus sind dem Gesetz hierbei fremd ([X.], [X.] vom 10. April 1987 -
GSSt 1/86, [X.]St 34, 345, 351; Urteil vom 28.
März 2013 -
4 [X.], juris Rn. 30; Beschluss vom 10. November 2016 -
1 [X.], juris).
2. Der zeitliche Abstand zwischen Tat und Urteil gehört zu den [X.], die nach diesen am Einzelfall orientierten Maßgaben Einfluss auf die Be-messung der Strafe gewinnen können.
a) Kommt es in einem Strafverfahren zu einem großen Abstand zwi-schen Tat und Urteil, kann dies bei der Bestimmung der Rechtsfolgen unter drei verschiedenen Aspekten von Belang sein (vgl. [X.], Beschluss vom 21.
Dezember 1998 -
3 [X.], NJW 1999, 1198 f.): Zum einen kann der betreffende [X.]raum bereits für sich genommen ins Gewicht fallen. [X.] hiervon kann zum zweiten einer überdurchschnittlich langen Verfahrens-dauer eine eigenständige strafmildernde Bedeutung zukommen, bei der insbe-sondere die mit dem Verfahren selbst verbundenen Belastungen des Angeklag-ten zu berücksichtigen sind. Zum dritten kann sich schließlich eine darüber hin-25
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ausgehende rechtsst[X.]tswidrige Verfahrensverzögerung zu Gunsten des An-geklagten auswirken.
b) Die sich an diese drei Gesichtspunkte anknüpfenden Rechtsfolgen sind unterschiedlich:
[X.]) Die zu einer rechtsst[X.]tswidrigen Verfahrensverzögerung führende Verletzung des [X.] gebietet eine Kompensation zu Guns-ten des hierdurch betroffenen Angeklagten (sog. Vollstreckungsmodell; st. Rspr.;
vgl. grundlegend [X.], Beschluss vom 17. Januar 2008 -
GSSt 1/07, [X.]St 52, 124).
bb) Demgegenüber handelt es sich bei dem großen zeitlichen Abstand zwischen Tat und Urteil und bei den mit einer langen Verfahrensdauer einher-gehenden Belastungen des Angeklagten um zwei selbständige, gegebenenfalls im Rahmen der nach den §§ 46 ff. [X.] vorzunehmenden Strafzumessung getrennt zu prüfende und im tatgerichtlichen Urteil zu erörternde Strafzumes-sungsgesichtspunkte (vgl. [X.], Beschlüsse vom 17.
Januar 2008 -
GSSt 1/07, [X.]O [X.] f.; vom 29. November 1985 -
2 StR 596/85, [X.], 217, 218; vom 29. März 1988 -
5 [X.], [X.]R [X.] § 46 Abs. 2 Verfahrensverzöge-rung 2; vom 22. Januar 1992 -
3 [X.], [X.]R [X.] § 46 Abs. 2 Verfah-rensverzögerung 6; vom 21.
Dezember 2010 -
2 StR 344/10, [X.], 651).
Dies entspricht, soweit es um die hier relevante strafmildernde Wirkung des [X.]raums zwischen Tat und Urteil geht, im Ergebnis einhelliger Auffassung in der Rechtsprechung (vgl. etwa [X.], Beschlüsse vom 21. Dezember 1998
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3 [X.], NJW 1999, 1198; vom 17. Januar 2008
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GSSt 1/07, [X.]St 52, 124, 141 f.; vom 13. Mai 2015 -
2 StR 535/14, [X.]R [X.] § 46 Abs. 2 Wertungsfehler 40; vom 29. September 2015 -
2 StR 128/15, [X.], 7)
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und Literatur (vgl. etwa [X.], Strafzumessungsrecht, 2. Aufl.,
1974, [X.]; [X.]., Das Recht der Strafzumessung, 2. Aufl. 1985, [X.]; [X.], in:
50 Jah-re [X.],
Festgabe aus der Wissenschaft, 2000, [X.], [X.], 299 f.; Streng, [X.], 257, 259; [X.], [X.],
12. Aufl., §
46 Rn.
240; [X.], [X.], 64. Aufl., § 46 Rn. 61; MüKo[X.]/[X.]/[X.], 3. Aufl., § 46 Rn. 319; NK-[X.]-Streng, 5. Aufl., § 46 Rn. 88; S/[X.]/[X.], [X.], 29.
Aufl., §
46 Rn.
57a; AnwK-[X.]/Seebode, 2. Aufl., § 46 Rn. 97; SSW-[X.]/[X.], 3. Aufl., § 46 Rn. 168 ff.). Der zeitliche Abstand zwischen Tat und Urteil ist als sonstiger, nicht ausdrücklich namentlich aufgeführter As-pekt im Sinne des § 46 Abs. 2 [X.] einzuordnen (vgl. [X.], [X.], 64. Aufl., § 46 Rn. 56, 61; AnwK-[X.]/Seebode, 2. Aufl., § 46 Rn. 97), wenn auch die strafzumessungstheoretische Verankerung dieses Gesichtspunktes variiert (vgl. hierzu im Einzelnen [X.], Beschluss vom 10. Mai 2016 -
1 [X.] 5/16, [X.], 336 m. zahlr. [X.]). Im hiesigen Zusammenhang von wesentlicher Be-deutung ist dabei, dass der Ablauf der [X.] zwar nicht die [X.] mindert; jedoch kann er Tat und Täter unter den Aspekten von Schuld und [X.] in einem günstigeren Licht erscheinen lassen, als es bei schneller [X.] der Fall gewesen wäre. Dies gilt insbesondere, wenn sich die Tat durch den [X.]ablauf als einmalige Verfehlung des [X.] erwiesen, er sich inzwi-schen jahrelang einwandfrei geführt und der Verletzte die Folgen der Tat über-wunden hat (vgl. [X.], [X.], 12. Aufl., § 46 Rn. 240 mwN). Ein langer [X.]ablauf nach der Tat führt deshalb nicht nur zu einer Minderung des [X.], weil das Strafbedürfnis allgemein abnimmt ([X.], Beschluss vom 17. Januar 2008 -
GSSt 1/07, [X.]St 52, 124, 141 f.), sondern erfordert auch eine gesteigerte Prüfung der Wirkungen der Strafe für den Täter ([X.], [X.] vom 20. Februar 1998 -
2 StR 20/98, [X.]R [X.] § 46 Abs. 1 Schuldausgleich 35).
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c) Mit den dargelegten, die Strafzumessung allgemein prägenden Grundsätzen und dem Wesen des zeitlichen Abstands zwischen Tat und Urteil als Strafzumessungsgesichtspunkt im Sinne des § 46 Abs. 2 [X.] sind genera-lisierende, die konkreten Einzelfallumstände außer Acht lassende Wertungen nicht vereinbar. Dies gilt für alle in diesem Zusammenhang bedeutsamen [X.]sfaktoren; ein Grund, insoweit zwischen dem [X.]ablauf zwischen Tat und Urteil und den sonstigen nach § 46 Abs. 2 [X.] zu beachtenden Fak-toren zu unterscheiden, ist nicht ersichtlich. Vielmehr ist aus strafzumessungs-dogmatischer Sicht die Bedeutung des hier relevanten Kriteriums zum einen weder absolut, noch begründet es eine Regelwirkung; zum anderen ist dem strafrechtlichen Sanktionensystem auch eine Differenzierung der Bedeutung nach Deliktsgruppen fremd.
3. Das Gewicht, mit dem der zeitliche Abstand zwischen einer noch ver-folgbaren Tat und dem Urteil in die Bemessung der Strafe einzustellen ist, hängt auch nicht von der Länge der zunächst nach den §§ 78, 78a [X.] zu bestimmenden Verjährungsfrist ab. Es wird ebenfalls nicht dadurch beeinflusst, dass die Tat gegebenenfalls länger verfolgbar ist, weil die Voraussetzungen eines der Tatbestände gegeben sind, bei deren Erfüllung die Verjährung nach §
78b [X.] ruht oder gemäß § 78c [X.] unterbrochen ist. Insbesondere die Regelung des § 78b
Abs. 1 Nr. 1 [X.] steht dem sich aus den Grundsätzen der Strafzumessung ergebenden Erfordernis, den Faktor [X.]ablauf zwischen Tat und Urteil stets individuell zu betrachten und zu gewichten, nicht entgegen; sie führt nicht dazu, dass bei Straftaten, die den sexuellen Missbrauch von [X.] betreffen, dem [X.]ablauf zwischen Tat und Urteil generell, d.h. losgelöst von den konkreten Einzelfallumständen, ein geringeres Gewicht zukommt als bei anderen Straftaten.
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a) Dies folgt zunächst aus den im Vergleich
zu dem Bereich der [X.] unterschiedlichen Regelungsgehalten, Zielen und Ausgestaltungen der Vorschriften über die Verfolgungsverjährung.
§ 78b Abs. 1 Nr. 1 [X.] ist Teil des die Verfolgungsverjährung betref-fenden gesetzlichen [X.]. Dieses knüpft zwar wie der Strafzu-messungsgesichtspunkt zeitlicher Abstand zwischen Tat und Urteil an den seit der Begehung der Straftat vergangenen [X.]raum an. Die [X.] begründen indes keine Maßstäbe für eine angemessene st[X.]tliche Sankti-on für eine begangene Straftat; sie regeln vielmehr -
unabhängig davon, wel-chen Sinn und Zweck man der Verjährung im Einzelnen beimisst (vgl. hierzu etwa [X.], Beschluss vom 26. Februar 1969 -
2 BvL 15, 23/68, [X.]E 25, 269, 293 ff.; [X.], Verjährung im Strafrecht, 2016, [X.] ff.; [X.] in Fest-schrift
Beulke, 2015, [X.] ff.; [X.], [X.], 336) -
die [X.] und lassen deren Strafbarkeit bzw. deren Unrecht und die Schuld des [X.] unberührt ([X.], Beschlüsse vom 26. Februar 1969 -
2 BvL 15, 23/68, [X.]E 25, 269, 287, 294; vom 31. Januar 2000 -
2 BvR 104/00, [X.], 251). Nach Ablauf der Verjährungsfrist ist die Ahndung der Tat und die Anordnung von Maßnahmen nicht mehr möglich (§ 78 Abs. 1 Satz 1 [X.]). Das [X.] soll dem Rechtsfrieden dienen und einer [X.] Untätigkeit der Behörden in jedem Abschnitt des Verfahrens entgegen-wirken ([X.], Urteil vom 26. Juni 1958 -
4 [X.], [X.]St 11, 393, 396; Beschluss vom 23. Januar 1959 -
4 [X.], [X.]St 12, 335, 337 f.). Damit betrifft die Verjährung nicht die Strafdrohung an sich, sondern lediglich das "Ob" der Verfolgung; ihr Eintritt führt deshalb nach ständiger und einhelliger Rechtsprechung aller Strafsenate des [X.] nicht zu einer Ver-änderung der materiellrechtlichen Lage, sondern zu einem Verfahrenshindernis (vgl. etwa [X.], Beschluss vom 7. Juni 2005 -
2 [X.], [X.]St 50, 138, 33
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139). Ist die Straftat verjährt, so ist der Angeklagte grundsätzlich nicht freizu-sprechen, sondern das Verfahren einzustellen (vgl. [X.], Beschluss vom 29.
September 2004 -
1 [X.], [X.], 27).
Um die mit der Verjährung verbundenen Ziele zu erreichen, hat der Ge-setzgeber in den §§ 78 ff. [X.] ein differenziert ausgestaltetes System nor-miert, innerhalb dessen die Dauer der Verjährungsfrist im Ausgangspunkt un-abhängig von den konkreten Umständen des Einzelfalles maßgeblich vom Höchstmaß der durch die betreffende Strafvorschrift allgemein angedrohten Strafe bestimmt wird (vgl. § 78 Abs. 3 [X.]). Die diesem Regelungsgefüge zu-grunde liegenden Wertungen sind Ausdruck generalisierender Betrachtungen. Eine Aussage über das Strafbedürfnis im Einzelfall treffen die Verjährungsvor-schriften nicht. Für sie ist ohne Belang, ob mit Blick auf die Strafzumessungs-maximen Schuld und Spezialprävention eine st[X.]tliche Reaktion auf die Bege-hung einer Straftat in Form einer Sanktionierung des [X.] (noch) notwendig und gegebenenfalls welche angemessen erscheint. Umgekehrt beeinflussen die für die Strafzumessung
maßgebenden Aspekte den Eintritt der Verfol-gungsverjährung nicht. Der Zweck der verjährungsrechtlichen Regelungen [X.] nicht darin, einer Verminderung des Gewichts von [X.] Rechnung zu tragen. Deshalb führt etwa ein aus welchem Grund auch [X.] oder geringeres Strafbedürfnis nicht zum vorzeitigen Eintritt der Verjährung.
Folgerichtig hat die Rechtsprechung die Länge der Verjährungsfrist im Rahmen der Strafzumessung regelmäßig nur dafür herangezogen, um im Ein-zelfall die Dauer des seit der Tat vergangenen [X.]raumes bzw. das Gewicht des Tatunrechts näher zu verdeutlichen, ohne eine darüber hinausgehende innere Verknüpfung -
etwa zu § 78b Abs. 1 Nr. 1 [X.] -
herzustellen (vgl. [X.], 35
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17
-
Beschlüsse vom 22. Januar 1992 -
3 [X.], [X.]R [X.] § 46 Abs. 2 Ver-fahrensverzögerung 6; vom 26. Juli 1994 -
5 [X.], [X.], 130; vom 7.
Juni 2011 -
4 [X.], [X.], 603, 607; insoweit unklar [X.], [X.] vom 21. Juni 2006 -
2 BvR 750, 752 und 761/06, [X.], 680, 682; vgl. auch [X.], Beschluss vom 12. August 2015 -
2 BvR 2646/13, juris
Rn.
30).
b) Somit steht das Gewicht, mit dem der zeitliche Abstand zwischen [X.] noch verfolgbaren Tat und dem Urteil in die Strafzumessung einzustellen ist, mit der Länge der nach abstrakt-generellen Regelungen vorgegebenen Ver-jährungsfrist in keinem unmittelbaren Zusammenhang. Gründe dafür, von [X.]m
allgemein für das Verhältnis zwischen Strafzumessung auf der einen und Verjährung auf der anderen Seite geltenden Grundsatz
für die Fälle des [X.] abzuweichen und dem zeitlichen Abstand zwi-schen Tat und Urteil für diese Deliktsgruppe generell ein geringeres Gewicht zuzumessen, bestehen nicht.
[X.]) Solche ergeben sich insbesondere nicht aus dem Sinn und Zweck des § 78b Abs. 1 Nr. 1 [X.], wie sie sich unter Beachtung des den Gesetzes-materialien zu entnehmenden Willens des Gesetzgebers ergeben.
(1) Der Gesetzgeber hat in §
78b Abs. 1 Nr. 1 [X.] -
erstmals mit dem 30.
Strafrechtsänderungsgesetz vom 23. Juni
1994 ([X.] I [X.]310) -
eine de-liktsspezifische Bestimmung zum Ruhen der Verfolgungsverjährung getroffen, die den Besonderheiten bei zum Nachteil von jungen Menschen begangenen Sexualstraftaten Rechnung tragen soll (vgl. [X.] in Festschrift
Beulke, 2015, [X.], 116). Hierzu ist in der Gesetzesbegründung ausgeführt, Sexualstrafta-ten an Kindern und Jugendlichen würden den Strafverfolgungsbehörden häufig erst bekannt, wenn die Taten bereits viele Jahre zurückliegen, weil sie überwie-37
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gend von Familienangehörigen begangen und die Opfer von den [X.] häufig dahin beeinflusst würden, die Übergriffe zu verschweigen. Wenn die Opfer erst lange [X.] nach der Tat in der Lage seien, Strafanzeige zu erstatten, sei eine Strafverfolgung wegen Verjährung der Taten in vielen Fällen nicht mehr mög-lich (vgl. BT-Drucks. 12/2975, [X.]; 12/3825, [X.]; 12/6980, [X.]). Deshalb solle die Verjährung bis zu dem [X.]punkt ruhen, bis zu dem das Opfer in der Lage sei, das Erlebte in seiner gesamten Dimension zu erfassen und auf dieser
Grundlage über das Für und Wider einer Strafanzeige zu entscheiden (vgl. BT-Drucks. 12/6980, [X.]).
(2) Diese Erwägungen belegen zunächst, dass der Gesetzgeber lediglich den Willen hatte, die Verfolgbarkeit von bestimmten Straftaten, hinsichtlich de-rer er ein entsprechendes Regelungsbedürfnis sah, über die bis dahin gelten-den Verjährungsfristen hinaus zu ermöglichen. Den Gesetzesmaterialien ist demgegenüber an keiner Stelle zu entnehmen, dass es ihm auch darauf an-kam, die in den §§ 46 ff. [X.] geregelten und von Rechtsprechung und Litera-tur entwickelten Grundsätze der Strafzumessung, insbesondere die dort rele-vanten Kriterien sowie deren Gewichtung, zu modifizieren, und dabei eine Aus-sage über das Verhältnis zwischen [X.]ablauf und dem Gewicht des Strafbe-dürfnisses zu treffen (so aber [X.],
[X.], 336). Dies gilt auch für die nachfolgenden Änderungen der Vorschrift, durch die der Deliktskatalog er-weitert und das Ruhen der Verjährung bis mittlerweile zur Vollendung des 30.
Lebensjahres des Opfers
angeordnet worden ist (vgl. etwa BT-Drucks. 15/350, [X.]3
f.; 16/13671, [X.] f.; 18/2601, [X.]4, 22 f.).
bb) Dagegen, dass aufgrund der Regelung des § 78b Abs. 1 Nr. 1 [X.] das Gewicht des Strafzumessungsfaktors [X.]ablauf in Fällen des sexuellen 40
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Missbrauchs von Kindern generell gemindert ist, sprechen auch die folgenden weiteren Erwägungen:
(1) Wollte man den Gedanken, dass durch die von § 78b Abs. 1 Nr. 1 [X.] hervorgerufene längere Verfolgbarkeit der Tat das Gewicht des [X.]ab-laufs seit der Tat bei der Strafzumessung zum Nachteil des Angeklagten ver-mindert
wird, konsequent weiter denken, so wäre die Bedeutung dieses [X.]sgesichtspunktes allgemein auch über die von § 78b Abs. 1 Nr. 1 [X.] erfassten Fallgestaltungen hinaus mit der Länge der Verjährungsfrist ver-knüpft bzw. hinge sie von den diesbezüglichen Ruhens-
oder Unterbrechungs-bestimmungen ab. Ein solcher systemwidriger Zusammenhang wäre etwa im Falle des § 78b Abs. 4 [X.], der an die Eröffnung des Hauptverfahrens vor dem [X.] und das Bestehen beson[X.] schwerer Fälle anknüpft, die bei bestimmten Delikten als strafschärfende Umstände gesetzlich normiert sind, in besonderer Weise unplausibel. Entsprechendes gilt für die [X.] des § 78c [X.]. Eine derart weitgehende Anbindung der Strafzumes-sung an die für die Verfolgungsverjährung geltenden Fristen ist -
soweit ersicht-lich -
bisher auch weder in der Rechtsprechung noch in der Literatur befürwor-tet worden.
(2) Ließe man die Art der begangenen Straftat ausreichen,
um einen an-erkannten Strafmilderungsgrund zu relativieren, so fiele dies auch dann zum Nachteil des Angeklagten ins Gewicht, wenn die Gründe, die zur Schaffung des § 78b
Abs. 1 Nr. 1 [X.] geführt haben, im konkreten Fall gar nicht vorliegen, der lange zeitliche Abstand zwischen Tat und Urteil vielmehr auf sonstigen [X.], etwa Versäumnissen der [X.], beruht. Es bedarf keiner näheren Darlegung, dass dies mit den Grundsätzen einer den Maßgaben der §§ 46 ff. [X.] folgenden Strafzumessung nicht vereinbar wäre. 42
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Entsprechendes gilt für die vom [X.] in seiner Antragsschrift aufgeführte Fallkonstellation, bei der der sexuelle Missbrauch von einem Nach-barn begangen wurde, der kurz nach der Tat wegzieht und zu der Familie des kindlichen Opfers keinen Kontakt mehr unterhält. In diesen Fällen ist eine Drucksituation, die Anlass für den Gesetzgeber war, die Ruhensregelung des §
78b Abs. 1 Nr. 1 [X.] in das Strafgesetzbuch aufzunehmen, nicht gegeben. Es erschließt sich nicht, aus
welchem Grunde dann gleichwohl dem [X.]ablauf zwischen Tat und Urteil ein geringeres Gewicht beizumessen sein soll, nur weil es sich bei der Tat um ein bestimmtes Delikt handelt.
(3) Eine strafzumessungsrechtliche Koppelung des Faktors [X.]ablauf an die Länge der Verjährungsfrist könnte in bestimmten Konstellationen auch zu sachwidrigen Ergebnissen führen. So verringert sich etwa mit zunehmendem zeitlichen Abstand von der Tat in den Fällen, in denen sich der Täter nicht [X.] strafbar gemacht hat, unter dem Gesichtspunkt der Spezialprävention das Strafbedürfnis, möglicherweise bis zu dessen vollständigem Wegfall. Der rele-vante [X.]raum kann gegebenenfalls auch mehrere Jahrzehnte betragen. Dies gilt nicht nur im Anwendungsbereich von §
78b
Abs. 1 Nr.
1 [X.], bei dem die letzte Erhöhung der Altersgrenze bewirkt hat, dass schwere Sexualdelikte frü-hestens mit Vollendung des 50. Lebensjahres des Opfers verjähren, wobei sich diese Frist durch Unterbrechungshandlungen bis zur Vollendung des 70. Le-bensjahres des
Opfers verlängern kann (BT-Drucks. 18/2601, [X.]). Noch län-gere [X.]räume können etwa bei den gemäß §
78 Abs. 2, 4 [X.] unverjährba-ren Delikten des versuchten Mordes oder der Beihilfe zum Mord (vgl. LK/[X.], [X.], 12.
Aufl., §
78 Rn.
6) eintreten. Diese Wertungen des [X.] sind zwar zu beachten. Dies führt jedoch nicht dazu, sie über den Bereich der Verjährung hinaus auf die Strafzumessung zu erstrecken, deren Wesenselement die umfassende Würdigung der Einzelfallumstände darstellt 44
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21
-

46 Abs. 2 Satz 1 [X.]). Zudem wäre
es nicht sachgerecht, den Strafzweck der Spezialprävention trotz seiner gesetzlich hervorgehobenen Bedeutung (§
46 Abs.
1 Satz 2 [X.]) in den beschriebenen Fällen aufgrund allein an die Art der begangenen Straftat anknüpfender Überlegungen nur eingeschränkt zu berücksichtigen.
(4) Wollte man schließlich die hier in Rede stehende Verknüpfung zwi-schen Strafzumessung und Verfolgungsverjährung herstellen, so erschiene es wenig konsequent, sie auf die Fälle des sexuellen Missbrauchs von
Kindern zu beschränken. Auch in anderen Fallkonstellationen des § 78b Abs. 1 Nr. 1 [X.] oder solchen, die von dieser Vorschrift nicht erfasst werden, kann es -
wenn auch möglicherweise weniger häufig -
vorkommen, dass Täter und Opfer eine besondere persönliche Beziehung verbindet und der Täter versucht, das Opfer davon abzuhalten, die Straftat zu offenbaren. Dies gilt etwa für Körperverlet-zungs-
oder Nötigungshandlungen zum Nachteil von Lebenspartnern, kann aber auch bei anderen Delikten wie zum Beispiel gegen das Vermögen oder das Eigentum von Familienangehörigen gerichteten Straftaten von Bedeutung sein.
4. Die Bedeutung des Strafzumessungsgesichtspunktes zeitlicher Ab-stand zwischen Tat und Urteil ist nach alldem einzelfall-
und nicht deliktsgrup-penabhängig. Dies bedeutet jedoch nicht, dass neben anderen die wesentli-chen Gründe, die den Gesetzgeber zur Schaffung und sukzessiven Erweite-rung des § 78b Abs. 1 Nr. 1 [X.] bewogen haben, nicht auch im Rahmen der Strafzumessung Bedeutung erlangen können. Insbesondere erlauben es die in § 46 Abs. 2 [X.] aufgeführten Strafzumessungskriterien, in [X.] Weise die wesentlichen unrechtssteigernden Elemente zu erfassen, die auch im Rahmen des § 78b Abs. 1 Nr. 1 [X.] eine Rolle spielen. Hierzu gilt:
45
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Aus dem Umstand, dass der Faktor [X.]ablauf zwischen Tat und Urteil als Strafzumessungsfaktor stets nach Maßgabe der Umstände des konkreten Falles zu betrachten und zu gewichten ist, folgt auch, dass eine Wechselwir-kung mit den anderen im Einzelfall für die Bemessung der Sanktion bedeutsa-men Gesichtspunkten besteht. § 46 Abs. 2 Satz 2 [X.] nennt als Strafzumes-sungskriterien neben anderen die verschuldeten Auswirkungen der Tat und das Verhalten des [X.] nach dieser. Damit können dem Täter zum einen Auswir-kungen auf das Tatopfer straferschwerend angelastet werden, die er verschul-det hat, sie somit von ihm mindestens vorausgesehen werden konnten und ihm vorzuwerfen sind (vgl. [X.], Beschluss vom 25. September 1990 -
4 [X.], [X.]St 37, 179, 180), wobei es bezüglich der Vorhersehbarkeit genügt, dass sie in ihrer Art und ihrem Gewicht im Wesentlichen erkennbar waren (vgl. [X.], Beschluss vom 29. August 2006 -
1 [X.], [X.], 372). Zum anderen kann [X.] oder Unterlassen berücksichtigt werden, das Schlüsse auf den Unrechtsgehalt der Tat zulässt, auf Rechtsfeindlichkeit, Ge-fährlichkeit und die Gefahr künftiger Rechtsbrüche des [X.] hinweist oder Einblicke in die innere Einstellung des [X.] zu seiner Tat gewährt (st. Rspr.; vgl. etwa [X.],
Urteil vom 24. Juli 1985 -
3 [X.], [X.], 545; [X.] vom 6. Dezember 1996 -
2 StR 468/96, [X.], 196; vgl. auch S/[X.]-[X.], [X.], 29. Aufl., § 46 Rn. 39; MüKo[X.]/[X.]/[X.], 3.
Aufl., § 46 Rn. 246 ff. jeweils mwN).
Nach diesen Maßgaben gewinnt das [X.]moment aufgrund der vermin-derten Notwendigkeit, durch die Verhängung der Strafe spezialpräventiv auf den Angeklagten einzuwirken, etwa dann an Bedeutung, wenn der Täter sich in der Zwischenzeit nicht weiter strafbar gemacht hat. Das Gewicht des langen Abstandes zwischen Tat und Urteil kann aber auch durch andere Umstände, darunter solchen, die im Zusammenhang mit § 78b Abs. 1 Nr. 1 [X.] relevant 47
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sind, beeinflusst werden. So war wie dargelegt vor allem der mögliche Einfluss, den der Täter auf das Opfer nimmt, um dieses zu veranlassen, die Tat nicht zu offenbaren, für den Gesetzgeber Grund für die Schaffung der genannten Norm. Dieser Umstand erfüllt zumindest regelmäßig die genannten Voraussetzungen und kann deshalb als für die Strafzumessung relevantes, die strafmildernde Wirkung des [X.]ablaufs reduzierendes Nachtatverhalten zu Lasten des Ange-klagten gewertet werden. Aber auch ohne ein unmittelbares Einwirken durch den Täter kann zum Beispiel die mit dem [X.]ablauf einhergehende längere Dauer der psychischen Belastung, denen das Opfer durch eine familiäre Drucksituation ausgesetzt ist, von Bedeutung sein, sofern der Täter diese [X.] verschuldet hat.
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Eine solche Bewertung kann das Tatgericht systemgerecht und damit ohne Rekurs auf die Verjährungsregeln freilich nicht bereits allein aufgrund der Zuordnung der Tat zu einer bestimmten Deliktsgruppe,
sondern nur auf der Grundlage der im konkreten Fall getroffenen Feststellungen nach Maßgabe aller relevanten Einzelfallumstände vornehmen.
[X.]

Raum

Sost-Scheible

Graf

[X.]

Schäfer

[X.]
König

[X.]

[X.]

[X.]

49

Meta

GSSt 2/17

12.06.2017

Bundesgerichtshof Großer Senat für Strafsachen

Sachgebiet: False

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 12.06.2017, Az. GSSt 2/17 (REWIS RS 2017, 9682)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 9682

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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