Bundesfinanzhof, Urteil vom 05.05.2015, Az. VII R 37/13

7. Senat | REWIS RS 2015, 11633

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Gegenstand

(Verjährung des insolvenzrechtlichen Aufrechnungsverbots des § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO)


Leitsatz

Hinsichtlich des Vorsteuervergütungsanspruchs aus der Tätigkeit des vorläufigen Insolvenzverwalters hat das Finanzamt das insolvenzrechtliche Aufrechnungsverbot des § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO zu beachten . Der Insolvenzverwalter kann dieses Aufrechnungsverbot analog § 146 Abs. 1 InsO i.V.m. §§ 195 ff. BGB nur innerhalb einer dreijährigen Verjährungsfrist durchsetzen . Die Verjährungsfrist beginnt frühestens mit Ablauf desjenigen Jahres, in dem der Vorsteuervergütungsanspruch steuerrechtlich entstanden ist .

Tenor

Die Revision des Finanzamts gegen das Urteil des [X.] vom 6. Juni 2013  5 K 2/13 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens hat das Finanzamt zu tragen.

Tatbestand

1

I. Am 21. Dezember 2006 wurde über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin das Insolvenzverfahren eröffnet. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist als Insolvenzverwalter bestellt. Für seine seit dem 2. Oktober 2006 ausgeübte Tätigkeit als vorläufiger Insolvenzverwalter setzte das Amtsgericht mit Beschluss vom 12. Januar 2010 eine Vergütung in Höhe von 50.994,03 € zuzüglich 8.159,04 € Umsatzsteuer fest. Die Vergütung wurde im ersten Quartal 2010 aus der Insolvenzmasse dem Kläger gezahlt.

2

In der [X.] für das erste Quartal 2010 machte der Kläger für die Insolvenzschuldnerin einen entsprechenden Vorsteuervergütungsanspruch geltend. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --[X.]--) verrechnete die Vorsteuer mit Umsatzsteuerverbindlichkeiten der Insolvenzschuldnerin aus den Jahren 2000 und 2005. Hierüber erließ das [X.] den Abrechnungsbescheid vom 29. Mai 2012. Der Einspruch blieb erfolglos.

3

Das Finanzgericht ([X.]) änderte den Abrechnungsbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 30. November 2012 dahin, dass der Insolvenzschuldnerin für das erste Quartal 2010 ein Vorsteuervergütungsanspruch in Höhe von 8.159,04 € zusteht. Der Aufrechnung des [X.] stehe das [X.] ([X.]) entgegen, da die nach dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens erbrachte Leistung des vorläufigen Insolvenzverwalters an die Insolvenzschuldnerin eine nach § 131 Abs. 1 Nr. 1 [X.] anfechtbare Rechtshandlung sei. Die daraus ableitbaren Rechte seien nicht analog § 146 [X.] i.V.m. §§ 195 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuchs ([X.]) verjährt. Denn die Verjährung beginne erst zum Zeitpunkt der [X.]. Die Entscheidungsgründe sind in [X.]Entscheidungsdienst 2014, 1000 veröffentlicht.

4

Mit seiner Revision macht das [X.] geltend, für den Beginn der Verjährung komme es analog § 146 [X.] nicht auf die [X.], sondern bereits auf die insolvenzrechtliche Entstehung des Vorsteuervergütungsanspruchs an, da bereits dies die gläubigerbenachteiligende Wirkung auslöse. Damit sei der Zeitpunkt des [X.] als vorläufiger Insolvenzverwalter maßgeblich.

5

Dem stehe auch nicht das Urteil des [X.] ([X.]) vom 26. Januar 1983 [X.] 254/81 ([X.]Z 86, 349) entgegen, da nach damaliger Rechtslage die Anfechtung gemäß § 41 der Konkursordnung nur innerhalb einer Jahresfrist nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens zulässig gewesen sei. Nach derzeitiger Rechtslage bedürfe es weder einer tatsächlichen Anfechtung noch bestehe dieselbe zeitliche Beschränkung wie nach der alten Rechtslage. Der [X.]-Beschluss vom 22. September 2010 IX ZB 195/09 (Zeitschrift für Wirtschaftsrecht --ZIP-- 2010, 2160) führe ebenfalls zu keinem anderen Ergebnis. Zwar habe der [X.] hinsichtlich des Vergütungsanspruchs des vorläufigen Insolvenzverwalters eine Hemmung der Verjährung bis zum Abschluss des eröffneten Insolvenzverfahrens angenommen, dabei aber maßgeblich auf die Vergütungsvorschriften der Rechtsanwälte bzw. Insolvenzverwalter abgestellt, die im Streitfall keine Rolle spielten.

6

Der Kläger trägt vor, das [X.] sei zutreffend davon ausgegangen, dass die Verjährung erst zum Zeitpunkt der [X.] des [X.] am 23. April 2010 beginne. Hierfür spreche auch die Rechtsprechung des [X.] ([X.]) zur vorrangigen Verrechnung der Vorsteuerbeträge gemäß § 16 Abs. 2 des Umsatzsteuergesetzes (UStG). Erst nach dieser Verrechnung könne der Insolvenzverwalter beurteilen, ob und in welcher Höhe ein Vorsteuerguthaben entstanden sei. Im Übrigen könnten bei einem früheren Verjährungsbeginn die Bearbeitungszeiträume der Insolvenzgerichte dazu führen, dass die Vergütung für den vorläufigen Insolvenzverwalter erst nach Ablauf der Verjährung festgesetzt bzw. ausgezahlt werde.

Entscheidungsgründe

7

II. Die Revision des [X.] ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). Das Urteil entspricht dem Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 [X.]O). Das [X.] hat zu Recht entschieden, dass die Aufrechnung gemäß § 96 Abs. 1 Nr. 3 [X.] unzulässig und keine Verjährung des Anfechtungsanspruchs eingetreten ist. Damit war der [X.] gemäß § 218 Abs. 2 der Abgabenordnung entsprechend dem Tenor der Vorentscheidung zu ändern.

8

1. Die Beteiligten gehen zutreffend davon aus, dass die durch das [X.] erklärte Aufrechnung gemäß § 96 Abs. 1 Nr. 3 [X.] unzulässig war. Das [X.] hat die Möglichkeit, mit den Umsatzsteuerverbindlichkeiten der Insolvenzschuldnerin aus den Jahren 2000 und 2005 gegen den [X.] der Insolvenzschuldnerin aus dem ersten Quartal 2010 aufzurechnen, durch die Leistung des vorläufigen Insolvenzverwalters erlangt. Diese Leistung ist auf Grundlage des [X.] vom 2. November 2010 VII R 6/10 ([X.], 488, [X.], 374) als eine nach § 131 Abs. 1 Nr. 1 [X.] anfechtbare Rechtshandlung zu qualifizieren.

9

Die Anwendung des § 96 Abs. 1 Nr. 3 [X.] hat nach der Rechtsprechung des [X.] (Urteile vom 28. September 2006 IX ZR 136/05, [X.]Z 169, 158; vom 17. Juli 2008 IX ZR 148/07, [X.], 1593, jeweils m.w.[X.]), der sich der Senat anschließt, zur Folge, dass sich der Insolvenzverwalter unmittelbar auf die insolvenzrechtliche Unwirksamkeit der Aufrechnung berufen kann. Dies bedeutet, dass der Insolvenzverwalter bei Geltendmachung der Hauptforderung, d.h. im Streitfall des [X.]s, den Aufrechnungseinwand des [X.] durch die Gegeneinrede des § 96 Abs. 1 Nr. 3 [X.] abwehren kann.

2. Entgegen der Auffassung des [X.] steht dem im Streitfall keine Verjährung entgegen.

§ 96 Abs. 1 Nr. 3 [X.] führt dazu, dass die Hauptforderung, die durch die Aufrechnung erloschen wäre, für die Dauer und die Zwecke des Insolvenzverfahrens fortbesteht. Allerdings kann der Insolvenzverwalter diese insolvenzrechtliche Wirkung des § 96 Abs. 1 Nr. 3 [X.] nur innerhalb der Anfechtungsfrist des § 146 Abs. 1 [X.] durchsetzen; diese Frist ist auf die Hauptforderung entsprechend anwendbar und überlagert deren allgemeine Verjährungsfristen (vgl. [X.]-Urteile in [X.]Z 169, 158; in [X.], 1593). Die entsprechende Anwendung des § 146 Abs. 1 [X.] gilt auch dann, wenn die [X.] --wie im [X.] erst nach der Insolvenzeröffnung abgegeben wird (a.[X.], [X.], 1749). Auch hier greift die Begründung des [X.], der sich der Senat anschließt, insbesondere der Hinweis auf den Sinn und Zweck, dem Insolvenzverwalter durch den insolvenzrechtlichen Fortbestand der Hauptforderung ausreichend Zeit für die Prüfung der Anfechtbarkeit zu gewähren.

§ 146 Abs. 1 [X.] verweist auf die regelmäßige Verjährung nach dem [X.], die gemäß § 195 [X.] drei Jahre beträgt und gemäß § 199 Abs. 1 [X.] am Ende desjenigen Jahres beginnt, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den anspruchsbegründenden Umständen Kenntnis erlangt hat oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte erlangen müssen. Da es im Rahmen des § 96 Abs. 1 Nr. 3 [X.] um den Fortbestand der Hauptforderung geht, kann es nicht schon auf den Zeitpunkt der anfechtbaren Rechtshandlung (Erbringung der Leistung als vorläufiger Insolvenzverwalter) bzw. des Entstehens des [X.] ankommen. Dies ergibt sich auch daraus, dass zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht absehbar war, wann sämtliche Voraussetzungen für einen Vorsteuerabzug erfüllt sein würden (vgl. hierzu BFH-Urteil vom 19. Juni 2013 XI R 41/10, [X.], 258, BStBl II 2014, 738) und ob bzw. in welcher Höhe im [X.] an die vorrangige Verrechnung gemäß § 16 Abs. 2 UStG (vgl. BFH-Urteil vom 25. Juli 2012 VII R 44/10, [X.], 302, [X.], 33) tatsächlich ein [X.] entstehen würde.

Die Verjährungsfrist beginnt vielmehr frühestens mit dem Ablauf desjenigen Jahrs, in dem die Hauptforderung entstanden ist, die durch die Aufrechnung erloschen wäre ([X.]-Urteil in [X.], 1593), d.h. im Streitfall mit dem Ablauf desjenigen Jahrs, in dem der [X.] entstanden ist. Dabei ist nicht auf die insolvenzrechtliche Begründung dieses Anspruchs abzustellen, sondern auf die steuerrechtliche Entstehung zum Ablauf des ersten Quartals 2010. Anderenfalls könnte die Hauptforderung bereits vor ihrer tatsächlichen Entstehung verjähren, was dem Sinn und Zweck des § 96 Abs. 1 Nr. 3 [X.] widerspräche.

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze kann sich das [X.] gegenüber dem Einwand des § 96 Abs. 1 Nr. 3 [X.] nicht auf Verjährung berufen. Jedenfalls mit Einreichung der Klage im Januar 2013 und damit innerhalb der dreijährigen Frist des § 146 Abs. 1 [X.] i.V.m. § 195 ff. [X.] ist die Hauptforderung gerichtlich geltend gemacht worden.

3. Aufgrund dieses Ergebnisses kann im Streitfall dahingestellt bleiben, ob die Verjährungsfrist tatsächlich bereits mit Ablauf desjenigen Jahrs beginnt, in dem der [X.] entstanden ist, oder --wie vom [X.] angenommen-- erst mit Ablauf desjenigen Jahrs, in dem nachfolgend die Aufrechnung erklärt wird ([X.]-Urteil in [X.]Z 86, 349 zur alten Rechtslage nach der Konkursordnung; Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, 10. Aufl. 2014, Rz 860; vgl. auch [X.]/[X.] in [X.] Kommentar, [X.], 3. Aufl. 2013, § 96 Rz 39). In beiden Fällen begänne die Verjährungsfrist mit Ablauf des Jahres 2010.

Ebenso kann offen bleiben, ob die vom [X.] geforderte "gerichtliche" Geltendmachung der Hauptforderung im Fall eines steuerlichen Anspruchs in dem Antrag auf Erlass eines [X.]s zu sehen ist und ob die Verjährung unter Berücksichtigung der Grundsätze im [X.]-Beschluss in [X.], 2160, 2164 gehemmt war.

Schließlich erübrigt sich auch eine Prüfung, ob die vom [X.] erklärte Aufrechnung nach § 96 Abs. 1 Nr. 1 [X.] unzulässig war. Aufgrund ihrer unterschiedlichen Anknüpfungspunkte schließen sich § 96 Abs. 1 Nr. 1 und 3 [X.] nicht gegenseitig aus.

4. [X.] beruht auf § 135 Abs. 2 [X.]O.

Meta

VII R 37/13

05.05.2015

Bundesfinanzhof 7. Senat

Urteil

vorgehend Niedersächsisches Finanzgericht, 6. Juni 2013, Az: 5 K 2/13, Urteil

§ 96 Abs 1 Nr 3 InsO, § 146 Abs 1 InsO, § 199 Abs 1 BGB, § 16 Abs 2 UStG 2005, § 15 UStG 2005, § 218 Abs 2 AO, § 96 Abs 1 Nr 1 InsO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 05.05.2015, Az. VII R 37/13 (REWIS RS 2015, 11633)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 11633

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