Bundesfinanzhof, Beschluss vom 26.08.2021, Az. V R 38/20

5. Senat | REWIS RS 2021, 3039

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Gegenstand

(Insolvenzrechtliches Aufrechnungsverbot bei unberechtigtem Steuerausweis i.S. des § 14c Abs. 2 UStG)


Leitsatz

NV: Für die Anwendung des § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO ist bei einer Steuerberichtigung nach § 14c Abs. 2 UStG entscheidend, wann die Gefährdung des Steueraufkommens beseitigt worden ist; dies ist bei vorheriger Durchführung des Vorsteuerabzugs durch den Rechnungsempfänger der Fall, wenn die geltend gemachte Vorsteuer zurückgezahlt worden ist.

Tenor

Die Revision des [X.] gegen das Urteil des [X.] vom 02.07.2019 - 2 K 938/17 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Kläger zu tragen.

Tatbestand

I.

1

Streitig ist die [X.]ufrechnung eines Umsatzsteuervergütungsanspruchs zur Umsatzsteuer 2010 gegen Forderungen aus Umsatzsteuer 2009.

2

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Insolvenzverwalter in dem am 15.09.2011 eröffneten Insolvenzverfahren der [X.] Diese ist Einzelunternehmerin und war bis zur Insolvenzeröffnung i.S. von § 2 [X.]bs. 2 Nr. 2 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) Organträgerin der T-[X.]G. Über das Vermögen der T-[X.]G wurde am 31.10.2011 das Insolvenzverfahren eröffnet, wobei wiederum der Kläger als Insolvenzverwalter bestimmt wurde.

3

In den Jahren 2006 bis 2008 hatten [X.] wie auch die T-[X.]G gegenüber der [X.] Rechnungen mit gesondertem Steuerausweis über einvernehmlich nicht erbrachte Leistungen erteilt. Die [X.] nahm hieraus den Vorsteuerabzug in [X.]nspruch.

4

Das für die [X.] zuständige Finanzamt [X.] versagte dieser aufgrund einer [X.]ußenprüfung für die Jahre 2006 bis 2010 den Vorsteuerabzug aus den Rechnungen der [X.] und der T-[X.]G. Die sich hieraus ergebende bestandskräftig festgesetzte Steuerrückforderung wurde von der [X.] noch in 2010 beglichen.

5

[X.]m Tag vor der jeweiligen Insolvenzeröffnung berichtigte der Kläger die von [X.] und der T-[X.]G erteilten Rechnungen.

6

Mit Schreiben vom 26.06.2013 beantragte der Kläger als Insolvenzverwalter der [X.] bei dem Finanzamt [X.], die Umsatzsteuer September 2011 aufgrund von Korrekturbeträgen aus den Jahren 2006 und 2007 herabzusetzen, da er für die Rechnungen mit Steuerausweis über die nie erbrachten Leistungen jeweils am Tag vor der Insolvenzeröffnung berichtigte Rechnungen an die [X.] erteilt habe. Einen dem entsprechenden [X.]ntrag stellte er für die T-[X.]G.

7

Das Finanzamt [X.] ging hierzu von einem nach § 14c [X.]bs. 2 UStG bereits im Jahr 2010 entstandenen [X.]erichtigungsanspruch der [X.] in [X.]ezug auf die von [X.] und der T-[X.]G erteilten Rechnungen aus und setzte daher einen Vergütungsanspruch zur Umsatzsteuer 2010 nebst Zinsen mit Änderungsbescheid vom 05.12.2014 unter der für [X.] erteilten Insolvenzsteuernummer fest. Das hiergegen gerichtete Einspruchsverfahren ruht.

8

[X.] rechnete der [X.]eklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --F[X.]--) mit fälligen Rückständen aus Umsatzsteuer 2009 gegen den Vergütungsanspruch aus Umsatzsteuer 2010 nebst Zinsen auf. Hierzu erließ das F[X.] auf [X.]ntrag des [X.] am 19.12.2014 einen entsprechenden [X.]brechnungsbescheid.

9

Dem Einspruch des [X.] gegen den [X.]brechnungsbescheid gab das F[X.] im Hinblick auf die [X.]ufrechnung mit dem Zinsanspruch statt und wies ihn im Übrigen zurück.

Die Klage zum Finanzgericht ([X.]) hatte keinen Erfolg. Die allgemeinen Voraussetzungen der [X.]ufrechnung lägen vor, weil gleichartige und gegenseitige [X.]nsprüche zur [X.]ufrechnung gestellt seien und der [X.]nspruch auf Zahlung der Umsatzsteuer 2009 wirksam und fällig sowie der Vergütungsanspruch zur Umsatzsteuer 2010 aufgrund der vorherigen Festsetzung erfüllbar sei. Zudem stehe der [X.]ufrechnung insbesondere nicht das insolvenzrechtliche Verbot nach § 96 [X.]bs. 1 Nr. 1 der Insolvenzordnung ([X.]) entgegen, weil das F[X.] den Vergütungsanspruch nicht erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zur Insolvenzmasse schuldig geworden sei. Entscheidend sei, dass sämtliche materiell-rechtlichen Voraussetzungen für das Entstehen des Vergütungsanspruchs vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfüllt gewesen seien. Dies sei beim Entstehen eines Vergütungsanspruchs infolge eines unberechtigten Steuerausweises bereits mit der [X.]eseitigung der Gefährdung des Steueraufkommens, hier also mit der Rückzahlung der zuvor abgezogenen Vorsteuer durch die [X.] in 2010, der Fall.

Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Revision. Das [X.] habe ein [X.]ufrechnungsverbot nach § 96 [X.]bs. 1 Nr. 1 [X.] rechtsfehlerhaft verneint. Hierfür sei der Zeitpunkt der vollständigen Verwirklichung des materiell-rechtlichen [X.]esteuerungstatbestands maßgeblich. [X.]ei der Zustimmung nach § 14c [X.]bs. 2 Satz 5 UStG handele es sich um einen Verwaltungsakt und dabei um einen Grundlagenbescheid. Sie sei zudem als eigenständige materiell-rechtliche Voraussetzung für die [X.]erichtigung anzusehen. Hierauf komme es auch für die insolvenzrechtliche Einordnung an. Das [X.] habe zudem unter Verstoß gegen § 76 [X.]bs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) nicht ermittelt, ob ein Verwaltungsakt i.S. des § 14c [X.]bs. 2 Satz 5 UStG vorliege. Darüber hinaus habe das [X.] gegen § 74 [X.]O verstoßen, da das Verfahren im Hinblick auf das ruhende Einspruchsverfahren gegen den Umsatzsteuerbescheid für 2010, das die zur [X.]ufrechnung herangezogene Hauptforderung betrifft, hätte ausgesetzt werden müssen.

Der Kläger beantragt,
unter [X.]ufhebung des Urteils des [X.] vom 02.07.2019 - 2 K 938/17 den [X.]brechnungsbescheid zur Umsatzsteuer 2010 vom 19.12.2014 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 04.07.2017 dahin zu ändern, dass ein verbleibender Erstattungsanspruch des [X.] für 2010 ([X.]escheid vom 05.12.2014) in Höhe von ... € festgestellt wird,

hilfsweise das Urteil des [X.] aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückzuverweisen.

Das F[X.] beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Die Vorschrift des § 14c [X.]bs. 2 Satz 5 UStG sei verfahrensrechtlicher Natur und für die Entstehung des Erstattungsanspruchs nicht erheblich. [X.]ndernfalls könne der Zeitpunkt der Entstehung des Erstattungsanspruchs wegen des zuvor erforderlichen [X.]ntrags durch den Steuerpflichtigen oder seinen Insolvenzverwalter bestimmt werden. Demnach habe das [X.] es offen lassen können, ob im Hinblick auf die Zustimmung ein bindender Verwaltungsakt vorgelegen habe. [X.]uch sei eine [X.]ussetzung des Verfahrens nicht erforderlich gewesen, weil für die [X.]ufrechnung die Erfüllbarkeit der Hauptforderung ausreichend sei.

Entscheidungsgründe

II.

Die Entscheidung ergeht gemäß § 126a [X.]O. Der [X.] hält einstimmig die Revision für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich. Die [X.]eteiligten sind davon unterrichtet worden und hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.

Die Revision ist im Haupt- und Hilfsantrag unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 [X.]O). Das [X.] hat die Klage zu Recht abgewiesen und dabei insbesondere ein Aufrechnungsverbot nach § 96 Abs. 1 Nr. 1 [X.] zutreffend verneint. Auch die Verfahrensrügen des [X.] greifen nicht durch. Weder hat das [X.] gegen § 76 Abs. 1 Satz 1 [X.]O verstoßen, indem es Ermittlungen zum Vorliegen eines Verwaltungsakts i.S. des § 14c Abs. 2 Satz 5 UStG unterlassen hat, noch beruht die Vorentscheidung insofern auf einem Verfahrensfehler, als das [X.] von einer Aussetzung gemäß § 74 [X.]O abgesehen hat, bis über den Einspruch gegen die Festsetzung der [X.] 2010 abschließend entschieden ist.

1. Das [X.] hat zutreffend entschieden, dass der Abrechnungsbescheid rechtmäßig ist. Insbesondere hat das [X.] ein Aufrechnungsverbot nach § 96 Abs. 1 Nr. 1 [X.] im Streitfall rechtsfehlerfrei verneint, weil im Fall einer Steuerberichtigung nach § 14c Abs. 2 UStG entscheidend ist, wann die Gefährdung des Steueraufkommens beseitigt worden ist; dies ist bei vorheriger Durchführung des Vorsteuerabzugs durch den Rechnungsempfänger der Fall, wenn die geltend gemachte Vorsteuer zurückgezahlt worden ist.

Das [X.] hat zunächst zu Recht darauf abgestellt, ob sämtliche materiell-rechtlichen Voraussetzungen für die Entstehung des Steuervergütungsanspruchs bereits vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet waren (s. allgemein Urteil des [X.] --[X.]FH-- vom 08.11.2016 - VII R 34/15, [X.], 6, [X.], 496, Rz 12). Dies war hier --wie das [X.] weiter zutreffend entschieden hat-- nach § 14c Abs. 2 Sätze 3 und 4 UStG mit der [X.]eseitigung der Gefährdung des Steueraufkommens aufgrund der Rückzahlung der zuvor abgezogenen Vorsteuer durch die [X.] in 2010 und damit vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin in 2011 der Fall; zur Vermeidung von Wiederholungen verweist der [X.] insoweit auf den [X.]sbeschluss vom 27.07.2021 - V R 43/19 ([X.], 175).

2. Ohne Erfolg macht der Kläger ferner geltend, das [X.] habe gegen § 76 Abs. 1 Satz 1 [X.]O verstoßen, indem es Ermittlungen zum Vorliegen eines Verwaltungsakts i.S. des § 14c Abs. 2 Satz 5 UStG unterlassen hat. Das [X.] kann die Zustimmung nach § 14c Abs. 2 Satz 5 UStG auch stillschweigend durch den Erlass eines Änderungsbescheids erteilen, wie es hier der Fall war; auch insoweit verweist der [X.] zur Vermeidung von Wiederholungen auf den [X.]sbeschluss vom 27.07.2021 - V R 43/19 ([X.], 175).

3. Schließlich beruht die Vorentscheidung im Hinblick darauf, dass das [X.] davon abgesehen hat, das Verfahren gemäß § 74 [X.]O auszusetzen, bis über den Einspruch gegen die Festsetzung der [X.] 2010 abschließend entschieden ist, nicht auf einem Verfahrensfehler.

a) Der [X.] versteht die Vorentscheidung dahin, dass der Vergütungsanspruch der Insolvenzschuldnerin aus Umsatzsteuer 2010 unabhängig von dessen Festsetzung entstehe (s. [X.]-Urteil, unter [X.] [X.] mit Verweis auf das [X.]FH-Urteil vom 10.05.2007 - VII R 18/05, [X.], 216, [X.], 914, Rz 17). Nach dem hier maßgeblichen Rechtsstandpunkt des [X.] ([X.]sbeschluss vom 26.05.2010 - V [X.] 70/09, [X.], 1837, Rz 13) hängt die Wirksamkeit der Aufrechnung, die u.a. das [X.]estehen der Hauptforderung voraussetzt, demnach nicht von der Entscheidung über den Einspruch gegen die Festsetzung der [X.] 2010 ab.

b) Danach kann der [X.] offen lassen, inwieweit sich die [X.]FH-Rechtsprechung zur Vorgreiflichkeit einer Entscheidung im Anfechtungsverfahren über den materiell-rechtlichen [X.]estand der Gegenforderung für das Verfahren über die Wirksamkeit der Aufrechnung (vgl. [X.]FH-Urteil vom 04.05.1993 - VII R 82/92, [X.] 1994, 285, unter [X.]; [X.] vom 20.12.2002 - VII [X.] 67/02, [X.] 2003, 444, unter [X.]) auf den hier vorliegenden Fall einer Anfechtung der Hauptforderung übertragen lässt.

c) Im Übrigen ist es mit [X.]lick auf den durch § 74 [X.]O insbesondere verfolgten Zweck der Prozessökonomie (vgl. [X.]FH-Urteil vom 15.01.2019 - II R 39/16, [X.], 473, [X.], 627, Rz 41) unter [X.]erücksichtigung der Interessen der [X.]eteiligten nicht mehr geboten, das gerichtliche Ermessen zugunsten einer Verfahrensaussetzung auszuüben. Denn mit dem [X.]sbeschluss vom 27.07.2021 - V R 43/19 ([X.], 175), der denselben Lebenssachverhalt betrifft, ist geklärt, dass die [X.]erichtigung nach § 14c Abs. 2 UStG in dem [X.]esteuerungszeitraum vorzunehmen ist, in dem die Gefährdung des Steueraufkommens beseitigt worden ist, und dass daher das Finanzamt [X.] die [X.] hier zu Recht für den [X.]esteuerungszeitraum 2010 festgesetzt hat.

4. [X.] beruht auf § 135 Abs. 2 [X.]O.

Meta

V R 38/20

26.08.2021

Bundesfinanzhof 5. Senat

Beschluss

vorgehend FG Nürnberg, 2. Juli 2019, Az: 2 K 938/17, Urteil

§ 96 Abs 1 Nr 1 InsO, § 14c Abs 2 S 5 UStG 2005, § 74 FGO, § 226 AO, § 218 Abs 2 AO, UStG VZ 2010

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 26.08.2021, Az. V R 38/20 (REWIS RS 2021, 3039)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 3039

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14 K 2411/21

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