Bundesgerichtshof, Beschluss vom 29.11.2017, Az. AK 58/17

3. Strafsenat | REWIS RS 2017, 1542

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Gegenstand

Aufhebung eines Haftbefehls durch den Staatsschutzsenat: Wegfall des dringenden Tatverdachts für die Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat; Anrechnung der vollzogenen Untersuchungshaft auf die Straferwartung für die übrigen dem Beschuldigten vorgeworfenen Delikte


Tenor

Der Haftbefehl des Ermittlungsrichters des [X.] vom 24. Oktober 2017 (3 [X.] 271/17) wird aufgehoben.

Der Beschuldigte ist in dieser Sache aus der Untersuchungshaft zu entlassen.

Gründe

1

I. [X.]er Beschuldigte befindet sich seit dem 27. April 2017 in Untersuchungshaft.

2

[X.]er dem ursprünglich zu Grunde liegende Haftbefehl des [X.] vom 13. April 2017 ([X.].: 160 Js 207598/17 - 931 [X.]) ist vom Ermittlungsrichter des [X.] mit Beschluss vom 23. Mai 2017 aufgehoben und durch einen Haftbefehl vom selben Tage (3 B[X.] 82/17) ersetzt worden. Gegenstand dieses Haftbefehls ist der Vorwurf gewesen, der Beschuldigte habe mit zwei weiteren Beschuldigten gemeinschaftlich handelnd durch zwei selbständige Handlungen zum einen eine schwere staatsgefährdende Gewalttat vorbereitet, indem er eine Waffe beschaffte und verwahrte, er habe weiterhin an zwei verschiedenen Orten ohne die entsprechende Erlaubnis eine halbautomatische Kurzwaffe zum Verschießen von [X.] und Munition besessen, über Kriegswaffen ohne entsprechende Erlaubnis die tatsächliche Gewalt ausgeübt sowie in der Absicht, sich einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen, das Vermögen eines anderen dadurch beschädigt, dass durch Vorspiegelung falscher Tatsachen ein Irrtum erregt oder unterhalten wurde, strafbar gemäß § 52 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe b, Abs. 3 Nr. 2 Buchstabe b, § 1 Abs. 2, 4, § 2 Abs. 2, 3 [X.] i.V.m. Anlage 1 Abschnitt 1 Unterabschnitt 1 Nr. 1.1, Anlage 1 Unterabschnitt 3 Nr. 1.1 zum [X.], § 22a Abs. 1 Nr. 6 Buchstabe a i.V.m. Nr. 50 der Anlage zu § 1 Abs. 1 [X.], § 89a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2, § 263 Abs. 1, § 7 Abs. 2 Nr. 1, § 25 Abs. 2, §§ 52, 53 StGB.

3

[X.]ie Beschwerde des Beschuldigten gegen diesen Haftbefehl hat der [X.] mit Beschluss vom 27. Juli 2017 (StB 16/17) verworfen und die Fortdauer der Untersuchungshaft angeordnet. Zur Begründung hat er ausgeführt, der Beschuldigte sei jedenfalls der ihm zur Last gelegten Verstöße gegen das [X.] und das Waffengesetz sowie des Betruges dringend verdächtig; dies trage die Anordnung und Fortdauer der Untersuchungshaft, die noch nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und der im Falle der Verurteilung zu erwartenden Strafe stünden. [X.]emgegenüber hat der [X.] es offen gelassen, ob ein dringender Verdacht dahin besteht, der Beschuldigte habe in nach § 89a StGB strafbarer Weise eine schwere staatsgefährdende Gewalttat vorbereitet.

4

Mit Beschluss vom 24. Oktober 2017 (3 B[X.] 271/17) hat der Ermittlungsrichter des [X.] einen neuen, auf den Haftgrund der Fluchtgefahr gestützten Haftbefehl erlassen und denjenigen vom 23. Mai 2017 aufgehoben und ersetzt. [X.]anach ist der Beschuldigte dringend verdächtig, eine schwere staatsgefährdende Gewalttat vorbereitet zu haben, nämlich eine Straftat gegen das Leben in den Fällen des § 211 oder des § 212 StGB, die nach den Umständen bestimmt und geeignet ist, den Bestand und die Sicherheit des Staates zu beeinträchtigen, indem Waffen beschafft und verwahrt wurden, er habe weiterhin ohne entsprechende Erlaubnis eine halbautomatische Kurzwaffe zum Verschießen von [X.] geführt und ohne entsprechende Erlaubnis eine halbautomatische Kurzwaffe zum Verschießen von [X.], zwei Schusswaffen sowie Munition besessen, über Kriegswaffen ohne entsprechende Genehmigung die tatsächliche Gewalt ausgeübt, sei ohne die erforderliche Erlaubnis entgegen § 27 Abs. 1 [X.] mit explosionsgefährlichen Stoffen umgegangen, habe fremde bewegliche Sachen einem anderen in der Absicht weggenommen, die Sachen sich rechtswidrig zuzueignen sowie durch drei weitere Handlungen in der Absicht, sich einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen, das Vermögen eines anderen dadurch beschädigt, dass durch Vorspiegelung falscher Tatsachen ein Irrtum erregt oder unterhalten wurde, strafbar gemäß § 52 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe b, Abs. 3 Nr. 2 Buchstabe a und b, § 1 Abs. 2, 3, 4, § 2 Abs. 2, 3 [X.] i.V.m. Anlage 1 Abschnitt 1 Unterabschnitt 1 Nr. 1.1, 2.2, Anlage 2 Abschnitt 2 Unterabschnitt 1 Satz 1 und Anlage 1 Abschnitt 1 Unterabschnitt 3 Nr. 1.1, 1.2 und 1.4.1 zum [X.], § 22a Abs. 1 Nr. 6 Buchstabe a i.V.m. Nr. 50 der Anlage zu § 1 Abs. 1 [X.], § 40 Abs. 1 Nr. 3, § 3 Abs. 1 Nr. 3 und 7 [X.] aF, § 27 [X.], § 89a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2, § 263 Abs. 1, § 242 Abs. 1, § 7 Abs. 2 Nr. 1, §§ 52, 53 StGB.

5

II. [X.]ie Prüfung, ob die Untersuchungshaft fortdauern darf (§§ 121, 122 StPO), führt zur Aufhebung des Haftbefehls. [X.]er Beschuldigte ist nach dem derzeitigen Stand der Ermittlungen der ihm vorgeworfenen Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat (§ 89a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 StGB) nicht dringend verdächtig im Sinne des § 112 Abs. 1 Satz 1 StPO. Aufgrund der deshalb im Vergleich zu der für die gesamten in dem Haftbefehl enthaltenen Tatvorwürfe geringeren Straferwartung und der sonstigen insoweit bedeutsamen Umstände, insbesondere der persönlichen Verhältnisse des Beschuldigten sowie der bisherigen [X.]auer der Untersuchungshaft, ist der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO) nicht mehr gegeben. Im Einzelnen:

6

1. Nach dem gegenwärtigen Stand der Ermittlungen ist im Sinne eines dringenden Tatverdachts von folgenden Sachverhalten auszugehen:

7

a) [X.]er Beschuldigte, ein Oberleutnant der [X.], verschaffte sich auf bisher ungeklärte Weise eine mit sechs Schuss geladene Pistole des Herstellers [X.] ([X.]), Modell 17, Kaliber 7,65 [X.], [X.], Herstellungszeit 1928 bis 1944, Seriennummer     . Am 22. Januar 2017 betrat er die Pistole nebst zugehöriger Munition mit sich führend das Gebäude des Flughafens [X.]-Schwechat in [X.]. Er versteckte die Waffe und die Munition in einem Putzschacht auf einer Behindertentoilette im Transitbereich des Flughafens. [X.]ort wurde die in ein Stofftuch eingewickelte Pistole am 24. Januar 2017 gefunden und sichergestellt. Am 3. Februar 2017 reiste der Beschuldigte mit dem Flugzeug nach [X.]-Schwechat. Nach seiner Ankunft versuchte er, die Pistole und die Munition aus dem Versteck zu holen und erneut an sich zu nehmen. [X.]abei wurde er festgenommen. [X.]ie Waffe ist in [X.] nicht erfasst und registriert. [X.]er Beschuldigte ist nicht Inhaber einer Waffenbesitzkarte.

8

b) [X.]er Beschuldigte hielt weitere Waffen, darunter ein Gewehr der Marke [X.], eine Waffe des [X.] sowie eine Waffe des Herstellers [X.], Kaliber 7,65 mm, sowie Munition, Sprengkörper und Zündmittel vorrätig, darunter 167 Patronen mit [X.], die dem [X.] unterfallen. Zumindest Teile der Munition und Sprengkörper hatte er bei mindestens einer Gelegenheit am [X.]standort in [X.] entwendet. [X.]ie Munition, Sprengkörper und Zündmittel vertraute er vor [X.] 2017 dem Mitbeschuldigten [X.]zur Aufbewahrung an. Weder der Beschuldigte [X.]noch der Beschuldigte [X.]ist im Besitz der hierfür nach dem Waffen-, dem Sprengstoff- und dem [X.] erforderlichen Erlaubnisse.

9

c) [X.]er Beschuldigte legte sich die fiktive Identität eines Flüchtlings aus [X.] mit dem Namen "[X.].         " zu. Unter dieser falschen Identität ließ er sich im [X.]ezember 2015 in [X.]      registrieren, wobei er auch seine Fingerabdrücke abgab. In der Folgezeit war er unter seiner Legende in Flüchtlingswohnheimen amtlich gemeldet und durchlief das Asylverfahren mit Anerkennung des subsidiären Schutzstatus. Seiner Legende entsprechend erhielt er am 7. Januar 2016 vom Landratsamt R.  einen Bargeldbetrag von 179,71 € ausgezahlt sowie ein Sachwertpaket im Wert von 6,61 € übergeben. Außerdem bezog er vom 18. Januar 2016 bis zum 31. Januar 2017 Leistungen nach dem [X.] in Höhe von insgesamt 3.480,40 € und ab dem 1. Februar 2017 für vier Monate Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch ([X.]) in Höhe von 409 € pro Monat. [X.]ie Gelder wurden entweder auf das Konto des Beschuldigten überwiesen oder von ihm persönlich in [X.]abgeholt. [X.]er Beschuldigte hatte auf diese Leistungen keinen Anspruch, was er wusste.

d) Hinsichtlich der Einzelheiten der insoweit ermittelten Sachverhalte sowie der Beweismittel, auf die sich der diesbezügliche dringende Tatverdacht gründet, nimmt der [X.] Bezug auf die Ausführungen in dem Haftbefehl des Ermittlungsrichters des [X.] vom 24. Oktober 2017, ohne dass an dieser Stelle eine ins Einzelne gehende Überprüfung der dort vorgenommenen rechtlichen Würdigung geboten ist.

2. [X.]em Beschuldigten wird daneben vorgeworfen, er habe nach einem zuvor gefassten [X.] zu einem derzeit noch unbekannten Zeitpunkt einen Angriff auf das Leben hochrangiger Politiker und Personen des öffentlichen Lebens vorbereitet. Als Anschlagsopfer seien Personen vorgesehen gewesen, die sich für ihr - aus der Sicht des Beschuldigten - flüchtlingsfreundliches Engagement besonders auszeichnen. [X.]er Beschuldigte habe den Anschlag mit der in [X.] aufgefundenen Pistole durchführen und die anschließenden Ermittlungen aus fremdenfeindlicher Gesinnung in Richtung der in [X.] erfassten Asylbewerber lenken wollen.

Hinsichtlich dieses Tatvorwurfes besteht nach dem derzeitigen Stand der Ermittlungen kein dringender Tatverdacht. Voraussetzung hierfür ist eine große bzw. hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Beschuldigte die ihm vorgeworfene Tat begangen hat; diese ist nicht gegeben.

a) [X.]er [X.] nimmt insoweit zunächst Bezug auf seine diesbezüglichen Ausführungen in dem Beschluss vom 27. Juli 2017 (juris Rn. 24). Bereits dort ist ausgeführt, dass gewichtige Umstände, insbesondere der mit erheblichem Aufwand betriebene Aufbau und das Aufrechterhalten der [X.], das weitere Vorgehen des Beschuldigten sowie Art und Inhalt der Kommunikation zwischen dem Beschuldigten und den Mitbeschuldigten [X.]und [X.]für die Planung und Vorbereitung zumindest einer weiteren Straftat sprechen. Insoweit haben die weiteren Ermittlungen nach der Entscheidung des [X.]s keine wesentlichen neuen, den Beschuldigten entlastenden Umstände ergeben; durch ihre Ergebnisse ist vielmehr insbesondere das konspirative Verhalten des Beschuldigten noch deutlicher geworden.

b) [X.]er [X.] hat in der genannten Entscheidung allerdings ebenfalls deutlich gemacht, dass bezüglich des Verdachts der Begehung einer Straftat nach § 89a StGB wesentliche Unstimmigkeiten verbleiben. Auch insoweit haben die weiteren Ermittlungen keine bedeutsamen neuen Umstände erbracht, die den Beschuldigten belasten und die Tatbegehung wahrscheinlicher machen könnten:

aa) So bleibt etwa nach wie vor offen, aus welchem Grund der Beschuldigte die potentielle Tatwaffe gerade in dem besonders überwachten Bereich eines Flughafens versteckte und Bilder des Verstecks den Mitgliedern einer [X.] zugänglich machte, der neben den Beschuldigten [X.]und [X.]    noch weitere Personen angehörten.

bb) [X.]er dringende Tatverdacht bezüglich der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat gründet ausweislich des Haftbefehls ganz wesentlich auf dem Inhalt zweier [X.] A4-Blätter, die bei dem Mitbeschuldigten [X.]    aufgefunden worden sind, sowie eines handschriftlichen Notizzettels, der bei dem Beschuldigten sichergestellt worden ist. Auf den [X.] [X.] befindet sich eine von dem Mitbeschuldigten [X.]     stammende Auflistung von Personen des öffentlichen Lebens, aber auch von Institutionen, denen jeweils der Buchstabe A, B, [X.] oder [X.] zugeordnet ist. Auf dem handschriftlichen Notizzettel befinden sich Angaben zu Personen, darunter jedoch lediglich einer, die auch auf den [X.] [X.] aufgeführt ist, daneben aber auch Notizen zu Langwaffen und weitere für den Vorwurf der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat in der in dem Haftbefehl vom 24. Oktober 2017 angenommenen Form unergiebige Angaben. [X.]ie in [X.]-Schwechat aufgefundene Pistole, mit der nach dem in dem genannten Haftbefehl festgehaltenen Vorwurf der geplante Anschlag begangen werden sollte, findet in keinem der aufgefundenen Schriftstücke Erwähnung. Irgendwelche Angaben zu Zeit, Ort oder Begehensweise eines geplanten Anschlags sind in den [X.]okumenten ebenfalls nicht enthalten. Unter diesen Umständen wiegt allein die Zuordnung eines Buchstabens von A bis [X.] zu den Personen bzw. Institutionen nicht so schwer, als dass sie eine hohe Wahrscheinlichkeit für die Vorbereitung eines Attentats auf eine der aufgeführten Personen begründen könnte. [X.]er [X.] schließt sich vielmehr der Bewertung in dem Vermerk des [X.] vom 4. Mai 2017 betreffend die Vorab-Auswertung der [X.] A4-Blätter auch bei Berücksichtigung der weiteren Ermittlungsergebnisse an, wonach nur gemutmaßt werden könne, ob es sich bei der Zuordnung der Buchstaben um eine Art "Ranking" der Personen nach den möglichen Kriterien Bekanntheitsgrad, Stellung innerhalb der linken Szene oder Ähnliches handele und Abschließendes über die Bedeutung der Liste, insbesondere darüber, ob es sich dabei um eine Liste mit potentiellen [X.] handele, nicht gesagt werden könne.

cc) Soweit der Haftbefehl vom 24. Oktober 2017 weiterhin davon ausgeht, der Beschuldigte habe den Verdacht nach der Begehung der schweren staatsgefährdenden Gewalttat auf die in [X.] lebenden Flüchtlinge lenken wollen, ist nicht dargetan, auf welche Weise dies habe geschehen sollen. Gegen die Annahme, der Beschuldigte habe die Waffe mit seinen - auch unter der falschen Identität als [X.].           gespeicherten - Fingerabdrücken in der Nähe des Tatorts zurücklassen wollen und auf diese Weise einen Hinweis auf den angeblichen Asylbewerber geben wollen, sprechen mehrere Ermittlungsergebnisse:

So äußerte sich der Beschuldigte in einem ausweislich des Auswertungsvermerks des [X.] vom 2. Juni 2017 mit hoher Wahrscheinlichkeit am 31. [X.]ezember 2015 in einer Flüchtlingsunterkunft aufgenommenen Video u.a. dahin, er wolle am nächsten Tag wahrscheinlich "abhauen", weil er weit weg von zu Hause sei und seine Freizeit lieber mit den ihm nahe stehenden Personen verbringen wolle. [X.] sagte er in diesem Zusammenhang: "[X.]as zu meinem Projekt." Später heißt es: "[X.]ann ist noch die Sache, dass das hier alles nicht ... wahrscheinlich nicht mal legal ist, was ich hier mach. [X.] es meine Fingerabdrücke genommen wurde und die jetzt mit einem Gesicht zumindest zuzuordnen sind, mit einem Gesicht, also mein Gesicht in irgendwelchen [X.]aten, wie sie das vorher nicht hatten. [X.]as ist ein bisschen schade. Weil ich da immer diese Anonymität hatte halt. [X.] ja auch egal." [X.]iese Passagen stehen sowohl für sich genommen als auch in Verbindung mit dem übrigen Inhalt des Videos der Annahme entgegen, der Beschuldigte habe einem vorab gefassten Plan folgend seine Fingerabdrücke unter der falschen Identität abgeben wollen, um auf diese Weise eine auf die Anschlagsbegehung durch Asylbewerber hinweisende Spur zu legen.

Soweit dem Beschuldigten angelastet wird, auch nach dem Fund der Pistole in [X.]-Schwechat an seinem Vorhaben festgehalten zu haben, kommt hinzu, dass er nach seiner dortigen Ergreifung seine Fingerabdrücke unter seiner wahren Identität abgeben musste. Bei der Begehung des Anschlags unter Zurücklassung der Pistole mit den Fingerabdrücken des Beschuldigten wäre der Verdacht deshalb nicht nur auf den Flüchtling "[X.].          " sondern auch auf den Beschuldigten selbst gefallen. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass dem Beschuldigten dieser Umstand nicht bewusst war. [X.]ieser Gesichtspunkt wird entgegen dem Haftbefehl nicht dadurch entkräftet, dass der Beschuldigte nach seiner erkennungsdienstlichen Behandlung noch zweimal unter seiner Legende Leistungen als Asylbewerber in Anspruch nahm. [X.]ies belegt lediglich, dass er seine falsche Identität als Flüchtling aufrecht erhielt, nicht aber, dass er entschlossen war, auf die im Raum stehende Weise ein Attentat unter Zurücklassung seiner Fingerabdrücke zu begehen.

Sonstige Maßnahmen des Beschuldigten, die dazu hätten führen können, dass der Verdacht der Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat auf die in [X.] lebenden Flüchtlinge gefallen wäre, sind weder in dem Haftbefehl vom 24. Oktober 2017 noch in der Antragsschrift des [X.] aufgeführt; sie sind auch sonst nicht ersichtlich.

c) Zusammenfassend erscheint es durchaus möglich, dass die erkennbar mit großem Aufwand und großer Intensität betriebenen Ermittlungen bisher nicht alle maßgebenden Umstände aufzudecken vermocht haben. So bleibt insbesondere der Grund für das über einen langen Zeitraum in hohem Maße konspirative Verhalten des Beschuldigten im Ungewissen. Trotz der den Beschuldigten auch bezüglich der Begehung einer Straftat nach § 89a StGB belastenden Umstände führen die aufgezeigten Unstimmigkeiten allerdings zu dem Ergebnis, dass eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Beschuldigte fest entschlossen war, mit der in [X.] aufgefunden Pistole ein Attentat auf einen führenden Repräsentanten einer aus Sicht des Beschuldigten flüchtlingsfreundlichen Geisteshaltung zu begehen und den Verdacht auf die in [X.] lebenden Asylbewerber zu lenken, derzeit nicht angenommen werden kann.

3. [X.]anach scheiden die Aufrechterhaltung des Haftbefehls und der weitere Vollzug der nunmehr bereits etwa sieben Monate andauernden Untersuchungshaft aus; denn es besteht kein Haftgrund mehr. [X.]er Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO), auf den der Haftbefehl vom 24. Oktober 2017 gestützt ist, setzt voraus, dass bei Würdigung der konkreten Einzelfallumstände es wahrscheinlicher ist, dass sich der Beschuldigte dem weiteren Strafverfahren entziehen, als dass er sich ihm zur Verfügung halten werde; dies ist nicht der Fall. [X.]abei fallen einerseits vor allem die Sprachkenntnisse des Beschuldigten, seine Kontakte nach [X.] sowie seine Fähigkeit, eine [X.] aufzubauen, ins Gewicht. Andererseits ist zu beachten, dass die für diejenigen [X.]elikte zu erwartende Strafe, hinsichtlich derer ein dringender Tatverdacht bejaht werden kann, deutlich geringer ist als die Sanktion, die in Betracht käme, wenn dem Beschuldigten zusätzlich die Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat nachgewiesen werden könnte. Hinzu kommt, dass die nunmehr bereits etwa sieben Monate andauernde Untersuchungshaft auf die gegebenenfalls zu verhängende Strafe anzurechnen wäre. [X.]ie derzeit zu erwartende Sanktion und der von ihr zu verbüßende Teil sind deshalb - anders als noch zum Zeitpunkt der Entscheidung des [X.]s über die Haftbeschwerde des Beschuldigten - nicht so hoch, als dass sie geeignet erscheinen, einen großen Fluchtanreiz auszuüben. Hinzu kommt, dass die familiären und [X.] Kontakte des Beschuldigten ganz überwiegend innerhalb der Bundesrepublik [X.] bestehen. Bei einem Absetzen nach [X.] müsste er seine dortige Ergreifung und Auslieferung nach [X.] befürchten. Insgesamt überwiegen deshalb nicht die Umstände, die dafür sprechen, dass der Beschuldigte sich dem weiteren Verfahren entziehen wird.

III. Nach dem derzeitigen Stand der Ermittlungen besteht allerdings weiterhin ein die Zuständigkeit des [X.] und damit auch des Ermittlungsrichters des [X.] begründender Anfangsverdacht für die Begehung einer Straftat nach § 89a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 StGB (§ 142a Abs. 1 Satz 1, § 120 Abs. 2 Nr. 1, § 74a Abs. 1 Nr. 2 [X.]). Gegen die Annahme der besonderen Bedeutung i.S.d. § 120 Abs. 2 Nr. 1 [X.] ist mit Blick auf die konkreten Tatumstände aus den in dem Haftbefehl vom 24. Oktober 2017 zutreffend dargelegten Gründen, auf die verwiesen wird, nichts zu erinnern. Über die Frage, ob ein die Anklageerhebung und gegebenenfalls die Eröffnung des Hauptverfahrens rechtfertigender hinreichender Tatverdacht bezüglich einer Straftat nach § 89a StGB anzunehmen ist, für den einerseits höhere Anforderungen als für einen Anfangsverdacht, andererseits aber geringere als für den im Rahmen dieser Haftfortdauerentscheidung zu prüfenden dringenden Tatverdacht gelten, hat der [X.] nicht zu befinden.

[X.]

Meta

AK 58/17

29.11.2017

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: False

§ 112 Abs 1 S 1 StPO, § 112 Abs 2 Nr 2 StPO, § 89a Abs 1 StGB, § 89a Abs 2 Nr 2 StGB, § 242 StGB, § 263 StGB, § 52 Abs 1 WaffG, § 22a KrWaffKontrG, § 27 SprengG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 29.11.2017, Az. AK 58/17 (REWIS RS 2017, 1542)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 1542

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