Bundesgerichtshof, Beschluss vom 06.10.2015, Az. EnVR 32/13

Kartellsenat | REWIS RS 2015, 4380

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Gegenstand

Neuregelung energiewirtschaftsrechtlicher Vorschriften: Nichtigkeit der Regelung über die Befreiung stromintensiver Unternehmen von Netzentgelten - Netzentgeltbefreiung


Leitsatz

Netzentgeltbefreiung

§ 19 Abs. 2 Satz 2 StromNEV in der Fassung von Art. 7 des am 4. August 2011 in Kraft getretenen Gesetzes zur Neuregelung energiewirtschaftsrechtlicher Vorschriften vom 26. Juli 2011 (BGBl. I S. 1554, 1594) ist nichtig.

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den am 8. Mai 2013 verkündeten Beschluss des 3. Kartellsenats des [X.] wird zurückgewiesen.

Die Bundesnetzagentur trägt die Kosten des [X.] einschließlich der notwendigen Auslagen der Betroffenen.

Der Gegenstandswert des [X.] wird auf 753.967 Euro festgesetzt.

Gründe

1

A. Die Betroffene betreibt ein Verteilernetz für Elektrizität, aus dem die Antragstellerin von einem dritten Unternehmen auf der Grundlage eines integrierten Liefervertrags Strom für ihr Reifenwerk in Fürstenwalde bezieht.

2

Mit Beschluss vom 22. März 2012 hat die [X.] die Befreiung der Antragstellerin von den Netzentgelten für die in Rede stehende Abnahmestelle mit Wirkung ab 1. Januar 2011 unbefristet genehmigt. Auf die Beschwerde der Betroffenen hat das Beschwerdegericht diesen Beschluss aufgehoben. Dagegen wendet sich die [X.] mit ihrer vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde. Die Betroffene tritt dem Rechtsmittel entgegen.

3

B. Die zulässige Rechtsbeschwerde ist unbegründet.

4

I. Das Beschwerdegericht hat seine Entscheidung ([X.], Beschluss vom 8. Mai 2013 - 3 Kart 178/12, juris) im Wesentlichen wie folgt begründet:

5

Der angefochtene Beschluss sei schon deshalb rechtswidrig, weil die am 4. August 2011 in [X.] getretene Änderung des § 19 Abs. 2 [X.] nichtig sei. Der Gesetzgeber sei zwar grundsätzlich zur Änderung von Rechtsverordnungen befugt. Die genannte Regelung weise aber nicht den hierfür erforderlichen sachlichen Zusammenhang mit weiteren gesetzgeberischen Maßnahmen auf. Ferner halte sich die vollständige Befreiung von den Netzentgelten nicht in den Grenzen der Ermächtigungsgrundlage. Die Befreiungsregelung verletze zudem das Diskriminierungsverbot des § 21 Abs. 1 [X.], das die Vorgaben der Richtlinie 2003/54/EG umsetze.

6

II. Diese Beurteilung hält der rechtlichen Überprüfung im Ergebnis stand.

7

1. Zu Recht ist das Beschwerdegericht zu dem Ergebnis gelangt, dass § 19 Abs. 2 Satz 2 [X.] in der Fassung von Art. 7 des am 4. August 2011 in [X.] getretenen Gesetzes zur Neuregelung energiewirtschaftsrechtlicher Vorschriften vom 26. Juli 2011 ([X.], 1594) nichtig ist.

8

a) Zutreffend ist das Beschwerdegericht davon ausgegangen, dass diese Regelung, obwohl sie vom Gesetzgeber erlassen wurde, als Rechtsverordnung zu beurteilen und deshalb uneingeschränkt auf ihre Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht zu überprüfen ist.

9

Der Gesetzgeber darf [X.], die sich sowohl auf gesetzliche Regelungen als auch auf Verordnungen beziehen, einheitlich durch Gesetz verwirklichen. Wenn eine bestehende Verordnung durch Gesetz geändert oder um neue Regelungen ergänzt wird, ist das dadurch entstandene [X.] aus Gründen der Normenklarheit insgesamt als Verordnung zu qualifizieren ([X.] 114, 196, 238). Hierzu bedarf es keiner ausdrücklichen Regelung im jeweiligen Gesetz. Die in einigen Gesetzen enthaltene so genannte [X.] hat nur klarstellende Bedeutung ([X.] 114, 196, 240).

b) Zu Recht ist das Beschwerdegericht zu dem Ergebnis gelangt, dass eine Befreiung von den Netzentgelten durch die Ermächtigungsgrundlage in § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 3 [X.] nicht gedeckt ist.

aa) Die genannten Vorschriften ermächtigen lediglich zu Regelungen zur näheren Ausgestaltung von Netzentgelten, nicht aber zur Befreiung bestimmter Nutzer von solchen Entgelten.

Nach § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 [X.] darf der Verordnungsgeber unter anderem Methoden zur Bestimmung der Entgelte für den Netzzugang festlegen. Nach § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 [X.] darf er ferner regeln, in welchen Sonderfällen der Netznutzung und unter welchen Voraussetzungen die Regulierungsbehörde im Einzelfall individuelle Entgelte für den Netzzugang genehmigen oder untersagen kann. Hieraus und aus den inhaltlichen Vorgaben, die das Gesetz für die Bildung von Netzentgelten enthält, ist zu entnehmen, dass der Verordnungsgeber Regelungen schaffen darf, um unzulässig hohe Netzentgelte zu vermeiden und um zu gewährleisten, dass die Entgelte den Vorgaben des § 21 Abs. 2 [X.] entsprechen und der in § 1 Abs. 1 [X.] vorgegebene Zweck erreicht wird.

Die damit eröffnete Regelungsbefugnis ist auf Vorschriften beschränkt, die die Ausgestaltung von Netzentgelten betreffen. Sie umfasst nicht die Befugnis zu Regelungen, die eine Befreiung bestimmter Nutzer von Netzentgelten vorsehen. Zwar hat der Gesetzgeber keine ausdrückliche Untergrenze für die Vorgabe von [X.] festgelegt. Entgegen der Auffassung der [X.] stellt es jedoch nicht nur einen quantitativen, sondern einen qualitativen Unterschied dar, wenn bestimmten Benutzern nicht nur ein ermäßigtes Entgelt auferlegt, sondern die Nutzung unentgeltlich gewährt wird. Die Regelung in § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 3 [X.] beruht auf der Prämisse, dass ein Netzbetreiber für die Nutzung seiner Netze durch Dritte eine Gegenleistung verlangen kann. Diese synallagmatische Beziehung bleibt auch dann erhalten, wenn einzelnen Nutzern ein ermäßigtes Entgelt einzuräumen ist. Sie wird aber aufgelöst, wenn der Netzbetreiber seine Leistung in nicht nur unbedeutendem Umfang unentgeltlich erbringen muss. Eine derart weitgehende Regelungsbefugnis ist § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 3 [X.] nicht zu entnehmen.

bb) § 19 Abs. 2 [X.] in der hier maßgeblichen Fassung sieht eine unentgeltliche Nutzung durch den in Satz 2 der Regelung definierten Nutzerkreis vor.

(1) Die mit einer intensiven Netznutzung bei hoher Bandlast einhergehende Stabilisierung des Netzes kann nicht als Gegenleistung angesehen werden, die eine Befreiung von der Zahlung eines Netzentgelts rechtfertigt.

Der vom Gesetzgeber als ausschlaggebend für die Entgeltbefreiung angesehene Umstand, dass eine intensive Netznutzung mit hoher Bandlast einen stabilisierenden Effekt auf das Netz ausübt, ist keine Gegenleistung, sondern eine bloße Folge der Netznutzung. Diese Folge mag für den Netzbetreiber in einzelnen Fällen aus technischen Gründen von so hohem Interesse sein, dass es aus wirtschaftlicher Sicht sinnvoll erscheint, ein geringeres Nutzungsentgelt zu verlangen. Die hier maßgebliche Fassung von § 19 Abs. 2 Satz 2 [X.] macht die Befreiung von den Netzentgelten jedoch nicht von solchen Voraussetzungen abhängig. Sie stellt allein auf den Umfang der Nutzung ab.

Die abstrakte Möglichkeit, dass eine solche Nutzung einen erwünschten und geldwerten Stabilisierungseffekt erzielen kann, kann aber, wie das Beschwerdegericht zutreffend ausgeführt hat, für sich gesehen nicht als Gegenleistung qualifiziert werden, die der Zahlung eines Entgelts gleichsteht. Ob und in welchem Umfang positive Effekte eintreten, hängt nicht nur vom Umfang der Nutzung ab, sondern auch vom Nutzungsprofil, insbesondere von dem Beitrag an der zeitgleichen [X.] (vgl. § 16 Abs. 1 Satz 3 [X.]). Vor diesem Hintergrund kann ein großer Nutzungsumfang allein auch bei typisierender Betrachtung nicht als Gegenleistung angesehen werden, die es nahelegen könnte, von der Erhebung eines Nutzungsentgelts vollständig abzusehen.

(2) Die in § 19 Abs. 2 Satz 6 [X.] vorgesehenen Erstattungsleistungen durch Übertragungsnetzbetreiber stellen ebenfalls kein Entgelt im Sinne von § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 3 [X.] dar.

Als Entgelt im Sinne dieser Vorschrift kann nach allgemeinen Grundsätzen nur eine Leistung angesehen werden, die der Netznutzer erbringt oder die jedenfalls auf Veranlassung des Netznutzers als Gegenleistung für die Inanspruchnahme des Netzes erbracht wird. Die in § 19 Abs. 2 Satz 6 [X.] vorgesehene Erstattungsleistung erfüllt diese Voraussetzungen nicht. Die Betreiber von Übertragungsnetzen nehmen die Leistung, um deren Vergütung es geht, nicht in Anspruch und sie erbringen die Erstattungsleistung nicht auf Veranlassung des Nutzers. Die Erstattung dient vielmehr dem Ausgleich dafür, dass der Netzbetreiber seine Leistungen gegenüber bestimmten Netznutzern unentgeltlich erbringen muss, und zwar dergestalt, dass das entgangene Entgelt im wirtschaftlichen Ergebnis von [X.] zu tragen ist.

Der Umstand, dass die Erstattungsleistung auch auf Verbraucher umgelegt wird, die nach § 19 Abs. 2 Satz 2 [X.] von den Netzentgelten befreit sind, führt entgegen der Auffassung der [X.] nicht zu einer abweichenden Beurteilung. Dieser Mechanismus hat zwar zur Folge, dass der vom Netzentgelt befreite Verbraucher in gewissem Umfang Zahlungen erbringen muss, die mit der Nutzung des Netzes durch ihn in Verbindung stehen. Daraus folgt aber nicht, dass die Umlage als Gegenleistung für die Netznutzung anzusehen ist. Sie stellt vielmehr eine zusätzliche Abgabe dar, die zwar an den Tatbestand der Netznutzung anknüpft, aber der Kompensation von [X.] dient, die der Gesamtheit der Netzbetreiber aufgrund der Genehmigung von individuellen Netzentgelten entstanden sind. Eine Ermächtigung zur Erhebung einer solchen Abgabe ist in § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 3 [X.] nicht vorgesehen.

2. Angesichts dessen ist das Beschwerdegericht zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, dass die angefochtene Genehmigung einer ausreichenden Ermächtigungsgrundlage entbehrt.

III. [X.] beruht auf § 90 Satz 2 [X.]. Ebenso wie im Beschwerdeverfahren liegen keine Gründe vor, eine Erstattung von außergerichtlichen Auslagen der Antragstellerin anzuordnen.

IV. Die Festsetzung des [X.] beruht auf § 50 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 GKG und § 3 ZPO. Sie entspricht der Festsetzung des [X.] durch das Beschwerdegericht.

Zu Recht hat sich das Beschwerdegericht bei der Festsetzung des Werts an der Höhe der Entgelte orientiert, die die Betroffene für Stromlieferungen an die betroffene Abnahmestelle in Rechnung stellen kann, wenn die angefochtene Genehmigung aufgehoben wird. Dass die Betroffene bei Fortbestand der Genehmigung die Möglichkeit hätte, auf anderem Wege Kompensation für die entgangenen Entgelte zu erlangen, führt entgegen der Auffassung der [X.] nicht zur Annahme eines geringeren Werts. Mittelbare wirtschaftliche Folgen einer angefochtenen Entscheidung sind bei der Festsetzung des [X.] grundsätzlich nicht zu berücksichtigen ([X.], Beschluss vom 21. Dezember 1989 - [X.], NJW-RR 1990, 958; Beschluss vom 7. Dezember 2000 - [X.], [X.], 292, 293).

Limperg                     Strohn                        Grüneberg

                 Bacher                     Deichfuß

Meta

EnVR 32/13

06.10.2015

Bundesgerichtshof Kartellsenat

Beschluss

Sachgebiet: False

vorgehend OLG Düsseldorf, 8. Mai 2013, Az: VI-3 Kart 178/12 (V), Beschluss

§ 19 Abs 2 S 2 StromNEV vom 26.07.2011, Art 7 EnWRNRG, § 24 Abs 1 S 1 Nr 1 EnWG, § 24 Abs 1 S 1 Nr 3 EnWG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 06.10.2015, Az. EnVR 32/13 (REWIS RS 2015, 4380)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 4380

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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