Bundesgerichtshof, Beschluss vom 16.03.2011, Az. 5 StR 585/10

5. Strafsenat | REWIS RS 2011, 8555

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Gegenstand

Strafzumessung: Strafmildernde Bedeutung einer überlangen Verfahrensdauer und Kompensation im Wege der Vollstreckungslösung


Tenor

Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 31. August 2010 gemäß § 349 Abs. 4 StPO jeweils im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben.

Die weitergehenden Revisionen werden nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen, beim Angeklagten [X.] mit der Klarstellung, dass er wegen Beihilfe zum Betrug verurteilt ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu erneuter Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Jugendkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat die Angeklagten [X.] und S. wegen Betruges in elf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten bzw. zwei Jahren verurteilt. Die Vollstreckung letzterer wurde zur Bewährung ausgesetzt. Den Angeklagten [X.] hat es wegen „Beihilfe zum Betrug in elf Fällen“ zu der Freiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt, deren Vollstreckung ebenfalls zur Bewährung ausgesetzt wurde.

2

Die Angeklagten wenden sich gegen die Verurteilung und machen die Verletzung sachlichen Rechts geltend. Die Angeklagten [X.] daneben auch die Verletzung formellen Rechts, wobei sie insbesondere eine rechtsstaatswidrige Verfahrenverzögerung bemängeln. Die Revisionen erzielen den aus der [X.] ersichtlichen Teilerfolg.

3

1. Die Angriffe auf den Schuldspruch sind unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Zutreffend hat die [X.] die fortlaufende Förderung der Taten durch den Angeklagten [X.] als nur eine Beihilfehandlung angesehen; dies veranlasst eine Klarstellung des Tenors. Dagegen kann der gesamte Rechtsfolgenausspruch aus sachlichrechtlichen Gründen nicht bestehen bleiben.

4

2. Die Strafzumessungsgründe gehen nur unzureichend darauf ein, dass zwischen der letzten Provisionsauszahlung und der Aburteilung der Taten beträchtliche [X.] verstrichen ist. Zwar hat die [X.] im Rahmen der Strafzumessung bei allen Angeklagten „das lange Zurückliegen der Taten“ berücksichtigt; daneben hätte das Tatgericht hier jedoch weitergehend strafmildernd zu bedenken gehabt, dass bereits einer überdurchschnittlich langen Verfahrensdauer eine eigenständige strafmildernde Bedeutung zukommt, wenn sie für den Angeklagten mit besonderen Belastungen verbunden ist ([X.], Beschlüsse vom 16. Juni 2009 – 3 [X.], [X.]R StGB § 46 Abs. 2 Verfahrensverzögerung 20; vom 17. Januar 2008 – [X.], [X.]St 52, 124, 142). Das Schweigen der Urteilsgründe hierzu legt nahe, dass das Tatgericht den hier bestimmenden [X.] im Sinne des § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO in seiner Bedeutung verkannt hat.

5

Parallel dazu hat es das Tatgericht auch unterlassen zu prüfen, ob das in Art. 6 Abs. 1 Satz 1 [X.] garantierte Recht der Angeklagten auf gerichtliche Entscheidung in angemessener [X.] verletzt ist. Vor dem Hintergrund der im Urteil mitgeteilten Eckdaten zum Verfahrensablauf und der im Revisionsverfahren von Amts wegen zu prüfenden Verfahrensvoraussetzungen ist dieser Mangel hier bereits auf Sachrüge beachtlich ([X.], Beschluss vom 11. November 2004 – 5 [X.], [X.]St 49, 342). Die markanten Anzeichen für eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung und damit einhergehend für eine beträchtliche Belastung der Angeklagten infolge der überlangen Verfahrensdauer ergeben sich hier – unter anderem – namentlich vor dem Hintergrund des mit der Anklage zu prüfenden keineswegs ungewöhnlich großen Gesamtschadens und der nahezu fehlenden Vorbelastungen der Angeklagten aus dem hiernach offensichtlich verfehlten, an Willkür grenzenden Verweisungsbeschluss des [X.] nach § 270 StPO, durch den sich jedenfalls die beiden erwachsenen Angeklagten einer sachlichrechtlich ersichtlich unberechtigten hohen Straferwartung und drohendem lange währenden Strafvollzug ausgesetzt sahen.

6

Bei dem Angeklagten [X.] hat es das [X.] zudem durch rechtsfehlerhafte Verwertung nach [X.] tilgungsreifer Vorverurteilungen versäumt, diesem Angeklagten den gewichtigen Strafmilderungsgrund gänzlicher Unbestraftheit zugute zu bringen.

7

3. Der Aufhebung von Feststellungen bedarf es nicht. Das neue Tatgericht wird zu Ausmaß und Folgen der Verfahrensverzögerung für jeden der Angeklagten ergänzende Feststellungen zu treffen und eine neue Strafzumessung, darüber hinaus nahe liegend einen bezifferten Abschlag auf die neu verhängte Strafe wegen Verletzung des Art. 6 Abs. 1 [X.] vorzunehmen haben (vgl. [X.], Beschluss vom 17. Januar 2008 – [X.], [X.]St 52, 124).

Basdorf                                      Raum                                     Brause

                     Schneider                                    Bellay

Meta

5 StR 585/10

16.03.2011

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Zwickau, 31. August 2010, Az: 5 KLs 540 Js 12504/07, Urteil

Art 6 Abs 1 MRK, § 46 StGB, § 267 Abs 3 S 1 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 16.03.2011, Az. 5 StR 585/10 (REWIS RS 2011, 8555)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 8555

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung: Kompensation nach der Vollstreckungslösung; Verzögerung während eines einzelnen Verfahrensabschnitts


Referenzen
Wird zitiert von

1 StR 45/17

1 StR 45/17

2 StR 128/15

2 StR 128/15

5 StR 247/11

5 StR 585/10

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