Bundesfinanzhof, Urteil vom 13.03.2018, Az. IX R 38/16

9. Senat | REWIS RS 2018, 12470

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Gegenstand

(Zeitpunkt der Entstehung eines Auflösungsverlusts nach § 17 Abs. 4 EStG bei Ablehnung der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens mangels Masse)


Leitsatz

NV: Wird die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens mangels Masse abgelehnt, entsteht ein Auflösungsverlust nach § 17 Abs. 4 EStG nicht zu dem Zeitpunkt des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens .

Tenor

Die Revision der Kläger gegen das Urteil des [X.] vom 28. September 2016 3 K 742/15 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens haben die Kläger zu tragen.

Tatbestand

I.

1

Streitig ist, ob ein [X.] nach § 17 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) im Veranlagungszeitraum 2011 entstanden ist, der im Wege des Verlustrücktrags im Streitjahr 2010 vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen werden soll.

2

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Ehegatten, die im Streitjahr zur Einkommensteuer [X.] werden. Der Kläger hielt im [X.]  78,125 % des Grundkapitals der [X.] und war zugleich als Vorstand für die [X.] tätig.

3

Am 30. Dezember 2011 stellte der Vorstand wegen Zahlungsunfähigkeit den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der [X.]. Mit Beschluss vom ... März 2012 lehnte das Amtsgericht den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse ab. Mit Beschluss vom ... September 2012 wurde die [X.] wegen Vermögenslosigkeit nach § 394 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (Fam[X.]) im Handelsregister gelöscht.

4

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --[X.]--) veranlagte die Kläger unter Berücksichtigung von gewerblichen Einkünften aus Veräußerungsgewinnen in Höhe von 1.354.929 € mit Einkommensteuerbescheid vom 16. April 2012 für das Streitjahr. Die Kläger legten hiergegen Einspruch ein und verwiesen auf ihre am 8. Mai 2012 beim [X.] eingegangene Einkommensteuererklärung für 2011, in der sie aufgrund der Insolvenz der [X.] einen [X.] nach § 17 Abs. 4 EStG in Höhe von 1.407.871 € geltend machten. Die Kläger beantragten, die wegen des [X.]s im [X.] nicht ausgeglichenen negativen Einkünfte in das Streitjahr 2010 zurückzutragen.

5

Mit Datum 18. März 2013 wurde der Einkommensteuerbescheid für 2010 aus nicht streitgegenständlichen Gründen geändert.

6

In dem Einkommensteuerbescheid für 2011 vom 17. Mai 2013 berücksichtigte das [X.] den geltend gemachten [X.] nicht. Dieser sei erst nach Ablehnung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Jahr 2012 zu erfassen. Das [X.] setzte die Einkommensteuer für 2011 in Höhe von 0 € fest.

7

Die Kläger legten hiergegen Einspruch ein. Sie trugen zur Begründung vor, im Zeitpunkt des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 30. Dezember 2011 habe die Vermögenslosigkeit der Gesellschaft festgestanden. Daher wäre nicht mehr mit einer Auskehrung von Vermögen zu rechnen gewesen.

8

Mit der Einspruchsentscheidung vom 8. Oktober 2015 wurden die Einsprüche als unbegründet zurückgewiesen.

9

Die Klage, mit der der Verlustrücktrag in das Streitjahr begehrt wurde, wies das Finanzgericht ([X.]) mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (E[X.]) 2017, 33 veröffentlichten Urteil als unbegründet ab. Das [X.] habe zutreffend den Ansatz des [X.]s im [X.] verneint und den Verlustrücktrag in das Streitjahr 2010 abgelehnt. Die Auflösung der [X.] sei erst im Jahr 2012 gemäß § 262 Abs. 1 des Aktiengesetzes (AktG) eingetreten.

Mit ihrer Revision rügen die Kläger die Verletzung materiellen Rechts (§ 10d Abs. 1 Satz 1 EStG i.V.m. § 17 Abs. 4 EStG). Zur Begründung führen sie im Wesentlichen aus, es müsse für den Zeitpunkt der Verlustentstehung im hier vorliegenden Fall der Ablehnung der Durchführung eines Insolvenzverfahrens spätestens auf die Stellung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens abgestellt werden, weil zu diesem Zeitpunkt festgestanden habe, dass die Gesellschaft vermögenslos gewesen sei. Die Möglichkeit einer Zuteilung oder Zurückzahlung von [X.] an die Gesellschafter sei bereits am 30. Dezember 2011 ausgeschlossen gewesen. Weder das Bankguthaben in Höhe von 2.162,04 € und der [X.] in Höhe von 9,15 € noch die bloße Existenz von Patentanmeldungen, deren Werthaltigkeit im Zeitpunkt der Antragstellung zu verneinen sei, könnten hieran etwas ändern.

Die Kläger beantragen,
das angefochtene Urteil aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid für 2010 vom 18. März 2013 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 8. Oktober 2015 mit der Maßgabe zu ändern, dass vom Gesamtbetrag der Einkünfte ein im [X.] entstandener [X.] in Höhe von 1.407.871 € als Verlustrücktrag in der für [X.]e Ehegatten gesetzlich maximal zulässigen Höhe von 1.023.000 € abgezogen wird.

Das [X.] beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist unbegründet und deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). Das [X.] hat zutreffend auf der Grundlage seiner Feststellungen entschieden, dass der in Rede stehende [X.] von § 17 Abs. 4 EStG im Veranlagungszeitraum 2011 noch nicht entstanden und daher ein Verlustrücktrag in das Streitjahr zu versagen war.

1. Negative Einkünfte, die bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte nicht ausgeglichen werden, sind bei Ehegatten, die nach den §§ 26, 26b EStG [X.] werden, bis zu einem Betrag von 1.023.000 € vom Gesamtbetrag der Einkünfte des unmittelbar vorangegangenen Veranlagungszeitraums vorrangig vor Sonderausgaben, außergewöhnlichen Belastungen und sonstigen Abzugsbeträgen abzuziehen (Verlustrücktrag; § 10d Abs. 1 Satz 1 EStG). Zu den rücktragsfähigen negativen Einkünften zählt auch ein Verlust, den ein i.S. des § 17 EStG beteiligter Gesellschafter anlässlich der Auflösung der Kapitalgesellschaft erleidet (ständige Rechtsprechung, Urteil des [X.] --[X.]-- vom 12. Dezember 2000 VIII R 22/92, [X.], 108, [X.] 2001, 385, m.w.N.). Ist für den unmittelbar vorangegangenen Veranlagungszeitraum bereits ein Steuerbescheid erlassen worden, so ist er insoweit zu ändern, als der Verlustrücktrag zu gewähren oder zu berichtigen ist (§ 10d Abs. 1 Satz 3 EStG).

2. Zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb gehört der Gewinn oder Verlust aus der Auflösung einer Kapitalgesellschaft, wenn der Gesellschafter innerhalb der letzten fünf Jahre am Kapital der Gesellschaft zu mindestens 1 % beteiligt war (§ 17 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 17 Abs. 4 Satz 1 EStG).

a) Im Streitfall war der Kläger zu 78,125 % an der [X.] beteiligt. Die [X.] war mit der Rechtskraft des Beschlusses vom ... März 2012, durch den die Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse abgelehnt wurde, aufgelöst (§ 262 Abs. 1 Nr. 4 AktG).

b) Die Ermittlung des Gewinns oder Verlusts aus der Auflösung einer Kapitalgesellschaft erfordert eine Stichtagsbewertung, die auf den Zeitpunkt der Entstehung des Gewinns oder Verlusts vorzunehmen ist (ständige Rechtsprechung, z.B. [X.]-Urteile vom 21. September 1982 VIII R 140/79, [X.], 407, [X.] 1983, 289; vom 13. Oktober 2015 IX R 41/14, [X.], 385). Maßgebend ist der Zeitpunkt, zu dem bei einer Gewinnermittlung durch Betriebsvermögensvergleich gemäß § 4 Abs. 1, § 5 EStG nach den handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung der Gewinn oder Verlust realisiert worden ist (z.B. [X.]-Urteile vom 30. Juni 1983 IV R 113/81, [X.], 569, [X.] 1983, 640; vom 2. Oktober 1984 VIII R 20/84, [X.], 304, [X.] 1985, 428). Ein Verlust ist in dem Jahr zu erfassen, in dem mit einer wesentlichen Änderung des bereits feststehenden Verlusts nicht mehr zu rechnen ist (z.B. [X.]-Urteile vom 1. Juli 2014 IX R 47/13, [X.], 188, [X.] 2014, 786; in [X.], 385).

c) Ein [X.] steht fest, wenn der gemeine Wert des dem Steuerpflichtigen zugeteilten oder zurückgezahlten Vermögens einerseits (§ 17 Abs. 4 Satz 2 EStG) und die [X.] und Anschaffungskosten des Gesellschafters andererseits (§ 17 Abs. 2 Satz 1 EStG) feststehen. Gleiches gilt, wenn sicher ist, dass eine Zuteilung oder Zurückzahlung von Gesellschaftsvermögen an die Gesellschafter ausscheidet und wenn die durch die Beteiligung veranlassten Aufwendungen feststehen (z.B. [X.]-Urteile in [X.], 188, [X.] 2014, 786; in [X.], 385). Die Frage ist ex ante zu beurteilen; nachträgliche Ereignisse wie der tatsächliche Ausgang eines Insolvenzverfahrens sind nicht zu berücksichtigen (z.B. [X.]-Urteile vom 2. Dezember 2014 IX R 9/14, [X.]/NV 2015, 666; vom 10. Mai 2016 IX R 16/15, [X.], 1681).

d) Im Fall der Liquidation der Gesellschaft schließt der [X.] eine Zuteilung oder Zurückzahlung von Gesellschaftsvermögen an die Gesellschafter regelmäßig erst dann aus, wenn die Liquidation abgeschlossen ist (ständige Rechtsprechung, z.B. [X.]-Urteile in [X.], 385; in [X.], 1681; [X.]-Beschlüsse vom 20. Januar 2009 IX B 179/08, [X.]/NV 2009, 756; vom 10. Februar 2009 IX B 196/08, [X.]/NV 2009, 761; vom 3. Dezember 2014 IX B 90/14, [X.]/NV 2015, 493).

e) Nur ausnahmsweise kann auf einen früheren Zeitpunkt abgestellt werden, etwa wenn die Eröffnung des Konkurs- oder Insolvenzverfahrens mangels Masse abgelehnt worden ist ([X.]-Urteil in [X.], 108, [X.] 2001, 385; [X.]-Beschlüsse vom 27. November 1995 VIII B 16/95, [X.]/NV 1996, 406; vom 4. Oktober 2007 VIII S 3/07 (PKH), [X.]/NV 2008, 209) oder wenn aus anderen Gründen feststeht, dass die Gesellschaft bereits im Zeitpunkt eines Auflösungsbeschlusses [X.] war ([X.]-Urteil vom 4. November 1997 VIII R 18/94, [X.]E 184, 374, [X.] 1999, 344). In diesen Fällen kann die Möglichkeit einer Zuteilung oder Zurückzahlung von [X.] an die Gesellschafter ausgeschlossen werden.

3. Nach diesen Grundsätzen hat das [X.] zu Recht angenommen, dass der von den Klägern geltend gemachte Verlust aus der Auflösung der [X.] nicht im Jahr 2011 entstanden ist.

Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse wurde erst am ... März 2012 abgelehnt. Anders als die Kläger meinen, ist der [X.] nicht bereits im Jahr 2011 entstanden. In diesem Jahr fehlte es schon an der zivilrechtlichen Auflösung der [X.]. Soweit sich der Kläger auf die am ... September 2012 erfolgte Löschung der [X.] im Handelsregister nach § 262 Abs. 1 Nr. 6 AktG, § 394 Fam[X.] wegen Vermögenslosigkeit beruft, begründet dies nicht die Entstehung des [X.]s im Jahr 2011. Denn daraus ergibt sich nicht die tatbestandsmäßige Feststellung, dass die [X.] bereits bei Stellung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der [X.] am 30. Dezember 2011 [X.] war. Vermögenslosigkeit in diesem Sinne ist gegeben, wenn nach ordentlicher kaufmännischer Betrachtungsweise kein Vermögen mehr vorhanden ist, das als Aktivposten in die Bilanz aufgenommen werden kann und zur Befriedigung der Gläubiger oder zur Verteilung an die Gesellschafter zur Verfügung steht. Dies ist im Streitfall vom [X.] für das Jahr 2011 zu Recht verneint worden. Nach den nicht mit zulässigen und begründeten Verfahrensrügen angegriffenen und damit gemäß § 118 Abs. 2 [X.]O bindenden Feststellungen der Vorinstanz hatte die [X.] verschiedene Patente angemeldet, die durch [X.] erst im [X.] wertlos wurden; darüber hinaus bestand ein Bankguthaben in Höhe von 2.162,04 € und ein Barbestand in Höhe von 9,15 €.

Anders als die Kläger meinen, stand nach den Feststellungen des [X.] im Zeitpunkt der Antragstellung aus der maßgebenden Sicht ex ante weder fest, dass eine Zuteilung oder Zurückzahlung von Gesellschaftsvermögen an die Gesellschafter ausscheidet noch, dass keine sonstigen im Rahmen des § 17 Abs. 2 EStG berücksichtigungsfähige Kosten mehr entstehen würden. Es kommt daher auf der Grundlage der Feststellungen des [X.] im Streitfall auch nicht darauf an, ob die Löschung der [X.] im Handelsregister nach § 394 Fam[X.] konstitutiv oder deklaratorisch war.

4. [X.] beruht auf § 135 Abs. 2 [X.]O.

Meta

IX R 38/16

13.03.2018

Bundesfinanzhof 9. Senat

Urteil

vorgehend Thüringer Finanzgericht, 28. September 2016, Az: 3 K 742/15, Urteil

§ 4 Abs 1 EStG 2009, § 5 Abs 1 EStG 2009, § 10d Abs 1 EStG 2009, § 17 EStG 2009, § 262 Abs 1 Nr 4 AktG, § 262 Abs 1 Nr 6 AktG, § 394 FamFG, EStG VZ 2010

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 13.03.2018, Az. IX R 38/16 (REWIS RS 2018, 12470)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 12470

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