Bundesfinanzhof, Urteil vom 05.04.2022, Az. IX R 27/18

9. Senat | REWIS RS 2022, 3793

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Gegenstand

Wirksamkeit von Steuerbescheiden, die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens ergehen


Leitsatz

1. Steuerbescheide, mit denen eine positive Steuer festgesetzt wird, können ausnahmsweise auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens wirksam ergehen, wenn sich unter Berücksichtigung von Anrechnungsbeträgen insgesamt ein Erstattungsbetrag ergibt und auch keine Besteuerungsgrundlagen festgestellt werden, die die Höhe von Steuerforderungen beeinflussen, welche zur Tabelle anzumelden sind.

2. Wird die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens mangels Masse abgelehnt, entsteht ein Auflösungsverlust nach § 17 Abs. 4 EStG nicht bereits zu dem Zeitpunkt des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens (Bestätigung des Senatsurteils vom 13.03.2018 - IX R 38/16, BFH/NV 2018, 721).

Tenor

Die Revision des [X.] gegen das Urteil des [X.] vom 04.10.2018 - 11 K 1921/16 E wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Kläger zu tragen.

Tatbestand

I.

1

Streitig ist u.a. die [X.]irksamkeit eines nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens gegenüber dem Insolvenzverwalter bekannt gegebenen Einkommensteuerbescheids.

2

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Insolvenzverwalter über das Vermögen des [X.] ([X.]). [X.] war im Streitjahr 2014 Alleingesellschafter und Geschäftsführer der [X.] ([X.]), die wiederum Alleingesellschafterin der [X.] ([X.]) war. Die Beteiligung an der [X.] hatte die [X.] zum einen über Gesellschafterdarlehen von [X.], die dieser seinerseits über persönlich aufgenommene Darlehen bei der [X.] refinanziert hatte, sowie zum anderen durch die Einlage der still beteiligten [X.] finanziert; für die Rückzahlung der Einlage hatten [X.] und die [X.] gemeinsam eine Garantieverpflichtung übernommen.

3

Im Dezember 2014 meldete die [X.] Insolvenz an; das Insolvenzverfahren wurde im Februar 2015 eröffnet. Die im Dezember 2014 beantragte Eröffnung des Insolvenzverfahrens für die [X.] wurde durch Beschluss im Februar 2015 mangels Masse abgelehnt.

4

Die [X.] nahm [X.] mit Schreiben vom 29.12.2014 für die [X.] in Höhe von 1.148.485 € in Anspruch. Über das Vermögen des [X.] wurde sodann aufgrund seines Antrags von Januar 2015 im April 2015 das Insolvenzverfahren eröffnet und der Kläger als Insolvenzverwalter bestellt. Schließlich nahm die [X.] mit Schreiben vom 05.05.2015 [X.] aufgrund der Garantieerklärung in Höhe von 274.239,58 € in Anspruch.

5

Im August 2015 reichte der Kläger eine von ihm selbst sowie von [X.] und dessen Ehefrau unterschriebene Einkommensteuererklärung für das Streitjahr beim Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt --[X.]--) ein. Das [X.] setzte die Einkommensteuer für 2014 mit [X.] vom 23.12.2015 erklärungsgemäß in Höhe von 28.942 € fest. Unter Berücksichtigung einbehaltener Lohnsteuer sowie Kapitalertragsteuer ergab sich ein Erstattungsbetrag in Höhe von 2.454 €. Das [X.] gab den [X.] u.a. dem Kläger bekannt. Der vom Kläger eingelegte Einspruch blieb erfolglos. Die anschließende Klage wies das Finanzgericht ([X.]) mit dem in Entscheidungen der Finanzgerichte (E[X.]) 2018, 2055 veröffentlichten Urteil als unbegründet ab.

6

Hiergegen wendet sich der Kläger mit der Revision. Nach seiner Auffassung dürfe das [X.] nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens grundsätzlich keine [X.]e mehr erlassen. Gleichwohl erlassene [X.]e seien nichtig. Dies gelte für sämtliche Steuerfestsetzungen, ungeachtet der Frage, ob sich nach Anrechnung von [X.] und Vorauszahlungen eine Zahllast ergebe oder nicht. Zudem sei der Verlust aus der Beteiligung an der [X.] bereits im Streitjahr 2014 zu berücksichtigen. Die Gesellschaft sei mit Beschluss von Dezember 2014 aufgelöst worden; zu diesem Zeitpunkt sei sie bereits vermögenslos gewesen.

7

Der Kläger beantragt,
das [X.]-Urteil, den Einkommensteuerbescheid vom 23.12.2015 und die Einspruchsentscheidung vom 30.05.2016 aufzuheben,
hilfsweise, das [X.]-Urteil aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid vom 23.12.2015 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 30.05.2016 dahingehend abzuändern, dass die Einkommensteuer auf 0 € festgesetzt wird.

8

Das [X.] beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

9

Das [X.] hält den Einkommensteuerbescheid für wirksam. Auf der Grundlage formloser Mitteilungen könnten keine Steuererstattungen vorgenommen werden. Der Berücksichtigung eines Auflösungsverlusts nach § 17 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) stehe entgegen, dass das angefochtene Urteil keine Feststellungen zu dem vom Kläger behaupteten Auflösungsbeschluss von Dezember 2014 enthalte; unabhängig davon hätten weder die Höhe des zugeteilten bzw. zurückgezahlten Vermögens auf [X.] der [X.] noch die Höhe der nachträglichen Anschaffungskosten des Gesellschafters im Streitjahr festgestanden. Im Übrigen könne aufgrund der zwischenzeitlich erteilten Restschuldbefreiung kein Verlust nach § 17 EStG berücksichtigt werden, da [X.] für die Verbindlichkeiten nicht mehr einzustehen habe; dies sei nach Maßgabe des auch im Rahmen der Gewinnermittlung nach § 17 EStG Geltung beanspruchenden Urteils des [X.] ([X.]) vom 13.12.2016 - X R 4/15 ([X.]E 256, 392, [X.], 786) rückwirkend zum [X.] zu berücksichtigen.

Das [X.] ([X.]) ist dem Rechtsstreit beigetreten. Es entspreche der Auffassung der Finanzverwaltung, dass ein Steuerbescheid auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens ohne Antrag des Insolvenzverwalters erlassen werden könne, wenn sich --auch bei positiver Steuerfestsetzung nach Berücksichtigung geleisteter (Voraus-)Zahlungen und/oder von anzurechnenden [X.]-- ein Erstattungsbetrag ergebe und der [X.] nicht abstrakt geeignet sei, sich auf anzumeldende Steuerforderungen auszuwirken. Eine derartige abstrakte Eignung ergebe sich nicht bereits aus dem Umstand, dass durch eine (denkbare) spätere Änderung --etwa im Fall einer rechtswidrig überhöhten Steueranrechnung-- eine anzumeldende Insolvenzforderung entstehen könne. Denn auch diese Änderung unterliege den insolvenzrechtlichen Einschränkungen mit der Folge, dass die Insolvenzforderung im [X.]ege der Anmeldung zur Tabelle geltend zu machen sei.

Das [X.] hat keinen Antrag gestellt.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist hinsichtlich des Haupt- und [X.] unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). Der Kläger war zur Erhebung der Klage befugt (dazu unter 1.). Das [X.] hat zutreffend entschieden, dass das [X.] den angefochtenen Einkommensteuerbescheid erlassen durfte (dazu unter 2.). Der Bescheid ist auch materiell rechtmäßig (dazu unter 3.).

1. Der Kläger war als Insolvenzverwalter über das Vermögen des W zur Erhebung der Klage befugt (§ 40 Abs. 2 [X.]O). Die Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters (§ 80 Abs. 1 der Insolvenzordnung --[X.]--) umfasst auch die Wahrnehmung der Interessen der Insolvenzmasse gegenüber dem [X.] (vgl. [X.]-Urteil vom 10.12.2008 - I R 41/07, [X.], 719, m.w.N.).

2. Das [X.] hat zu Recht entschieden, dass der Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr nicht nichtig ist. Das [X.] war nicht aufgrund von § 251 Abs. 2 der Abgabenordnung ([X.]) i.V.m. § 87 [X.] gehindert, den Einkommensteuerbescheid zu erlassen. Der Hauptantrag ist daher unbegründet.

a) Nach § 125 Abs. 1 [X.] ist ein Verwaltungsakt nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig ist. Gemäß § 87 [X.], der über die Verweisung in § 251 Abs. 2 Satz 1 [X.] auch für das Besteuerungsverfahren (d.h. das gesamte Festsetzungs- und Erhebungsverfahren, s. [X.]-Urteil vom 17.12.1998 - VII R 47/98, [X.], 149, [X.] 1999, 423, zur Konkursordnung) zu beachten ist, können die Insolvenzgläubiger ihre Forderungen nur nach den Vorschriften über das Insolvenzverfahren verfolgen. Daraus hat der [X.] in ständiger Rechtsprechung abgeleitet, dass Steuerbescheide nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht mehr ergehen dürfen, wenn darin [X.]en festgesetzt werden (vgl. [X.]-Urteile vom 24.08.2004 - VIII R 14/02, [X.]E 207, 10, [X.] 2005, 246, zur Rechtslage nach der Konkursordnung; vom 10.12.2008 - I R 41/07, [X.], 719; vom 13.05.2009  - XI R 63/07, [X.]E 225, 278, [X.] 2010, 11). Ebenso dürfen nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens keine Bescheide mehr erlassen werden, in denen Besteuerungsgrundlagen festgestellt werden, die die Höhe der zur Tabelle anzumeldenden Steuerforderungen beeinflussen könnten (vgl. [X.]-Urteile vom 02.07.1997 - I R 11/97, [X.]E 183, 365, [X.] 1998, 428, und in [X.]E 225, 278, [X.] 2010, 11).

b) Vielmehr ist der Steuergläubiger gehalten, Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis nach Maßgabe des Insolvenzrechts zur Tabelle anzumelden (§§ 38, 174 Abs. 1 Satz 1 [X.]; § 251 Abs. 3 [X.]), um an der gemeinschaftlichen Befriedigung im Insolvenzverfahren teilzunehmen. Ein förmlicher Steuerbescheid über einen Steueranspruch, der eine [X.] betrifft, ist unwirksam (vgl. [X.]-Urteil in [X.], 719, m.w.N.). Dabei kommt es nicht darauf an, ob sich der Steuerbescheid tatsächlich auf anzumeldende Steuerforderungen auswirkt. Entscheidend ist, ob er abstrakt geeignet ist, sich auf möglicherweise als [X.]en anzumeldende [X.] auszuwirken (vgl. [X.]-Urteil vom 18.12.2002 - I R 33/01, [X.]E 201, 392, [X.] 2003, 630).

c) Eine solche abstrakte Eignung fehlt grundsätzlich Steuerbescheiden, mit denen die Steuer auf 0 € festgesetzt wird (vgl. [X.]-Urteil in [X.], 719; die Neufassung von § 10d Abs. 4 Sätze 4 und 5 EStG erfolgte erst durch das Jahressteuergesetz 2010 vom [X.], [X.], 1768). Mangels Steuerschuld fehlt es an einem Vermögensanspruch gegen die Insolvenzmasse, der zur Tabelle anzumelden wäre ([X.]-Urteil in [X.], 719, unter [X.]). Zudem ist eine Steuerfestsetzung auf 0 € nicht zugleich mit der Feststellung des Ausschlusses eines Erstattungsanspruchs verbunden; denn ein Erstattungsanspruch kann sich allein auf der Grundlage eines Abrechnungsverfahrens ergeben ([X.]-Urteil in [X.], 719, unter [X.] bb).

d) Ebenso ausgenommen sind Umsatzsteuerbescheide, mit denen eine negative Steuer festgesetzt wird und aus denen sich keine Zahllast ergibt ([X.]-Urteile in [X.]E 225, 278, [X.] 2010, 11; vom 11.12.2013 - XI R 22/11, [X.]E 244, 209, [X.] 2014, 332, Rz 21). Denn damit hat das [X.] keine [X.], die nach § 87 [X.] nur nach den Vorschriften über das Insolvenzverfahren verfolgt werden kann, sondern einen Erstattungsbetrag festgesetzt, der nicht zur Tabelle anzumelden war. Wenn auch nach Abrechnung keine Zahllast besteht, kann sich aus dem Bescheid unter keinen Umständen eine zur Tabelle anzumeldende Forderung ergeben ([X.]-Urteil in [X.]E 225, 278, [X.] 2010, 11).

e) Umstritten ist dies hingegen für Steuerbescheide, sofern eine positive Steuer festgesetzt wird und sich --wie im [X.] eine Steuererstattung nur unter Berücksichtigung von [X.] ergibt.

aa) Überwiegend wird vertreten, dass Steuerbescheide auch dann wirksam sind, wenn die Steuerfestsetzung unter Berücksichtigung von [X.] zu einem Erstattungs- oder Vergütungsanspruch führt (z.B. [X.]/[X.], Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht --EWiR-- 2019, 151; Dickhöfer, E[X.] 2018, 2057; [X.], Abgabenordnung, 4. Aufl., § 251 Rz 42; [X.] in [X.]/[X.]/[X.] --[X.]--, § 251 [X.] Rz 171: "[X.]"; [X.] in Gosch, [X.] § 251 Rz 50 f.; [X.], Neue Zeitschrift für Insolvenz- und Sanierungsrecht --NZI-- 2019, 184). Derartige "[X.]" seien vor dem Hintergrund der Schutzbedürfnisse im Insolvenzverfahren nicht geeignet, die Gläubigerinteressen zu beinträchtigen. Dies entspricht auch der Auffassung der Finanzverwaltung (s. Abschn. 60 Abs. 2 Satz 3 der [X.]; [X.] zur Abgabenordnung zu § 251 Nr. 4.3.1 Abs. 3).

bb) Demgegenüber sollen nach anderer Ansicht auch "[X.]" unwirksam sein ([X.]-Urteil in [X.], 719, in einem obiter dictum mit Verweis auf [X.], [X.] Steuer-Zeitung [X.] 1999, 559 f.; [X.]/Rüsken, [X.], 15. Aufl., § 155 Rz 20f; [X.], [X.], 3. Aufl., Rz 3.187). Andernfalls könne bei einem späteren Streit über die Höhe der Anrechnung eine durch diesen --ggf. zwischenzeitlich bestandskräftigen-- Steuerbescheid titulierte [X.] entstehen ([X.], [X.], 559 f.).

f) Die Vorinstanz hat unter den besonderen Umständen des Streitfalls zu Recht erkannt, dass Steuerbescheide, die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens ergehen, wirksam sind, wenn sich unter Berücksichtigung von [X.] insgesamt ein Erstattungsbetrag ergibt. Es werden auch keine Besteuerungsgrundlagen festgestellt, die die Höhe von Steuerforderungen beeinflussen, die zur Tabelle anzumelden sind.

aa) Im Streitfall fehlt es bereits --auch nach Ansicht des [X.] an einer zur Tabelle anzumeldenden [X.] i.S. von § 174 Abs. 1 [X.]. Aus Sicht des Insolvenzrechts ist insofern allein der nach Saldierung von festgesetzter Steuer und [X.] bestehende Steueranspruch zu beurteilen (vgl. [X.], [X.], 184; [X.] in [X.]/[X.], Sanierungs- und [X.], 2. Aufl., Rz 8.77/8.78; [X.] in [X.]/[X.], Handbuch Insolvenzrecht, [X.]. 23, Steuerrecht in der Insolvenz, Rz 36; [X.], Die Besteuerung in der Insolvenz, 2005, Rz 297; a.[X.] in [X.], [X.], 5. Aufl., § 122, Einkommensteuer im Insolvenzverfahren, Rz 39).

Geht der [X.] --wie hier-- auf die vom Arbeitslohn des Schuldners einbehaltene Lohnsteuer zurück, wird der Rechtsgrund für den Anspruch bereits mit der Abführung der Lohnsteuer gelegt (vgl. Beschluss des [X.] --BGH-- vom 12.01.2006 - IX ZB 239/04, Zeitschrift für das gesamte Insolvenz- und Sanierungsrecht --Z[X.]-- 2006, 139, unter [X.]; [X.] vom 13.01.2022 - IX ZR 64/21, Zeitschrift für Wirtschaftsrecht --ZIP-- 2022, 332, Rz 10). Der Erstattungsanspruch steht dann lediglich unter der aufschiebenden Bedingung, dass am Jahresende die geschuldete Einkommensteuer geringer ist als die Summe der Anrechnungsbeträge, so dass sich gemäß § 36 Abs. 4 Satz 2 EStG, § 37 Abs. 2 [X.] ein Erstattungsanspruch ergibt (BGH-Beschluss in Z[X.] 2006, 139, unter [X.]; [X.] in [X.], 332, Rz 10). Dementsprechend sind die anrechenbaren [X.] wie die Einkommensteuer für den Veranlagungszeitraum vor der Insolvenzeröffnung (vgl. dazu [X.]-Urteile vom [X.], [X.]E 128, 146, [X.] 1979, 639; vom 09.02.1993 - VII R 12/92, [X.]E 170, 300, [X.] 1994, 207; BGH-Beschluss in Z[X.] 2006, 139, unter [X.])-- dem Vermögensbereich der [X.] zuzuordnen. Daher ist für die Frage, ob eine (konkret) anzumeldende [X.] besteht, auf den Saldo aus der festgesetzten Steuer und der durch Steuerabzug erhobenen Einkommensteuer abzustellen. Ergibt sich aus dem Bescheid keine Zahllast und dementsprechend auch kein Leistungsgebot (vgl. [X.], [X.], 184), kann sich das [X.] mit der Festsetzung auch nicht --entgegen der Vorgabe des § 87 [X.]-- einen Vollstreckungstitel verschaffen.

bb) Aus dem angefochtenen Einkommensteuerbescheid ergibt sich unter Berücksichtigung der Anrechnungsbeträge eine Steuererstattung. Einem derartigen Bescheid fehlt die abstrakte Eignung, sich auf anzumeldende Steuerforderungen auszuwirken. Denn damit hat das [X.] keine [X.] festgesetzt, die nach § 87 [X.] nur nach den Vorschriften über das Insolvenzverfahren verfolgt werden kann; der Erstattungsbetrag ist nicht zur Tabelle anzumelden. Das [X.] ist nicht Insolvenzgläubiger i.S. des § 87 [X.]. Da sich auch nach Abrechnung keine Zahllast ergibt, kann sich aus dem Bescheid im Streitfall --wie der Kläger in der mündlichen Verhandlung bestätigt [X.] unter keinen Umständen eine zur Tabelle anzumeldende Forderung ergeben. Ebenso wenig hat der im Streitfall in Rede stehende Einkommensteuerbescheid Auswirkungen auf Folgebescheide; auch eine Verlustfeststellung nach § 10d Abs. 4 EStG erfolgt nicht. Es ist nicht erkennbar, wieso die Insolvenzmasse insofern schutzbedürftig sein soll. Derartige Steuerbescheide sind in Anbetracht der Schutzbedürfnisse im Insolvenzverfahren folglich nicht geeignet, die Gläubigerinteressen zu beinträchtigen (vgl. [X.] in [X.], § 251 [X.] Rz 171; [X.] in Gosch, [X.] § 251 Rz 50 f.). Der Vorrang des Insolvenzrechts greift schon tatbestandlich nicht ein, so dass auf die allgemeinen Regelungen der [X.] zurückgegriffen werden kann (vgl. [X.]/[X.], EWiR 2019, 151, 152).

cc) Anders als der Kläger meint, wird die Rechtsstellung des Insolvenzverwalters durch dieses Ergebnis nicht eingeschränkt. Begehrt er eine höhere Erstattung, kann er diese im Einspruchs- bzw. Klageverfahren gegen die Steuerfestsetzung geltend machen. Auch einem späteren Streit über die Höhe der Anrechnung (vgl. [X.]-Urteil in [X.], 719, unter [X.]) lässt sich begegnen, und zwar entweder --wie vom [X.], von Teilen der Literatur ([X.], [X.], 184; Dickhöfer, E[X.] 2018, 2057, 2058) und auch vom [X.] durch eine rückwirkende Änderung der Steuerfestsetzung gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 [X.] bzw. eine Erledigung auf andere Weise gemäß § 124 Abs. 2 [X.] (Entfallen der Befugnis, durch Verwaltungsakt zu handeln) oder dadurch, dass bereits die Rücknahme (§ 130 [X.]) und der Widerruf (§ 131 [X.]) der [X.] aufgrund der vorrangigen Regelungen zur [X.] gesperrt ist ("[X.]"). Eine aus der Änderung der maßgebenden Berechnungsparameter folgende Zahllast muss jedenfalls --wie dies auch das [X.] zu Recht erkannt [X.] als [X.] zur Insolvenztabelle angemeldet werden (vgl. [X.] in Gosch, [X.] § 251 Rz 51; [X.], [X.], 184). Hierüber braucht der Senat jedoch mangels Entscheidungserheblichkeit nicht zu befinden, da dem angefochtenen Bescheid --wie [X.] die abstrakte Eignung fehlt, sich auf anzumeldende [X.]en auszuwirken.

Ein Interesse des Insolvenzverwalters, im Rahmen seiner Amtsführung nicht mit steuerrechtlichen Prüfungsobliegenheiten konfrontiert zu werden, wird durch § 251 Abs. 2 Satz 1 [X.], § 87 [X.] nicht geschützt; es ist nicht spezifisch dem Insolvenzverfahren zuzuweisen ([X.]-Urteil in [X.], 719, unter [X.]). Entsprechendes gilt für die --vom Kläger geschilderten-- praktischen Schwierigkeiten, denen sich der Insolvenzverwalter bei Anfechtung eines Steuerbescheids (im frühen Stadium eines Insolvenzverfahrens) ausgesetzt sehen mag (dazu [X.], a.a.[X.], Rz 3.197: "Zugzwang, in kurzer Zeit prüfen zu müssen, ob der Masse nicht ggf. (höhere) Erstattungsansprüche zustehen").

dd) Der Grundsatz, dass verfahrensrechtliche Regelungen klar und für den Rechtsanwender handhabbar sein und nicht zu überflüssigen Streitigkeiten führen sollen (s. [X.]-Urteile in [X.]E 201, 392, [X.] 2003, 630, unter II.2.c; in [X.], 719, unter [X.]), steht diesem Ergebnis nicht entgegen. Durch einen Blick auf das Leistungsgebot (bzw. die Erstattungsverfügung) des betreffenden Steuerbescheids (bzw. der Steuerberechnung) kann der Rechtsanwender --vorbehaltlich einer eventuellen Auswirkung auf [X.] leicht und rechtssicher beurteilen, ob ein Vorrang des Insolvenzrechts besteht (Zahllast), der eine Forderungsanmeldung zur Insolvenztabelle erfordert, oder eben nicht (Erstattung auf der Grundlage eines Steuerbescheids).

3. Der angefochtene Bescheid ist auch materiell rechtmäßig. Das [X.] hat in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise entschieden, dass der vom Kläger geltend gemachte [X.] des § 17 Abs. 4 EStG im Streitjahr noch nicht entstanden und daher nicht zu berücksichtigen war. Der Hilfsantrag ist somit ebenfalls unbegründet.

a) Zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb gehört auch der Gewinn oder Verlust aus der Auflösung einer [X.]italgesellschaft, wenn der Gesellschafter innerhalb der letzten fünf Jahre am [X.]ital der Gesellschaft zu mindestens 1 % beteiligt war (§ 17 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 17 Abs. 4 Satz 1 EStG).

W war Alleingesellschafter der [X.], die mit der Rechtskraft des Beschlusses von Februar 2015, durch den die Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse abgelehnt wurde, aufgelöst worden war (§ 60 Abs. 1 Nr. 5 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung).

b) Die Ermittlung des Gewinns oder Verlusts aus der Auflösung einer [X.]italgesellschaft erfordert eine Stichtagsbewertung, die auf den Zeitpunkt der Entstehung des Gewinns oder Verlusts vorzunehmen ist (ständige Rechtsprechung, z.B. Senatsurteile vom 13.10.2015 - IX R 41/14, [X.]/NV 2016, 385; vom 13.03.2018 - IX R 38/16, [X.]/NV 2018, 721; [X.]-Urteil vom 21.09.1982 - VIII R 140/79, [X.]E 137, 407, [X.] 1983, 289). Maßgebend ist der Zeitpunkt, zu dem bei einer Gewinnermittlung durch Betriebsvermögensvergleich gemäß § 4 Abs. 1, § 5 EStG nach den handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung der Gewinn oder Verlust realisiert worden ist (z.B. [X.]-Urteile vom 30.06.1983 - IV R 113/81, [X.]E 138, 569, [X.] 1983, 640; vom 02.10.1984 - VIII R 20/84, [X.]E 143, 304, [X.] 1985, 428). Ein Verlust ist in dem Jahr zu erfassen, in dem mit einer wesentlichen Änderung des bereits feststehenden Verlusts nicht mehr zu rechnen ist (z.B. Senatsurteile vom 01.07.2014 - IX R 47/13, [X.]E 246, 188, [X.] 2014, 786; in [X.]/NV 2016, 385; vom 19.11.2019 - IX R 7/19, [X.]/NV 2020, 675, Rz 16).

Ein [X.] steht fest, wenn der gemeine Wert des dem Steuerpflichtigen zugeteilten oder zurückgezahlten Vermögens einerseits (§ 17 Abs. 4 Satz 2 EStG) und die [X.] und Anschaffungskosten des Gesellschafters andererseits (§ 17 Abs. 2 Satz 1 EStG) feststehen. Gleiches gilt, wenn sicher ist, dass eine Zuteilung oder Zurückzahlung von Gesellschaftsvermögen an die Gesellschafter ausscheidet und wenn die durch die Beteiligung veranlassten Aufwendungen feststehen (z.B. Senatsurteile in [X.]E 246, 188, [X.] 2014, 786; in [X.]/NV 2016, 385). Die Frage ist ex ante zu beurteilen; nachträgliche Ereignisse wie der tatsächliche Ausgang eines Insolvenzverfahrens sind nicht zu berücksichtigen (z.B. Senatsurteile vom 02.12.2014 - IX R 9/14, [X.]/NV 2015, 666; vom 10.05.2016 - IX R 16/15, [X.]/NV 2016, 1681; in [X.]/NV 2020, 675, Rz 17).

Im Fall der Liquidation der Gesellschaft ist eine Zuteilung oder Zurückzahlung von Gesellschaftsvermögen an die Gesellschafter regelmäßig erst dann ausgeschlossen, wenn die Liquidation abgeschlossen ist (ständige Rechtsprechung, z.B. Senatsurteile in [X.]/NV 2016, 385; in [X.]/NV 2016, 1681; Senatsbeschlüsse vom 20.01.2009 - IX B 179/08, [X.], 756; vom 10.02.2009 - IX B 196/08, [X.], 761; vom 03.12.2014 - IX B 90/14, [X.]/NV 2015, 493). Nur ausnahmsweise kann auf einen früheren Zeitpunkt abgestellt werden, etwa wenn die Eröffnung des Konkurs- oder Insolvenzverfahrens mangels Masse abgelehnt worden ist ([X.]-Urteil vom 12.12.2000 - VIII R 22/92, [X.]E 194, 108, [X.] 2001, 385; [X.]-Beschlüsse vom 27.11.1995 - VIII B 16/95, [X.]/NV 1996, 406; vom 04.10.2007 - VIII S 3/07 (PKH), [X.]/NV 2008, 209) oder wenn aus anderen Gründen feststeht, dass die Gesellschaft bereits im Zeitpunkt eines Auflösungsbeschlusses vermögenslos war ([X.]-Urteil vom 04.11.1997 - VIII R 18/94, [X.]E 184, 374, [X.] 1999, 344). In diesen Fällen kann die Möglichkeit einer Zuteilung oder Zurückzahlung von [X.] an die Gesellschafter ausgeschlossen werden (vgl. zum Ganzen Senatsurteile in [X.]/NV 2018, 721; in [X.]/NV 2020, 675, Rz 18).

c) Nach diesen Grundsätzen hat das [X.] zu Recht angenommen, dass der vom Kläger geltend gemachte Verlust aus der Auflösung der [X.] nicht im Streitjahr entstanden ist.

Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens wurde erst im Februar 2015 mangels Masse abgelehnt. Ein [X.] ist nicht bereits im Streitjahr (2014) entstanden, da es schon an der zivilrechtlichen Auflösung der [X.] fehlt. Soweit der Kläger geltend macht, die [X.] sei im Dezember 2014 durch Gesellschafterbeschluss aufgelöst worden, handelt es sich um von den bindenden Feststellungen des [X.] (§ 118 Abs. 2 [X.]O) abweichendes tatsächliches Vorbringen, das im Revisionsverfahren nicht berücksichtigt werden kann (vgl. Senatsurteil vom 19.12.2006 - IX R 44/04, [X.]E 216, 255, [X.] 2008, 216; Gräber/Ratschow, Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 118 Rz 36, m.w.N.). Auch in dem am selben Tag gestellten Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der [X.] ist nach den Feststellungen des [X.] kein konkludenter Auflösungsbeschluss zu sehen. Anders als der Kläger meint, kommt es daher auf die Vermögenslosigkeit der [X.] nicht mehr an.

4. [X.] beruht auf § 135 Abs. 2 [X.]O.

Meta

IX R 27/18

05.04.2022

Bundesfinanzhof 9. Senat

Urteil

vorgehend FG Düsseldorf, 4. Oktober 2018, Az: 11 K 1921/16 E, Urteil

§ 125 Abs 1 AO, § 251 Abs 2 S 1 AO, § 251 Abs 3 AO, § 17 Abs 1 S 1 EStG 2009, § 17 Abs 4 S 1 EStG 2009, § 4 Abs 1 EStG 2009, § 5 Abs 1 EStG 2009, § 174 Abs 1 S 1 InsO, § 87 InsO, EStG VZ 2014

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 05.04.2022, Az. IX R 27/18 (REWIS RS 2022, 3793)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 3793 NJW 2022, 2781 REWIS RS 2022, 3793

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