Bundesgerichtshof, Beschluss vom 06.12.2012, Az. VII ZR 74/12

7. Zivilsenat | REWIS RS 2012, 643

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Gegenstand

Anordnung der öffentlichen Zustellung im Erkenntnisverfahren


Leitsatz

Im Erkenntnisverfahren darf eine öffentliche Zustellung nur angeordnet werden, wenn die begünstigte Partei alle der Sache nach geeigneten und ihr zumutbaren Nachforschungen angestellt hat, um eine öffentliche Zustellung zu vermeiden, und ihre ergebnislosen Bemühungen gegenüber dem Gericht dargelegt hat (im Anschluss an BGH, Urteil vom 4. Juli 2012, XII ZR 94/10, FamRZ 2012, 1376).

Tenor

Der Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision wird stattgegeben.

Das Urteil des 7. Zivilsenats des [X.] in [X.] vom 24. Januar 2012 wird gemäß § 544 Abs. 7 ZPO aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Streitwert: 5.463.881,76 €

Gründe

I.

1

Die [X.]en streiten im Rahmen von Klage und Widerklage um gegenseitige Ansprüche aus einem Generalunternehmervertrag betreffend ein Bauvorhaben in [X.].

2

Die Klägerin, eine Kapitalgesellschaft mit Sitz im Inland, betreibt ein Bauunternehmen. Der [X.] ist ein international tätiger Geschäftsmann, der die [X.] Staatsangehörigkeit besitzt.

3

Mit Generalunternehmervertrag vom 26. Juli 2005 beauftragte der [X.] die Klägerin mit der Ausführung von Bauarbeiten und Planungsleistungen für das Bauvorhaben [X.], [X.], [X.], in [X.], wobei der [X.] im Vertrag diese Anschrift als seine Anschrift angab. In dem Vertrag heißt es unter Ziffer 2.2: "Dem Auftragnehmer ist bekannt, dass sich der Auftraggeber eines Bevollmächtigten bedient, der berechtigt ist, den Auftraggeber im Rahmen der ihm erteilten Vollmacht zu vertreten". Als Bevollmächtigten benannte der [X.] die im Inland ansässige [X.] GmbH. Zwischen den [X.]en kam es zum Streit über Baumängel. Der [X.] kündigte den Generalunternehmervertrag mit Anwaltsschreiben vom 25. Juli 2007.

4

Die Klägerin übersandte der [X.] GmbH ihre Schlussrechnung vom 11. März 2008. Die [X.] GmbH teilte der Klägerin daraufhin mit Schreiben vom 16. April 2008 mit, dass sie nicht mehr zustellungsbevollmächtigt für Schriftstücke jedweder Art betreffend den [X.]n sei, und bat, dasselbe Schreiben doch direkt an den [X.]n unter der der Klägerin bekannten Adresse zukommen zu lassen.

5

Die Klägerin begehrt vom [X.]n Zahlung restlichen [X.], Ersatz ungedeckter Gemeinkosten und Ersatz von Kosten aus gestörtem Bauablauf in Höhe von zusammen 2.463.881,76 € nebst Zinsen.

6

Im Januar 2009 hat die Klägerin eine Klageschrift beim [X.] eingereicht und beantragt, die öffentliche Zustellung der Klage, gerichtet auf Zahlung von 2.463.881,76 € nebst Zinsen, an den [X.]n zu bewilligen.

7

Mit Beschluss vom 10. März 2009 hat das [X.] die öffentliche Zustellung der Klageschrift sowie der Verfügung vom gleichen Tag (Anordnung des schriftlichen Vorverfahrens nebst Fristsetzungen) bewilligt. Die Benachrichtigung wurde am 17. März 2009 an die Gerichtstafel geheftet und am 23. April 2009 wieder abgenommen. Mit Versäumnisurteil vom 19. Mai 2009 hat das [X.] den [X.]n antragsgemäß zur Zahlung von 2.463.881,76 € nebst Zinsen an die Klägerin verurteilt und die Einspruchsfrist auf drei Wochen festgesetzt. Mit Beschluss vom gleichen Tag hat das [X.] die öffentliche Zustellung des Versäumnisurteils bewilligt. Es wurde in der [X.] vom 22. Mai 2009 bis zum 25. Juni 2009 an der Gerichtstafel ausgehängt.

8

Der [X.] hat gegen das Versäumnisurteil mit Schriftsatz vom 1. Oktober 2010 - bei Gericht am gleichen Tag per Fax eingegangen - Einspruch eingelegt. Des Weiteren hat der [X.] Widerklage erhoben, mit der er die Rückzahlung angeblich überzahlten [X.] sowie die Feststellung der Schadensersatzpflicht der Klägerin wegen verschiedener Baumängel und der Verpflichtung zum Ersatz von [X.] begehrt. Mit Urteil vom 12. April 2011 hat das [X.] den Einspruch gegen das Versäumnisurteil vom 19. Mai 2009 als unzulässig verworfen und die Widerklage als unzulässig abgewiesen. Die Berufung des [X.]n gegen dieses Urteil hat das Berufungsgericht mit Urteil vom 24. Januar 2012 zurückgewiesen. Die Revision hat das Berufungsgericht nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des [X.]n, mit der er die Zulassung der Revision in vollem Umfang begehrt. Die Klägerin beantragt, die Nichtzulassungsbeschwerde zurückzuweisen.

II.

9

1. Das Berufungsgericht ist der Auffassung, das [X.] habe den Einspruch des [X.]n vom 1. Oktober 2010 gegen das Versäumnisurteil vom 19. Mai 2009 jedenfalls im Ergebnis zu Recht als unzulässig verworfen, weil die Einspruchsfrist nicht gewahrt sei und auch eine Wiedereinsetzung nicht in Betracht komme. Das Versäumnisurteil gelte seit dem 23. Juni 2009 als zugestellt. Einspruch gegen das Versäumnisurteil habe der [X.] am 1. Oktober 2010 eingelegt, mithin erst nach Ablauf der gesetzlichen Ausschlussfrist für einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

Die Voraussetzungen des § 185 Nr. 1 ZPO für eine öffentliche Zustellung der Klageschrift wie auch des Versäumnisurteils hätten vorgelegen. Der Aufenthaltsort des [X.]n sei unbekannt gewesen und eine Zustellung an einen Vertreter oder Zustellungsbevollmächtigten sei nicht möglich gewesen. Angegeben habe der [X.] zunächst stets nur die der Klägerin ohnehin bekannte Anschrift des Bauvorhabens. Dass er dort während der Bauarbeiten nicht gewohnt habe, habe er letztlich selbst eingeräumt. Erforderlich sei eine ladungsfähige Anschrift. Es müsse sich um eine Anschrift handeln, unter der von einer ernsthaften Möglichkeit ausgegangen werden könne, dass die Übergabe an den Zustellungsempfänger dort gelingen könne. Das sei unter der Anschrift des Bauvorhabens in [X.], wo sich der [X.] allenfalls gelegentlich und zu unbestimmten [X.]en aufgehalten habe, nicht der Fall gewesen. Insoweit sei unerheblich, ob der [X.] - wie von ihm behauptet - unter der Anschrift des Bauvorhabens postalisch erreichbar gewesen wäre. Auch das gemietete Anwesen des [X.]n in [X.] stehe der öffentlichen Zustellung nicht entgegen. Eine ladungsfähige Anschrift habe auch dieses Anwesen nicht begründet. Hinsichtlich der vom [X.]n erstmals mit Schriftsatz vom 7. April 2011 angegebenen Anschrift in [X.] gelte Entsprechendes.

Der Klägerin und dem [X.] könne auch nicht der Vorwurf gemacht werden, sie hätten nicht alles im Rahmen des Zumutbaren Erforderliche und Mögliche getan, um den Aufenthaltsort des [X.]n in Erfahrung zu bringen. Die Klägerin sei insbesondere nicht gehalten gewesen, die Zustellungsanschrift des [X.]n durch Nachfrage unter der Anschrift des Bauvorhabens in [X.] oder des Domizils in [X.] in Erfahrung zu bringen.

Im Übrigen seien Klage und Versäumnisurteil dem [X.]n selbst dann wirksam öffentlich zugestellt worden, wenn die Voraussetzungen des § 185 ZPO objektiv nicht erfüllt gewesen wären. Selbst wenn man dies annehmen würde, habe das [X.] das nicht erkennen können. Der Versuch, eine zustellungsfähige Anschrift durch eine Anfrage beim [X.]n selbst über die [X.] in [X.] in Erfahrung zu bringen, sei nicht geboten gewesen, nachdem die Klägerin in der Klageschrift vorgetragen habe, dass das Bauvorhaben nach wie vor nicht fertiggestellt bzw. bewohnbar sei und sich deren Prozessbevollmächtigter persönlich zweimal vor Ort in [X.] davon überzeugt habe, dass das Objekt unbewohnt und unbenutzt sei. Aus alledem folge zugleich, dass es dem [X.]n nach den Grundsätzen von [X.] und Glauben ohnehin verwehrt wäre, sich auf die - unterstellte - Unwirksamkeit der öffentlichen Zustellung zu berufen.

Ferner folge daraus zugleich, dass das [X.] die am 31. Dezember 2010 eingelegte Widerklage zu Recht als unzulässig abgewiesen habe. Die Widerklage setze begrifflich und denknotwendig voraus, dass zum [X.]punkt der Erhebung der Widerklage noch eine Klage rechtshängig sei. Dass sei hier nicht der Fall gewesen. Unabhängig davon sei die Widerklage unzulässig, weil sie "aus dem Verborgenen" geführt werde. Zur ordnungsgemäßen Klageerhebung gehöre grundsätzlich auch die Angabe der [X.] Anschrift des [X.]. Daran fehle es hier insofern, als es sich bei der vom [X.]n angegebenen Anschrift in [X.] um keine ladungsfähige Anschrift handele. Die Anschrift der seinem Vortrag zufolge seit dem Winter 2010 bewohnten Mietwohnung in [X.] habe er erstmals mit Schriftsatz vom 7. April 2011 mitgeteilt. Bezüglich dieser Wohnung könne nicht festgestellt werden, dass der [X.] dort mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit angetroffen werden könne. Unabhängig davon seien die öffentlichen Zustellungen hier ohnehin bereits im ersten Halbjahr 2009 erfolgt.

2. Die Beschwerde des [X.]n gegen die Nichtzulassung der Revision hat Erfolg. Das Berufungsurteil beruht auf einer Verletzung des Anspruchs des [X.]n auf rechtliches Gehör, Art. 103 Abs. 1 GG. Es ist deshalb aufzuheben und die Sache ist an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 544 Abs. 7 ZPO.

a) Liegen die Voraussetzungen für die öffentliche Zustellung eines Versäumnisurteils - ebenso wie diejenigen für die zuvor erfolgte öffentliche Zustellung der Klageschrift - nicht vor, so wird durch die gleichwohl erfolgte öffentliche Zustellung der [X.] in seinem Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt (vgl. [X.], Urteil vom 19. Dezember 2001 - [X.], [X.]Z 149, 311, 314; vgl. ferner [X.], NJW 1988, 2361). Entsprechendes gilt für ein Urteil des Gerichts des ersten [X.], mit dem der Einspruch des [X.]n gegen ein solches Versäumnisurteil verworfen wird, und für ein Urteil des Berufungsgerichts, mit dem die Berufung des [X.]n gegen das den Einspruch verwerfende Urteil des Gerichts des ersten [X.] zurückgewiesen wird. Denn durch derartige Entscheidungen wird die Verletzung des Anspruchs des [X.]n auf Gewährung rechtlichen Gehörs fortgesetzt (vgl. [X.], NJW 1988, 2361 re. [X.]). So liegt der Fall hier.

aa) Nach § 185 Nr. 1 ZPO kann die Zustellung durch öffentliche Bekanntmachung (öffentliche Zustellung) erfolgen, wenn der Aufenthaltsort einer Person unbekannt und eine Zustellung an einen Vertreter oder Zustellungsbevollmächtigten nicht möglich ist. Unbekannt ist der Aufenthalt einer Person nur dann, wenn nicht nur das Gericht, sondern auch die Allgemeinheit den Aufenthalt des Zustellungsadressaten nicht kennt ([X.], Urteil vom 4. Juli 2012 - [X.], [X.], 1376 Rn. 16; [X.], Urteil vom 19. Dezember 2001 - [X.], [X.]Z 149, 311, 314). Dabei ist es zunächst Sache der [X.], die durch die Zustellung begünstigt wird, alle geeigneten und ihr zumutbaren Nachforschungen anzustellen, um den Aufenthalt des Zustellungsempfängers zu ermitteln und ihre ergebnislosen Bemühungen gegenüber dem Gericht darzulegen ([X.], Urteil vom 4. Juli 2012 - [X.], [X.], 1376 Rn. 16 f. m.w.N.). Dies gilt auch dann, wenn die Zustellung von Amts wegen vorzunehmen ist. Wegen der besonderen Bedeutung der Zustellung für die Gewährung rechtlichen Gehörs, sind an die Feststellung, dass die Voraussetzungen der öffentlichen Zustellung vorliegen, im Erkenntnisverfahren hohe Anforderungen zu stellen (vgl. [X.], Urteil vom 4. Juli 2012 - [X.], [X.], 1376 Rn. 17; [X.], Beschluss vom 14. Februar 2003 - [X.], NJW 2003, 1530 f. unter ausdrücklicher Abgrenzung zum Vollstreckungsverfahren). Die begünstigte [X.] muss alle der Sache nach geeigneten und ihr zumutbaren Nachforschungen anstellen, um den Aufenthalt des Zustellungsadressaten zu ermitteln ([X.], Urteil vom 4. Juli 2012 - [X.], [X.], 1376 Rn. 17). Die vorgenommenen Nachforschungen und deren Ergebnis muss die begünstigte [X.] gegenüber dem Gericht darlegen. Hat das Gericht Zweifel an der Darstellung der [X.], ist es, sofern die Zustellung von Amts wegen vorzunehmen ist, auch zu eigenen Überprüfungen verpflichtet ([X.], Urteil vom 4. Juli 2012 - [X.], [X.], 1376 Rn. 17; [X.]/[X.], 3. Aufl., § 185 Rn. 7).

Ist die öffentliche Zustellung, gemessen an den Voraussetzungen des § 185 ZPO, unwirksam, ist es dem von der Unwirksamkeit Begünstigten verwehrt, sich auf diese zu berufen, wenn er zielgerichtet versucht hat, eine Zustellung, mit der er sicher rechnen musste, zu verhindern; in einem solchen Fall ist das Berufen auf die Unwirksamkeit rechtsmissbräuchlich und damit unbeachtlich (vgl. [X.], Beschluss vom 28. April 2008 - [X.], NJW-RR 2008, 1310 Rn. 2 ff.).

bb) Im Streitfall durfte das [X.] aufgrund der Darlegungen in der Klageschrift vom 23. Januar 2009 nicht davon ausgehen, dass die Klägerin alle geeigneten und ihr zumutbaren Nachforschungen angestellt hat, um eine öffentliche Zustellung zu vermeiden. Es hätte die öffentliche Zustellung auf dieser Grundlage ablehnen müssen.

Die [X.] GmbH hatte die Klägerin, wie für das [X.] aus den als Anlagen [X.] und [X.] zur Klageschrift vorgelegten Schreiben vom 16. April 2008 und vom 28. Mai 2008 erkennbar war, ausdrücklich auf die der Klägerin bekannte Adresse hingewiesen und dieser geraten, das Schreiben mit der Schlussrechnung dem [X.]n doch unter dieser Anschrift zuzukommen zu lassen. Die Klägerin hat den Hinweis auf diese Anschrift, wie sich aus der Klageschrift vom 23. Januar 2009 ergibt, als Hinweis auf die im Generalunternehmervertrag vom [X.]n angegebene Anschrift verstanden. Bei dieser Sachlage drängte es sich geradezu auf, dass die Klägerin einen Zustellungsversuch, etwa im Wege der unmittelbaren Zustellung durch die Post (vgl. § 1068 Abs. 1 ZPO), unter dieser Anschrift unternimmt oder jedenfalls vorprozessual ein Schreiben, etwa per Einschreiben mit Rückschein, an diese Anschrift mit der Aufforderung an den [X.]n richtet, binnen angemessener Frist eine ladungsfähige Anschrift anzugeben (vgl. [X.], NJW 2009, 2543, 2544) oder einen Zustellungsbevollmächtigten zu benennen, bevor gegebenenfalls die öffentliche Zustellung beantragt wird. Im Hinblick auf die besondere Bedeutung der Zustellung für die Gewährung rechtlichen Gehörs konnte die Klägerin hiervon nicht deshalb absehen, weil ihr Prozessbevollmächtigter nach den Angaben in der Klageschrift bei zwei nicht datierten Besuchen an der betreffenden Anschrift in [X.] ein unbewohntes und ungenutztes Objekt angetroffen hatte. Im Beschwerdeverfahren ist mangels gegenteiliger Feststellungen des Berufungsgerichts davon auszugehen, dass der [X.] entsprechend seinen Angaben gleichwohl unter der Anschrift des Bauvorhabens postalisch erreichbar gewesen wäre, weil dort ein Briefkasten angebracht gewesen sei, der regelmäßig von Beauftragten des [X.]n geleert worden sei.

Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist es dem [X.]n auch nicht nach [X.] und Glauben (§ 242 BGB) verwehrt, sich auf die Unwirksamkeit der öffentlichen Zustellung zu berufen. Allerdings hat der [X.], nachdem die [X.] GmbH ihre Tätigkeit für ihn beendet und die Annahme von an ihn gerichteten Schreiben abgelehnt hatte, es unterlassen, der Klägerin einen neuen Zustellungsbevollmächtigten zu benennen oder zeitnah eine andere Anschrift anzugeben, obgleich er damit rechnen musste, dass die Klägerin nach der Kündigung des Generalunternehmervertrags eine Schlussrechnung erstellen und restlichen Werklohn geltend machen würde. Die Klägerin hatte jedoch Kenntnis von der vom [X.]n bereits im Generalunternehmervertrag vom 26. Juli 2005 angegebenen Anschrift in [X.], auf die die [X.] GmbH mit Schreiben vom 16. April 2008 und vom 28. Mai 2008 verwiesen hatte. Bei dieser Sachlage kann nicht davon gesprochen werden, dass der [X.] zielgerichtet versucht habe, eine Zustellung, mit der er sicher rechnen musste, zu verhindern.

b) Die vorstehend erörterte Verletzung des Anspruchs des [X.]n auf Gewährung rechtlichen Gehörs ist entscheidungserheblich. Eine unter Verstoß gegen § 185 ZPO angeordnete öffentliche Zustellung löst die [X.] des § 188 ZPO nicht aus und setzt damit keine Frist in Lauf ([X.], Urteil vom 4. Juli 2012 - [X.], [X.], 1376 Rn. 19; [X.], Urteil vom 6. Oktober 2006 - [X.], NJW 2007, 303 Rn. 12; [X.], Urteil vom 19. Dezember 2001 - [X.], [X.]Z 149, 311, 321). Das gilt jedenfalls dann, wenn die öffentliche Zustellung wie hier bei sorgfältiger Prüfung der Unterlagen nicht hätte angeordnet werden dürfen, deren Fehlerhaftigkeit für das Gericht also erkennbar war ([X.], Urteil vom 19. Dezember 2001 - [X.], [X.]Z 149, 311, 321). In einem solchen Fall kommt das Verfahren nicht zum Abschluss. Es ist bei Entdeckung des Fehlers fortzusetzen, ohne dass es dazu einer Wiedereinsetzung bedarf ([X.], Urteil vom 4. Juli 2012 - [X.], [X.], 1376 Rn. 19 m.w.N.). Es ist im Streitfall nicht auszuschließen, dass das Versäumnisurteil bei Fortsetzung des Verfahrens ganz oder teilweise nicht aufrechterhalten werden kann.

c) Gegen den Anspruch des [X.]n auf Gewährung rechtlichen Gehörs und auf wirkungsvollen Rechtsschutz verstößt es ferner, dass das Berufungsgericht die Berufung des [X.]n insoweit zurückgewiesen hat, als dieses Rechtsmittel gegen die Abweisung der Widerklage als unzulässig gerichtet war.

aa) Das Berufungsgericht hat die Abweisung der Widerklage als unzulässig in erster Linie - zu Unrecht - darauf gestützt, zum [X.]punkt der Erhebung der Widerklage sei die Klage nicht mehr rechtshängig gewesen, weil das [X.] über die Klage zuvor bereits durch das dem [X.]n am 23. Juni 2009 öffentlich zugestellte Versäumnisurteil rechtskräftig entschieden habe. In dieser Beurteilung setzt sich die vorstehend im Hinblick auf die Klage erörterte Verletzung des Anspruchs des [X.]n auf Gewährung rechtlichen Gehörs fort.

bb) Dieser Verstoß ist entscheidungserheblich. Da das Klageverfahren nicht durch rechtskräftiges Versäumnisurteil beendet worden ist, ist die besondere Prozessvoraussetzung für eine Widerklage, nämlich die Rechtshängigkeit der Klage im [X.]punkt der Erhebung der Widerklage (vgl. [X.], Urteil vom 18. April 2000 - [X.], NJW-RR 2001, 60), gegeben. Die Abweisung der Widerklage als unzulässig kann auch nicht mit der weiteren Begründung des Berufungsgerichts aufrechterhalten werden, die Widerklage werde "aus dem Verborgenen" geführt. Der [X.] hat in der Berufungsbegründung vom 1. Juli 2011, Seite 34 f. zur Zulässigkeit der Widerklage unter dem Gesichtspunkt der notwendigen Angabe einer [X.] Anschrift (vgl. hierzu [X.], Urteil vom 9. Dezember 1987 - [X.], [X.]Z 102, 332, 334 ff.; [X.], Urteil vom 17. März 2004 - [X.], NJW-RR 2004, 1503) ausgeführt, das [X.] hätte, selbst wenn es dessen Vortrag zu seiner Wohnsituation im [X.]punkt der Erhebung der Widerklage als unzureichend hätte ansehen dürfen, infolge des weiteren [X.]nvortrags seine Meinung ändern müssen; für die Frage der Zulässigkeit der Widerklage komme es nicht auf den [X.]punkt der öffentlichen Zustellung, sondern auf den [X.]punkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung an; zu diesem [X.]punkt seien dem [X.] alle [X.] Anschriften bekannt gewesen; Mängel im notwendigen Inhalt der Klageschrift könnten noch bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung behoben werden. Mit diesem durch Nachweise aus Rechtsprechung und Schrifttum untermauerten Vorbringen, insbesondere mit dem Gesichtspunkt, dass Mängel im notwendigen Inhalt der Klageschrift noch bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung behoben werden können, hat sich das Berufungsgericht nur unzureichend befasst. Es hat ausgeführt, die Anschrift der Mietwohnung in [X.], die der [X.] seinem Vortrag zufolge seit dem Winter 2010 bewohne, habe er erstmals mit Schriftsatz vom 7. April 2011 mitgeteilt. Unabhängig davon seien die öffentlichen Zustellungen hier ohnehin bereits im ersten Halbjahr 2009 erfolgt. Soweit das Berufungsgericht außerdem ausgeführt hat, bezüglich der genannten Wohnung in [X.] könne nicht festgestellt werden, dass der [X.] dort mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit angetroffen werden könne, trägt dies dem Recht des [X.]n, der sich als international tätiger Geschäftsmann an verschiedenen Orten aufhält, auf wirkungsvollen Rechtsschutz nicht hinreichend Rechnung.

3. Die Zurückverweisung gibt dem Berufungsgericht Gelegenheit, sich gegebenenfalls mit den weiteren [X.] in der Nichtzulassungsbeschwerde zu befassen.

[X.]                           Safari Chabestari                           Halfmeier

                Leupertz                                       [X.]

Meta

VII ZR 74/12

06.12.2012

Bundesgerichtshof 7. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZR

vorgehend KG Berlin, 24. Januar 2012, Az: 7 U 124/11

§ 185 Nr 1 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 06.12.2012, Az. VII ZR 74/12 (REWIS RS 2012, 643)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 643

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