Bundesgerichtshof, Beschluss vom 27.11.2018, Az. 2 ARs 295/18

2. Strafsenat | REWIS RS 2018, 1225

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Gegenstand

Sachliche Zuständigkeit der Schifffahrtsgerichte


Tenor

Die Untersuchung und Entscheidung der Sache obliegt dem

Amtsgericht – [X.] – [X.].

Gründe

I.

1

Die Staatsanwaltschaft [X.] hat unter dem 26. Juni 2017 Anklage vor dem Amtsgericht – Strafrichter – in [X.] wegen fahrlässiger Gefährdung des Schiffsverkehrs (§ 315a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 Nr. 2 StGB) in Tateinheit mit fahrlässiger Tötung in zwei sowie fahrlässiger Körperverletzung in vier Fällen (§§ 222, 229 StGB) erhoben.

2

Dem Angeschuldigten wird zur Last gelegt, am 27. August 2016 zu nächtlicher Stunde mit einer Blutalkoholkonzentration von mindestens 1,89 ‰ ein Motorsportboot auf dem [X.] geführt und dabei infolge alkoholbedingter Aufmerksamkeits- und Konzentrationsmängel, deutlicher Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 10 km/h sowie aufgrund des Umstandes, dass er trotz der nächtlichen Sichtverhältnisse keinen der weiteren Bootsinsassen als Ausguck bestellt hatte, eine Kollision mit einem anderen Motorsportboot verursacht zu haben. Die vier Insassen jenes Motorsportbootes wurden dabei erheblich, zwei von ihnen sogar tödlich verletzt; auch der Angeschuldigte selbst sowie zwei seiner Beifahrerinnen erlitten Verletzungen.

3

Nachdem das Amtsgericht – Strafrichter – [X.] die Staatsanwaltschaft bereits zuvor auf seine fehlende sachliche Zuständigkeit und Zweifel an seiner örtlichen Zuständigkeit geäußert hatte, die Staatsanwaltschaft dem jedoch entgegen getreten war, erklärte sich das Amtsgericht – Strafrichter – [X.] mit Beschluss vom 12. Januar 2018 für sachlich und örtlich unzuständig und verwies das Verfahren an das [X.] – [X.].

4

Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, die Sache falle als [X.] gemäß § 2 Abs. 3 Satz 1 Buchst. a) BinSchGerG in die sachliche Zuständigkeit der Schifffahrtsgerichte, da die verfahrensgegenständliche Tat auf einem Binnengewässer begangen worden sei und ihr Schwerpunkt in der Verletzung schifffahrtspolizeilicher Vorschriften liege, wozu unter den obwaltenden Umständen auch § 315a und § 222 StGB zählten. Im Übrigen sei das Amtsgericht [X.] auch örtlich unzuständig. Es fehle an den für die Annahme eines Gerichtsstands gemäß § 7 Abs. 1 StPO erforderlichen hinreichenden Anhaltspunkten dafür, dass der Tatort im Bezirk dieses Gerichts liege, weil sich die [X.], deren genaue Lage nicht mehr geklärt werden könne, in einem Bereich ereignet haben müsse, in dem der überwiegende Teil des Gewässers zum Bezirk des [X.] gehöre, das wegen des dortigen Wohnsitzes des Angeschuldigten ohnehin gemäß § 8 Abs. 1 StPO örtlich zuständig sei.

5

Daraufhin legte die Staatsanwaltschaft [X.] die Akten dem [X.] – [X.] vor, das ohne vorherige Anhörung der nach § 7 BinSchGerG zuständigen Staatsanwaltschaft [X.] mit Beschluss vom 5. Februar 2018 die Übernahme des Verfahrens ablehnte und sich für sachlich unzuständig erklärte.

6

Zur Begründung verwies es im Wesentlichen darauf, dass keine schifffahrtspolizeiliche Vorschrift verletzt sei, die besondere Sachkunde des Binnenschifffahrtsgerichts bei Unfällen kleinerer Wasserfahrzeuge nicht zum Tragen komme und der Schwerpunkt des Fahrlässigkeitsvorwurfs in der Alkoholisierung des Angeschuldigten und der damit verbundenen Fahruntüchtigkeit liege.

7

Die Staatsanwaltschaft [X.] leitete deshalb die Akten an das Amtsgericht – Strafrichter – [X.] zurück, das die Sache mit Verfügung vom 22. Februar 2018 dem Oberlandesgericht [X.] zur Entscheidung des [X.] vorlegte.

8

Der Generalstaatsanwalt in [X.] nahm zu der Vorlage unter dem 2. März 2018 Stellung und sprach sich für eine Übertragung der Sache an das [X.] – [X.] aus.

9

Durch Beschluss vom 22. März 2018 stellte das Oberlandesgericht [X.] fest, nicht zur Entscheidung berufen zu sein und legte das Verfahren dem [X.] vor.

II.

1. Über den Zuständigkeitsstreit hat der [X.] als das gemeinschaftliche obere Gericht in entsprechender Anwendung der §§ 14, 19 StPO zu befinden. Obgleich beide streitende Amtsgerichte zum Bezirk des Oberlandesgerichts [X.] gehören, ist dieses zur Entscheidung des [X.] nicht berufen. Für Verfahren, in denen das Amtsgericht [X.] als Schifffahrtsgericht angerufen wird, ist das nächstobere Gericht allein das [X.] – [X.] – [X.]. Diesem ist gemäß § 4 Abs. 3 BinSchGerG [X.]. Art. 2 des [X.] zwischen der [X.], der Freien und Hansestadt [X.] sowie den Ländern [X.] und [X.] über die gerichtliche Zuständigkeit in [X.]n vom 10. Februar 1984 ([X.]. GVBl. S. 17) die Verhandlung und Entscheidung über die Berufungen und Beschwerden, mithin bei sämtlichen in [X.]n statthaften Rechtsmitteln (§ 10 BinSchGerG), übertragen.

2. Gleichwohl ist die Vorlage an den [X.] zur Entscheidung über den negativen sachlichen [X.] in entsprechender Anwendung der §§ 14, 19 StPO zulässig. Während die Strafprozessordnung für die Behebung eines Streites über die örtliche Zuständigkeit Regelungen in den §§ 14, 19 StPO enthält, fehlen solche für den Fall eines negativen sachlichen [X.]. Der Gesetzgeber hat Vorschriften hierüber für nicht erforderlich gehalten, da er die Zuständigkeitsregelung in den §§ 209, 209a, 225a, 269, 270, 328 Abs. 2 und § 355 StPO für ausreichend hielt. Der [X.] erachtet eine entsprechende Anwendung der §§ 14, 19 StPO auf den negativen sachlichen [X.] dann für zulässig, wenn andernfalls mangels einer ausdrücklichen Bestimmung das Verfahren unter Umständen nicht fortgesetzt und zum Stillstand kommen würde; ein solches Ergebnis wäre mit der Aufgabe der Strafrechtspflege nicht vereinbar (vgl. Senat, Beschlüsse vom 15. Mai 1963 – 2 [X.], [X.]St 18, 381, 383 f., vom 3. September 1982 – 2 [X.], [X.], 30, und vom 29. April 1983 – 2 [X.], [X.]St 31, 361, 362; [X.], Beschluss vom 17. März 1999 – 3 [X.], [X.]St 45, 26, 28); eine entsprechende Anwendung scheidet allerdings dann aus, wenn der Zuständigkeitsstreit durch eines der beteiligten Gerichte verbindlich entschieden werden kann oder zu seiner Klärung andere Rechtsbehelfe zur Verfügung stehen (Senat, Beschluss vom 21. Dezember 1982 – 2 [X.], [X.]St 31, 183, 184 f.; [X.], Beschluss vom 17. März 1999 – 3 [X.], [X.]St 45, 26, 29 f.).

Nach dieser Maßgabe ist der [X.] zur Entscheidung berufen.

Für eine Konkurrenz der allgemeinen sachlichen Zuständigkeit der Amtsgerichte in Strafsachen und der (besonderen) sachlichen Zuständigkeit des [X.] – in Strafsachen fehlt eine ausdrückliche Regelung (vgl. [X.] [X.], Beschluss vom 12. Juni 2017 – 4 Ws 1/17, juris Rn. 7).

Das Verfahren ist nach Anklageerhebung im Juni 2017 seit nunmehr knapp 18 Monaten in der Sache nicht mehr gefördert worden, so dass durch den Zuständigkeitsstreit faktisch ein Verfahrensstillstand eingetreten ist. Dies ist mit Blick auf die Aufgaben der Strafrechtspflege schon deshalb unvertretbar, weil es sich um einen Tatvorwurf mit schwerwiegenden Folgen handelt und erhebliche Beweisverluste drohen.

Der Zuständigkeitsstreit kann nicht durch eines der beteiligten Gerichte verbindlich entschieden werden und es stehen auch keine Rechtsbehelfe zu einer zeitnahen Klärung zur Verfügung. Zwar könnte die Staatsanwaltschaft [X.] – worauf der [X.] in seiner Zuschrift zutreffend hinweist – verschiedene Wege beschreiten, um doch noch eine Klärung des [X.] zu bewirken. Angesichts der bereits eingetretenen – unvertretbaren – Verzögerung sieht der Senat jedoch von der vom [X.] angeregten Rückgabe der Sache an die Staatsanwaltschaft [X.] ab und bestimmt selbst das sachlich und örtlich zuständige Gericht.

3. Die Untersuchung und Entscheidung der Sache obliegt dem [X.] – [X.]. Es handelt sich um eine den Schifffahrtsgerichten übertragene [X.] im Sinne von § 2 Abs. 3 Satz 1 Buchst. a) BinSchGerG.

a) Hiernach fallen in die sachliche Zuständigkeit der Schifffahrtsgerichte „Strafsachen wegen Taten, die auf oder an Binnengewässern unter Verletzung schifffahrtspolizeilicher Vorschriften begangen sind und deren Schwerpunkt in der Verletzung dieser Vorschriften liegt, soweit für die Strafsachen nach den Vorschriften des Gerichtsverfassungsgesetzes die Amtsgerichte zuständig sind“.

Bereits aus den Gesetzgebungsmaterialien ergibt sich, dass der Schwerpunkt der Tat in der Verletzung schifffahrtspolizeilicher Vorschriften liegt, wenn z.B. eine fahrlässige Körperverletzung auf der Verletzung von schifffahrtspolizeilichen Vorschriften beruht oder eine Gefährdung des [X.] nach § 315a StGB vorliegt; in solchen Fällen bildet die Verletzung der schifffahrtspolizeilichen Vorschriften gleichsam [X.] des [X.], so dass überwiegende Gründe dafür sprechen, die Entscheidung dem dafür besonders sachkundigen Schifffahrtsgericht zu übertragen (vgl. [X.]. 7/1261, S. 46).

Schifffahrtspolizeiliche Vorschriften sind alle dem Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung auf Binnengewässern dienende Rechtsnormen (Senat, Beschluss vom 27. Februar 1998 – 2 ARs 37/98, [X.], 367). Es kommt dabei nicht auf die Rechtsnatur der Regelungen, sondern nur auf ihren Regelungszweck – die Abwehr schifffahrtsspezifischer Gefahren – an. Auch die bereichsspezifischen Ausprägungen des allgemeinen und von der Rechtsprechung im Einzelfall zu konkretisierenden rechtlichen Gebots, nicht eigens kodifizierte schifffahrtsspezifische Sorgfaltsanforderungen zu beachten, sind schifffahrtspolizeiliche Vorschriften.

b) Gemessen daran gründet der gegen den Angeschuldigten vorliegend erhobene Schuldvorwurf schwerpunktmäßig in der Verletzung schifffahrtspolizeilicher Vorschriften. Der Straftatbestand der Gefährdung des Schiffsverkehrs nach § 315a StGB ist eine schifffahrtspolizeiliche Vorschrift, die der Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung speziell im Bereich der Schifffahrt dient. Gleiches gilt für die Begrenzung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit auf einem Gewässer und den Grundsatz, dass ein Schiffsführer zur Beachtung der im Schiffsverkehr erforderlichen Sorgfalt bei nächtlichen Sichtverhältnissen einen Ausguck zu bestellen hat.

Schließlich fällt die Sache nach § 24 GVG in die Zuständigkeit der Amtsgerichte und die verfahrensgegenständliche Tat ist auf einem Binnengewässer begangen worden, für das beim [X.] – [X.] nach § 3 Abs. 3, § 4 Abs. 1 Satz 1 BinSchGerG [X.]. § 1 der Verordnung der [X.] Landesregierung zur Übertragung von Ermächtigungen auf den Gebieten der Rechtspflege und der Justizverwaltung vom 6. Juli 2007 ([X.]. GVBl. [X.]) und § 17 der Verordnung des [X.] [X.] zur Regelung von Zuständigkeiten in der Gerichtsbarkeit und der Justizverwaltung vom 18. Dezember 2009 ([X.]. GVBl. [X.]) der ausschließliche Gerichtsstand begründet ist.

[X.]     

      

Appl     

      

Zeng   

      

Grube     

      

Schmidt     

      

Meta

2 ARs 295/18

27.11.2018

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: ARs

§ 222 StGB, § 229 StGB, § 315a StGB, § 2 Abs 3 S 1 Buchst a BinSchGerG, § 3 Abs 3 BinSchGerG, § 4 Abs 1 S 1 BinSchGerG, § 4 Abs 3 BinSchGerG, § 7 BinSchGerG, § 8 StPO, § 14 StPO, § 19 StPO, § 24 GVG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 27.11.2018, Az. 2 ARs 295/18 (REWIS RS 2018, 1225)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 1225

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