Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 15.08.2013, Az. 2 B 19/13

2. Senat | REWIS RS 2013, 3433

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Gegenstand

Maßnahmebemessung; Entfernung aus dem Dienst; Persönlichkeitsbild; Umfang des Vertrauensverlusts; Dauer des Disziplinarverfahrens


Gründe

1

[X.]ie allein auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache gestützte Beschwerde (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, § 70 [X.]) ist unbegründet.

2

1. [X.]ie 1980 geborene [X.] steht als Justizobersekretärin im [X.]ienst des [X.]. Sie wird beim [X.] als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle verwendet. [X.] wurde die [X.] wegen [X.]iebstahls in Tatmehrheit mit [X.]omputerbetrug verurteilt. Sie hatte an ihrer Arbeitsstätte einer Kollegin die E[X.]-Karte entwendet und mit dieser unter Angabe der persönlichen Geheimnummer, die sie bei vorherigen Abhebungen der Geschädigten am Geldautomat heimlich beobachtet und sich gemerkt hatte, von deren Konto 1 000 € abgehoben. Gegenstand der [X.] ist zum einen dieser durch einen Strafbefehl geahndete Sachverhalt und zum anderen der Umstand, dass die [X.] im unmittelbaren [X.] an die erste erfolgreiche Abhebung auf dieselbe Art versucht hatte, weitere 1 000 € vom Konto der Kollegin abzubuchen. [X.]as Verwaltungsgericht hat die [X.] aus dem [X.]ienst entfernt. [X.]as Oberverwaltungsgericht hat die Berufung zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt:

3

[X.]a der zum Nachteil einer Kollegin begangene [X.]iebstahl einschließlich des nachfolgenden Versuchs mit einer Schadenshöhe von insgesamt 2 000 € die Schwelle der Geringwertigkeit deutlich übersteige, sei von der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis als Richtschnur der Maßnahmebestimmung auszugehen. [X.]ie feststellbaren Entlastungsgründe hätten kein solches Gewicht, dass eine andere als die durch die Schwere des [X.]ienstvergehens indizierte [X.]isziplinarmaßnahme gerechtfertigt wäre.

4

2. [X.]ie Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen.

5

Grundsätzliche Bedeutung im Sinne der § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, § 70 [X.] hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine - vom Beschwerdeführer zu bezeichnende - grundsätzliche, bisher höchstrichterlich nicht beantwortete Rechtsfrage aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder einer Weiterentwicklung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf und die für die Entscheidung des [X.] erheblich sein wird (stRspr, u.a. Beschluss vom 2. Oktober 1961 - BVerwG 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91 f.>). [X.]as ist hier nicht der Fall.

6

Als Frage von grundsätzlicher Bedeutung nennt die [X.] zunächst:

"Setzt das geltende Recht zwingend insbesondere vor dem Hintergrund einer angemessenen Berücksichtigung des [X.] des Beamten im Rahmen der Prüfung von Milderungsgründen das Vorliegen einer Ausnahmesituation voraus, in der die Tat begangen worden sein könnte, um gerade unter Berücksichtigung des [X.] des Beamten die Annahme rechtfertigen zu können, dass der Beamte zukünftig seinen [X.]ienstpflichten ordnungsgemäß nachkommen wird?"

7

[X.]iese Frage rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht, weil sie sich auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung des Senats zu den Grundsätzen der Zumessungsentscheidung auch ohne [X.]urchführung eines Revisionsverfahrens beantworten lässt.

8

§ 13 Abs. 1 [X.] schreibt für die im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts stehende [X.]isziplinarmaßnahme vor, dass sie nach der Schwere des [X.]ienstvergehens zu bemessen ist (Satz 2). [X.]as Persönlichkeitsbild des Beamten ist angemessen zu berücksichtigen (Satz 3). Ferner soll berücksichtigt werden, in welchem Umfang der Beamte das Vertrauen des [X.]ienstherrn oder der Allgemeinheit beeinträchtigt hat (Satz 4). Hat der Beamte durch ein schweres [X.]ienstvergehen das Vertrauen des [X.]ienstherrn oder der Allgemeinheit endgültig verloren, ist er aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen (§ 13 Abs. 2 Satz 1 [X.]).

9

Ist, wie hier, aufgrund der Schwere des [X.]ienstvergehens die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis grundsätzlich Richtschnur für die Maßnahmebestimmung, so ist zu prüfen, ob sich im Einzelfall aufgrund des [X.] des Beamten Entlastungsgründe von solchem Gewicht ergeben, dass die prognostische Gesamtwürdigung den Schluss rechtfertigt, der Beamte habe das Vertrauensverhältnis noch nicht vollständig zerstört. [X.]as [X.] "Persönlichkeitsbild des Beamten" erfasst dessen persönliche Verhältnisse und sein sonstiges dienstliches Verhalten vor und nach der Tat. Es erfordert eine Prüfung, ob das festgestellte [X.]ienstvergehen dem bisher gezeigten Persönlichkeitsbild des Beamten entspricht oder etwa als persönlichkeitsfremdes Verhalten in einer Notlage oder einer psychischen Ausnahmesituation davon abweicht (Urteile vom 20. Oktober 2005 - BVerwG 2 [X.] 12.04 - BVerwGE 124, 252 <259> = [X.] 235.1 § 13 [X.] Nr. 1, vom 24. Mai 2007 - BVerwG 2 [X.] 25.06 - juris Rn. 13 , vom 29. Mai 2008 - BVerwG 2 [X.] 59.07 - juris Rn. 14 und vom 29. Juli 2010 - BVerwG 2 A 4.09 - juris Rn. 197; Beschlüsse vom 19. Juni 2007 - BVerwG 2 [X.] - juris Rn. 4 und vom 28. Juni 2010 - BVerwG 2 [X.] - juris Rn. 14).

Aus diesen Grundsätzen, die auch das Oberverwaltungsgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat, folgt, dass dem Persönlichkeitsbild des Beamten für die Gesamtabwägung [X.] entnommen werden kann, wenn die Pflichtverletzung aus einer Ausnahmesituation resultiert und deshalb der Schluss gerechtfertigt ist, in Zukunft müsse nicht erneut mit einem solchen persönlichkeitsfremden Verhalten des Beamten gerechnet werden. Stimmt dagegen das dienstliche Verhalten des Beamten vor, bei und nach dem [X.]ienstvergehen mit dem bisher gezeigten Persönlichkeitsbild überein, kann jedenfalls aufgrund des [X.] nicht angenommen werden, der Beamte habe das Vertrauensverhältnis noch nicht vollständig zerstört.

Soweit die Beschwerde die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache in der Frage sieht, wie bestimmte Umstände im Rahmen der nach § 13 [X.] in die Beurteilung einfließenden Kriterien - hier das Persönlichkeitsbild - zu berücksichtigen sind, wird nicht beachtet, dass dies von den Umständen des konkreten Einzelfalls abhängt und deshalb einer rechtsgrundsätzlichen Klärung nicht zugänglich ist.

Auch die beiden weiteren Fragen

"Sind Vertrauensbekundungen mehrerer Mitarbeiter der [X.]ienststelle sowie des Leiters derselben nach dem Grundsatz "in dubio pro reo" als objektiv tragfähige Gründe für eine positive Zukunftsprognose unter Berücksichtigung des [X.] des Beamten zu qualifizieren bzw. indizieren deren Vorliegen zumindest auch das Vorliegen objektiv tragfähiger Gründe in diesem Sinne?"

und

"Hat die eindeutige Vertrauensbekundung des [X.]s eines Zugriffsdelikts mit dem Inhalt, dass das [X.] mit der [X.]n (Beamtin) nach Bekanntwerden der Tat problemlos zusammengearbeitet hat, die [X.] (Beamtin) deren Vertrauen genossen hat und genießt, zwischen [X.] und [X.]r (Beamtin) ein gutes und kollegiales Verhältnis fortbesteht und der [X.] nicht gestört war und ist, als (unbenannter) Milderungsgrund hinreichendes Gewicht, um von der [X.] der Entfernung aus dem [X.]ienst abzusehen?"

rechtfertigen die Zulassung der Revision wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache nicht. Sie betreffen jeweils die Frage, ob die auf die derzeitige [X.]ienststelle der [X.]n bezogenen Umstände, zum einen Vertrauensbekundungen von Mitarbeitern und des Leiters und zum anderen eine entsprechende Erklärung der Geschädigten, für die Bemessensentscheidung von Bedeutung sind. In der Rechtsprechung des [X.] ist aber geklärt, dass es für die vom Gericht eigenverantwortlich zu treffende Zumessungsentscheidung nicht auf die Verhältnisse bei der derzeitigen [X.]ienststelle des betroffenen Beamten ankommt (Beschluss vom 2. März 2012 - BVerwG 2 [X.] - juris Rn. 13).

[X.]as Oberverwaltungsgericht hat eine eigenständige Zumessungsentscheidung zu treffen und ist nicht auf die Überprüfung der Entscheidung des [X.] beschränkt (§ 66 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 61 Abs. 2 Satz 2 [X.]). Für diese Zumessungsentscheidung ist maßgeblich, inwieweit der [X.]ienstherr oder die Allgemeinheit bei objektiver Gewichtung des [X.]ienstvergehens auf der Basis der festgestellten be- und entlastenden Umstände noch darauf vertrauen kann, dass der Beamte in Zukunft seinen [X.]ienstpflichten ordnungsgemäß nachkommen wird (Urteile vom 20. Oktober 2005 a.a.[X.] und vom 25. August 2009 - BVerwG 1 [X.] 1.08 - juris Rn. 78 § 77 [X.] 2009 Nr. 1>).

[X.]ie Entscheidung, in welchem Umfang die Allgemeinheit dem Beamten noch Vertrauen in eine zukünftig pflichtgemäße Amtsausübung entgegenbringen kann, wenn ihr das [X.]ienstvergehen einschließlich der belastenden und entlastenden Umstände bekannt würde, trifft das Gericht nach objektiven Kriterien. [X.]a es der Behörde nicht eine eingeschränkte Verwendung eines disziplinarisch in Erscheinung getretenen Beamten vorschreiben kann (Urteil vom 22. Mai 1996 - BVerwG 1 [X.] 72.95 - [X.] 232 § 54 Satz 3 [X.] Nr. 6 S. 17 m.w.N.), ist die Prüfung des Gerichts, ob der betreffende Beamte im Beamtenverhältnis verbleiben darf, nicht auf den derzeitigen Tätigkeitsbereich (Amt im funktionellen Sinne) beschränkt, sondern hat sich auf sein Amt als Ganzes zu beziehen. Im Übrigen ergibt sich aus dem Senatsbeschluss vom 2. März 2012 (BVerwG 2 [X.]) entgegen der Ansicht der Beschwerde nicht, dass die Bekundungen des Vertrauens durch die Geschädigte, Behördenleiter oder Kollegen bei der Zumessungsentscheidung zwingend zu berücksichtigen sind.

Schließlich rechtfertigt auch die vierte als rechtsgrundsätzlich bezeichnete Frage

"Ist auch im Lichte der Rechtsprechung des [X.] eine Verfahrensdauer von über fünf Jahren in denjenigen Fällen, in denen ansonsten eine Entfernung aus dem Beamtenverhältnis geboten ist, im Rahmen der Bemessung des anzuwendenden [X.]isziplinarmaßes zumindest in die anzustellende prognostische Gesamtwürdigung mit einzubeziehen, insbesondere wenn die Beamtin während der gesamten Verfahrensdauer nicht noch einmal disziplinarrechtlich in Erscheinung getreten ist, während dessen Vertrauensbekundungen von Kollegen und Vorgesetzten ausgesprochen worden sind und die Beamtin beanstandungsfrei weiter ihren [X.]ienst erfüllt hat, selbst wenn die [X.]auer des Verfahrens (noch) nicht die Schwelle des Unzumutbaren erreicht haben sollte?"

nicht die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache, weil sie in der Rechtsprechung des Senats bereits geklärt ist.

Auch die unangemessen lange [X.]auer des [X.]isziplinarverfahrens im Sinne von Art. 6 Abs. 1 Satz 1 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 in der Fassung der Bekanntmachung vom 17. Mai 2002 ([X.] 1055) - [X.] - stellt keinen bemessungsrelevanten Umstand dar, der das Verwaltungsgericht berechtigt, von der gebotenen Entfernung des Beamten aus dem Beamtenverhältnis abzusehen.

Zur weiteren Begründung hat der Senat in seinen Urteilen vom 28. Februar 2013 (- BVerwG 2 [X.] 3.12 - [X.] 2013, 257 Rn. 44 ff. sowie - BVerwG 2 [X.] 62.11 - [X.]okBer 2013, 183 Rn. 59 ff. - [X.]) ausgeführt:

"Nach Art. 6 Abs. 1 Satz 1 [X.] hat jede Person ein Recht darauf, dass über Streitigkeiten in Bezug auf ihre zivilrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen oder über eine gegen sie erhobene strafrechtliche Anklage von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird.

[X.]er [X.] ([X.]), dessen Rechtsprechung über den jeweils entschiedenen Fall hinaus Orientierungs- und Leitfunktion für die Auslegung der [X.] hat, entnimmt Art. 6 Abs. 1 Satz 1 [X.] einen Anspruch auf abschließende gerichtliche Entscheidung innerhalb angemessener [X.]. [X.]ie Angemessenheit der [X.]auer des Verfahrens ist aufgrund einer Gesamtbetrachtung unter Berücksichtigung der Schwierigkeit des Falles, des Verhaltens der Parteien, der Vorgehensweise der Behörden und Gerichte sowie der Bedeutung des Verfahrens für die Parteien zu beantworten. [X.]ies gilt auch für [X.]isziplinarverfahren. Sie müssen innerhalb angemessener [X.], d.h. ohne schuldhafte Verzögerungen, unanfechtbar abgeschlossen sein. [X.]abei sind behördliches und gerichtliches Verfahren als Einheit zu betrachten (vgl. nur [X.], Urteil vom 16. Juli 2009 - 8453/04 - NVwZ 2010, 1015 <1017>).

[X.]ie Konvention gilt als völkerrechtlicher Vertrag innerstaatlich nicht unmittelbar; sie genießt - im Gegensatz zum Unionsrecht - keinen Anwendungsvorrang vor dem abweichenden innerstaatlichen Recht. Allerdings ist die [X.] nach Art. 27 der [X.] ([X.]) völkervertragsrechtlich verpflichtet, ihr innerstaatlich Geltung zu verschaffen. [X.]er Bundesgesetzgeber hat die [X.] und ihre Zusatzprotokolle mit dem Rang eines Bundesgesetzes in die [X.] Rechtsordnung transformiert (Gesetz vom 7. August 1952, [X.] 685; neue Bekanntmachung der [X.] in der Fassung des [X.], [X.] 2002, S.1054).

[X.]arüber hinaus ist die [X.] völkervertragsrechtlich verpflichtet sicherzustellen, dass die bundes[X.] Rechtsordnung in ihrer Gesamtheit mit der Konvention übereinstimmt. [X.]as innerstaatliche Recht muss im Konfliktfall an die Konvention angepasst werden ([X.], Beschluss vom 14. Oktober 2004 - 2 BvR 1481/04 - [X.]E 111, 307 <322> = NJW 2004, 3407 <3409>). Auch folgt aus dem Verfassungsgrundsatz der [X.], dass Verwaltung und Gerichte verpflichtet sind, das innerstaatliche Recht in Einklang mit der Konvention auszulegen, soweit dies nach den anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung und Verfassungsinterpretation vertretbar erscheint ([X.], Beschluss vom 14. Oktober 2004 a.a.[X.] 323 f. bzw. [X.]; Urteil vom 4. Mai 2011 - 2 BvR 2365/09 u.a. - [X.]E 128, 326 = NJW 2011, 1931 ).

Es liegt nahe, dass für die konventionskonforme Auslegung diejenigen Regeln Anwendung finden, die für die verfassungskonforme Auslegung entwickelt worden sind. [X.]emnach findet diese Auslegung ihre Grenze in dem eindeutigen Wortlaut der Norm sowie in dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers; sie darf Wortlaut und gesetzgeberischem Willen nicht widersprechen ([X.], Beschlüsse vom 24. Mai 1995 - 2 [X.] - [X.]E 93, 37 <81> und vom 15. Oktober 1996 - 1 BvL 44, 48/92 - [X.]E 95, 64 <93>; BVerwG, Urteile vom 28. April 2005 - BVerwG 2 [X.] 1.04 - BVerwGE 123, 308 <316> und vom 26. Juni 2008 - BVerwG 2 [X.] 22.07 - BVerwGE 131, 242 Rn. 25).

Für die innerstaatlichen Rechtsfolgen einer unangemessen langen Verfahrensdauer im Sinne von Art. 6 Abs. 1 Satz 1 [X.] ist zu beachten, dass diese Bestimmung nur Verfahrensrechte einräumt. [X.]iese dienen der [X.]urchsetzung und Sicherung des materiellen Rechts; sie sind aber nicht darauf gerichtet, das materielle Recht zu ändern. [X.]aher kann eine unangemessen lange Verfahrensdauer nicht dazu führen, dass den Verfahrensbeteiligten eine Rechtsstellung zuwächst, die ihnen nach dem innerstaatlichen materiellen Recht nicht zusteht. Vielmehr kann sie für die Sachentscheidung in dem zu lange dauernden Verfahren nur berücksichtigt werden, wenn das materielle Recht dies vorschreibt oder zulässt. Ob diese Möglichkeit besteht, ist durch die Auslegung der entscheidungserheblichen materiellrechtlichen Normen und Rechtsgrundsätze zu ermitteln. Bei dieser Auslegung ist das Gebot der konventionskonformen Auslegung im Rahmen des methodisch Vertretbaren zu berücksichtigen (Beschluss vom 16. Mai 2012 - BVerwG 2 B 3.12 - NVwZ-RR 2012, 609 Rn. 12).

[X.]er Gesetzgeber hat davon abgesehen, einen inhaltlichen Bezug zwischen der überlangen [X.]auer eines Verfahrens und den geltend gemachten materiellrechtlichen Positionen herzustellen. Er hat die Verfahrensbeteiligten auf Entschädigungsansprüche nach Maßgabe der §§ 198 ff. [X.] in der Fassung des [X.] bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren vom 24. November 2011 ([X.]) verwiesen. [X.]iese Vorschriften finden nach § 173 Satz 2 VwGO, § 3 L[X.]G MV auch für [X.]isziplinarverfahren Anwendung (Urteil vom 29. März 2012 - BVerwG 2 A 11.10 - juris Rn. 85; Beschluss vom 16. Mai 2012 a.a.[X.] Rn. 14).

[X.]araus folgt für die Bestimmung der [X.]isziplinarmaßnahme nach einem unangemessen lange dauernden [X.]isziplinarverfahren:

Ergibt die Gesamtwürdigung aller be- und entlastenden Umstände nach Maßgabe des § 15 Abs. 1 Satz 2 bis 4 L[X.]G MV (§ 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 [X.]), dass wegen eines schwerwiegenden [X.]ienstvergehens die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis geboten ist, so lässt sich der Verbleib im Beamtenverhältnis allein aufgrund einer unangemessen langen Verfahrensdauer nicht mit dem Zweck der [X.]isziplinarbefugnis, nämlich dem Schutz der Integrität des Berufsbeamtentums und der Funktionsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung, vereinbaren. [X.]iese Schutzgüter und der Grundsatz der Gleichbehandlung schließen es aus, dass ein Beamter, der durch gravierendes Fehlverhalten im öffentlichen [X.]ienst untragbar geworden ist, weiterhin [X.]ienst leisten und als Repräsentant des [X.]ienstherrn hoheitliche Befugnisse ausüben kann, weil das gegen ihn geführte [X.]isziplinarverfahren unangemessen lange gedauert hat. [X.]as von dem Beamten zerstörte Vertrauen kann nicht durch [X.]ablauf und damit auch nicht durch eine verzögerte disziplinarrechtliche Sanktionierung schwerwiegender Pflichtenverstöße wiederhergestellt werden.

Ergibt die Gesamtwürdigung dagegen, dass eine pflichtenmahnende [X.]isziplinarmaßnahme ausreichend ist, steht fest, dass der Beamte im öffentlichen [X.]ienst verbleiben kann. Hier kann das disziplinarrechtliche Sanktionsbedürfnis gemindert sein, weil die mit dem [X.]isziplinarverfahren verbundenen beruflichen und wirtschaftlichen Nachteile positiv auf den Beamten eingewirkt haben. Unter dieser Voraussetzung kann eine unangemessen lange Verfahrensdauer bei der Bestimmung der [X.]isziplinarmaßnahme aus Gründen der Verhältnismäßigkeit mildernd berücksichtigt werden (zum Ganzen [X.], Beschluss vom 4. Oktober 1977 - 2 BvR 80/77 - [X.]E 46, 17 <28 f.>; Kammerbeschluss vom 9. August 2006 - 2 BvR 1003/05 - [X.]VBl. 2006, 1372 <1373>; BVerwG, Urteile vom 22. Februar 2005 - BVerwG 1 [X.] 30.03 - juris Rn. 80; vom 8. Juni 2005 - BVerwG 1 [X.] 3.04 - juris Rn. 27 und vom 29. März 2012 - BVerwG 2 A 11.10 - juris Rn. 84 f.; Beschlüsse vom 13. Oktober 2005 - BVerwG 2 B 19.05 - [X.] 235.1 § 15 [X.] Nr. 2 Rn. 8; vom 26. August 2009 - BVerwG 2 [X.] - juris Rn. 11 und vom 16. Mai 2012 a.a.[X.] Rn. 9 f.)."

Einen darüber hinausgehenden Klärungsbedarf legt die Beschwerde nicht dar.

Meta

2 B 19/13

15.08.2013

Bundesverwaltungsgericht 2. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend Sächsisches Oberverwaltungsgericht, 9. November 2012, Az: D 6 A 241/12, Urteil

§ 13 Abs 1 DG SN 2007, Art 6 Abs 1 MRK

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 15.08.2013, Az. 2 B 19/13 (REWIS RS 2013, 3433)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 3433

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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2 BvR 1481/04

2 BvR 2365/09

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