Bundespatentgericht, Beschluss vom 27.04.2016, Az. 27 W (pat) 508/15

27. Senat | REWIS RS 2016, 12271

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Gegenstand

Markenbeschwerdeverfahren – "ORA NIGHT (Wort-Bild-Marke)/ora club events stuttgart (Wort-Bild-Marke)" – zur Kennzeichnungskraft – zur Dienstleistungsidentität und –ähnlichkeit – keine unmittelbare Verwechslungsgefahr – keine Verwechslungsgefahr durch gedankliche Verbindung


Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Marke 30 2013 022 059

hat der 27. Senat ([X.]) des [X.] am 27. April 2016 durch die Vorsitzende Richterin [X.], den Richter [X.] und die Richterin kraft Auftrags Seyfarth

beschlossen:

Auf die Beschwerde des Markeninhabers wird der Beschluss der Markenstelle vom 5. Januar 2015 aufgehoben und der Widerspruch insgesamt zurückgewiesen.

Gründe

I.

1

Gegen die am 14. März 2013 angemeldete und am 5. August 2013 für die Waren und Dienstleistungen der

2

Klasse 9 [X.], DVDs und andere digitale Aufzeichnungsträger; Elektronische Publikationen [herunterladbar]

3

und

4

[X.]: Organisation und Durchführung von kulturellen und sportlichen Veranstaltungen (Events); Musikproduktion; Organisation und Veranstaltung von Konzerten; Organisation von Modeschauen für [X.]

5

eingetragene, farbige (schwarz, goldfarben, weiß, grau) [X.] Nr. 30 2013 022 059

Abbildung

6

ist am 22. Oktober 2013 aus der prioritätsälteren, farbigen (gold, schwarz) [X.] Nr. 30 2013 021 685

Abbildung

7

beschränkt auf die Dienstleistungen der [X.] Widerspruch erhoben worden.

8

Die Widerspruchsmarke ist eingetragen für

9

Klasse 35: [X.] in einem Computernetzwerk, Organisation und Durchführung von Werbeveranstaltungen, Organisation und Veranstaltung von Modeschauen für werbe- und verkaufsfördernde Zwecke, organisatorische Beratung, Planung von Werbemaßnahmen

[X.]: Durchführung von Tanzveranstaltungen; Durchführung von Live-Veranstaltungen; Musikdarbietungen; Organisation und Durchführung von kulturellen und sportlichen Veranstaltungen, Organisation und Durchführung von Konferenzen, Organisation und Durchführung von Konzerten, Organisation und Durchführung von Modeschauen für [X.], Party-Planung (Unterhaltung), Veranstaltung und Durchführung von Seminaren, Veranstaltung und Durchführung von Bällen, Veranstaltung von Unterhaltungsshows, Betrieb eines Clubs, Betrieb einer Diskothek

und

Klasse 43: Catering, Dienstleistungen zur Verpflegung und Beherbergung von Gästen, Party-Planung (Verpflegung), Vermietung von Versammlungsräumen, Dienstleistung einer Kinderkrippe, Betrieb einer Bar, Betrieb eines Cafés, Verpflegung von Gästen in Cafés, Verpflegung von Gästen in Restaurants, Verpflegung von Gästen in Cafeterias.

Die Markenstelle für [X.] des [X.] hat mit Beschluss vom 5. Januar 2015 dem Widerspruch stattgegeben und die Löschung der jüngeren Marke für die Dienstleistungen der [X.] angeordnet. Zwischen der jüngeren Marke und der Widerspruchsmarke bestehe Verwechslungsgefahr. Die Widerspruchsmarke verfüge über eine durchschnittliche Kennzeichnungskraft, da sich der Bedeutungsgehalt des [X.] „[X.]“ für „diese Stelle, dieser Ort, dort“ im [X.] nur einem relativ kleinen Teil der angesprochenen Verkehrskreise erschließe. Zudem sei der Bedeutungsgehalt für die Widerspruchsdienstleistungen der Widerspruchsmarke nicht beschreibend. Zwischen den Dienstleistungen der jüngeren Marke und den Dienstleistungen der Widerspruchsmarke sei teilweise Identität und im Übrigen Ähnlichkeit festzustellen. Die jüngere Marke halte den daraus resultierenden, gebotenen hohen [X.] gegenüber der Widerspruchsmarke nicht ein. Zwar unterschieden sich die Zeichen im Gesamteindruck, jedoch seien beide Zeichen vom Wortbestandteil „[X.]“ geprägt, so dass sich klangidentische Zeichen gegenüberstünden.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Markeninhabers vom 12. Februar 2015. Die Markenstelle habe in unzutreffender Weise angenommen, dass es sich bei den maßgeblichen Verkehrskreisen um ein breites, normal aufmerksames Publikum handle. Vielmehr handle es sich bei den maßgeblichen Verkehrskreisen um Angehörige des [X.]. Der [X.] „[X.]“ präge als  beschreibende Angabe nicht, dieser sei zumindest freihaltebedürftig. Die Zeichenähnlichkeit sei gering, sie unterschieden sich aufgrund der unterschiedlichen Anzahl an Silben sowie den Vokal- und Konsonantenfolgen phonetisch. Auch schriftbildlich unterschieden sich die gegenüberstehenden Zeichen aufgrund ihrer graphischen Ausgestaltung. Eine begriffliche Übereinstimmung könne höchstens hinsichtlich des [X.]s „[X.]“ vorliegen, jedoch handle es sich dabei um ein freihaltebedürftiges Wort aus dem Grundwortschatz der [X.]. Der Markeninhaber beantragt,

sinngemäß wie erkannt.

Die Widersprechende beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie verteidigt den angefochtenen Beschluss unter Bezugnahme auf ihr Vorbringen im Widerspruchsverfahren vor dem [X.].

II.

1.

Da eine mündliche Verhandlung nach Wertung des [X.] nicht geboten ist, kann ohne mündliche Verhandlung entschieden werden. Das [X.] entscheidet über Beschwerden in Markensachen grundsätzlich im schriftlichen Verfahren (§ 69 [X.]) und ohne zeitliche Bindung.

2.

Die zulässige Beschwerde hat in der Sache Erfolg, weil entgegen der Ansicht der Markenstelle eine Gefahr von Verwechslungen im Sinn vom § 42 Abs. 2 Nr. 1, § 9 Abs. 1 Nr. 2 [X.] nicht besteht.

Die Eintragung einer Marke ist auf den Widerspruch aus einer prioritätsälteren Marke nach § 42 Abs. 2 Nr. 1, § 9 Abs. 1 Nr. 2 [X.] zu löschen, wenn unter Beachtung aller Umstände des Einzelfalles zwischen beiden Zeichen wegen Zeichenidentität oder -ähnlichkeit und Dienstleistungs- bzw. Warenidentität oder-ähnlichkeit unter Berücksichtigung der Kennzeichnungskraft der älteren Marke die Gefahr von Verwechslungen einschließlich der Gefahr, dass die Marken miteinander gedanklich in Verbindung gebracht werden, besteht.

Ob Verwechslungsgefahr vorliegt, ist nach der Rechtsprechung sowohl des [X.] als auch des [X.] unter Beachtung aller Umstände des Einzelfalls umfassend zu beurteilen (vgl. z. B. [X.] [X.] 2013, 923, Nr. 34 - [X.]; [X.], 1098, Nr. 44 - [X.]/[X.]; [X.], 933, Nr. 32 - [X.]; [X.] 2015, 176, Nr. 9 - [X.]/[X.]; [X.] 2014, 488, Nr. 9 - [X.]/[X.]; [X.] 2013, 833 Rn. 30 - Culinaria/[X.]). Von maßgeblicher Bedeutung sind insoweit die Identität oder Ähnlichkeit der zum Vergleich stehenden Marken sowie der von diesen erfassten Waren (oder Dienstleistungen). Darüber hinaus ist die Kennzeichnungskraft der älteren Marke und - davon abhängig - der dieser im Einzelfall zukommende Schutzumfang in die Betrachtung mit einzubeziehen. Dabei impliziert der Begriff der Verwechslungsgefahr eine gewisse Wechselwirkung zwischen den genannten Faktoren (st. Rspr., z. B. [X.] 2015, 176, Nr. 9 - [X.]/[X.]; [X.] 2014, 488, Nr. 9 - [X.]/[X.]; [X.] 2014, 382, Nr. 14 - [X.]).

3.

Nach diesen Grundsätzen ist zwischen den Vergleichsmarken eine markenrechtlich relevante Gefahr von Verwechslungen nicht zu besorgen.

a)

Dabei ist von einer noch durchschnittlichen Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke in ihrer Gesamtheit auszugehen.

Der Bestandteil [X.] allein weist mit dem Beschwerdeführer eine gewisse Schwächung der Kennzeichnungskraft auf, wenn er von einem türkischsprachigen Publikum als „[X.]“ gelesen und daher als „jener Ort“, „jene Stelle“ bzw. „dort“ verstanden wird. Das wird durch den zusätzlich erklärenden Bestandteil „[X.]“ auf eine Ortsangabe unterstützt. Darüber hinaus ist „[X.]“ auch in [X.] Sprachen geläufig für Zeitangaben wie „jetzt, nun“ oder lateinisch für „bete“ und kann daher für ein breites Publikum einen Sinngehalt aufweisen. Da aber nicht fernliegend ist, die Buchstabenfolge einzeln mit „o“ „r“ „a“ zu benennen und insgesamt in der Gesamtschau die grafische Gestaltung des Zeichens nicht vernachlässigt werden wird, schwächt dieser Umstand die Kennzeichnungskraft des Zeichens nicht entscheidend.

b)

Die beanspruchten Dienstleistungen der sich gegenüberstehenden Marken sind als identisch und ähnlich anzusehen.

c)

Bei der Beurteilung der Zeichenähnlichkeit ist grundsätzlich vom jeweiligen Gesamteindruck der einander gegenüberstehenden Zeichen auszugehen (vgl. z. B. [X.] 2014, 382, Nr. 14 - [X.]; [X.] 2013, 833, Nr. 30 - Culinaria/[X.]). Dabei ist von dem allgemeinen Erfahrungssatz auszugehen, dass der Verkehr eine Marke so aufnimmt, wie sie ihm entgegentritt, ohne sie einer analysierenden Betrachtungsweise zu unterwerfen. Die Frage der Ähnlichkeit sich gegenüberstehender Zeichen ist nach deren Ähnlichkeit in Klang, ([X.] und Sinngehalt zu beurteilen, weil Marken auf die mit ihnen angesprochenen Verkehrskreise in klanglicher, bildlicher und begrifflicher Hinsicht wirken (vgl. [X.] [X.] 2006, 413, Nr. 19 - [X.]/SIR; [X.] 2005, 1042, Nr. 28 - THOMSON LIFE; [X.] 2015, 1009, Nr. 24 - [X.]; [X.], 235 Nr. 15 - [X.]/[X.]). Dabei genügt für die Annahme einer Verwechslungsgefahr regelmäßig bereits die hinreichende Übereinstimmung in einer Wahrnehmungsrichtung (st. Rspr. vgl. z. B. [X.] 2015, 1009, Nr. 24 - [X.]; [X.] 2014, 382, Nr. 25 - [X.]; [X.], 235, Nr. 18 - [X.]/[X.]; [X.]/Hacker, [X.], 11. Aufl., § 9 Rn. 254 m. w. N.).

Den danach erforderlichen deutlichen Abstand hält die jüngere Marke aufgrund des zusätzlichen Bestandteils „[X.]“ in schriftbildlicher und begrifflicher Hinsicht unzweifelhaft ein. Auch klanglich sind die Zeichen allerdings ausreichend weit beabstandet. Entgegen der Auffassung der Markenstelle wird die jüngere Marke nicht von dem Bestandteil „[X.]“ geprägt. Das Publikum wird die jüngere Marke in ihrer Gesamtheit als Kombination von „[X.]“ als Orts- oder [X.], mit „[X.]“ als geläufigen Hinweis auf (spät-)abendliche Veranstaltungen erkennen. Der Gesamteindruck der angegriffenen Marke wird durch die Zusammenstellung von „[X.]“, „night“ und insbesondere der Grafik bestimmt und mit „[X.] night“ benannt werden. Demgegenüber wird der Gesamteindruck der Widerspruchsmarke ebenfalls entscheidend vom grafischen Bestandteil bestimmt und mit „o“ „r“ „a“, w[X.]uf die Gestaltung naheliegender hinführt, oder auch „[X.] club events“ benannt werden.

d)

Es besteht auch nicht die Gefahr, dass die Verbraucher die Vergleichsmarken im Sinne von § 9 Abs. 1 Nr. 2, 2. Halbs. [X.] gedanklich miteinander in Verbindung bringen. Dies wäre der Fall, wenn der Verbraucher, der die Unterschiede der Marken wahrnimmt und sie deshalb nicht unmittelbar verwechselt, aufgrund von Gemeinsamkeiten in der Markenbildung oder in prägenden Einzelteilen Anlass hätte, dass jüngere Zeichen (irrtümlich) der Inhaberin der älteren Marke zuzuordnen oder aufgrund dieser Umstände auf sonstige wirtschaftliche oder organisatorische Verbindungen zwischen den Markeninhabern, vor allem im Sinne einer gemeinsamen Produktverantwortung, zu schließen. Ausschließlich assoziative Gedankenverbindungen, die zwar behindernde, rufausbeutende oder verwässernde Wirkung haben, nicht jedoch zu eigentlichen Herkunftsverwechslungen führen, erfasst § 9 Abs. 1 Nr. 2 Alternative 2 [X.] nicht ([X.] [X.] 1998, 387, Nr. 18 - Sabél/[X.]; [X.] 2002, 544 - Bank 24).

Eine derartige Verwechslungsgefahr wird regelmäßig nur dann bejaht, wenn die Widersprechende bereits mit einer Serie von Marken aufgetreten ist, die das in den Vergleichsmarken übereinstimmende Element als Stammbestandteil enthalten und das Publikum trotz abweichender Bestandteile das jüngere Zeichen mit der Widerspruchsmarke als ein davon abgeleitetes Serienzeichen in Verbindung bringt (vgl. z. B. [X.] 1996, 200 - Innovadiclophlont; [X.] 2000, 886 - [X.]/BeiChem).

Dies ist hier nicht der Fall. Eine serienmäßige Bezeichnungspraxis der Widersprechenden ist nicht ersichtlich.

Insgesamt besteht zwischen den Vergleichsmarken somit kein solcher Ähnlichkeitsgrad, dass selbst bei Identität der Dienstleistungen und durchschnittlicher Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke sowie Berücksichtigung allgemeiner Verkehrskreise eine Verwechslungsgefahr gegeben wäre.

4.

Zu einer Kostenauferlegung aus Billigkeit besteht kein Anlass (§ 71 Abs. 1 [X.]).

Meta

27 W (pat) 508/15

27.04.2016

Bundespatentgericht 27. Senat

Beschluss

Sachgebiet: W (pat)

Zitier­vorschlag: Bundespatentgericht, Beschluss vom 27.04.2016, Az. 27 W (pat) 508/15 (REWIS RS 2016, 12271)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 12271

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