Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 03.02.2022, Az. 2 BvR 1910/21

2. Senat 3. Kammer | REWIS RS 2022, 1540

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Nichtannahmebeschluss: §§ 33, 33a StPO gebieten auch vor belastender Auslagenentscheidung eine Anhörung des Betroffenen - hier: Unzulässigkeit der Verfassungsbeschwerde mangels Fristwahrung sowie wegen unzureichender Substantiierung


Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe

1

1. Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil sie unzulässig ist.

2

a) Die vom [X.] mit Beschluss vom 24. September 2021 als unzulässig verworfene sofortige Beschwerde war offensichtlich aussichtslos und gehörte deswegen nicht zum Rechtsweg im Sinne des § 90 Abs. 2 Satz 1 [X.]G (vgl. [X.] 5, 17 <19 f.>; 16, 1 <2 f.>; 19, 323 <330>; 91, 93 <106>). Gemäß § 464 Abs. 3 Satz 1 [X.]albsatz 2 [X.] ist eine sofortige Beschwerde gegen die Auslagenentscheidung in einem nicht anfechtbaren Einstellungsbeschluss des [X.] nicht statthaft (vgl. BTDrucks 10/1313, [X.], 39 f.; [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 29. Januar 2002 - 2 BvR 1965/01 -, Rn. 2; Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 2. November 2005 - 2 BvR 1714/05 -, juris, Rn. 3; [X.], Beschluss vom 29. März 2004 - 4 Ws 65/04 -, juris, Rn. 5-7; [X.], Beschluss vom 23. Juli 2008 - 2 [X.]/08 -, juris, Rn. 3; [X.], Beschluss vom 2. Juli 2010 - 1 Ws 296/10 -, juris, Rn. 3; [X.], Beschluss vom 14. Juli 2010 - 2 Ws 436/10 -, juris, Rn. 4; [X.], Beschluss vom 23. Februar 2012 - 2 Ws 80/11 -, juris, Rn. 9-23; [X.], in: [X.] [X.], § 464 Rn. 12 m.w.[X.] ; [X.], in: [X.] Kommentar zur [X.], 8. Aufl. 2019, § 464, Rn. 8). Soweit einige, zumeist ältere Entscheidungen von [X.] und [X.]en in ganz besonderen Fällen zur Vermeidung groben prozessualen Unrechts oder klar ersichtlicher Gesetzeswidrigkeit Ausnahmen von der Unanfechtbarkeit zulassen (vgl. [X.], Beschluss vom 30. Dezember 1982 - 2 Ws 199/82 -, juris, Leitsatz 2; [X.], Beschluss vom 17. März 1987 - [X.] [X.] -, juris, Leitsatz 1; [X.], Beschluss vom 19. November 1992 - 2 Ws 515/92 -, [X.] 1993, 376; [X.], Beschluss vom 4. Juni 1987 - 11 [X.] ([X.]) 186/87 -, [X.] 1988, 514; [X.], Beschluss vom 18. Juni 2014 - 2 [X.] 51/14 u.a. -, juris, Rn. 7), liegt ein solcher Ausnahmefall offensichtlich nicht vor und konnte der Beschwerdeführer zudem nicht darauf vertrauen, dass sich das [X.] dieser sich nicht aus dem Wortlaut des § 464 Abs. 3 Satz 1 [X.]albsatz 2 [X.] ergebenden Rechtsansicht anschließt.

3

Der Rechtsweg war deshalb mit Erlass der Anhörungsrügeentscheidung des [X.] München I vom 6. Juli 2021 erschöpft, sodass die am 25. Oktober 2021 eingegangene Verfassungsbeschwerde nicht innerhalb der Monatsfrist des § 93 Abs. 1 Satz 1 [X.]G eingelegt wurde.

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b) Darüber hinaus genügt die Verfassungsbeschwerde nicht den Begründungsanforderungen. Im Rahmen einer § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 [X.]G genügenden Begründung muss grundsätzlich auch die verfassungsrechtliche Rechtslage dargestellt werden (vgl. [X.] 77, 170 <214 ff.>; 99, 84 <87>; 101, 331 <345 f.>; 102, 147 <164>; 123, 186 <234>; 140, 229 <232 Rn. 9>; 142, 234 <251 Rn. 28>).

5

Der Beschwerdeführer setzt sich in seiner etwa einseitigen rechtlichen Begründung der Verfassungsbeschwerde weder mit den verfassungsrechtlichen Maßstäben zur Begründungspflicht für letztinstanzliche Entscheidungen (vgl. [X.] 50, 287 <289 f.>; 71, 122 <136>; 81, 97 <106>; 118, 212 <238>; [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 5. November 2001 - 2 BvR 1551/01 -, Rn. 15; Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 29. Januar 2002 - 2 BvR 1965/01 -, Rn. 3) noch mit den verfassungsrechtlichen Maßstäben zu Kosten- und Auslagenentscheidungen (vgl. [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 13. Oktober 2015 - 2 BvR 2436/14 -, Rn. 22 ff.) auseinander.

6

2. Jedoch bestehen - ungeachtet der in der Verfassungsbeschwerde fehlenden ausdrücklichen oder konkludenten Rüge eines Gehörsverstoßes gemäß Art. 103 Abs. 1 GG - verfassungsrechtliche Bedenken gegen die nicht angegriffene Anhörungsrügeentscheidung des [X.] München I vom 6. Juli 2021 - 16 [X.] (2) -. Das [X.] hat mit Beschluss vom 1. Juni 2021 dem Beschwerdeführer ohne vorherige Anhörung im Rahmen der Einstellung nach § 154 Abs. 2 [X.] seine notwendigen Auslagen auferlegt. Es erscheint im [X.]inblick auf die den Beschwerdeführer belastende Auslagenentscheidung verfassungsrechtlich bedenklich, die hiergegen gerichtete Anhörungsrüge des Beschwerdeführers, mit der er insbesondere die Nichtberücksichtigung seines äußerst zeitnah an das [X.] übersandten Schriftsatzes vom 2. Juni 2021 rügte, allein deswegen zu verwerfen, weil dem Beschwerdeführer bei nicht zustimmungsbedürftigen Einstellungen außerhalb der [X.]auptverhandlung gemäß § 33 Abs. 1 [X.] kein Anspruch auf rechtliches Gehör zustehe.

7

Diese Begründung legt nahe, dass das [X.] den Umfang des Gehörsanspruchs aus Art. 103 Abs. 1 GG verkannt hat. Die Vorschriften der §§ 33, 33a [X.] beschränken die gebotene Anhörung nicht auf Tatsachen und Beweisergebnisse, sondern erfassen über den Wortlaut der Bestimmungen hinaus jeden Aspekt rechtlichen Gehörs. Dazu gehört im Grundsatz die Gelegenheit, sich vor einer belastenden Entscheidung zur Rechtslage zu äußern (vgl. [X.], Beschluss vom 13. Oktober 2015 - 2 BvR 2436/14 -, Rn. 16; Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 18. September 2018 - 2 BvR 745/18 -, Rn. 57 m.w.[X.]). Vor einer Auslagenentscheidung ist der Betroffene zu hören, wenn er durch das Auferlegen der eigenen Auslagen oder der Auslagen des [X.] beschwert wird (vgl. [X.] des [X.], Beschluss vom 22. März 2019 - 1/18 -, juris, Rn. 12 m.w.[X.]; [X.], Beschluss vom 29. März 2004 - 4 Ws 65/04 -, juris, Rn. 8; [X.], Beschluss vom 2. Juli 2010 - 1 Ws 296/10 -, juris, Rn. 4; [X.], Beschluss vom 22. Oktober 2014 - 2 Ws 457/14 u.a. -, juris, Rn. 10).

8

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 [X.]G abgesehen.

9

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

2 BvR 1910/21

03.02.2022

Bundesverfassungsgericht 2. Senat 3. Kammer

Nichtannahmebeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend OLG München, 24. September 2021, Az: 4 Ws 31/21, Beschluss

Art 103 Abs 1 GG, § 23 Abs 1 S 2 BVerfGG, § 92 BVerfGG, § 93 Abs 1 S 1 BVerfGG, § 33 StPO, § 33a StPO

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 03.02.2022, Az. 2 BvR 1910/21 (REWIS RS 2022, 1540)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 1540 NJW 2022, 3495 REWIS RS 2022, 1540

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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