Bundesfinanzhof, Beschluss vom 08.04.2020, Az. IX B 88/19

9. Senat | REWIS RS 2020, 3451

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Gegenstand

Darlegung einer Divergenz; Verletzung des rechtlichen Gehörs durch Überraschungsentscheidung


Leitsatz

1. NV: Die schlüssige Rüge einer Divergenz erfordert die Darlegung, dass das FG bei gleichem oder vergleichbarem Sachverhalt in einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage eine andere Auffassung vertritt als der BFH, ein anderes FG oder ein anderes oberstes Bundesgericht .

2. NV: Eine Überraschungsentscheidung liegt vor, wenn das FG sein Urteil auf einen bis dahin nicht erörterten oder nicht bekannten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt stützt und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielzahl vertretbarer Auffassungen nach dem bisherigen Verlauf der Verhandlung nicht rechnen musste .

Tenor

Die Beschwerde des Beklagten wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des [X.] vom 25.07.2019 - 11 K 2478/17 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Beklagte zu tragen.

Gründe

1

Die Beschwerde hat keinen [X.]rfolg.

2

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision gemäß § 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) sind nicht gegeben. Der Beklagte und Beschwerdeführer (das Finanzamt --[X.]--) hat den geltend gemachten Zulassungsgrund der [X.]rforderlichkeit einer [X.]ntscheidung des [X.] ([X.]) zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung in Gestalt einer Divergenz (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 [X.]O) nicht entsprechend den gesetzlichen Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 [X.]O dargelegt (dazu unter 1.). Der gerügte Verfahrensmangel in Gestalt einer Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 [X.]O, Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes --GG--, § 96 Abs. 2 [X.]O) liegt nicht vor (dazu unter 2.).

3

1. Die vom [X.] vorgebrachte Rüge einer Divergenz ist nicht entsprechend den gesetzlichen Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 [X.]O dargelegt worden.

4

a) Die schlüssige Rüge einer Divergenz erfordert die Darlegung, dass das Finanzgericht ([X.]) bei gleichem oder vergleichbarem Sachverhalt in einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage eine andere Auffassung vertritt als der [X.] oder ein anderes [X.]. Gleiches gilt für [X.]ntscheidungen eines anderen obersten Bundesgerichts. Dabei muss das [X.] seinem Urteil einen entscheidungserheblichen (tragenden) abstrakten Rechtssatz zugrunde gelegt haben, der mit den ebenfalls tragenden Rechtsausführungen in der Divergenzentscheidung des anderen Gerichts nicht übereinstimmt.

5

Im [X.]inzelnen sind für die schlüssige Rüge einer Divergenz gemäß § 116 Abs. 3 Satz 3 [X.]O die angeblichen Divergenzentscheidungen genau --mit Datum und Aktenzeichen oder Fundstelle-- zu bezeichnen sowie tragende, abstrakte Rechtssätze aus dem angefochtenen Urteil des [X.] einerseits und aus den behaupteten Divergenzentscheidungen andererseits gegenüberzustellen, um die Abweichung deutlich zu machen. Dies erfordert auch die Darlegung, dass es sich im Streitfall um einen gleichen oder vergleichbaren Sachverhalt handelt, so dass sich in der angefochtenen und in der Divergenzentscheidung dieselbe Rechtsfrage stellt.

6

b) Diese Voraussetzungen erfüllt das Vorbringen des [X.] nicht. Das [X.] benennt zwar mehrere [X.]-[X.]ntscheidungen, die u.a. zu einem anderen [X.]rgebnis --[X.]inordnung als [X.] kommen. [X.]s fehlt aber an der Herausarbeitung der tragenden abstrakten Rechtsätze des [X.] und einer Gegenüberstellung mit den tragenden abstrakten Rechtssätzen aus den zitierten [X.]-[X.]ntscheidungen.

7

[X.]benso wird nicht herausgearbeitet, ob und in welchem Umfang es sich um gleiche oder vergleichbare Sachverhalte handelt. Dass der [X.] in den angeführten Divergenzentscheidungen zu einem anderen [X.]rgebnis kommt, hat seinen Grund nicht in der Zugrundelegung einer abweichenden Rechtsauffassung. Vielmehr liegen den genannten Divergenzentscheidungen durchweg andere Sachverhalte zugrunde. So ging es in den vom [X.] angeführten [X.]-[X.]ntscheidungen vom 26.01.2000 - IX R 87/95 ([X.][X.] 191, 274, BStBl II 2000, 396) und vom 20.07.2007 - XI B 193/06 ([X.]/NV 2007, 1887) um Arbeitnehmer, die im Rahmen der Auftragsvergabe Bestechungsgelder annahmen. Den [X.]-[X.]ntscheidungen vom 21.11.1997 - X R 124/94 ([X.][X.] 184, 540, BStBl II 1998, 133) und vom 20.01.2009 - IX R 34/07 ([X.][X.] 224, 252, BStBl II 2009, 532) lagen gar keine Bestechungszahlungen zugrunde. In keiner der vom [X.] zitierten [X.]ntscheidungen ging es um die hier streitige Frage der Annahme eines Darlehensvertrags.

8

2. Auch der gerügte Verstoß gegen das Recht auf Gehör in Gestalt einer Überraschungsentscheidung liegt nicht vor.

9

a) Der Anspruch auf rechtliches Gehör i.S. von Art. 103 Abs. 1 GG, § 96 Abs. 2 und § 119 Nr. 3 [X.]O verpflichtet das Gericht u.a., die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen, in [X.]rwägung zu ziehen und sich mit [X.] des Vorbringens auseinanderzusetzen. Dabei ist das Gericht naturgemäß nicht verpflichtet, der tatsächlichen Würdigung oder der Rechtsansicht eines Beteiligten zu folgen (vgl. Beschluss des [X.] vom 11.06.2008 - 2 BvR 2062/07, [X.], 1056; [X.]-Beschluss vom 11.05.2011 - V B 113/10, [X.]/NV 2011, 1523). Art. 103 Abs. 1 GG und § 96 Abs. 2 [X.]O sind erst dann verletzt, wenn sich aus den besonderen Umständen des [X.]inzelfalls ergibt, dass das Gericht das Vorbringen entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei seiner [X.]ntscheidung ersichtlich nicht in [X.]rwägung gezogen hat (vgl. u.a. [X.]-Beschlüsse vom 10.09.2014 - IX S 10/14, [X.]/NV 2015, 47, und vom 23.03.2016 - IX B 22/16, [X.]/NV 2016, 1013).

Der Anspruch auf rechtliches Gehör umfasst das Recht der Verfahrensbeteiligten, sich vor [X.]rlass einer [X.]ntscheidung zu den entscheidungserheblichen Tatsachen und --gegebenenfalls-- Beweisergebnissen zu äußern, sowie in rechtlicher Hinsicht alles vorzutragen, was sie für wesentlich halten. Darüber hinaus gebietet es der Anspruch auf rechtliches Gehör, für die Prozessbeteiligten überraschende [X.]ntscheidungen zu unterlassen. [X.]ine Überraschungsentscheidung liegt vor, wenn das [X.] sein Urteil auf einen bis dahin nicht erörterten oder nicht bekannten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt stützt und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der auch ein gewissenhafter und kundiger [X.] selbst unter Berücksichtigung der Vielzahl vertretbarer Auffassungen nach dem bisherigen Verlauf der Verhandlung nicht rechnen musste. Dies kann insbesondere der Fall sein, wenn ein entscheidungserheblicher Umstand vom [X.] erst mit dem [X.]ndurteil in das Verfahren eingebracht wird (z.B. Senatsbeschluss vom 23.02.2017 - IX B 2/17, juris, Rz 15, m.w.N.).

b) In Anwendung dieser Grundsätze ist ein Verstoß gegen den Anspruch des [X.] auf rechtliches Gehör nicht festzustellen. Dass das [X.] das Vorliegen eines Darlehensvertrags bejaht hat, war für das [X.] mit Blick auf den bisherigen Prozessverlauf vorhersehbar und nicht überraschend. Die [X.]inordnung des streitigen Vorgangs als Darlehen war bereits mit den Schreiben des [X.] und Beschwerdegegners (Kläger) vom 22.02.2018 und vom [X.] in das Verfahren eingeführt worden. Mit Schreiben vom 05.12.2018 hat das [X.] auf die [X.]inlassung des [X.] hingewiesen, wonach es sich bei dem streitigen Vorgang um ein Darlehen handeln könne. Am [X.] hat der Kläger zudem die [X.]ntscheidung des [X.] Düsseldorf vom 19.02.2019 - 10 K 3672/15 [X.] übersandt. In diesem Verfahren war ein vergleichbares Darlehensverhältnis mit einem Mitgesellschafter des [X.] Gegenstand der Ausführungen des Gerichts. Zudem hat sich das [X.] in seinen Schreiben vom 11.12.2018 und 15.05.2019 selbst mit der Frage der [X.]inordnung des streitigen Vorgangs als Darlehensverhältnis befasst.

3. Von einer weiter gehenden Begründung wird gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 [X.]O abgesehen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 [X.]O.

Meta

IX B 88/19

08.04.2020

Bundesfinanzhof 9. Senat

Beschluss

vorgehend FG München, 25. Juli 2019, Az: 11 K 2478/17, Urteil

§ 115 Abs 2 Nr 2 Alt 2 FGO, § 96 Abs 2 FGO, § 115 Abs 2 Nr 3 FGO, § 116 Abs 3 S 3 FGO, Art 103 Abs 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 08.04.2020, Az. IX B 88/19 (REWIS RS 2020, 3451)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 3451


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. IX B 88/19

Bundesfinanzhof, IX B 88/19, 08.04.2020.


Az. 11 K 2478/17

FG München, 11 K 2478/17, 25.07.2019.


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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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