Bundesfinanzhof, Urteil vom 04.09.2019, Az. I R 11/17

1. Senat | REWIS RS 2019, 3918

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Gegenstand

Kein Zwischenurteil bei fehlender Entscheidungserheblichkeit


Leitsatz

NV: Über eine nicht entscheidungserhebliche Rechtsfrage darf das FG nicht durch Zwischenurteil entscheiden .

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Zwischenurteil des [X.] vom 26.01.2017 - 4 K 4106/16 aufgehoben.

Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens übertragen.

Tatbestand

I.

1

[X.]ie Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine nach luxemburgischem Recht gegründete [X.] Gesellschafter sind die [X.]. zu 25 %, die [X.]. zu 25 % und die [X.]. zu 50 %, die weder verbundene Unternehmen noch nahestehende Personen i.S. des § 1 des Gesetzes über die Besteuerung bei [X.] ([X.]) sind. Gesellschaftszweck der Klägerin ist es, ein zum Preis von ... € angeschafftes inländisches Grundstück langfristig zu halten und zu verwalten. [X.]er Kaufpreis für das Grundstück wurde im Wesentlichen durch Fremdkapital finanziert. Zur Absicherung des [X.]arlehens gewährte die Klägerin dem Hauptdarlehensgeber, der [X.]. mit Sitz in [X.] ([X.]) zahlreiche Sicherheiten, u.a. eine Grundschuld über das Grundstück, die Sicherungsabtretung der eingehenden Mieten, die Verpfändung von Bankkonten sowie die Verpfändung von Versicherungsansprüchen. Zusätzlich wurden die Gesellschaftsanteile der Klägerin an die Bank verpfändet.

2

[X.]ie Klägerin erwirtschaftete im [X.] (Streitjahr) einen Verlust in Höhe von rund ... €; darin enthalten war ein Zinsaufwand in Höhe von rund ... €, das EBIT[X.]A der Klägerin betrug rund ... €. Aufgrund der Anwendung des § 4h des Einkommensteuergesetzes in der im Streitjahr geltenden Fassung (EStG) i.V.m. § 8a des Körperschaftsteuergesetzes in der im Streitjahr geltenden Fassung ([X.]) ergab sich für das Streitjahr ein Gesamtbetrag der Einkünfte in Höhe von rund ... €. Nach Berücksichtigung von [X.] betrug das zu versteuernde Einkommen rund ... €.

3

[X.]ie Klägerin reichte ihre Körperschaftsteuererklärung 2008 im [X.]ezember 2009 bei dem Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt --[X.]--) ein. Sie berücksichtigte darin zwar § 4h EStG i.V.m. § 8a [X.], machte aber deutlich, dass ihrer Auffassung nach die sog. Zinsschranke nicht anwendbar sei.

4

Am 10.01.2011 erließ das [X.] für das Streitjahr Bescheide über Körperschaftsteuer und die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Körperschaftsteuer zum 31.12.2008, in denen es davon ausging, dass die Verpfändung der Gesellschaftsanteile der Klägerin an [X.] als schädlicher Rückgriff i.S. von § 8a Abs. 2 Variante 3 [X.] auf die Gesellschafterin der Klägerin, die [X.]., anzusehen sei.

5

Nach erfolglosem Einspruch erhob die Klägerin dagegen Klage vor dem [X.] ([X.]) Berlin-Brandenburg, welches das Verfahren zunächst mit Beschluss vom 19.12.2013 - 4 K 12163/11 bis zum Abschluss des beim erkennenden Senat anhängigen Verfahrens mit dem [X.]. I R 2/13 zum Ruhen brachte. [X.]as [X.] erließ am 02.04.2014 aufgrund geänderten Verlustvortrags aus 2007 für das Streitjahr geänderte Bescheide, die Gegenstand des Verfahrens wurden. Nach Ergehen des [X.] vom 12.08.2015 - I R 2/13 ([X.], 47) nahm das [X.] das Verfahren unter dem jetzigen [X.]. 4 K 4106/16 wieder auf und entschied durch Zwischenurteil, das [X.] sei zu Recht davon ausgegangen, dass die Verpfändung der Gesellschaftsanteile der Klägerin an [X.] als schädlicher Rückgriff i.S. von § 8a Abs. 2 Variante 3 [X.] auf die [X.]. anzusehen sei (Entscheidungen der [X.]e --E[X.]-- 2017, 859).

6

[X.]agegen richtet sich die Revision der Klägerin, welche diese auf die Verletzung von Bundesrecht stützt.

7

[X.]ie Klägerin beantragt, das Zwischenurteil des [X.] Berlin-Brandenburg vom 26.01.2017 - 4 K 4106/16 aufzuheben, den Körperschaftsteuerbescheid für 2008 vom 02.04.2014 mit der Maßgabe zu ändern, dass die Körperschaftsteuer in Höhe von 0 € festgesetzt wird und den Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Körperschaftsteuer zum 31.12.2008 vom 02.04.2014 mit der Maßgabe abzuändern, dass für das [X.] ein Verlust von ... € berücksichtigt wird.

8

[X.]as [X.] beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

9

[X.]ie Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung, weil das [X.] in verfahrensrechtswidriger Weise durch Zwischenurteil nach § 99 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) zu Lasten der Klägerin über die streitgegenständliche Rechtsfrage nach der Reichweite des § 8a Abs. 2 Variante 3 [X.] entschieden hat, ohne sich aber mit der vorrangigen Frage auseinanderzusetzen, ob der Wortlaut des § 8a Abs. 2 Variante 3 [X.] eine einschränkende Auslegung zulässt und eine solche aus verfassungsrechtlichen Gründen geboten sein könnte oder ob die Norm in dem Fall, dass sie nicht einschränkend ausgelegt werden kann, überhaupt den Vorgaben der Verfassung entspricht. In einer solchen Verfahrenskonstellation, in welcher nicht feststeht, ob die entschiedene Rechtsfrage überhaupt entscheidungserheblich ist, ist es dem Senat verwehrt, in der Sache über die Revision gegen das Zwischenurteil zu erkennen.

1. Nach § 8a Abs. 2 Variante 3 [X.] ist § 4h Abs. 2 Satz 1 Buchst. b EStG nur anzuwenden, wenn die Vergütungen für Fremdkapital an einen [X.]ritten, der auf den zu mehr als einem Viertel am Grund- oder Stammkapital beteiligten Anteilseigner oder eine diesem nahe stehende Person zurückgreifen kann, nicht mehr als 10 % der die Zinserträge übersteigenden Zinsaufwendungen der Körperschaft i.S. des § 4h Abs. 3 EStG betragen und die Körperschaft dies nachweist. [X.]ie Vorinstanz hat dazu durch Zwischenurteil (§ 99 Abs. 2 [X.]O) entschieden, dass die Verpfändung der Gesellschaftsanteile der Klägerin an [X.] als schädlicher Rückgriff i.S. von § 8a Abs. 2 Variante 3 [X.] auf die Gesellschafterin der Klägerin, die [X.]., anzusehen sei, weil der Normwortlaut die bloße Rückgriffsmöglichkeit ("zurückgreifen kann") genügen lasse und der Pfandgläubiger das Recht habe, sich aus dem Pfande zu befriedigen, was der Verpfänder dulden müsse (§§ 1204, 1273 des Bürgerlichen Gesetzbuchs).

2. Eine teleologische Reduktion des § 8a Abs. 2 Variante 3 [X.] hat die Vorinstanz insoweit zwar implizit abgelehnt, sie hat aber bereits keine Ausführungen dazu gemacht, ob der Normwortlaut einer Reduktion generell entgegensteht. Auch mit der Frage, ob § 4h EStG i.V.m. § 8 Abs. 1 und § 8a [X.] mit Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) vereinbar ist oder ob unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten und angesichts des Vorlagebeschlusses des Senats vom 14.10.2015 - I R 20/15 ([X.], 44, [X.], 1240, Az. des [X.] 2 BvL 1/16, zu § 4h EStG 2002 i.d.[X.] zur verbesserten steuerlichen Berücksichtigung von Vorsorgeaufwendungen --Bürgerentlastungsgesetz Krankenversicherung-- vom 16.07.2009, [X.], 1959, [X.], 782 i.V.m. § 8 Abs. 1 und § 8a [X.] 2002 i.d.[X.] 2008 vom 14.08.2007, [X.], 1912, [X.], 630) sowie der von ihm gerade zu § 8a Abs. 2 Variante 3 [X.] geäußerten verfassungsrechtlichen Zweifel (Senatsbeschluss vom 13.03.2012 - I B 111/11, [X.], 501, [X.], 611) eine Reduktion der Norm geboten sein könnte, hat sich das [X.] nicht auseinandergesetzt.

3. [X.]afür, dass das [X.] den Normwortlaut jedenfalls nicht als eindeutig und einer Reduktion generell entgegenstehend betrachtet, spricht der Umstand, dass das [X.] dahinstehen ließ, ob für § 8a Abs. 2 [X.] (abstrakt) ein enger oder weiter Rückgriffsbegriff gilt. Hinzu kommt, dass sich das [X.] mit der Verfassungsmäßigkeit des § 8a Abs. 2 Variante 3 [X.] nicht auseinandergesetzt hat, was aber angesichts der Erwägungen des Senats in den Beschlüssen in [X.], 44, [X.], 1240 sowie in [X.], 501, [X.], 611 nahe gelegen hätte. [X.]as [X.] hat auch nicht geprüft, ob eine Aussetzung des Verfahrens nach § 74 [X.]O analog in Betracht kommt.

4. [X.]ie von der Vorinstanz gewählte Vorgehensweise ist unter den Gegebenheiten des Streitfalls nicht statthaft. [X.]ies ergibt sich aus dem Umstand, dass es auf die zu Lasten der Klägerin getroffene Entscheidung über die in Rede stehende Rechtsfrage nur dann entscheidungserheblich ankäme, wenn § 4h EStG i.V.m. § 8 Abs. 1 und § 8a [X.] insgesamt bzw. § 8a Abs. 2 Variante 3 [X.] im Besonderen verfassungskonform wären. Ob eine Rechtsfrage entscheidungserheblich i.S. des § 99 Abs. 2 [X.]O ist, beurteilt sich nach dem Streitgegenstand. [X.]emgemäß sind nur solche Streitfragen entscheidungserheblich und kommt nur dann ein Zwischenurteil zu solchen Vorfragen in Betracht, wenn über die Streitfrage mit Sicherheit auch in einem Endurteil zu entscheiden wäre (vgl. Urteile des [X.] vom 04.02.1999 - IV R 54/97, [X.], 418, [X.], 139; vom 01.03.2001 - IV R 90/99, [X.] 2001, 904; [X.] in [X.]/[X.]/[X.], § 99 [X.]O Rz 26). So liegt der Streitfall indessen nicht, denn dem angefochtenen Zwischenurteil lässt sich insoweit nicht entnehmen, ob das [X.] von der Vereinbarkeit von § 4h EStG i.V.m. § 8 Abs. 1 und § 8a [X.] im Allgemeinen bzw. § 8a Abs. 2 Variante 3 [X.] im Besonderen mit Art. 3 Abs. 1 GG ausgeht. Nur soweit das aber der Fall wäre, käme es auf die Beantwortung der "einfach-rechtlichen" Rechtsfrage zur Auslegung von § 8a Abs. 2 Variante 3 [X.] an. Ansonsten wäre sie im vorstehenden Sinne nicht entscheidungserheblich und das [X.] kann dann über sie nicht vorgreiflich vermittels eines Zwischenurteils entscheiden (vgl. bereits Senatsurteil vom 28.10.2015 - I R 41/14, [X.] 2016, 570; [X.] in Tipke/[X.], Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 99 [X.]O Rz 8; [X.], a.a.[X.], § 99 [X.]O Rz 27; für den Streitfall ebenso [X.], [X.] 2017, 773, 775; Neu, E[X.] 2017, 861).

5. [X.]ie fehlende Entscheidungserheblichkeit und die hiernach unstatthafte Entscheidung durch das Zwischenurteil sind im Rahmen des Revisionsverfahrens vom Senat von Gerichts wegen durch Aufhebung der angefochtenen Entscheidung zu berücksichtigen (Senatsurteil in [X.] 2016, 570). Auf die nach wie vor streitgegenständliche Rechtsfrage nach der Auslegung des § 8a Abs. 2 Variante 3 [X.] kommt es dann nicht an.

6. Mit der Aufhebung des Zwischenurteils befindet sich das Klageverfahren wieder in dem Stadium, das vor Erlass des Zwischenurteils bestanden hat, ohne dass es einer förmlichen Zurückverweisung bedarf (vgl. Senatsurteil in [X.] 2016, 570). [X.]as [X.] wird nunmehr zunächst darüber zu befinden haben, ob es § 8a Abs. 2 Variante 3 [X.] überhaupt für einer teleologischen Reduktion zugänglich erachtet. Sollte dies der Fall sein und sollte das [X.] eine Reduktion aus verfassungsrechtlichen Gründen für geboten erachten, so hätte es der Klage stattzugeben, weil § 8a Abs. 2 Variante 3 [X.] dann tatbestandlich nicht erfüllt wäre. Geht das [X.] hingegen davon aus, dass § 8a Abs. 2 Variante 3 [X.] wegen seines eindeutigen Wortlauts keiner Reduktion zugänglich ist, so hätte es zu prüfen, ob die Vorschrift den Vorgaben der Verfassung entspricht. [X.]abei hätte sich das [X.] mit den Erwägungen des Senats in den Beschlüssen in [X.], 44, [X.], 1240 und in [X.], 501, [X.], 611 auseinanderzusetzen und darüber zu befinden, ob in entsprechender Anwendung des § 74 [X.]O eine Aussetzung des Verfahrens bis zum Ergehen der Entscheidung des [X.] im Verfahren 2 BvL 1/16 in Betracht kommt.

7. [X.]ie Übertragung der Kostenentscheidung auf das [X.] beruht auf § 143 Abs. 2 [X.]O.

Meta

I R 11/17

04.09.2019

Bundesfinanzhof 1. Senat

Urteil

vorgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg, 26. Januar 2017, Az: 4 K 4106/16, Zwischenurteil

§ 99 Abs 2 FGO, § 8a Abs 2 KStG 2002, Art 3 Abs 1 GG, KStG VZ 2008

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 04.09.2019, Az. I R 11/17 (REWIS RS 2019, 3918)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 3918

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