Bundesfinanzhof, Urteil vom 02.12.2021, Az. VI R 40/19

6. Senat | REWIS RS 2021, 688

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Gegenstand

Unterhaltsaufwendungen an in Deutschland geduldete Angehörige


Leitsatz

1. Unterhaltsleistungen an in Deutschland (lediglich) geduldete (= Aussetzung der Abschiebung), nicht unterhaltsberechtigte Angehörige sind weder nach § 33a EStG noch nach § 33 EStG als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen.

2. Dies gilt auch dann, wenn sich der Steuerpflichtige gemäß § 68 AufenthG gegenüber der Ausländerbehörde/Auslandsvertretung verpflichtet hat, die Kosten für den Lebensunterhalt seiner Angehörigen zu tragen.

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des [X.] vom 09.04.2019 - 15 K 2965/16 aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des gesamten Verfahrens haben die Kläger zu tragen.

Tatbestand

1

I. Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Eheleute, die für das Streitjahr (2014) zur Einkommensteuer zusammen veranlagt wurden. Die Schwester der Klägerin lebte zu Beginn des Streitjahres gemeinsam mit ihrem Ehemann und ihrer Tochter in der Ukraine.

2

Im April 2014 unterzeichnete der Kläger eine Verpflichtungserklärung gemäß § 68 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG).

3

Daraufhin reisten die Schwester der Klägerin sowie deren Ehemann und Tochter im Streitjahr (zunächst zu Besuchszwecken mit einem sog. Schengen-Visum) in die [X.] ([X.]) ein. Die Kläger nahmen die Familie in [X.] auf. Sie stellten ihr Wohnräume zur Verfügung und übernahmen die Aufwendungen für Lebensmittel, Versicherungen, Rechtsanwalt (wegen Aufenthaltstitel) und Sprachkurse. Später im Streitjahr erhielten die aufgenommenen Personen den Aufenthaltsstatus "Aussetzung der Abschiebung" (= Duldung) gemäß § 60a AufenthG.

4

In ihrer Einkommensteuerklärung für das Streitjahr machten die Kläger einen Betrag von insgesamt 15.827 € als außergewöhnliche Belastungen geltend, die der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --[X.]--) bei der Einkommensteuerfestsetzung nicht berücksichtigte.

5

Den hiergegen eingelegten Einspruch wies das [X.] als unbegründet zurück.

6

Der daraufhin erhobenen Klage, mit der die Kläger geltend machten, dass jedenfalls [X.] in Höhe von 5.000 € (für Wohnung, Lebensmittel und Versicherungen) steuerlich zu berücksichtigen seien, gab das Finanzgericht ([X.]) statt (Entscheidungen der Finanzgerichte 2020, 1133). Unterhaltsleistungen, die aufgrund einer Verpflichtung gemäß § 68 AufenthG an Schwester, Schwager und Nichte geleistet worden seien, entstünden aus sittlichen Gründen zwangsläufig und seien nach § 33 des Einkommensteuergesetzes (EStG) als außergewöhnliche Belastungen abziehbar, falls sich das Land, in das die Unterstützten andernfalls abgeschoben würden, im Kriegszustand befinde. Der Berücksichtigung nach § 33 EStG stehe § 33a Abs. 4 EStG nicht entgegen. Denn danach sei die Anwendung von § 33 EStG nur ausgeschlossen, wenn Aufwendungen für den Unterhalt einer gesetzlich unterhaltsberechtigten Person geltend gemacht würden.

7

Mit der Revision rügt das [X.] die Verletzung materiellen Rechts.

8

Es beantragt sinngemäß,
das Urteil des [X.] Köln vom 09.04.2019 - 15 K 2965/16 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

9

Die Kläger beantragen,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II. Die Revision des [X.] ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). Das [X.] hat die von den Klägern geltend gemachten Aufwendungen zu Unrecht steuermindernd berücksichtigt.

1. Erwachsen einem Steuerpflichtigen Aufwendungen für den Unterhalt und eine etwaige Berufsausbildung einer dem Steuerpflichtigen oder seinem Ehegatten gegenüber gesetzlich unterhaltsberechtigten Person, so wird auf Antrag die Einkommensteuer --unter weiteren [X.] dadurch ermäßigt, dass die Aufwendungen bis zu 8.354 € im Kalenderjahr vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen werden (§ 33a Abs. 1 Satz 1 EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung).

a) Die von § 33a Abs. 1 Satz 1 EStG vorausgesetzte gesetzliche Unterhaltsberechtigung richtet sich nach dem Zivilrecht. Gesetzlich unterhaltsberechtigt sind damit diejenigen Personen, denen gegenüber der Steuerpflichtige nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) unterhaltsverpflichtet ist. Dies sind nach § 1601 BGB Verwandte in gerader Linie i.S. des § 1589 Satz 1 BGB, wie z.B. Kinder, Enkel, Eltern und Großeltern, nicht hingegen Verwandte in der Seitenlinie ([X.]surteil vom [X.] - VI R 29/09, [X.], 12, [X.], 116, Rz 10, m.w.N.).

b) Der gesetzlich unterhaltsberechtigten Person gleichgestellt ist eine Person, wenn bei ihr zum Unterhalt bestimmte inländische öffentliche Mittel mit Rücksicht auf die Unterhaltsleistungen des Steuerpflichtigen gekürzt werden (§ 33a Abs. 1 Satz 3 EStG).

2. Nach diesen Rechtsgrundsätzen sind die von den Klägern geltend gemachten Unterhaltsaufwendungen --wie das [X.] zutreffend entschieden [X.] nicht nach § 33a EStG zu berücksichtigen.

a) Es steht zwischen den Beteiligten nicht in Streit, dass die Schwester der Klägerin sowie deren Ehemann und Tochter keinem der beiden Kläger gegenüber im Streitjahr zivilrechtlich unterhaltsberechtigt waren. Der [X.] sieht deshalb insoweit von weiteren Ausführungen ab.

Die Schwester der Klägerin, deren Ehemann und Tochter sind vorliegend auch nicht einer gesetzlich unterhaltsberechtigten Person gleichgestellt. Ihnen sind im Streitfall keine zum Unterhalt bestimmten inländischen öffentlichen Mittel mit Rücksicht auf etwaige Unterhaltsleistungen des [X.] gekürzt worden. Denn ein Ausländer ist ungeachtet einer Verpflichtungserklärung berechtigt, öffentliche Leistungen wie insbesondere Sozialleistungen nach den Vorschriften des Asylbewerberleistungsgesetzes oder des [X.] Zwölftes Buch oder [X.] in Anspruch zu nehmen, sofern der Verpflichtete nicht oder nicht mehr für seinen Lebensunterhalt aufkommt. Die Gewährung von Sozialleistungen darf seitens der Behörde nicht wegen ihres grundsätzlichen Nachrangs gegenüber anderen Hilfsmöglichkeiten unter Hinweis auf die Verpflichtungserklärung verweigert werden ([X.] in: [X.], Ausländerrecht, 5. Update Dezember 2021, § 68 [X.] Rz 3, m.w.N.). Folglich kommt eine Berücksichtigung der streitigen Unterhaltsleistungen der Kläger gemäß § 33a Abs. 1 EStG nicht in Betracht.

b) Entgegen der Auffassung der Kläger folgt aus dem Umstand, dass der Kläger eine Verpflichtungserklärung nach § 68 [X.] abgegeben hat, um der Schwester der Klägerin sowie deren Ehemann und Tochter die Einreise nach [X.] zu ermöglichen, nichts anderes.

Einen gesetzlichen (zivilrechtlichen) Unterhaltsanspruch der vorgenannten Personen gegenüber den Klägern vermag eine solche Verpflichtungserklärung nicht zu begründen. Durch eine Verpflichtungserklärung nach § 68 [X.] werden keine unmittelbaren Ansprüche des Ausländers gegen den Verpflichteten begründet ([X.] in: [X.], a.a.[X.], § 68 [X.] Rz 4, m.w.N.). Der Anspruch nach § 68 [X.] ist vielmehr als öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch der Ausländerbehörde ausgestaltet (vgl. BTDrucks 11/6321, S. 84).

c) Die Unterhaltsleistungen der Kläger sind schließlich auch nicht gemäß dem Schreiben des [X.] ([X.]) vom 27.05.2015 - IV C 4-S 2285/07/0003:006 ([X.], 474) abzugsfähig. Danach können Aufwendungen für den Unterhalt von Personen, die eine Aufenthalts- oder Niederlassungserlaubnis nach § 23 [X.] haben, unabhängig von einer gesetzlichen Unterhaltsverpflichtung nach § 33a Abs. 1 Satz 3 EStG berücksichtigt werden, wenn der Steuerpflichtige eine Verpflichtungserklärung nach § 68 [X.] abgegeben hat und sämtliche Kosten zur Bestreitung des Unterhalts übernimmt.

aa) Dabei kann der [X.] dahinstehen lassen, ob es sich bei diesem [X.]-Schreiben um eine --die Gerichte ohnehin nicht bindende (Beschluss des Großen [X.]s des [X.] --[X.]-- vom 28.11.2016 - GrS 1/15, [X.], 482, [X.], 393, Rz 107)-- Verwaltungsregelung oder um eine allgemeine --in Ansehung des Beschlusses des Großen [X.]s des [X.] in [X.], 482, [X.], 393-- angesichts der klaren gesetzlichen Vorgaben in § 33a EStG gesetzeswidrige Billigkeitsmaßnahme gemäß § 163 der Abgabenordnung handelt. Denn die von den Klägern unterstützte Familie der Schwester der Klägerin unterfällt schon nicht dem Anwendungsbereich des vorgenannten [X.]-Schreibens. Die Schwester der Klägerin, ihr Ehemann und deren Tochter verfügten im Streitjahr nämlich nicht über eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 23 [X.] (Aufenthaltsgewährung durch die obersten Landesbehörden; Aufnahme bei besonders gelagerten politischen Interessen; Neuansiedlung von Schutzsuchenden), sondern zu Beginn ihres Aufenthalts über ein Schengen-Visum und später (lediglich) über eine Duldung gemäß § 60a [X.] (vorübergehende Aussetzung der Abschiebung).

bb) Ungeachtet dessen würde die am Aufenthaltsstatus ausgerichtete unterschiedliche steuerliche Behandlung von Unterhaltszahlungen durch die Finanzbehörden, anders als die Kläger meinen, keinen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) begründen.

Art. 3 Abs. 1 GG gebietet dem Gesetzgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Er gilt für ungleiche Belastungen wie auch für ungleiche Begünstigungen. Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und [X.] unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengeren Bindung an [X.] reichen (z.B. [X.]sbeschluss vom 15.11.2016 - VI R 4/15, [X.]E 256, 86, [X.], 228, Rz 18, m.w.N.).

Gemessen hieran ist die unterschiedliche Behandlung von Unterhaltszahlungen an Unterhaltsempfänger, die über eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 23 [X.] und solche, die (lediglich) über eine Duldung gemäß § 60a [X.] oder ein Schengen-Visum verfügen, verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Denn es handelt sich insoweit um unterschiedliche Sachverhalte.

Im Übrigen begründet Art. 3 Abs. 1 GG im Falle einer steuerlichen Begünstigung für eine Gruppe keinen Anspruch einer anderen Gruppe auf eine vergleichbare steuerliche Entlastung (vgl. Urteil des [X.] --BVerfG- vom 20.04.2004 - 1 BvR 1748/99, 1 BvR 905/00, [X.] 110, 274, und BVerfG-Beschluss vom 20.04.2004 - 1 BvR 610/00).

3. Eine Berücksichtigung der von den Klägern geltend gemachten Aufwendungen nach § 33 EStG kommt ebenfalls nicht in Betracht. Dies gilt auch bei Annahme einer sittlichen Verpflichtung der Kläger, die Schwester der Klägerin sowie deren Ehemann und Tochter zu unterhalten. Denn für die Fallgruppe der --wie im [X.] typischen Unterhaltsaufwendungen (hier für Wohnung, Lebensmittel und Versicherungen) enthält § 33a Abs. 4 EStG eine abschließende Regelung, die einen Rückgriff auf § 33 EStG ausschließt ([X.]surteil vom 31.03.2021 - VI R 2/19, [X.]E 272, 226, [X.] 2021, 572, Rz 22, und [X.]-Urteil vom 23.10.2002 - III R 57/99, [X.]E 201, 31, [X.] 2003, 187, unter II.3., m.w.N.).

Diesen (letztgenannten) Rechtsgrundsätzen entspricht die angefochtene Vorentscheidung nicht. Sie ist deshalb aufzuheben und die Klage abzuweisen. Denn entgegen der Auffassung des [X.] schließt § 33a EStG die Anwendung von § 33 EStG auch dann aus, wenn Aufwendungen für den Unterhalt einer nicht gesetzlich unterhaltsberechtigten Person geltend gemacht werden.

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 [X.]O.

Meta

VI R 40/19

02.12.2021

Bundesfinanzhof 6. Senat

Urteil

vorgehend FG Köln, 9. April 2019, Az: 15 K 2965/16, Urteil

§ 33 EStG 2009, § 33a EStG 2009, § 23 AufenthG, § 60a AufenthG, § 68 AufenthG, Art 3 Abs 1 GG, EStG VZ 2014

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 02.12.2021, Az. VI R 40/19 (REWIS RS 2021, 688)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 688

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