Bundespatentgericht, Beschluss vom 11.05.2023, Az. 30 W (pat) 43/21

30. Senat | REWIS RS 2023, 8862

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Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Marke 30 2017 027 790

hat der 30. Senat (Marken- und Design-Beschwerdesenat) des [X.] in der Sitzung vom 11. Mai 2023 unter Mitwirkung des Vorsitzenden [X.] Prof. Dr. Hacker, des [X.] [X.] und der Richterin kraft Auftrags Wagner

beschlossen:

I. Auf die Beschwerde der Widersprechenden werden die Beschlüsse der Markenstelle für Klasse 09 des [X.] vom 2. März 2020 und vom 20. April 2021 aufgehoben.

Wegen des Widerspruchs aus dem [X.] der Marke [X.] wird die Löschung der Marke 30 2017 027 790 für die Ware „Klasse 09: Brillen“ angeordnet.


II.  Der Antrag der Inhaberin der angegriffenen Marke, der Widersprechenden die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen, wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

1

Die am 1. November 2017 angemeldete Wort-/Bildmarke

Abbildung

2

ist am 12. März 2018 unter der Nummer 30 2017 027 790 u.a. für die Ware

3

„[X.]: Brillen“

4

in das beim [X.] geführte Register eingetragen worden. Die Veröffentlichung erfolgte am 13. April 2018.

5

Gegen diese Eintragung hat die Widersprechende aus dem [X.] ihrer am 21. Mai 2013 international registrierten Marke [X.] 329

6

[X.]

7

Widerspruch erhoben. Die Widerspruchsmarke genießt u.a. Schutz für die Waren

8

„[X.]: verschreibungspflichtige Brillen“.

9

Der Widerspruch richtet sich allein gegen die obengenannten, von der angegriffenen Marke zu [X.] registrierten Waren „Brillen“.

Die Markenstelle für [X.] des [X.]s hat den Widerspruch mit zwei Beschlüssen vom 2. März 2020 und vom 20. April 2021, von denen letzterer im Erinnerungsverfahren ergangen ist, zurückgewiesen.

Ausgehend von einer durchschnittlichen Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke sowie einer nach der [X.] möglichen Begegnung der Zeichen auf identischen Waren sei zwar ein deutlicher Abstand zwischen den Zeichen erforderlich, um eine [X.] nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 [X.] auszuschließen. Den danach gebotenen Abstand halte die angegriffene Marke jedoch ein.

[X.] seien die Zeichen durch die verschiedenen Wortendungen „-EZ“ in der angegriffenen Marke und „[X.]“ in der Widerspruchsmarke, die jeweils keine Entsprechung in der anderen Marke fänden, sowie durch die grafische Ausgestaltung der angegriffenen Marke ausreichend voneinander entfernt.

Dies gelte auch in klanglicher Hinsicht. Zwar stimmten die wie „tse-nets“ ausgesprochene angegriffene Marke und die wie „[X.]” artikulierte Widerspruchsmarke in [X.], Betonung und Sprechrhythmus nahezu überein. Zudem seien die Wortanfänge klanglich identisch (“tse”). Die letzten Silben der [X.] unterschieden sich jedoch klanglich sehr deutlich voneinander. Während die angegriffene Marke deutlich mit einem zischenden [ts] ende, werde die letzte Silbe der Widerspruchsmarke mit dem hellen Vokal „i“ nach dem stimmhaften Verschlusslaut „n“ beendet, was einen erheblichen klanglichen Unterschied ergebe. Daher seien die [X.] auch unter Beachtung des Erfahrungssatzes, dass [X.] erfahrungsgemäß stärker beachtet würden als die übrigen Markenteile, selbst im Falle ungünstiger Übertragungsbedingungen auseinander zu halten.

Da auch in begrifflicher Hinsicht keinerlei Ähnlichkeit bestehe, scheide eine [X.] aus.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Widersprechenden, die sie weder begründet hat und zu der sie auch keinen Antrag gestellt hat.

Die Inhaberin der angegriffenen Marke hat sich ebenfalls nicht zur Sache geäußert.

Sie hat jedoch beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen und der Widersprechenden die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde ist zulässig. Für die Zulässigkeit der Beschwerde ist weder ein konkreter Antrag noch eine Beschwerdebegründung erforderlich. Fehlt wie vorliegend ein Antrag, muss von einer Anfechtung des Beschlusses in vollem Umfang ausgegangen werden (vgl. [X.]/Hacker/Thiering, [X.], 13. Aufl., § 66 Rdnr. 40, 41).

In der Sache hat die Beschwerde auch Erfolg, da zwischen den [X.] in Bezug auf die mit dem Widerspruch allein angegriffenen Waren „[X.]: Brillen“ der angegriffenen Marke eine [X.] gemäß §§ 119 Nr. 1,  42 Abs. 2 Nr. 1, 9 Abs. 1 Nr. 2 [X.] besteht. Die angefochtenen Beschlüsse der Markenstelle für [X.] des [X.]s vom 2. März 2020 und vom 20. April 2021 sind daher aufzuheben und die Löschung der Marke 30 2017 027 790 für die Waren „[X.]: Brillen“ aufgrund des Widerspruchs aus der u.a. für die [X.] registrierten Marke [X.] 329 anzuordnen (§ 43 Abs. 2 Satz 1 [X.]).

A. Im Laufe des Widerspruchsverfahrens haben sich die Vorschriften des [X.]es mit Wirkung vom 14. Januar 2019 geändert. Eine für die Beurteilung des Streitfalls maßgebliche Änderung der Rechtslage folgt daraus nicht (vgl. [X.], 1316 Rn. 11 – [X.]). Da die Anmeldung der angegriffenen Marke zwischen dem 1. Oktober 2009 und dem 14. Januar 2019 eingereicht wurde, sind bei hiergegen erhobenen Widersprüchen weiterhin die Vorschriften nach § 42 Abs. 1 und 2 [X.] in der bis zum 13. Januar 2019 geltenden Fassung anzuwenden (§ 158 Abs. 3 [X.]). Die Anwendung der das Widerspruchsverfahren betreffenden Vorschriften für den Widerspruch aus einer Unionsmarke bzw. – wie hier -  dem [X.] einer [X.] ergibt sich infolge der Änderungen durch das 2. Patentrechtsmodernisierungsgesetz mit Wirkung zum 1. Mai 2022 aus § 119 Nr. 1 und Nr. 4 [X.] n. F.

B. Die Frage, ob [X.] im Sinne von § 9 Abs. 1 Nr. 2 [X.] vorliegt, ist unter Heranziehung aller relevanten Umstände des Einzelfalls umfassend zu beurteilen. Dabei ist von einer Wechselwirkung zwischen der Identität oder der Ähnlichkeit der Waren oder Dienstleistungen, dem Grad der Ähnlichkeit der Marken und der Kennzeichnungskraft der prioritätsälteren Marke in der Weise auszugehen, dass ein geringerer Grad der Ähnlichkeit der Waren oder Dienstleistungen durch einen höheren Grad der Ähnlichkeit der Marken oder durch eine gesteigerte Kennzeichnungskraft der älteren Marke ausgeglichen werden kann und umgekehrt (st. Rspr.; vgl. nur [X.] GRUR 2020, 52 Rn. 41-43 – [X.] [Roslagspunsch/ ROSLAGSÖL]; [X.], 1098 Rn. 44 – [X.]/[X.]; [X.], 933 Rn. 32 – [X.]; [X.] 2020, 870 Rn. 25 – [X.]/[X.]; [X.], 1058 Rn. 17 – [X.]; GRUR 2018, 79 Rn. 7 – [X.]/[X.]; [X.], 1104 ff. – [X.]/[X.]; [X.], 382 Rn. 19 – [X.]; [X.], 283 Rn. 7 – [X.]/[X.] DEUTSCHE [X.]). Bei dieser umfassenden Beurteilung der [X.] ist auf den durch die Marken hervorgerufenen Gesamteindruck abzustellen, wobei insbesondere die unterscheidungskräftigen und dominierenden Elemente zu berücksichtigen sind (vgl. [X.], a. a. [X.] Rn. 48 – [X.] [Roslagspunsch/ ROSLAGSÖL]; [X.] a. a. [X.] Rn. 25 – [X.]/INJEX).

Nach diesen Grundsätzen ist zwischen den Vergleichsmarken eine unmittelbare [X.] in Bezug auf die von der angegriffenen Marke beanspruchten und allein mit dem Widerspruch angegriffenen Waren „[X.]: Brillen“ zu bejahen.

1. Die [X.] können sich in Bezug auf die mit dem Widerspruch angegriffene Ware „[X.]: Brillen“ auf identischen Waren begegnen, da unter diesen Oberbegriff auch „verschreibungspflichtige Brillen“ fallen, für die die Widerspruchsmarke nach der vorliegend maßgeblichen [X.] Schutz beanspruchen kann. Unerheblich ist, dass der Warenoberbegriff „Brillen“ der angegriffenen Marke nicht auf „verschreibungspflichtige Brillen“ beschränkt ist. Weisen bei den jeweiligen Oberbegriffen der Vergleichsmarken nur einzelne Waren Identität oder Ähnlichkeit auf, führt dies bei Bestehen einer [X.] gleichwohl zur Löschung der jüngeren Marke für den gesamten Oberbegriff (vgl. [X.] 2008, 903 Nr. 11 [X.]; GRUR 2008, 905 Nr. 13 – [X.]; Ströbele/Hacker/Thiering, [X.], 13. Aufl., § 9 Rdnr. 72).

2. Weiterhin ist von einer durchschnittlichen Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke auszugehen, da es sich um eine Phantasiebezeichnung handelt.

3. Was die Zeichenähnlichkeit betrifft, weisen die Vergleichsmarken jedenfalls in klanglicher Hinsicht keinen so deutlichen Abstand auf wie ihn die Markenstelle angenommen hat.

Das beim [X.] nach dem Grundsatz „Wort vor Bild“ (vgl. [X.]/Hacker/Thiering, aaO § 9 Rdnr. 459) bei der angegriffenen Marke allein maßgebliche und wie „tse-nets“ ausgesprochene Markenwort „[X.]“ und die wie „[X.]” artikulierte Widerspruchsmarke [X.] stimmen – wovon auch die Markenstelle zutreffend ausgegangen ist - in [X.], Betonung und Sprechrhythmus sowie vor allem am - in aller Regel stärker beachteten – Wortanfang „[X.]“ überein. Soweit der Konsonant „N“ bei der angegriffenen Marke bei einer zu erwartenden Aussprache „tse-nets“ den Anlaut der zweiten Silbe und nicht wie bei der Widerspruchsmarke den Endlaut der Anfangssilbe „Zen“ bildet, tritt diese Abweichung im [X.] beider Markenwörter aufgrund des Umstands, dass die zweite Silbe der Widerspruchsmarke ebenfalls mit dem „zweiten“ Konsonanten „N“ beginnt, nicht besonders hervor. Angesichts des bei beiden [X.] identischen Anlauts „N“ der jeweils zweiten Silbe beeinflussen auch die nachfolgenden Abweichungen am Wortende „EZ“ und „I“ das [X.] nicht so nachhaltig, dass von einem deutlichen Abstand zwischen den [X.] ausgegangen werden könnte. Mögen diese Abweichungen auch für sich genommen selbst bei etwas ungünstigeren Übermittlungsbedingungen wahrnehmbar sein (heller Vokal „i“ nach dem „stimmhaften Verschlusslaut“ „n“ gegenüber einem „zischenden „ts“), so führen sie insgesamt angesichts der Gemeinsamkeiten im Klangbild beider Markenwörter allenfalls zu einer leicht unterdurchschnittlichen Ähnlichkeit der Zeichen. Insoweit ist auch zu beachten, dass der Verkehr die Marken in aller Regel nicht zeitgleich oder in unmittelbarer zeitlicher Abfolge wahrnimmt und seine Auffassung daher erfahrungsgemäß von einem eher undeutlichen Erinnerungsbild bestimmt wird.

4. Trotz dieser leicht unterdurchschnittlichen Zeichenähnlichkeit kann aber im Rahmen der Gesamtabwägung aller für die [X.] maßgeblichen Faktoren unter Berücksichtigung der durchschnittlichen Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke eine markenrechtlich relevante unmittelbare Verwechslungs-gefahr zwischen den Vergleichsmarken jedenfalls insoweit nicht verneint werden, als sie sich auf identischen Waren begegnen können, wie es hinsichtlich der mit dem Widerspruch allein angegriffenen Waren „[X.]: Brillen“ der angegriffenen Marke der Fall ist.

C. Zu einer Kostenauferlegung aus Billigkeitsgründen bot der Streitfall keinen Anlass, § 71 Abs. 1 [X.]. Dem [X.] der Inhaberin der angegriffenen Marke fehlt bereits deshalb die Grundlage, weil die Widersprechende im Beschwerdeverfahren obsiegt hat.

Meta

30 W (pat) 43/21

11.05.2023

Bundespatentgericht 30. Senat

Beschluss

Sachgebiet: W (pat)

Zitier­vorschlag: Bundespatentgericht, Beschluss vom 11.05.2023, Az. 30 W (pat) 43/21 (REWIS RS 2023, 8862)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 8862

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