Bundesgerichtshof, Beschluss vom 18.10.2023, Az. 1 StR 146/23

1. Strafsenat | REWIS RS 2023, 7845

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Gegenstand

Unrichtige Bescheinigung der Durchführung einer Schutzimpfung als Allgemeindelikt


Leitsatz

Bei § 75a Abs. 1 Alt. 1 IfSG i.V.m. § 22 Abs. 5 Satz 1 IfSG in der Fassung vom 28. Mai 2021 handelt es sich um ein Allgemeindelikt.

Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 25. November 2022 – auch soweit es die nicht revidierende Mitangeklagte P.    betrifft –

a) im Schuldspruch betreffend die [X.] (Fälle 438. bis 1.074. der Urteilsgründe) dahingehend abgeändert, dass der Angeklagte der unrichtigen Bescheinigung einer Schutzimpfung in 637 Fällen schuldig ist; die jeweils tateinheitliche Verurteilung wegen Fälschung technischer Aufzeichnungen entfällt,

b) aufgehoben in den [X.] in den [X.] bis B. 6. (Fälle 2. bis 1.074. der Urteilsgründe) und im Ausspruch über die Gesamtstrafe.

2. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird als unbegründet verworfen.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen unrichtiger Bescheinigung der Durchführung einer Schutzimpfung in 1.073 Fällen, davon in 637 Fällen in Tateinheit mit Fälschung technischer Aufzeichnungen, wegen Fälschung beweiserheblicher Daten in Tateinheit mit versuchtem Betrug sowie wegen Betruges in zwei Fällen, jeweils in Tateinheit mit Urkundenfälschung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Die nicht revidierende Angeklagte [X.] hat es u.a. wegen unrichtiger Bescheinigung der Durchführung einer Schutzimpfung in 1.074 Fällen, davon in 637 Fällen in Tateinheit mit Fälschung technischer Aufzeichnungen, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Darüber hinaus hat es gegen den Angeklagten die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von [X.] angeordnet. Die hiergegen gerichtete, auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der [X.] ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

[X.]

2

Das [X.] hat – soweit für die Revision von Relevanz – Folgendes festgestellt und gewertet:

3

1. Die nicht revidierende Angeklagte [X.], die mit dem Angeklagten befreundet war und diesen finanziell unterstützte, arbeitete als angestellte pharmazeutisch-technische Assistentin in einer Apotheke in M.      . Als solche hatte sie Zugriff auf die [X.] und konnte nach deren Einführung auch digitale COVID-[X.] der [X.] (im Folgenden: [X.]) ausstellen. Hierzu mussten sich die Apothekenmitarbeiter zunächst auf der Webseite „[X.]“ mit den der jeweiligen Apotheke zugewiesenen Zugangsdaten anmelden. Über das [X.] wurde der Anmelder auf die Webseite „dav.impfnachweis.info“ weitergeleitet, die nur über ein geschlossenes Intranet, dessen Zugang ein VPN-Konnektor herstellte, aufgerufen werden konnte. Nach der Eingabe der notwendigen Daten (u.a. Name, Geburtsdatum, Impfdatum) durch die Mitarbeiter wurden jene an das [X.] (im Folgenden: [X.]) übermittelt, welches ohne weitere Prüfung der Korrektheit der Daten automatisiert einen [X.] generierte und diesen an die eine Ausstellung beantragende Apotheke sandte.

4

a) Ohne Veranlassung durch den Angeklagten stellte die Mitangeklagte [X.] auf diese Weise am 14. Juni 2021 ein [X.] für diesen aus, obwohl sie wusste, dass der Angeklagte nicht über eine entsprechende Schutzimpfung verfügte (Fall [X.] 1. der Urteilsgründe). Am selben Tag fertigte sie auf Nachfrage des Angeklagten, der ihr auch die notwendigen Personaldaten übersandte, ein [X.] für dessen Verlobte       K.     an. Sowohl der Angeklagte als auch die Mitangeklagte [X.]wussten, dass       K.      keine Schutzimpfung gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 erhalten hatte ([X.] Urteilsgründe).

5

b) Da aufgrund einer technischen Störung die digitalen [X.] des Angeklagten und seiner Verlobten nicht mehr gültig waren, stellte die Mitangeklagte [X.]am 21. Juni 2021 nach erneuter Übermittlung der notwendigen Personaldaten durch den Angeklagten für beide neue unrichtige digitale [X.] aus (Fälle [X.] bis 4. der Urteilsgründe).

6

c) Im [X.] fassten der Angeklagte und die Mitangeklagte [X.] den Entschluss, arbeitsteilig digitale [X.] zu generieren und über das [X.] zu verkaufen, um so dem Angeklagten S.       eine dauerhafte Einnahmequelle zu verschaffen. In Umsetzung des gemeinsamen Tatplans bot der Angeklagte ab dem 19. August 2021 in dem [X.]forum „Crimemarket.to“ unter dem Pseudonym „O.       “ originale digitale Impfnachweise gegen Bezahlung in [X.] oder [X.] an. Die von den Käufern übermittelten Daten leitete der Angeklagte zunächst an die Mitangeklagte [X.] weiter, welche diese während ihrer Arbeitszeit – ergänzt um ein fiktives Impfdatum und einen Impfstoff – in den [X.] eingab und elektronisch an das [X.] übermittelte. Den so vom [X.] generierten [X.] fotografierte sie ab und schickte ihn an den Angeklagten, der ihn wiederum an die Käufer weiterleitete. Auf diese Weise stellten der Angeklagte und die Mitangeklagte [X.] im [X.]raum zwischen dem 23. August 2021 und dem 16. September 2021 insgesamt 185 digitale [X.] her (Fälle [X.] bis 189. der Urteilsgründe).

7

d) Um das Entdeckungsrisiko zu minimieren und eine größere Anzahl von Zertifikaten ausstellen zu können, änderten der Angeklagte und die Mitangeklagte [X.]am 17. September 2021 ihre Vorgehensweise. Mittels eines USB-Sticks installierte die durch den Angeklagten angeleitete Mitangeklagte [X.]die [X.] „Teamviewer“ auf einem [X.]. Mit der ID des Rechners sowie einem zugehörigen Passwort, das sich regelmäßig änderte und ihm jeweils von der Mitangeklagten [X.]mitgeteilt wurde, war es dem Angeklagten nunmehr möglich, über einen von ihm angemieteten [X.] Server auf den [X.] zuzugreifen. Während nun der Angeklagte die Daten der Käufer mittels der [X.] „Teamviewer“ in der zuvor geschilderten Weise an das [X.] übermittelte, „blockierte“ die Mitangeklagte [X.]die Nutzung des entsprechenden Rechners in der Apotheke, um eine Entdeckung zu verhindern. Denn die mittels der [X.] „Teamviewer“ ausgeübten Aktivitäten konnten auf dem Bildschirm des Zielrechners mitverfolgt werden. Vom 17. September 2021 bis zum 1. Oktober 2021 stellten der Angeklagte und die Mitangeklagte [X.] mit dieser Methode insgesamt 248 digitale [X.] her (Fälle [X.] 5. 190. bis 437. der Urteilsgründe).

8

e) Am 29. September 2021 aktivierte die Mitangeklagte [X.]in den [X.] des [X.]s einen „Wake-up Timer“, so dass sich dieser Rechner jeden Tag um 21.00 Uhr selbständig einschaltete. Der Angeklagte stellte von nun an die Zertifikate mithilfe der [X.] „Teamviewer“ außerhalb der Öffnungszeiten der Apotheke her. Mit dieser Vorgehensweise erzeugten der Angeklagte und die Mitangeklagte [X.] vom 1. Oktober 2021 bis zum 22. Oktober 2021 weitere 637 digitale [X.] (Fälle [X.] 6. 438. bis 1.074. der Urteilsgründe).

9

2. Im Februar 2018 bewarb sich der Angeklagte, der über keine abgeschlossene Berufsausbildung verfügte, auf die Stelle eines Mediengestalters bei der [X.] in [X.]    . Um seine vermeintliche Befähigung zu belegen, fügte er seiner Bewerbung drei von ihm hergestellte, angeblich von der [X.].     , der [X.]       sowie der [X.]       ausgestellte Zeugnisse hinzu. Der Angeklagte wurde ab dem 15. März 2018 eingestellt, und nach acht Monaten wurde ihm „aufgrund völlig unzureichender Arbeitsleistung“ gekündigt. Der [X.] entstand hierdurch ein Schaden in Höhe von 32.987,50 Euro (Fall [X.] 8. a) der Urteilsgründe).

I[X.]

Das Urteil hält nur teilweise revisionsgerichtlicher Prüfung stand.

1. Der Schuldspruch in den [X.] bis [X.] 6. (Fälle 2. bis 1.074. der Urteilsgründe) wegen unrichtiger Bescheinigung der Durchführung einer Schutzimpfung nach § 75a [X.] aF i.V.m. § 22 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 [X.] aF ist frei von [X.]. Demgegenüber begegnet die tateinheitliche Verurteilung des Angeklagten in den Fällen 438. bis 1.074. unter [X.] 6. der Urteilsgründe wegen 637 Fällen der Fälschung technischer Aufzeichnungen durchgreifenden Bedenken. Der Schuldspruch ist daher insoweit in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO abzuändern. Dies führt auch zur Aufhebung der in diesen Fällen ([X.] bis [X.] 6. 1.074. der Urteilsgründe) verhängten Einzelstrafen.

a) Die Verurteilung des Angeklagten wegen unrichtiger Bescheinigung der Durchführung einer Schutzimpfung, begangen in Mittäterschaft mit der Mitangeklagten [X.], in den [X.] bis [X.] 6. 1.074. der Urteilsgründe gemäß § 75a Abs. 1 [X.] aF i.V.m. § 22 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 [X.] aF, § 25 Abs. 2, § 53 StGB erweist sich als rechtsfehlerfrei. Das [X.] hat zutreffend angenommen, dass es sich bei § 75a Abs. 1 [X.] aF um ein Allgemein- und nicht um ein [X.] handelt, das den Täterkreis auf Ärzte und Apotheker beschränkt.

Nach § 75a Abs. 1 Alt. 1 [X.] in der Fassung vom 28. Mai 2021 (entspricht § 75a Abs. 1 Nr. 2 [X.] nach neuer Gesetzesfassung) macht sich schuldig, wer wissentlich entgegen § 22 Abs. 5 Satz 1 [X.] aF die Durchführung einer Schutzimpfung zur Täuschung im Rechtsverkehr nicht richtig bescheinigt. Der objektive Tatbestand bezieht sich in dieser Variante auf das digitale [X.], das nachträglich von jedem Arzt oder Apotheker ausgefertigt werden kann (§ 22 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 [X.] aF). Unzweifelhaft kann der Straftatbestand des § 75a Abs. 1 Alt. 1 [X.] aF durch einen Arzt oder Apotheker begangen werden. Zu diesem Personenkreis zählt der Angeklagte jedoch nicht. Im Schrifttum sind Reichweite und Grenzen einer Auslegung im Hinblick auf den möglichen Täterkreis des § 75a Abs. 1 [X.] aF umstritten.

(1) Der [X.] hat sich zu der Frage, ob es sich bei § 75a Abs. 1 [X.] aF um ein Allgemein- oder um ein [X.] handelt, noch nicht geäußert.

(2) Im Schrifttum werden dazu unterschiedliche Auffassungen vertreten.

(a) Nach einer Ansicht handelt es sich bei § 75a Abs. 1 [X.] aF um ein [X.]. Wer tauglicher Täter sein könne, werde durch den Verweis auf § 22 Abs. 5 Satz 1 [X.] aF bestimmt, weil nach dem Wortlaut des § 75a Abs. 1 [X.] aF entgegen dieser Vorschrift gehandelt werden müsse (vgl. [X.]/[X.], NJW 2021, 2159, 2162 Rn. 22 bis 24; [X.], [X.] 2021, 210, 216; [X.]/[X.], [X.] 2021, 626, 632; [X.], [X.] 2022, 21, 23).

(b) Die Gegenauffassung verneint die [X.]squalität des § 75a Abs. 1 [X.] aF (vgl. Wolf, zfistw 2022, 146, 163 f.; [X.], [X.], 135, 140 f.). Zur Begründung macht sie u.a. geltend, dass zur Qualifizierung eines Delikts als [X.] eine besondere Pflicht maßgeblich sei. Eine solche enthalte die Verweisung auf § 22 Abs. 5 Satz 1 [X.] aF jedoch nicht. Auch die teleologische Auslegung ergebe, dass es sich bei § 75a Abs. 1 [X.] aF nicht um ein [X.] handele.

(3) Die letztgenannte Ansicht ist zutreffend. Die vom Gesetzgeber genutzte [X.] auf § 22 Abs. 5 Satz 1 [X.] aF schränkt den möglichen Täterkreis nicht ein. Bei § 75a Abs. 1 Alt. 1 [X.] i.V.m. § 22 Abs. 5 Satz 1 [X.] in der Fassung vom 28. Mai 2021 handelt es sich um ein [X.].

(a) Der Wortlaut des § 75a [X.] aF steht dieser Auslegung nicht entgegen. Zwar könnte die Verweisung auf § 22 Abs. 5 Satz 1 [X.] aF und den dort aufgeführten Personenkreis darauf hindeuten, dass lediglich diese Personen Täter sein können. Dagegen spricht indes, dass der Gesetzgeber in § 75a Abs. 1 [X.] aF das Merkmal „wer“ und damit einen nicht beschränkten Täterkreis gewählt hat. Durch die vorgenommene Verweisung wird lediglich das Tatobjekt in Form des (nachträglichen) digitalen Impfzertifikats konkretisiert. Der in Bezug auf den möglichen Täterkreis indifferente Wortlaut des § 75a [X.] aF schränkt – wie auch die systematischen Erwägungen – eine Auslegung als [X.] nicht ein.

(b) Das Verständnis der Norm als [X.] entspricht dem Willen des Gesetzgebers. In den Materialien zu den kurze [X.] später eingeführten Änderungen ([X.] I 2021, [X.]) der insoweit maßgeblichen Vorschriften des [X.]es hat der Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht, dass durch die Einführung des § 22 Abs. 5 und des § 75a Abs. 1 [X.] die noch zu erlassende Verordnung der [X.] ([X.]-Verordnung „[X.]“) umgesetzt und bestehende [X.] geschlossen werden sollen (BT-Drucks. 19/29870 [X.] und 34). In den Erwägungsgründen Nr. 16 und 17 der Verordnung 2021/953 des [X.] und des Rates vom 14. Juni 2021 über einen Rahmen für die Ausstellung, Überprüfung und Anerkennung interoperabler Zertifikate zur Bescheinigung von COVID-19-Impfungen und -Tests sowie der Genesung von einer COVID-19-Infektion (digitales [X.] der [X.]) mit der Zielsetzung der Erleichterung der Freizügigkeit während der [X.] heißt es:

„(16) 

Am 1. Februar 2021 gab [X.] eine Frühwarnmeldung über den rechtswidrigen Verkauf gefälschter [X.] mit negativem Testergebnis heraus. Angesichts vorhandener, leicht zugänglicher technischer Mittel wie hochauflösende Drucker und [X.]ikprogramme sind Betrüger in der Lage, gefälschte [X.] von hoher Qualität anzufertigen. Es wurden Fälle von illegalem Verkauf gefälschter [X.] gemeldet, an denen organisierte Fälscherbanden und opportunistische Einzeltäter beteiligt waren, die gefälschte [X.] sowohl im [X.] als auch außerhalb des [X.]s zum Kauf angeboten haben.

                 

(17)   

Es müssen unbedingt ausreichende Ressourcen zur Verfügung gestellt werden, um diese Verordnung durchzuführen und Betrug und illegale Praktiken im Zusammenhang mit der Ausstellung und Verwendung der Zertifikate, aus denen sich das digitale [X.] der [X.] zusammensetzt, zu verhindern, aufzudecken, zu untersuchen und strafrechtlich zu verfolgen.“

Mit dem vom Gesetzgeber erstrebten effektiven Rechtsgutschutz steht nur eine Auslegung im Einklang, die den möglichen Täterkreis des § 75a Abs. 1 [X.] aF nicht auf Ärzte und Apotheker beschränkt. Anderenfalls würden zum einen auch berufsmäßige Gehilfen, die nach der Gesetzesbegründung zu § 22 Abs. 5 [X.] aF auch zur Ausstellung eines digitalen Impfzertifikats berechtigt sind (BT-Drucks. 19/29870 [X.]), aus dem Täterkreis ausgeschlossen. Zum anderen würden gerade die in dem Erwägungsgrund Nr. 16 der Verordnung 2021/953 des [X.] und des Rates vom 14. Juni 2021 angesprochenen „organisierte[n] Fälscherbanden und opportunistische[n] Einzeltäter“, die mittels geeigneter technischer Mittel gefälschte digitale [X.] herstellen, von einer strafrechtlichen Verfolgung nach § 75a [X.] aF nicht erfasst.

(c) Entscheidend sprechen auch Sinn und Zweck des [X.]es dafür, § 75a Abs. 1 [X.] aF als [X.] auszulegen. Der Gesetzgeber hat als Standort das [X.] und nicht etwa den 23. Abschnitt des besonderen Teils des Strafgesetzbuchs gewählt. Nach § 1 Abs. 1 [X.] ist es Zweck des Gesetzes, übertragbaren Krankheiten beim Menschen vorzubeugen, Infektionen frühzeitig zu erkennen und ihre Weiterverbreitung zu verhindern. Nach der Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 14/2530 [X.]) ist Ziel des Gesetzes, Leben und Gesundheit des Einzelnen wie der [X.] vor den Gefahren durch Infektionskrankheiten zu schützen (vgl. auch [X.], Urteil vom 22. März 2012 – 3 C 16/11 Rn. 32). Das [X.] ist nach der Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 19/29870 [X.] und 25) im Hinblick auf die zu Beginn des Jahres 2021 durch das Auftreten von eigenschaftsveränderten ansteckenderen Virusvarianten des Coronavirus Sars-CoV-2 gewonnene Dynamik des Infektionsgeschehens und der damit verbundenen erheblichen Belastung des Gesundheitssystems geändert worden. Dieser Regelungszweck des [X.]es würde konterkariert, wenn der Anwendungsbereich der neu eingeführten Strafnorm des § 75a Abs. 1 [X.] aF auf einen kleinen Täterkreis beschränkt wäre.

b) Indes hält die tateinheitliche Verurteilung des Angeklagten wegen Fälschung technischer Aufzeichnungen in 637 Fällen unter [X.] 6. 438. bis 1.074. der Urteilsgründe sachlichrechtlicher Nachprüfung nicht stand. Der Angeklagte hat nach den getroffenen Feststellungen nicht den gesetzlichen Tatbestand in der Variante des § 268 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 Nr. 1 StGB wegen störenden Einwirkens auf den [X.] verwirklicht.

aa) Die Tathandlung des störenden Einwirkens auf den [X.] verlangt Eingriffe, die den selbsttätig fehlerfreien Funktionsablauf des aufzeichnenden Geräts in Mitleidenschaft ziehen ([X.], Beschluss vom 6. Februar 1979 – 1 [X.] Rn. 14, [X.]St 28, 300, 305), die also in den geräteautonomen [X.] eingreifen (vgl. [X.], Urteil vom 5. Juli 1990 – 1 [X.] Rn. 27, [X.]R StGB § 268 Aufzeichnung 1). Geschützt wird die „Unbestechlichkeit“ der selbsttätig arbeitenden Maschine, nicht die Korrektheit der eingegebenen Daten (vgl. [X.], Urteil vom 5. Juli 1990 – 1 [X.] Rn. 27 und Beschluss vom 16. April 2015 – 1 [X.] Rn. 47). Wer das Gerät bloß mit inhaltlich unrichtigen Daten beschickt, die durch den Automatisierungsvorgang korrekt wiedergegeben werden, stellt keine unechte Aufzeichnung her (vgl. [X.]/[X.] in [X.]/[X.], StGB, 30. Aufl., § 268 Rn. 32 mwN). Im Gegensatz zu § 263a Abs. 1 Alt. 2 StGB wird vom Wortlaut des § 268 StGB die „[X.]“ nicht umfasst (vgl. Bär in [X.]/[X.]/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2. Aufl., StGB, § 268 Rn. 19 mwN).

bb) Rechtsfehlerhaft ist danach die Würdigung des [X.]s, der Angeklagte habe durch die von ihm nach der Änderung der [X.] des [X.]s, wodurch dessen fehlerfreie Funktion gestört worden sei, erstellten digitalen [X.] auf einen [X.] störend eingewirkt. Tat- und damit Bezugsobjekt der Tathandlung des § 268 Abs. 3 i.V.m. § 268 Abs. 1 Nr. 1 StGB ist, wie das [X.] im Ansatz auch zutreffend erkannt hat, der vom [X.] generierte [X.] als technische Aufzeichnung im Sinne des § 268 Abs. 2 StG[X.] Die von dem Angeklagten und der Mitangeklagten [X.] vorgenommene Änderung der [X.] sowie die Installation der [X.] betrafen aber nur den [X.] selbst und schufen damit lediglich die Voraussetzung, die digitalen [X.] auch außerhalb der Öffnungszeiten der Apotheke ausstellen zu können. Der autonome [X.] zur Erstellung der [X.]s durch das [X.] als eigentliche technische Aufzeichnung blieb von der Einstellungsänderung unbeeinflusst. Bei der persönlichen Eingabe der falschen Daten durch den Angeklagten in den Computer handelt es sich lediglich um eine von § 268 StGB nicht geschützte sog. [X.].

c) Der Senat schließt aus, dass in einem zweiten Rechtsgang noch entsprechende tragfähige Feststellungen getroffen werden können, und lässt die tateinheitliche Verurteilung wegen Fälschung technischer Aufzeichnungen in 637 Fällen entfallen. Die Änderung des Schuldspruchs in den Fällen [X.] 6. 438. bis 1.074. der Urteilsgründe führt zum Wegfall der entsprechenden Einzelstrafen. Um dem neuen Tatgericht eine in sich widerspruchsfreie Strafzumessung zu ermöglichen, hebt der Senat auch die Strafaussprüche in den [X.] bis [X.] 5. 437. der Urteilsgründe insgesamt auf. Die Feststellungen bleiben vom Subsumptionsfehler unberührt (§ 353 Abs. 2 StPO) und können um solche ergänzt werden, die ihnen nicht widersprechen.

2. Soweit der Angeklagte im Fall [X.] 7. der Urteilsgründe wegen Fälschung beweiserheblicher Daten (§ 269 Abs. 1 StGB) in Tateinheit mit versuchtem Betrug (§ 263 Abs. 1, Abs. 2, §§ 22, 23 StGB) sowie in den Fällen [X.] 8. a) und b) der Urteilsgründe jeweils wegen Betruges (§ 263 Abs. 1 StGB) in Tateinheit mit Urkundenfälschung (§ 267 Abs. 1 StGB) verurteilt worden ist, ist dies nicht zu beanstanden. Ergänzend zum Fall [X.] 8. a) der Urteilsgründe ist auszuführen:

a) Ein Vermögensschaden im Sinne des § 263 Abs. 1 StGB tritt ein, wenn die irrtumsbedingte Vermögensverfügung bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise unmittelbar zu einer nicht durch Zuwachs ausgeglichenen Minderung des wirtschaftlichen Gesamtwerts des Vermögens des [X.] führt (sogenanntes „Prinzip der Gesamtsaldierung“). Wurde der Getäuschte zum Abschluss eines Vertrages verleitet (Eingehungsbetrug), sind bei der für die Schadensfeststellung erforderlichen Gesamtsaldierung der Geldwert des erworbenen Anspruchs gegen den Vertragspartner und der Geldwert der eingegangenen Verpflichtung miteinander zu vergleichen. Der Getäuschte ist geschädigt, wenn sich dabei ein [X.] zu seinem Nachteil ergibt. Maßgeblich ist der [X.]punkt der Vermögensverfügung, also der Vergleich des Vermögenswerts unmittelbar vor und nach der Verfügung (vgl. [X.], Urteil vom 1. Juni 2023 – 4 [X.]/22 Rn. 23; Beschlüsse vom 6. April 2018 – 1 StR 13/18, [X.]R StGB § 263 Abs. 1 Vermögensschaden 93 Rn. 8 f. und vom 16. Februar 2022 – 4 StR 396/21 Rn. 10; jeweils mwN). Ein eventueller Minderwert ist nach wirtschaftlicher Betrachtungsweise zu beurteilen und der Vermögensschaden der Höhe nach konkret festzustellen und zu beziffern (vgl. [X.], Beschlüsse vom 23. Juni 2010 – 2 BvR 2559/08 u.a., [X.]E 126, 170, 229 zu § 266 StGB und vom 7. Dezember 2011 – 2 BvR 2500/09 u.a., [X.]E 130, 1, 47 zu § 263 StGB).

b) Diesen Maßgaben wird das Urteil noch gerecht.

Die zum Vermögensschaden getroffenen Feststellungen hat das [X.] rechtsfehlerfrei beweiswürdigend belegt. Auf der Grundlage der durch die Beweisaufnahme gewonnenen Erkenntnisse hat es den tragfähigen Schluss gezogen, dass die Arbeitsleistung des Angeklagten „völlig wertlos“ war ([X.]). Dabei hat es insbesondere gewürdigt, dass der Angeklagte die für seine Stelle erforderliche fachliche Qualifikation nicht besaß und er die ihm übertragenen Aufgaben auch nicht erledigte (UA [X.]14). So bereitete der Angeklagte u.a. die Messe nicht vor, beantwortete E-Mails nicht bzw. leitete diese nicht weiter und unterließ die Betreuung der „Infoline“. Infolgedessen sperrten Lieferanten die Geschädigte, da Lieferungen nicht bezahlt wurden, und Aufträge mit Kunden scheiterten (UA [X.]13 bis 114).

3. Die Aufhebung der Einzelstrafen in den [X.] bis [X.] 6. 1.074. der Urteilsgründe entziehen auch dem [X.] die Grundlage.

4. Die Entscheidung ist gemäß § 357 Satz 1 StPO auf die nicht revidierende Mitangeklagte [X.]zu erstrecken. Auch bei ihr entfällt in den Fällen [X.] 6. 438. bis 1.074. der Urteilsgründe jeweils die tateinheitliche Verurteilung wegen Fälschung technischer Aufzeichnungen. Dies bedingt auch bei ihr die Aufhebung der sie betreffenden Einzelstrafen in den [X.] bis [X.] 6. 1.074. der Urteilsgründe sowie des [X.]s.

Jäger     

      

Bär     

      

Leplow

      

Allgayer     

      

Munk     

      

Meta

1 StR 146/23

18.10.2023

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG München I, 25. November 2022, Az: 8 KLs 109 Js 10221/21

§ 22 Abs 5 S 1 IfSG vom 28.05.2021, § 75a Abs 1 Alt 1 IfSG vom 28.05.2021, § 268 Abs 1 Nr 1 StGB, § 268 Abs 3 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 18.10.2023, Az. 1 StR 146/23 (REWIS RS 2023, 7845)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 7845

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1 StR 13/18

4 StR 396/21

4 StR 225/22

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