Bundesgerichtshof, Beschluss vom 23.07.2014, Az. 1 StR 196/14

1. Strafsenat | REWIS RS 2014, 3864

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Steuerhinterziehung: Abgrenzung einer versuchten und einer vollendeten Steuerhinterziehung im Rahmen der Voranmeldung der Umsatzsteuer


Tenor

1. Der Antrag des Angeklagten S.              auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Erhebung von Verfahrensrügen wird verworfen.

2. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 6. November 2013, soweit es sie betrifft, aufgehoben.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

4. Die weitergehenden Revisionen der Angeklagten werden verworfen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten [X.]     wegen Steuerhinterziehung in 31 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und neun Monaten verurteilt. Den Angeklagten S.            hat es der Steuerhinterziehung in 38 Fällen schuldig gesprochen und gegen ihn eine Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten verhängt. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte [X.]     mit der näher ausgeführten Sachrüge. Der Angeklagte S.             macht neben der ebenfalls näher ausgeführten Verletzung materiellen Rechts auch Verfahrensbeanstandungen geltend. Die Rechtsmittel haben auf die Sachrügen hin weitgehend Erfolg.

2

Der Angeklagte [X.]     hat darüber hinaus sofortige Beschwerde gegen die Kosten- und Auslagenentscheidung des angefochtenen Urteils eingelegt.

I.

3

Nach den Feststellungen des [X.]s hat der Angeklagte [X.]     als Geschäftsführer der [X.]                        Gmb[X.] (nachfolgend: [X.]     ) durch die Einbindung der Gesellschaft in ein europaweit tätiges sog. [X.] im Zeitraum von Oktober 2009 bis April 2012 zugunsten der [X.]     eine Verkürzung von Umsatzsteuer in einer Gesamthöhe von 8.105.555,09 Euro bewirkt. Die Gesellschaft war in ein im Wesentlichen von [X.] [X.]intermännern gesteuertes [X.] regelmäßig als sog. Buffer in einer sich über mehrere Glieder erstreckenden Lieferkette von Soft- und [X.]ardware-Artikeln eingebunden.

4

Der Angeklagte S.            war als Mitarbeiter der D.    , einer [X.]auptabnehmerin der [X.]     in der dem Karussell zugrunde liegenden Lieferkette, tätig. Durch das Einstellen von Rechnungen der [X.]     in die Buchhaltung der D.      sowie der sich daran anschließenden Geltendmachung von Vorsteuer aus diesen Rechnungen bewirkte der Angeklagte S.              für den Zeitraum zwischen März 2009 und April 2012 eine [X.]interziehung von Umsatzsteuern zugunsten der D.      in [X.]öhe von 6.777.209,15 Euro.

5

Auf der Grundlage dieser Feststellungen hat das [X.] die beiden Beschwerdeführer jeweils wegen Steuerhinterziehung in der vorstehend genannten Anzahl von Fällen verurteilt. Dabei ist es ersichtlich jeweils von vollendeten Taten ausgegangen.

II.

6

Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen tragen bezüglich beider Angeklagter diese Schuldsprüche nicht. Das [X.] hat weder ausdrücklich festgestellt, ob die in den einzelnen Tatzeiträumen zu Unrecht zugunsten der beiden Gesellschaften geltend gemachten Vorsteuern zu einer Steuervergütung (§ 168 Satz 2 [X.]) oder zu einer Zahllast (§ 168 Satz 1 [X.]) der Unternehmen geführt haben, noch lässt sich dies dem Gesamtzusammenhang des Urteils entnehmen. Von dem Vorliegen einer Steuervergütung oder einer Zahllast hängt aber ab, ob die Steuerhinterziehung (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 [X.]) - hier von Umsatzsteuer - vollendet ist oder diese lediglich das Versuchsstadium erreicht hat.

7

1. Die gegen die vorgenannten Feststellungen und die ihnen zugrunde liegende Beweiswürdigung gerichteten Angriffe der Revisionen bleiben ohne Erfolg.

8

a) Soweit die Revision des Angeklagten S.              die tatrichterlichen Feststellungen mit verschiedenen Verfahrensrügen angreift, sind diese Beanstandungen entgegen den gesetzlichen Vorgaben nicht innerhalb der Frist des § 345 Abs. 1 StPO erhoben worden und schon deshalb erfolglos.

9

aa) Das Urteil ist dem Verteidiger am 29. Januar 2014 zugestellt worden. Die Monatsfrist zur Begründung der Revision endete damit gemäß § 43 Abs. 1 StPO am Freitag, dem 28. Februar 2014. Der Verfahrensrügen enthaltende Schriftsatz des Verteidigers ging aber erst am 3. März 2014 ein; die in dem Schriftsatz in Bezug genommenen Anlagen sogar erst am 7. März 2014.

bb) Dem mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 25. Juni 2014 gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand - nach der Auslegung (§ 300 StPO) des [X.]s - in die Versäumung der [X.] mit dem Ziel, Verfahrensrügen nachzuholen, war nicht zu entsprechen.

Dabei kann der [X.] offenlassen, ob der Antrag überhaupt zulässig erhoben ist. Er erhält entgegen § 45 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 StPO keine Angaben über den Zeitpunkt des Wegfalls des [X.]indernisses (zu diesem Erfordernis BG[X.], Beschlüsse vom 3. Dezember 2013 - 1 [X.]; vom 27. Januar 2014 - 4 StR 376/13). Insbesondere wird nicht vorgetragen, zu welchem Zeitpunkt der Angeklagte Kenntnis von dem Wegfall des [X.]indernisses erlangt hat. Darauf kommt es aber für den Beginn der Wochenfrist aus § 45 Abs. 1 Satz 1 StPO an (BG[X.], Beschluss vom 3. Dezember 2013 - 1 [X.]).

Der Antrag ist jedenfalls unbegründet. Nach der Rechtsprechung des [X.] kommt bei einer - wie hier durch die Revisionsbegründung des Verteidigers vom 13. November 2013 - bereits form- und fristgerecht begründeten Revision eine Wiedereinsetzung grundsätzlich nicht (BG[X.], Beschlüsse vom 10. Juli 2012 - 1 StR 301/12, [X.], 316; vom 25. September 2012 - 1 StR 361/12, [X.], 34) und ausnahmsweise lediglich dann in Betracht, wenn der Beschwerdeführer unverschuldet durch äußere Umstände oder unvorhersehbare Zufälle daran gehindert war, eine Verfahrensrüge rechtzeitig formgerecht zu begründen (BG[X.], Beschluss vom 18. Juni 2008 - 2 [X.], [X.], 705, 706 Rn. 4 mwN). Eine Ausnahme greift zudem in besonderen [X.] ein, wenn dies zur Wahrung des Anspruchs des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) unerlässlich erscheint (BG[X.], Beschluss vom 10. Juli 2007 - 1 StR 301/12, [X.], 316 mwN). Eine solche Ausnahmesituation wird nicht vorgetragen und ist auch nicht ersichtlich. Dem rechtzeitigen Erheben von Verfahrensrügen stand lediglich ein fehlerhaftes Verständnis der Berechnung der Monatsfrist nach Maßgabe von § 43 Abs. 1 StPO entgegen.

cc) Im Übrigen entsprächen die verspätet erhobenen Verfahrensrügen sämtlich nicht den Anforderungen aus § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Darauf hat der [X.] in seiner Antragsschrift vom 3. Juni 2014 hingewiesen. Insoweit ergänzend bemerkt der [X.], dass bei den als Verstöße gegen „§ 244 Abs. 2, 267 Abs. 3, Abs. 4, 261 StPO" ([X.] vom 3. März 2014 S. 8-16) überschriebenen Verfahrensbeanstandungen bereits die Angriffsrichtung der Rüge nicht ausreichend zu erkennen ist. Soweit allein die Verletzung von § 244 Abs. 2 StPO mit dem Vorbringen, der Geschäftsführer der D.      und der Verkaufsleiter hätten zu den „vorbenannten Fragen ... geladen und gehört [X.] müssen", gerügt wird, fehlt es an den erforderlichen bestimmten [X.]. Entsprechendes gilt auch für die übrigen Verfahrensrügen, mit denen (auch) jeweils die Verletzung der Aufklärungspflicht geltend gemacht wird.

b) Wie in der Antragsschrift des [X.]s zutreffend aufgezeigt wird, beschränken sich die Beanstandungen der Revision des Angeklagten [X.]     auf den in der Revision unbeachtlichen Versuch, eine eigene Beweiswürdigung an die Stelle derjenigen des Tatgerichts zu setzen und urteilsfremdes Geschehen zum Gegenstand des Rechtsmittels zu machen. Revisible Rechtsfehler in der Beweiswürdigung werden nicht aufgezeigt.

c) Gleiches gilt für die Revision des Angeklagten S.             , soweit er sich mit der Sachrüge gegen die Feststellungen und die Beweiswürdigung des [X.]s wendet.

2. Den bislang getroffenen Feststellungen lässt sich aber weder für den Angeklagten [X.]      noch für den Angeklagten S.               entnehmen, ob es sich bei den verfahrensgegenständlichen Taten um vollendete oder lediglich um versuchte [X.]interziehungen der Umsatzsteuer handelt.

§ 370 Abs. 1 [X.] ist nicht lediglich ein Erklärungs-, sondern auch ein [X.]. Vollendung tritt erst ein, wenn der Täter durch seine Tathandlung Steuern verkürzt oder für sich oder einen anderen nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt hat (BG[X.], Urteil vom 19. März 2013 - 1 [X.], BG[X.]R [X.] § 370 Abs. 1 Nr. 1 Vollendung 3 mwN). Liegt wie hier bei allen verfahrensgegenständlichen Taten beider revidierender Angeklagter eine Voranmeldung der Umsatzsteuer zugrunde, tritt für die Fälle der [X.]erabsetzung der bisher zu entrichtenden Steuer oder der Steuervergütung der tatbestandliche [X.] erst aufgrund der gemäß § 168 Satz 2 [X.] erforderlichen Zustimmung der Finanzbehörde ein. In den Konstellationen des § 168 Satz 1 [X.] ist die Steuerhinterziehung dagegen bereits mit der (unrichtigen) Anmeldung vollendet (BG[X.] aaO; siehe auch BG[X.], Beschluss vom 5. Februar 2014 - 1 [X.], [X.], 335, 336).

Das [X.] hat sich sowohl bezüglich der Steuerhinterziehung zugunsten der [X.]      (Angeklagter [X.]      ) als auch bezüglich derjenigen zugunsten der D.     (Angeklagter S.              ) auf die tabellarische Erfassung der sich in den relevanten [X.] ergebenden [X.] beschränkt ([X.] und [X.]). Daraus allein lässt sich aber nach dem Vorstehenden nicht ableiten, ob bereits mit den jeweiligen Voranmeldungen ein [X.] eingetreten ist oder nicht. Der [X.] vermag auch dem Gesamtzusammenhang des Urteils keine entsprechenden Anhaltspunkte zu entnehmen. Zu möglichen Zustimmungserklärungen der zuständigen Finanzbehörden verhält sich das Urteil in Bezug auf die beiden begünstigten Unternehmen nicht.

Angesichts der damit nach den bisherigen Feststellungen nicht ausgeschlossenen Möglichkeit, dass es sich bei sämtlichen verfahrensgegenständlichen Konstellationen lediglich um Versuchstaten handelt, hebt der [X.] das Urteil auf, soweit es die Angeklagten [X.]      und S.               betrifft. Die Sache war daher im Umfang der Aufhebung zurückzuverweisen.

3. Da die getroffenen Feststellungen rechtsfehlerfrei sind (oben II.1.), bleiben diese aufrechterhalten. Das gilt auch bezüglich der für die Strafzumessung bedeutsamen Feststellungen über die [X.]öhe der hinsichtlich der sog. missing trader dem Fiskus entstandenen Steuerschäden. Ergänzende, den bisher getroffenen nicht widersprechende Feststellungen zu den Voraussetzungen von § 168 Satz 1 oder Satz 2 [X.] sind möglich und erforderlich.

Aus den in der Antragsschrift des [X.]s genannten Gründen war die Aufhebung nicht gemäß § 357 Satz 1 StPO auf den nicht revidierenden Mitangeklagten De.    zu erstrecken. Dieser hat die ihm vorgeworfenen Steuerhinterziehungen zugunsten eines anderen Unternehmens begangen. Es handelt sich damit um andere Taten, als diejenigen, wegen derer die Beschwerdeführer verurteilt worden sind.

IV.

Die sofortige Beschwerde (§ 464 Abs. 3 StPO) des Angeklagten [X.]      gegen die Kosten- und Auslagenentscheidung des angefochtenen Urteils ist gegenstandslos, weil der [X.] das angefochtene Urteil auch insoweit aufgehoben und an ein anderes Tatgericht zurückverwiesen hat.

[X.] am
Bundesgerichtshof Dr. Raum
ist wegen Urlaubsabwesenheit
an der Unterschriftsleistung
gehindert.

Rothfuß

Rothfuß     

Jäger

     Cirener     

Radtke     

Meta

1 StR 196/14

23.07.2014

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Augsburg, 6. November 2013, Az: 10 KLs 501 Js 110379/13

§ 168 S 1 AO, § 168 S 2 AO, § 370 Abs 1 Nr 1 AO, § 22 StGB, § 23 StGB, § 267 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 23.07.2014, Az. 1 StR 196/14 (REWIS RS 2014, 3864)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 3864

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

1 StR 196/14 (Bundesgerichtshof)


1 StR 217/17 (Bundesgerichtshof)

Steuerstrafverfahren: Notwendige Urteilsfeststellungen zur Abgrenzung einer versuchten von einer vollendeten Umsatzsteuerhinterziehung


1 StR 178/15 (Bundesgerichtshof)

Strafverfahren wegen Umsatzsteuerhinterziehung: Erforderliche Urteilsfeststellungen zu unberechtigter Geltendmachung von Vorsteuern aus Scheinrechnungen; tatbestandlicher Verkürzungserfolg im …


1 StR 512/17 (Bundesgerichtshof)

Steuerhinterziehung: Voraussetzungen der Tatvollendung bei unrichtiger Umsatzsteueranmeldung


1 StR 366/15 (Bundesgerichtshof)

(Strafverfahren wegen Umsatzsteuerhinterziehung: Abgrenzung von Tatvollendung und Versuch; notwendige tatrichterliche Feststellungen zum Eintritt des Verkürzungserfolges)


Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.