Bundesfinanzhof, Beschluss vom 25.03.2011, Az. II B 141/10

2. Senat | REWIS RS 2011, 8215

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Verfahrensmangel durch unberechtigte Abweisung einer Klage als unzulässig - Beginn der Rechtsbehelfsfrist bei Zustellung durch Empfangsbekenntnis


Leitsatz

1. NV: Ein Verfahrensfehler i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO liegt vor, wenn über eine zulässige Klage nicht zur Sache, sondern durch Prozessurteil entschieden wird.

2. NV: Wird ein Verwaltungsakt durch Empfangsbekenntnis zugestellt, beginnt eine Rechtsbehelfsfrist mit Ablauf des Tages, an dem der Zustellungsadressat das Empfangsbekenntnis unterzeichnet. § 122 Abs. 2 Halbsatz 1 Nr. 1 AO ist als Regelung über die Bekanntgabe von Verwaltungsakten durch einfachen Brief nicht anwendbar.

Tatbestand

1

I. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --[X.]--) lehnte den Antrag des [X.] und Beschwerdeführers (Kläger), die entstandenen Säumniszuschläge zur Erbschaftsteuer über den bereits erfolgten [X.] hinaus in vollem Umfang zu erlassen, durch Bescheid vom 9. Juni 2009 ab und wies den Einspruch durch Einspruchsentscheidung vom 14. September 2009 als unbegründet zurück. Die Einspruchsentscheidung wurde dem damaligen Bevollmächtigten des [X.], einem Steuerberater, ausweislich des von diesem datierten, unterzeichneten und an das [X.] zurückgesandten [X.] am 15. September 2009 zugestellt.

2

Mit dem an das [X.] gerichteten Schreiben vom 16. Oktober 2009, das den Eingangsstempel von diesem Tag erhielt, beantragte der Kläger persönlich erneut den Erlass der Säumniszuschläge. Mit ebenfalls an das [X.] gerichtetem Schreiben vom 13. November 2009 beantragte der Kläger "nunmehr im Klageweg", ihm die Hälfte der seit 9. Juli 2007 aufgelaufenen Säumniszuschläge zu erlassen. Ferner erhob der Kläger Klage wegen Erbschaftsteuer.

3

Das Finanzgericht ([X.]) wies diese Klagen nach Verfahrensverbindung ab. Die auf Erlass der Säumniszuschläge gerichtete Klage sah das [X.] wegen Versäumung der Klagefrist von einem Monat als unzulässig an. Die zulässigerweise dem Bevollmächtigten des [X.] zugestellte Einspruchsentscheidung sei dem Bevollmächtigten ausweislich des [X.] am 15. September 2009 zugegangen und gelte gemäß § 122 Abs. 2 Halbsatz 1 Nr. 1 der Abgabenordnung ([X.]) als am 17. September 2009 bekanntgegeben. Die Klagefrist von einem Monat sei daher beim Eingang des Schreibens vom 13. November 2009 bereits abgelaufen gewesen. Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand seien weder vorgetragen worden noch ersichtlich. Das Schreiben vom 16. Oktober 2009 könne nicht als Klage gewertet werden.

4

Der Kläger macht mit der auf die Abweisung der Klage wegen des Erlasses der Säumniszuschläge beschränkten Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision geltend, das [X.] habe die Klage zu Unrecht als unzulässig angesehen. Das Schreiben vom 16. Oktober 2009 an das [X.] sei als Klage auszulegen und dem [X.] innerhalb der Klagefrist zugegangen. Da die Einspruchsentscheidung nach § 122 Abs. 2 Halbsatz 1 Nr. 1 [X.] erst am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post, mithin am 17. September 2009, als dem Kläger zugegangen gelte, sei die Klagefrist erst am 19. Oktober 2009, einem Montag, abgelaufen.

5

Das [X.] vertritt die Auffassung, die Klagefrist habe mit Ablauf des 15. September 2009 geendet, so dass das Schreiben vom 16. September 2009 nicht innerhalb der Frist eingegangen sei.

Entscheidungsgründe

6

II. Die Beschwerde ist unbegründet.

7

Es liegt zwar ein Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) vor, wenn das [X.] zu Unrecht durch Prozess- anstatt durch Sachurteil entschieden und dadurch auch den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt hat (Beschlüsse des [X.] --BFH-- vom 25. August 2010 [X.]/10 (PKH), [X.], 49, und vom 3. November 2010 [X.]/10, [X.], 295, jeweils m.w.N.).

8

Ein solcher Verfahrensmangel ist im Streitfall aber nicht gegeben. Selbst wenn das Schreiben des [X.] vom 16. Oktober 2009 als gemäß § 47 Abs. 2 Satz 1 [X.]O beim [X.] angebrachte Klage zu verstehen sein sollte, wurde die Klagefrist, die gemäß § 47 Abs. 1 [X.]O einen Monat beträgt und mit der Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung beginnt, nicht gewahrt.

9

Die vom [X.] nach § 122 Abs. 5 Satz 1 [X.] angeordnete Zustellung der Einspruchsentscheidung vom 14. September 2009 richtete sich gemäß § 122 Abs. 5 Satz 2 [X.] nach den [X.] ([X.]). Zum Nachweis der vom [X.] nach § 2 Abs. 3 Satz 1 [X.] gewählten Zustellung gegen [X.] (§ 5 [X.]), genügte gemäß § 5 Abs. 7 Satz 1 i.V.m. Abs. 4 [X.] das vom seinerzeitigen Bevollmächtigten des [X.], einem Steuerberater, mit Datum und Unterschrift versehene [X.]. Die Zustellung an den Bevollmächtigten mit Wirkung für den Kläger beruhte auf § 122 Abs. 1 Satz 3 [X.] i.V.m. § 80 Abs. 1 Sätze 1 und 2, Abs. 3 Satz 1 [X.] und § 7 Abs. 1 Satz 1 [X.]. Die vom [X.] und vom Kläger angeführte Vorschrift des § 122 Abs. 2 Halbsatz 1 Nr. 1 [X.] ist bei einer Zustellung durch [X.] nicht anwendbar; sie betrifft lediglich die Übermittlung schriftlicher Verwaltungsakte durch die Post ohne förmliche Zustellung.

Die Klagefrist begann somit mit Ablauf des 15. September 2009, an dem der Bevollmächtigte des [X.] das [X.] unterzeichnet hatte (vgl. BFH-Urteil vom 31. Oktober 2000 [X.], [X.], 392, [X.] 2001, 156), und endete nach § 54 Abs. 2 [X.]O i.V.m. § 222 Abs. 1 der Zivilprozessordnung und § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 Alternative 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs mit Ablauf des 15. Oktober 2009. [X.] ist erst danach beim [X.] eingegangen. Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumens der Klagefrist (§ 56 Abs. 1 [X.]O) sind weder vorgetragen noch ersichtlich.

Meta

II B 141/10

25.03.2011

Bundesfinanzhof 2. Senat

Beschluss

vorgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg, 22. September 2010, Az: 14 K 14053/08, Urteil

§ 122 Abs 1 AO, § 47 FGO, § 115 Abs 2 Nr 3 FGO, § 5 VwZG, § 122 Abs 5 AO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 25.03.2011, Az. II B 141/10 (REWIS RS 2011, 8215)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 8215

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

IX B 48/21 (Bundesfinanzhof)

Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung gegenüber dem Prozessbevollmächtigten; Prüfung der Klagefrist durch den Rechtsanwalt


IV B 28/09 (Bundesfinanzhof)

Grundsätzliche Bedeutung - Untervollmacht umfasst Empfangsvollmacht - Wirksame Zustellung an Unterbevollmächtigten


2 K 2528/14 (FG München)

Ermessen bei der Auswahl des Bekanntgabeadressaten


III B 82/13 (Bundesfinanzhof)

Wahrung der Klagefrist nach Auslandszustellung - Auslegung einer Klageschrift - ordnungsgemäße Rüge eines Verfahrensfehlers


I R 37/10 (Bundesfinanzhof)

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand - Öffentliche Zustellung - Höhere Gewalt


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.