Bundesfinanzhof, Urteil vom 12.01.2011, Az. I R 37/10

1. Senat | REWIS RS 2011, 10526

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Gegenstand

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand - Öffentliche Zustellung - Höhere Gewalt


Leitsatz

NV: Eine Amtspflichtverletzung der Finanzbehörde (hier: bei der Bekanntgabe durch öffentliche Zustellung) kann als "höhere Gewalt" i.S. des § 110 Abs. 3 AO anzusehen sein .

Tatbestand

1

I. Streitig ist die Rechtswirksamkeit eines Haftungsbescheids bzw. die Frage, ob ein Einspruch als unzulässig verworfen werden konnte.

2

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger), ein in der [X.] ansässiger Rechtsanwalt ohne inländischen Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt, war Vorstand und gesetzlicher Vertreter der [X.] ([X.]). Die Geschäftsanschrift der [X.] und die Kanzleianschrift des [X.] sind identisch. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --[X.]--) erließ in 2003 Steuerbescheide gegen die [X.] unter Hinweis auf eine beschränkte Steuerpflicht gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. [X.]. aa des Einkommensteuergesetzes [X.]. § 2 Nr. 1 des Körperschaftsteuergesetzes. Die Einsprüche dagegen wurden --nach der Feststellung des Finanzgerichts ([X.] mit Einspruchsentscheidung vom 19. April 2010 als unzulässig und unbegründet zurückgewiesen.

3

Das [X.] nahm den Kläger (gemäß § 191 [X.]. § 69, § 34 der Abgabenordnung --AO--) mit Haftungsbescheid vom 2. April 2004 --der öffentlich zugestellt wurde-- für die Abgabenschulden der [X.] in Haftung (Gesamtbetrag: 591.998 €). Zuvor hatte das [X.] mit Schreiben (einfacher Brief) vom 29. Januar 2004 (dessen Zugang der Kläger bestreitet) einen Haftungsbescheid angekündigt und den Kläger aufgefordert, einen inländischen Empfangsbevollmächtigten zu benennen. Nach einer Zahlungsaufforderung durch das [X.] vom 19. März 2009 (unter Hinweis auf eine Haftungsschuld) legte der Kläger mit Schreiben vom 31. März 2009 (Eingang beim [X.] am 1. April 2009) Einspruch gegen den Haftungsbescheid ein, der mit Einspruchsentscheidung vom 4. September 2009 als unzulässig verworfen wurde. Die Klage blieb erfolglos ([X.], Urteil vom 27. April 2010  6 K 3192/09, Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 2010, 1674).

4

Mit der dagegen erhobenen Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts. Er beantragt, das angefochtene Urteil und den Haftungsbescheid sowie die Einspruchsentscheidung aufzuheben, hilfsweise, die Sache an das FG zurückzuverweisen.

5

Das [X.] beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

6

II. Die Revision ist begründet und führt zur Aufhebung des angefo[X.]htenen Urteils und der Einspru[X.]hsents[X.]heidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgeri[X.]htsordnung --[X.]O--). Das [X.] und das [X.] haben den Einspru[X.]h des [X.] zu Unre[X.]ht als verspätet angesehen.

7

1. Der Haftungsbes[X.]heid ist dur[X.]h Bekanntgabe an den Kläger wirksam geworden (§ 124 Abs. 1 Satz 1, § 122 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 und Satz 2 [X.] i.V.m. § 15 Abs. 1 Bu[X.]hst. [X.] vom 3. Juli 1952 [mit späteren Änderungen, i.d.[X.] vor Inkrafttreten des Art. 1 des Gesetzes zur Novellierung des Verwaltungszustellungsre[X.]hts vom 12. August 2005, [X.], 2354, [X.], 855] [X.] a.[X.]--).

8

a) Na[X.]h § 15 Abs. 1 Bu[X.]hst. [X.] [X.] a.[X.] kann dur[X.]h öffentli[X.]he Bekanntma[X.]hung zugestellt werden, wenn die Zustellung außerhalb des Geltungsberei[X.]hs des Grundgesetzes erfolgen müsste, aber unausführbar ist oder keinen Erfolg verspri[X.]ht. Zu diesen Tatbestandsvoraussetzungen ist unter den Beteiligten nur streitig, ob ein Haftungsbes[X.]heid einer [X.] Finanzbehörde über Steuers[X.]hulden in der [X.] von dem dortigen Auss[X.]hluss einer Amtshilfe bei der Zustellung in [X.] (z.B. Bundesfinanzhof --[X.]--, Urteil vom 13. März 1973 [X.]/70, [X.], 213, [X.] 1973, 644; [X.] in Debatin/[X.], Doppelbesteuerung, [X.] Art. 27 Rz 59; [X.]/Strohner in [X.]/[X.]/[X.], Doppelbesteuerungsabkommen Deuts[X.]hland-[X.], Art. 27 Rz 24; [X.], [X.] Steuer-Zeitung [X.], 647, 652; [X.] in Tipke/[X.], [X.], § 9 [X.] Rz 11; Linßen in [X.], [X.], § 10 [X.] Rz 15) erfasst ist, so dass eine Zustellung gemäß § 14 Abs. 1 [X.] a.[X.] in der [X.] keinen Erfolg verspra[X.]h (s. allgemein [X.]-Urteil vom 6. Juni 2000 [X.]/99, [X.], 200, [X.] 2000, 560; [X.] --[X.]--, Urteil vom 18. April 1997  8 C 43/95, [X.], 301; [X.] zur [X.] zu § 122 [X.] Nr. 3.1.5.3, dort Satz 2; [X.]/App, [X.]/ Verwaltungszustellungsgesetz, 6. Aufl., § 15 [X.] Rz 2, 5; [X.], Verwaltungszustellungsgesetz, 1. Aufl., § 15 Rz 10; [X.], [X.], 329, 332 f.; [X.], [X.], 647, 652). Das [X.] hat dies bejaht. Dem ist beizupfli[X.]hten. Der Haftungsanspru[X.]h ist --wie der Steueranspru[X.]h selbst-- ein Anspru[X.]h aus dem Steuers[X.]huldverhältnis (§ 37 Abs. 1 [X.]); ein Haftungsbes[X.]heid ist --wie ein Steuerbes[X.]heid-- Grundlage für die Verwirkli[X.]hung eines Anspru[X.]hs des [X.] Fiskus aus dem Steuers[X.]huldverhältnis (§ 218 Abs. 1 [X.]). Damit wird der [X.] eines ([X.]) [X.] direkt dem Hoheitszwang des ([X.]) Fiskus unterstellt, was eine [X.] Zustellungshilfe auss[X.]hließt.

9

b) Das [X.] hat darüber hinaus au[X.]h bea[X.]htet, dass die öffentli[X.]he Zustellung als "letztes Mittel" der Bekanntgabe anzusehen ist und deshalb erst dann in Betra[X.]ht kommt, wenn alle anderen Mögli[X.]hkeiten, dem Empfänger das S[X.]hriftstü[X.]k zuzustellen, ers[X.]höpft sind (Bes[X.]hluss des [X.] vom 26. Oktober 1987  1 BvR 198/87, Neue Juristis[X.]he Wo[X.]hens[X.]hrift --NJW-- 1988, 2361; [X.]-Urteile in [X.], 200, [X.] 2000, 560; vom 9. Dezember 2009 [X.], [X.], 111, [X.] 2010, 732; [X.] vom 9. August 2007 [X.]/06, [X.], 2310; [X.]-Urteil in [X.], 301; [X.] zum [X.] a.[X.] --[X.]-- vom 13. Dezember 1966 [mit späteren Änderungen] Nr. 19 Abs. 1; S[X.]hwarz in [X.]/[X.]/[X.], [X.], § 10 [X.] Rz 6; [X.] in Tipke/[X.], a.a.[X.], § 10 [X.] Rz 1; Linßen in [X.], a.a.[X.], § 10 [X.] Rz 3; [X.]/[X.], [X.] 2009, 93, 98). Denn das [X.] hat den Kläger na[X.]h der Maßgabe des § 123 Satz 1 [X.] dur[X.]h S[X.]hreiben vom 29. Januar 2004 dazu aufgefordert, einen inländis[X.]hen Empfangsbevollmä[X.]htigten zu bestellen (s. insoweit [X.]-Urteile in [X.], 213, [X.] 1973, 644; in [X.], 200, [X.] 2000, 560; [X.]/[X.], a.a.[X.], § 123 [X.] Rz 12). Dabei konnte, worin dem [X.] zuzustimmen ist, die Aufforderung mit einfa[X.]hem Brief übermittelt werden, da eine (Auslands-)Zustellung au[X.]h insoweit ausges[X.]hlossen war.

Der Einwand des [X.], diese Aufforderung ni[X.]ht erhalten zu haben (zum Erfordernis, den Zugang beim Empfänger na[X.]hzuweisen, um na[X.]h § 123 Satz 2 [X.] verfahren zu können, s. z.B. [X.]/[X.], a.a.[X.], § 123 [X.] Rz 6; Müller-Franken in [X.]/[X.]/[X.], a.a.[X.], § 123 [X.] Rz 59; Güroff in [X.], a.a.[X.], § 123 [X.] Rz 4), ist dabei ni[X.]ht von ents[X.]heidender Bedeutung. Denn die Bekanntgabe des [X.] erfolgte ni[X.]ht auf der Grundlage des § 123 (Satz 2) [X.]. Insoweit kann au[X.]h, wenn der [X.] der Aufforderung vom [X.] mangels Zustellungsmögli[X.]hkeit ni[X.]ht erbra[X.]ht werden und das [X.] damit ni[X.]ht na[X.]h § 123 Satz 2 [X.] dur[X.]h einfa[X.]he Bekanntgabe verfahren kann, ni[X.]ht davon ausgegangen werden, dass dem Na[X.]hrangerfordernis der öffentli[X.]hen Zustellung ni[X.]ht entspro[X.]hen wurde ([X.], [X.], 329, 333).

[X.]) Das [X.] hat ohne Re[X.]htsfehler die formellen Voraussetzungen der öffentli[X.]hen Zustellung na[X.]h § 15 [X.] a.[X.] als erfüllt angesehen. Der Haftungsbes[X.]heid wurde aufgrund der Anordnung vom 25. März 2004 an der Stelle, die von dem [X.] hierfür allgemein bestimmt war, am 6. April 2004 ausgehängt (s. insoweit § 15 Abs. 2 Satz 1 [X.] a.[X.]) und am 23. April 2004 abgenommen. Über die weiteren Zustellungsförmli[X.]hkeiten (zur Unterzei[X.]hnung des Vermerks und der Anbringung "auf dem S[X.]hriftstü[X.]k" z.B. [X.]-Urteil in [X.], 301) und die Fristbere[X.]hnung für die Einspru[X.]hsfrist besteht kein Streit, was weitere Ausführungen erübrigt.

2. Dem Einwand des [X.], § 15 Abs. 1 Bu[X.]hst. [X.] [X.] a.[X.] sei nur dann verhältnismäßig, wenn die Behörde die öffentli[X.]he Zustellung und den Inhalt des S[X.]hriftstü[X.]ks einem Empfänger formlos (hier: als Fax oder per E-Mail) mitteilt, soweit entspre[X.]hende Kontaktdaten bekannt seien, ist ni[X.]ht zu folgen.

Na[X.]h § 15 Abs. 5 Satz 2 [X.] a.[X.] ist bei einer öffentli[X.]hen Zustellung na[X.]h Abs. 1 Bu[X.]hst. [X.] die öffentli[X.]he Zustellung und der Inhalt des S[X.]hriftstü[X.]ks dem Empfänger formlos mitzuteilen, soweit seine Ans[X.]hrift bekannt ist und Postverbindung besteht. Dabei ist na[X.]h § 15 Abs. 5 Satz 3 [X.] a.[X.] die Wirksamkeit der öffentli[X.]hen Zustellung aber allein von der Bea[X.]htung der Abs. 2 und 3 abhängig. Die formlose Mitteilung ist daher ni[X.]ht als Voraussetzung der wirksamen Bekanntgabe anzusehen (s.a. [X.]/App, a.a.[X.], § 15 [X.] Rz 11; [X.], a.a.[X.], § 15 Rz 28). Dass das [X.] es entgegen dem Wortlaut des § 15 Abs. 5 Satz 2 [X.] a.[X.] ("ist ... mitzuteilen") und der innerbehördli[X.]hen Anweisungslage ([X.] Nr. 19 Abs. 5; s.a. AE[X.] zu § 122 [X.] Nr. 3.1.5.3, dort Abs. 2 Satz 1 zu § 10 [X.] n.[X.]; abwei[X.]hend wohl [X.], a.a.[X.], § 15 Rz 28) unterlassen hat, dem Kläger die öffentli[X.]he Zustellung und den Inhalt des S[X.]hriftstü[X.]ks formlos (per Post) mitzuteilen, berührt die Zulässigkeit des Einsatzes dieser Zustellungsform --und damit au[X.]h die Re[X.]htsfolge der [X.] ni[X.]ht (anders zu §§ 185 ff. der Zivilprozessordnung --ZPO-- bzw. § 203 Abs. 2 ZPO a.[X.] Oberlandesgeri[X.]ht --OLG-- Köln, Bes[X.]hluss vom 27. November 1997  14 [X.], NJW-Re[X.]htspre[X.]hungsreport 1998, 1683; dem für § 53 Abs. 2 [X.]O i.V.m. § 185 ZPO folgend [X.], [X.], 647, 651). Angesi[X.]hts des klaren Wortlauts der Norm und des daraus abzuleitenden erkennbaren Willens des Gesetzgebers kommt es insbesondere ni[X.]ht in Betra[X.]ht, kraft verfassungskonformer Auslegung die (formlose) Mitteilung an einen mit Postverbindung errei[X.]hbaren Adressaten als Wirksamkeitserfordernis einer öffentli[X.]hen Zustellung aufzufassen.

3. Dem Kläger war jedo[X.]h Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 110 [X.]) zu gewähren, so dass sein Einspru[X.]h vom 31. März 2009 eine Sa[X.]hents[X.]heidung des [X.] im Einspru[X.]hsverfahren erforderli[X.]h ma[X.]ht.

a) Na[X.]h § 110 Abs. 1 [X.] ist einem Steuerpfli[X.]htigen auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn er ohne Vers[X.]hulden verhindert war, eine gesetzli[X.]he Frist (wie im Streitfall die Einspru[X.]hsfrist des § 355 Abs. 1 Satz 1 [X.]) einzuhalten. Dabei kann die Wiedereinsetzung au[X.]h ohne Antrag gewährt werden, wenn die versäumte Handlung innerhalb der Antragsfrist na[X.]hgeholt wird. Dabei ist allerdings na[X.]h dem Ablauf eines Jahres seit dem Ende der versäumten Frist eine Wiedereinsetzung ausges[X.]hlossen, außer wenn die Antragstellung oder das Na[X.]hholen der versäumten Handlung vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmögli[X.]h war (§ 110 Abs. 3 [X.]).

b) Na[X.]h den insoweit unstreitigen Feststellungen des [X.] hat der Kläger na[X.]h dem Ablauf der Jahresfrist des § 110 Abs. 3 [X.] --aber innerhalb einer Frist von einem Monat na[X.]h dem Bekanntwerden der auf die Existenz einer Haftungss[X.]huld gestützten [X.] Einspru[X.]h gegen den Haftungsbes[X.]heid unter Hinweis auf ein unvers[X.]huldetes Versäumen der Einspru[X.]hsfrist (keine Kenntnis des [X.], keine Kenntnis des Ankündigungss[X.]hreibens und der Aufforderung i.S. des § 123 Satz 1 [X.]) eingelegt. Ein Na[X.]hweis, dass der Kläger das S[X.]hreiben des [X.] vom 29. Januar 2004 erhalten hat, kann ni[X.]ht geführt werden. Es kann dem Kläger damit ni[X.]ht vorgehalten werden, si[X.]h ni[X.]ht s[X.]hon früher beim [X.] na[X.]h dem --bereits angekündigten-- Erlass des [X.] erkundigt zu haben. Im Übrigen konnte er na[X.]h der objektiven Gesetzeslage damit re[X.]hnen, gemäß § 15 Abs. 5 Satz 2 [X.] a.[X.] vom [X.] formlos über die öffentli[X.]he Zustellung und den Inhalt des S[X.]hriftstü[X.]ks informiert zu werden (s. oben II.2.).

[X.]) Im Streitfall war die Wiedereinsetzung ni[X.]ht dur[X.]h Zeitablauf (§ 110 Abs. 3 [X.]) ausges[X.]hlossen; denn dem Kläger war es infolge höherer Gewalt unmögli[X.]h, die (Jahres-)Frist einzuhalten.

Höhere Gewalt ist na[X.]h der [X.]-Re[X.]htspre[X.]hung (z.B. Urteil vom 8. Februar 2001 [X.]/99, [X.], 466, [X.] 2001, 506; [X.] vom 18. April 2005 [X.]/03, [X.] 2005, 1817) ein außergewöhnli[X.]hes Ereignis, das unter den gegebenen Umständen au[X.]h dur[X.]h die äußerste, na[X.]h Lage der Sa[X.]he von dem Betroffenen zu erwartende Sorgfalt ni[X.]ht verhindert werden konnte. Dies umfasst von außen kommende Ereignisse, die vom Betroffenen ni[X.]ht zu beherrs[X.]hen sind und damit au[X.]h sog. unabwendbare Zufälle. Hierzu gehört na[X.]h Auffassung des [X.] ein Umstand, der dem Beteiligten die re[X.]htzeitige Vornahme einer fristgebundenen Handlung unzumutbar ma[X.]ht und damit aus verfassungsre[X.]htli[X.]hen Gründen dem Berei[X.]h der höheren Gewalt zuzuordnen ist (vgl. [X.]-Bes[X.]hluss vom 18. Dezember 1985  2 BvR 1167, 1185, 1636/84, 308/85 und 2 BvQ 18/84, [X.]E 71, 305, 347).

Absolute Unmögli[X.]hkeit setzt höhere Gewalt jedenfalls ni[X.]ht voraus. Sie verlangt ledigli[X.]h, dass der Betroffene die größte na[X.]h den Umständen von ihm unter Berü[X.]ksi[X.]htigung objektiver Maßstäbe vernünftigerweise zu erwartende und ihm zumutbare Sorgfalt walten lässt ([X.]-Urteil vom 30. Oktober 1997  3 C 35/96, [X.], 288). Demgemäß kann na[X.]h der Re[X.]htspre[X.]hung des [X.] höhere Gewalt au[X.]h dann vorliegen, wenn ein Verfahrensbeteiligter dur[X.]h ein Verhalten des Geri[X.]hts von einer fristgere[X.]hten Prozesshandlung abgehalten wird. Glei[X.]hermaßen darf eine Fristversäumnis dem Betroffenen dann ni[X.]ht angelastet werden, wenn er dur[X.]h arglistiges Verhalten seines Gegners an der re[X.]htzeitigen Einlegung des Re[X.]htsbehelfs gehindert worden ist (vgl. Urteil des [X.] vom 25. November 1977 [X.] 12.77, [X.]E 55, 61) oder wenn die Fristversäumnis auf das re[X.]hts- oder treuwidrige Verhalten der Behörde zurü[X.]kgeführt werden kann (vgl. [X.]-Urteil vom 11. Mai 1979  6 C 70/78, [X.]E 58, 100) und der Beteiligte das unsa[X.]hgemäße Verhalten der Behörde trotz aller ihm zumutbaren Anstrengungen ni[X.]ht erkennen konnte.

Die Besonderheiten des Streitfalls re[X.]htfertigen es, zugunsten des [X.] hier von einer dur[X.]h höhere Gewalt (einer Amtspfli[X.]htverletzung des [X.]) ausgelösten Fristversäumnis auszugehen. Unbes[X.]hadet dessen, dass es die Re[X.]htswirksamkeit der Zustellung ni[X.]ht berührt, wenn die Mitteilung über die Zustellung und den Inhalt des S[X.]hriftstü[X.]ks unterlassen wird, versetzt (erst) die formlose Mitteilung den Empfänger in die Lage, mögli[X.]hst effektiv im eigenen Re[X.]htss[X.]hutzinteresse tätig werden zu können. Dieser gerade au[X.]h mit Bli[X.]k auf den verfassungsre[X.]htli[X.]hen Anspru[X.]h auf Wahrung re[X.]htli[X.]hen Gehörs bea[X.]htli[X.]he Gesi[X.]htspunkt kommt im Wortlaut des § 15 Abs. 5 Satz 2 [X.] a.[X.] zum Ausdru[X.]k. Dementspre[X.]hend ist au[X.]h die innerbehördli[X.]he Anweisungslage ([X.] Nr. 19 Abs. 5; s.a. AE[X.] zu § 122 [X.] Nr. 3.1.5.3, dort Abs. 2 Satz 1 zu § 10 [X.] n.[X.]) gestaltet (s.a. Bes[X.]hluss des [X.] in NJW-Re[X.]htspre[X.]hungsreport 1998, 1683; [X.], [X.], 647, 651). Au[X.]h wenn die (na[X.]hträgli[X.]he) Übersendung "zur Information" (s.a. AE[X.] zu § 122 [X.] Nr. 3.1.5.3, dort Abs. 2 Satz 2), die au[X.]h in der [X.] als zulässig angesehen wird ([X.], [X.], 647, 652), weder bei einem Versand auf dem Postweg no[X.]h auf dem von der Revision benannten Weg (Fax, E-Mail) eine Empfangsgewähr oder gar eine Empfangsbestätigung für die absendende Behörde vermittelt, hat die Behörde erst damit alles in ihrer Mögli[X.]hkeit Stehende und ihrer Amtspfli[X.]ht Entspre[X.]hende getan, angesi[X.]hts der besonderen Bekanntgabesituation der öffentli[X.]hen Zustellung dem mit [X.] bekannten ausländis[X.]hen Empfänger die Wahrung seiner Re[X.]hte zu ermögli[X.]hen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Kläger für die Behörde erkennbar bereit und in der Lage ist, Re[X.]htss[X.]hutz in Anspru[X.]h zu nehmen. Letzteres hat der Kläger im Rahmen des [X.] um die Steuerfestsetzung gegenüber der [X.] ausrei[X.]hend deutli[X.]h zu erkennen gegeben, indem er --wie er unbestritten vorgetragen [X.] in einem anderen Verfahrensberei[X.]h dieses [X.] eine Empfangsvollma[X.]ht erteilt hat (au[X.]h in der Einspru[X.]hsents[X.]heidung ist von einer "gegenüber der Staatsanwalts[X.]haft ausgespro[X.]hene(n) Empfangsvollma[X.]ht" die Rede); es konnte angesi[X.]hts dessen naheliegen, dass ihm das S[X.]hreiben des [X.] vom 29. Januar 2004 eventuell ni[X.]ht zur Kenntnis gekommen war.

Meta

I R 37/10

12.01.2011

Bundesfinanzhof 1. Senat

Urteil

vorgehend FG München, 27. April 2010, Az: 6 K 3192/09, Urteil

§ 110 Abs 3 AO, § 15 Abs 1 Buchst c VwZG vom 03.07.1952, § 15 Abs 5 S 2 VwZG vom 03.07.1952, § 15 Abs 5 S 3 VwZG vom 03.07.1952

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 12.01.2011, Az. I R 37/10 (REWIS RS 2011, 10526)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 10526

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