Bundesgerichtshof, Urteil vom 09.11.2010, Az. VI ZR 300/08

6. Zivilsenat | REWIS RS 2010, 1638

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Gegenstand

Schadenersatz bei Körperverletzung: Tatrichterliche Schätzung des Erwerbsschadens


Leitsatz

Zu der für die Bemessung des Erwerbsschadens erforderlichen Prognose der hypothetischen Einkommensentwicklung, wenn der Geschädigte behauptet, er hätte ohne den Schadensfall in fortgeschrittenem Alter eine gut bezahlte Festanstellung erhalten, der Schädiger dies aber unter Hinweis auf die Lage am Arbeitsmarkt bestreitet .

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des [X.] in [X.] des [X.] vom 31. Oktober 2008 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als der Klägerin eine monatliche Verdienstausfallrente von 2.680 € ab 1. Januar 2006 und eine Mehrbedarfsrente von 173,33 € über den 30. September 2025 hinaus abzüglich bereits gezahlter 42.085 € zuerkannt worden sind (Ziffer 2 des Tenors des Berufungsurteils). Die weiter gehende Revision wird zurückgewiesen.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde und des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Klägerin nimmt die Beklagte zu 1 als Haftpflichtversicherer eines Zugfahrzeugs und die Beklagte zu 2 als Tierhalterin auf Ersatz von [X.] in Anspruch.

2

Die Klägerin half am 30. Juli 1999 beim Verladen eines Turnierpferds auf einen Pferdeanhänger mit Zugfahrzeug. Das Pferd riss sich beim Verladen los und trat der Klägerin in den Bauchraum. Hierbei erlitt sie schwerste Verletzungen, aufgrund derer sie dauerhaft arbeitsunfähig ist und eine Erwerbsunfähigkeitsrente bezieht. Ihre Klage auf Anerkennung des Unfalls als Arbeitsunfall wurde im sozialgerichtlichen Verfahren rechtskräftig abgewiesen.

3

Die am 18. September 1960 geborene Klägerin hatte 1978 eine Ausbildung zur Patentanwaltsgehilfin abgeschlossen. 1983 erlangte sie auf dem zweiten Bildungsweg die allgemeine Hochschulreife mit einer Durchschnittsnote von 2,4. Von 1991 bis 1996 studierte sie Germanistik und erreichte einen Magisterabschluss mit der Gesamtnote "sehr gut". Seit 1992 unterrichtete sie in verschiedenen Einrichtungen vor allem [X.] als Fremdsprache. Mit Wirkung vom 1. April 1998 ging sie ein bis zum 31. März 2003 befristetes Beschäftigungsverhältnis in Teilzeit als Lehrkraft für besondere Aufgaben bei der [X.] ein. Sie beabsichtigte zu promovieren und begann mit Vorbereitungen hierfür.

4

Die Klägerin hat Ersatz ihrer materiellen und immateriellen Schäden sowie die Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten verlangt. Zum [X.] hat sie mit [X.] vorgetragen, ohne den Unfall hätte sie bis zum Ende ihres Beschäftigungsverhältnisses zum 31. März 2003 ihre beabsichtigte Promotion abgeschlossen. Aufgrund ihrer erworbenen beruflichen Qualifikation hätte sie ab 2004 eine sichere vollschichtige Arbeitsstelle im öffentlichen Dienst als Lehrkraft erlangt, die mindestens nach der Vergütungsgruppe [X.] eingruppiert gewesen wäre. Hierdurch hätte sie eine monatliche Bruttovergütung von rund 4.500 € erzielt, was nach Abzug der Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung ein Einkommen vor Steuern von 3.600 € ergeben hätte. Demgegenüber haben die Beklagten vorgetragen, auf dem für die Klägerin relevanten Arbeitsmarkt stehe ein sehr geringes Angebot an Arbeitsplätzen einer großen Zahl von Bewerbern gegenüber. Die Klägerin, die im Zeitpunkt des beabsichtigten [X.] erheblich älter als andere gleich qualifizierte Bewerber gewesen wäre, hätte voraussichtlich keine Chance auf Erlangung eines Arbeitsplatzes gehabt.

5

Das [X.] hat der Klage unter Berücksichtigung eines Mitverschuldensanteils von 25 % teilweise stattgegeben. Gegen dieses Urteil haben beide Parteien Berufung eingelegt. Das Berufungsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und die Beklagten auf die Berufung der Klägerin auf der Grundlage einer hundertprozentigen Haftung zur Zahlung weiteren Schadensersatzes verurteilt sowie festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin sämtlichen zukünftigen materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen. Unter anderem hat es die Beklagten verurteilt, ab 1. Januar 2006 eine monatliche Rente in Höhe von 2.853,33 € abzüglich bereits gezahlter 42.085 €, vierteljährlich im Voraus zu zahlen. In diesem Umfang hat der erkennende Senat auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten die Revision zugelassen, mit der die Beklagten insoweit ihren Antrag auf Klageabweisung weiter verfolgen.

Entscheidungsgründe

I.

6

Das Berufungsgericht, dessen Urteil von [X.] in [X.], 257 ff. und 318 ff. näher dargestellt und besprochen worden ist, hat, soweit für das Revisionsverfahren noch relevant, Folgendes ausgeführt:

7

Die Klägerin könne von der [X.] zu 1 gemäß § 7 Abs. 1, §§ 11, 13 StVG a.F., § 3 Nr. 1 PflVG a.F. (nunmehr § 115 Abs. 1 [X.]) und von der [X.] zu 2 gemäß § 833 BGB eine monatliche Verdienstausfallrente in Höhe von 2.680 [X.] beanspruchen. Aufgrund ihrer früheren beruflichen Tätigkeit, des Verlaufs und des sehr guten Abschlusses ihres Studiums der Germanistik, ihrer erworbenen Lehrerfahrung sowie der Vorbereitung der Promotion sei es in hohem Maße wahrscheinlich, dass die Klägerin im Bereich der sprachlichen Ausbildung eine regelmäßige und vollschichtige Anstellung gefunden hätte. Ihr bisheriger Werdegang weise die Klägerin als strebsam sowie beson[X.] leistungswillig und -fähig aus. Deswegen sei mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten gewesen, dass die Klägerin nach Ablauf ihres befristeten Arbeitsvertrages und einer gewissen [X.] der Arbeitssuche eine vollschichtige Erwerbstätigkeit im öffentlichen Dienst, bei karitativen oder sonstigen privaten Institutionen erlangt hätte. In den letzten fünf Jahren sei der Anteil von Akademikern an der Gesamtzahl der Arbeitslosen verhältnismäßig niedrig gewesen. Zwar sei der Arbeitsmarkt für Natur- und Wirtschaftswissenschaftler günstiger als für Geisteswissenschaftler. Jedoch bestehe - auch außerhalb des öffentlichen Dienstes - ein zunehmender Bedarf an Lehrkräften zur Unterweisung ausländischer Mitbürger in [X.]. Deswegen sei keine anteilige Kürzung des [X.] wegen angenommener [X.]en der Arbeitslosigkeit vorzunehmen. Die Klägerin hätte ein ihrer Ausbildung entsprechendes Gehalt in der Größenordnung der Vergütungsgruppe IIa des [X.] erzielen können. Dementsprechend sei von einem monatlichen Bruttogehalt von 4.550 [X.] auszugehen. Das sich nach Abzug der Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung ergebende Gehalt betrage rund 80 % des Bruttogehalts, nämlich 3.600 [X.]. Nach Abzug der Erwerbsunfähigkeitsrente ergebe sich ein von den [X.] zu bezahlender Rentenbetrag in Höhe von 2.680 [X.].

8

Wegen Vermehrung ihrer Bedürfnisse stehe der Klägerin eine monatliche Rente in Höhe von 173,33 [X.] zu.

II.

9

Die dagegen gerichtete Revision hat im Umfang der Zulassung weitgehend Erfolg. Die bisherigen Feststellungen tragen die Zuerkennung einer Verdienstausfallrente in Höhe von 2.680 [X.] nicht.

1. Die grundsätzliche Haftung der [X.] ist nicht mehr im Streit. Auf die von der Nichtzulassungsbeschwerde angegriffenen Ausführungen des [X.] zum fehlenden Mitverschulden der Klägerin an der Entstehung des Schadens kommt es im Revisionsverfahren nicht an, da die Revision insoweit nicht zugelassen worden ist.

2. Unbegründet ist die Revision, soweit die [X.] zur Zahlung einer monatlichen Rente wegen Mehrbedarfs in Höhe von 173,33 [X.] bis zum 30. September 2025 verurteilt worden sind. Die Revision hat die Ausführungen des [X.] dazu, dass die Klägerin unfallbedingt eine Hilfe für vier Stunden wöchentlich benötige und der Aufwand dafür auf monatlich 173,33 [X.] zu schätzen sei, nicht angegriffen.

3. Die Revision hat Erfolg, soweit das Berufungsgericht der Klägerin eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit und Vermehrung ihrer Bedürfnisse für die [X.] nach dem 30. September 2025 zugesprochen hat. Dies verstößt gegen § 308 Abs. 1 ZPO, was das Revisionsgericht von Amts wegen zu beachten hat ([X.], Urteil vom 20. November 1992 - [X.], [X.], 609, 612, insoweit in [X.]Z 120, 239 nicht abgedruckt). Der Klageantrag war auf eine Verurteilung der [X.] zur Zahlung der Rente lediglich bis zum 30. September 2025 gerichtet. Das Berufungsgericht durfte der Klägerin schon deshalb keine zeitlich unbefristete Rente zusprechen.

Entgegen der Auffassung der Revision verstößt das Urteil des [X.] hingegen nicht gegen § 308 Abs. 1 ZPO, soweit es eine über einen monatlichen Betrag von 2.723,33 [X.] hinausgehende Rente zugesprochen hat. Die Klägerin hat im [X.] beantragt, die [X.] über den bereits zuerkannten monatlichen Rentenbetrag von 130 [X.] hinaus zur Zahlung einer monatlichen Rente von weiteren 2.723,33 [X.] zu verurteilen. Dies entspricht dem im [X.] zuerkannten monatlichen Rentenbetrag von 2.853,33 [X.].

4. Die Revision hat weiter Erfolg, soweit das Berufungsgericht die Verdienstausfallrente über den [X.]punkt des mutmaßlichen Ausscheidens der Klägerin aus dem Erwerbsleben hinaus zuerkannt hat. Nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats ist der Anspruch eines abhängig Beschäftigten auf Ersatz des [X.] auf die voraussichtliche Lebensarbeitszeit zu begrenzen (vgl. Senatsurteile vom 27. Juni 1995 - [X.], [X.], 1321; vom 26. September 1995 - [X.], [X.], 1447, 1448; vom 27. Januar 2004 - [X.], [X.], 653 f. = r+s 2004, 342 m. Anm. Lemcke).

5. Die Revision ist auch begründet, soweit das Berufungsgericht der Klägerin eine monatliche Rente wegen unfallbedingter Erwerbsunfähigkeit in Höhe von 2.680 [X.] zuerkannt hat. Die dem zugrunde liegende Prognose, die Klägerin hätte ohne den Unfall während der gesamten Dauer ihres Erwerbslebens ein Bruttogehalt in Höhe von 4.550 [X.] erzielt, begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

a) Eine vom Tatrichter gemäß § 287 Abs. 1 ZPO nach freiem Ermessen vorzunehmende Schadensschätzung unterliegt allerdings nur der beschränkten Nachprüfung durch das Revisionsgericht dahin, ob der Tatrichter Rechtsgrundsätze der [X.] verkannt, wesentliche Bemessungsfaktoren außer Betracht gelassen oder seiner Schätzung unrichtige Maßstäbe zugrunde gelegt hat (vgl. Senatsurteile vom 10. Juli 1984 - [X.], [X.]Z 92, 85, 86 f. = [X.], 966; vom 8. Dezember 1987 - [X.], [X.]Z 102, 322, 330 = [X.], 299, 301; vom 24. Januar 1995 - [X.], [X.], 469, 470; vom 9. Dezember 2008 - [X.], [X.], 408 Rn. 12; vom 5. Oktober 2010 - [X.], Rn. 17, z.[X.].). Derartige Fehler zu Lasten der [X.] liegen hier indes vor.

b) Im Ausgangspunkt zutreffend hat das Berufungsgericht den hier streitigen [X.] unter Heranziehung von § 252 Satz 2 BGB und § 287 ZPO ermittelt. Ist die voraussichtliche berufliche Entwicklung eines Geschädigten ohne das Schadensereignis zu beurteilen, muss der Geschädigte nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats zwar soweit wie möglich konkrete Anhaltspunkte für die erforderliche Prognose dartun. Doch dürfen insoweit keine zu hohen Anforderungen gestellt werden (Senatsurteile vom 31. März 1992 - [X.], [X.], 973; vom 6. Juli 1993 - [X.], [X.], 1284, 1285; vom 17. Januar 1995 - [X.], [X.], 422, 424; vom 24. Januar 1995 - [X.], [X.], 469, 470; vom 17. Februar 1998 - [X.], [X.], 770, 772; vom 20. April 1999 - [X.], [X.], 233). Dies gilt insbesondere dann, wenn das haftungsauslösende Ereignis den Geschädigten zu einem [X.]punkt getroffen hat, als er noch in der Ausbildung oder am Anfang seiner beruflichen Entwicklung stand und deshalb noch keine Erfolge in der von ihm angestrebten Tätigkeit nachweisen konnte (vgl. Senatsurteile vom 6. Juni 2000 - [X.], [X.], 1521, 1522; vom 5. Oktober 2010 - [X.], aaO Rn. 18).

Soweit sich keine Anhaltspunkte ergeben, die überwiegend für einen Erfolg oder einen Misserfolg sprechen, liegt es nahe, nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge von einem voraussichtlich durchschnittlichen Erfolg des Geschädigten in seiner Tätigkeit auszugehen und auf dieser Grundlage die weitere Prognose der entgangenen Einnahmen anzustellen und den Schaden gemäß § 287 ZPO zu schätzen; verbleibenden Risiken kann durch gewisse Abschläge Rechnung getragen werden (Senatsurteile vom 17. Februar 1998 - [X.], aaO; vom 20. April 1999 - [X.], aaO; vom 6. Juni 2000 - [X.], aaO; vom 5. Oktober 2010 - [X.], aaO Rn. 21).

Insoweit sind dem weiten Ermessen des Tatrichters zur Schadensschätzung allerdings auch Grenzen gesetzt. Insbesondere darf er sich nicht über Vorbringen des Schädigers, das für die Schadensschätzung von Bedeutung ist, ohne weiteres hinwegsetzen oder dies ohne den Ausweis eigener Sachkunde und die Hinzuziehung sachverständiger Hilfe als unerheblich oder widerlegt ansehen.

c) Diesen Grundsätzen wird das Urteil des [X.] nicht gerecht. Die Revision beanstandet mit Recht, dass das Berufungsgericht weder den Vortrag der [X.] noch die Ausführungen des [X.] zu den Berufsaussichten der Klägerin in der gebotenen Weise bei seinen Überlegungen zur Schadensschätzung in Betracht gezogen hat.

Die [X.] haben darauf hingewiesen, dass die Klägerin im [X.]punkt des Unfalls bereits fast 39 Jahre alt gewesen sei, erst zwei Jahre nach dem Abschluss ihres Germanistikstudiums im Mai 1996 einen bis zum 31. März 2003 befristeten [X.] als wissenschaftliche Lehrbeauftragte erhalten und geplant habe, im [X.] zu promovieren, wobei sie bei Abschluss einer Promotion mindestens 45 Jahre alt gewesen und insoweit als Berufsanfängerin völlig aus der Norm gefallen wäre. Dabei sei völlig offen, ob und ggf. wann die Klägerin ihre Dissertation tatsächlich abgeschlossen hätte, zumal diese berufsbegleitend und neben der Betreuung zweier minderjähriger Kinder erfolgreich hätte abgeschlossen werden müssen. Zudem haben die [X.] geltend gemacht, die Annahme des [X.], die Klägerin hätte nach dem fiktiven Abschluss ihrer Promotion ab dem 1. Januar 2006 eine feste Vollzeitanstellung auf hohem Niveau mit einem Gehalt in Höhe von [X.] IIa auf Dauer erhalten, gehe in keiner Weise auf die Feststellungen des [X.] ein, wonach die [X.] Landesregierung zur damaligen [X.] ihr Projekt "Sichere Zukunft in [X.]" gestartet habe, zu dem auch Stellenstreichungen im öffentlichen Dienst gehört hätten; infolgedessen seien insbesondere [X.]verträge nicht verlängert sowie Neueinstellungen kaum noch vorgenommen worden. Überdies haben die [X.] vorgetragen, dass bei Einstellung [X.] im höheren Alter höhere Gehälter zu bezahlen seien, so dass sich auch aus diesem Grund angesichts der aufgezeigten Sparmaßnahmen die Chancen der Klägerin bei der Stellensuche verringert hätten.

Die Ausführungen im Berufungsurteil lassen nicht erkennen, dass das Berufungsgericht diese Einwände ausreichend in Erwägung gezogen hat. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass das Berufungsgericht aufgrund eigener Sachkunde die Gegebenheiten des hier in Frage stehenden Arbeitsmarkts zutreffend beurteilen konnte. Seine Feststellung, dass die [X.] geringer sei als die Arbeitslosigkeit der Gesamtheit aller Arbeitnehmer, stellt auf die konkreten Gegebenheiten des Streitfalls ebenso wenig ab wie die Feststellung, im Bereich sprachlicher Ausbildung bestehe erheblicher Bedarf, und diesem Bedarf werde - insoweit habe das [X.] seinen Blick allzu sehr verengt - nicht nur von einigen öffentlichen Instituten begegnet.

Es kann aufgrund der bisherigen beruflichen Entwicklung der Klägerin, die nach Abschluss ihres Studiums eine Stelle als Lehrkraft für besondere Aufgaben erlangt hat und auch in der Vergangenheit immer erwerbstätig war, davon ausgegangen werden, dass es ihr mit überwiegender Wahrscheinlichkeit gelungen wäre, ihrer Qualifikation entsprechende Arbeitsstellen zu finden. Die vom Berufungsgericht bislang getroffenen Feststellungen und seine Erwägungen bilden jedoch keine tragfähige Grundlage für die Annahme, dass die Klägerin mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit ab Januar 2006 bis zu ihrem Renteneintritt durchgehend ein monatliches Bruttoeinkommen von 4.550 [X.] erzielt hätte.

6. Das Berufungsurteil kann danach insoweit keinen Bestand haben. Die Sache ist an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit es die Schadensschätzung unter Berücksichtigung des entscheidungserheblichen Parteivortrags erneut vornimmt.

Für die neue Verhandlung und Entscheidung weist der erkennende Senat auf Folgendes hin:

a) Mit Recht beanstandet die Revision, dass die Ermittlung des [X.]s, wie sie das Berufungsgericht bisher vorgenommen hat, zu unrichtigen Ergebnissen führen kann.

Dabei kommt es allerdings auf die von der Revision gerügten Fehler des [X.] bei der Anwendung der Bruttolohnmethode für den Erwerbsschaden bis zum 31. Dezember 2005 nicht an. Insoweit ist die Revision nicht zugelassen worden. Die Grundsätze, die bei der Anwendung dieser Methode zu beachten sind, insbesondere wenn der Geschädigte in der gesetzlichen Sozialversicherung versichert ist und neben den Schadensersatzleistungen auch Leistungen aus einer Sozialversicherung erhält, sind geklärt (vgl. Senatsurteile vom 24. September 1985 - [X.], [X.], 162, 163; vom 15. November 1994 - [X.], [X.], 104, 105 f.; vom 28. September 1999 - [X.], [X.], 65; vgl. ferner [X.], [X.], 3. Aufl., [X.]. 3 Rn. 261 ff.; [X.]., [X.], 205 ff.; [X.], Ersatzansprüche bei Personenschaden, 10. Aufl., Rn. 95 ff.; [X.], [X.], 257 ff., 318 ff.).

Hinzuweisen ist jedoch darauf, dass auch bei der Bemessung des Zukunftsschadens, bei dem rechnerisch von einem angemessenen Bruttoeinkommen ausgegangen werden kann, auf die konkreten Verhältnisse des Geschädigten hinsichtlich der Belastung durch Steuern und Sozialversicherungsbeiträge und hinsichtlich der Vorteile, die sich aufgrund von Lohnersatzleistungen der [X.] ergeben, abzustellen ist. Eine pauschalisierende Betrachtung führt insbesondere bei abhängig Beschäftigten vielfach zu falschen Ergebnissen (vgl. [X.], [X.], 318 ff. m.w.N.).

b) Das Berufungsgericht hat den Vortrag der [X.], die Klägerin müsse sich Werbungskosten oder sonstige ersparte berufsbedingte Aufwendungen in Höhe von 10 % ihres hypothetischen Einkommens anrechnen lassen, unberücksichtigt gelassen, weil dieser nach Schluss der mündlichen Verhandlung erfolgte; die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung hat es abgelehnt. Ob dies, wie die Revision meint, aus Rechtsgründen zu beanstanden ist, kann dahinstehen. Aufgrund der Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht ist eine erneute mündliche Verhandlung geboten, aufgrund derer das Vorbringen geprüft werden kann. Bei einer Prüfung in der Sache wird das Berufungsgericht die in Rechtsprechung und Literatur entwickelten Grundsätze in Betracht zu ziehen haben (vgl. dazu etwa [X.], [X.], aaO, [X.]. 8 Rn. 16 ff., 33 ff.; [X.], aaO, Rn. 78 f., jeweils m.w.N.).

c) Für die Mehrbedarfsrente gilt die Beschränkung auf die Lebensarbeitszeit der Klägerin nicht. Insoweit ist darauf abzustellen, wie lange der Mehrbedarf voraussichtlich bestehen wird.

[X.]                                         Zoll                                    Wellner

                   Diederichsen                                [X.]

Meta

VI ZR 300/08

09.11.2010

Bundesgerichtshof 6. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Frankfurt, 31. Oktober 2008, Az: 24 U 51/08, Urteil

§ 252 BGB, § 833 BGB, § 287 ZPO, § 7 StVG, § 11 StVG, § 13 StVG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 09.11.2010, Az. VI ZR 300/08 (REWIS RS 2010, 1638)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 1638

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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