Bundesfinanzhof, Beschluss vom 05.05.2014, Az. III B 85/13

3. Senat | REWIS RS 2014, 5905

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Vermutung der Bekanntgabe eines Verwaltungsakts; Verlängerung der Dreitagesfrist bis zum folgenden Werktag


Leitsatz

NV: Es entspricht ständiger Rechtsprechung und ist daher nicht klärungsbedürftig, dass sich im Steuerrecht die Dreitagesfrist zwischen der Aufgabe eines Verwaltungsakts zur Post und seiner Bekanntgabe bis zum folgenden Werktag verlängert, wenn das Fristende auf einen Samstag, Sonntag oder gesetzlichen Feiertag fällt. Hieran hat sich trotz des zum sozialrechtlichen Verwaltungsverfahren ergangenen Urteil des BSG vom 6. Mai 2010 B 14 AS 12/09 R (NJW 2011, 1099) nichts geändert.

Tatbestand

1

I. Die [X.]läger und Beschwerdeführer ([X.]läger) sind zusammen zur Einkommensteuer veranlagte Eheleute. Der [X.]läger war im [X.] (Streitjahr) nacheinander als Rechtsanwalt an zwei Sozietäten beteiligt. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --[X.]--) erließ im Mai 2003 einen Einkommensteuerbescheid 2001, in dem Einkünfte aus selbständiger Arbeit in der geschätzten Höhe von … DM angesetzt wurden. Aufgrund von späteren Gewinnfeststellungsbescheiden erließ das [X.] im weiteren Verlauf des Verfahrens geänderte Einkommensteuerbescheide 2001. Zuletzt berücksichtigte es im Bescheid vom 21. September 2004 Einkünfte aus der Tätigkeit des [X.] als Rechtsanwalt in Höhe von … DM.

2

Im Jahr 2009 wurde eine Außenprüfung bei der [X.]anzlei "[X.] Rechtsanwälte" abgeschlossen. An dieser [X.]anzlei war der [X.]läger beteiligt gewesen. In einem Bescheid vom 30. Dezember 2009 über die einheitliche und gesonderte Feststellung der Einkünfte aus selbständiger Arbeit für das [X.] wurden auf den [X.]läger entfallende Einkünfte von … DM festgestellt. Der Bescheid wurde am selben [X.] gegeben. Die entsprechende Mitteilung des Feststellungs-[X.] wurde beim beklagten [X.] zunächst nicht ausgewertet. Zu einer Auswertung kam es erst Ende 2011.

3

Eine Mitarbeiterin des [X.] warf den geänderten Einkommensteuerbescheid 2001, durch welchen die Folgerungen aus dem Feststellungsbescheid vom 30. Dezember 2009 gezogen wurden, am 4. Januar 2012 persönlich in einen Briefkasten, der sich bei der Wohnung der [X.]läger befand. Gegen diesen Bescheid wandten sich die [X.]läger mit Einspruch. Zur Begründung trugen sie vor, die Frist für den Erlass eines geänderten Einkommensteuerbescheids sei abgelaufen, auch sei der Bescheid nicht wirksam bekannt gegeben worden.

4

Der Rechtsbehelf hatte keinen Erfolg, ebenso wenig die anschließend erhobene [X.]lage. Das Finanzgericht ([X.]) war der Ansicht, der geänderte Einkommensteuerbescheid 2001 sei rechtmäßig. Festsetzungsverjährung sei zum Zeitpunkt seines Erlasses noch nicht eingetreten. Der Feststellungsbescheid vom 30. Dezember 2009 habe am 4. Januar 2010 (Montag) den Bereich des [X.] verlassen. Dies stehe aufgrund der als Zeugen vernommenen Mitarbeiter des [X.] fest. Die zweijährige Frist zur Auswertung dieses Grundlagenbescheids sei durch die wirksame Bekanntgabe gewahrt worden.

5

Mit der Nichtzulassungsbeschwerde machen die [X.]läger die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache sowie die Erforderlichkeit einer Entscheidung des [X.] ([X.]) zur Fortbildung des Rechts sowie zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geltend. Das [X.] habe den Rechtssatz aufgestellt, dass sich die Dreitagesfrist zwischen der Aufgabe eines Verwaltungsakts zur Post und seiner vermuteten Bekanntgabe verlängere, wenn das Fristende auf einen Sonntag, gesetzlichen Feiertag oder Sonnabend falle. Dieser Rechtssatz habe zwar Eingang in die Rechtsprechung des [X.] gefunden (Urteil vom 14. Oktober 2003 IX R 68/98, [X.]E 203, 26, [X.] 2003, 898). Er widerspreche jedoch dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 6. Mai 2010 B 14 AS 12/09 R (Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 2011, 1099). Nach Ansicht des BSG sei die Argumentation des [X.] auf das Sozialrecht nicht übertragbar, da im Sozialrecht eine Bevollmächtigung der Sozialleistungsempfänger nicht die Regel sei. Diese Überlegung sei zweifelhaft. Sie gelte im Streitfall nicht, weil der Steuerbescheid ihnen --den [X.]lägern-- selbst bekannt gegeben worden sei. Die Rechtsprechung des [X.] beruhe auf [X.] zugunsten des Steuerpflichtigen. Eine Auslegung zu seinen Ungunsten und gegen den klaren Gesetzeswortlaut verstoße gegen das Gebot des gesetzlichen Verwaltungshandelns und gegen das Rechtsstaatsprinzip und sei daher unzulässig.

6

Die angefochtene Entscheidung basiere auf dem Rechtssatz, dass sich die [X.] sowohl zugunsten als auch zuungunsten von Steuerpflichtigen auswirken könne. Dieser Rechtssatz sei falsch, sofern es um das Ende einer Verjährungsfrist gehe. Diese Frage sei bislang nicht vom [X.] beantwortet worden. In den Entscheidungen vom 6. Juni 2001 XI B 130/99 (juris) und vom 13. Dezember 2000 [X.] ([X.]E 193, 512, [X.] 2001, 274), welche das [X.] zitiert habe, fänden sich hierzu keine Ausführungen.

Entscheidungsgründe

7

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unbegründet und wird durch Beschluss zurückgewiesen (§ 116 Abs. 5 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). Die von den Klägern vorgebrachten Zulassungsgründe liegen nicht vor.

8

1. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 [X.]O).

9

a) Die Kläger halten die Rechtsfrage für grundsätzlich bedeutsam, ob sich die Dreitagesfrist des § 122 Abs. 2 Nr. 1 der Abgabenordnung ([X.]) nach § 108 Abs. 3 [X.] verlängert, wenn der letzte Tag der Frist auf einen Samstag, Sonntag oder gesetzlichen Feiertag fällt.

aa) Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache ist gegeben, wenn eine für bedeutsam gehaltene Rechtsfrage im Allgemeininteresse klärungsbedürftig und im Streitfall klärbar ist. An der Klärungsbedürftigkeit fehlt es, wenn die Rechtsfrage anhand der gesetzlichen Grundlagen und der bereits vorliegenden Rechtsprechung beantwortet werden kann und keine neuen Gesichtspunkte erkennbar sind, die eine erneute Prüfung und Entscheidung der Rechtsfrage durch den [X.] geboten erscheinen lassen (ständige Rechtsprechung, z.B. Senatsbeschluss vom 8. Dezember 2011 III B 72/11, [X.]/NV 2012, 379).

bb) Die von den Klägern herausgestellte Rechtsfrage ist bereits geklärt. In der Rechtsprechung des [X.] ist für den Bereich des Steuerrechts seit dem Urteil in [X.]E 203, 26, [X.] 2003, 898 anerkannt, dass die Dreitagesfrist nach § 122 Abs. 2 Nr. 1 [X.] in den Fällen des § 108 Abs. 3 [X.] verlängert wird (s. [X.]-Urteile vom 4. November 2003 IX R 4/01, [X.]/NV 2004, 159; vom 17. Dezember 2003 I R 4/03, [X.]/NV 2004, 758; vom 6. Oktober 2004 IX R 60/03, [X.]/NV 2005, 327; vom 11. März 2004 VII R 13/03, [X.]/NV 2004, 1065, und vom 19. November 2009 IV R 89/06, [X.]/NV 2010, 818; [X.]-Beschlüsse vom 30. November 2006 XI B 13/06, [X.]/NV 2007, 389; vom 5. August 2011 III B 76/11, [X.]/NV 2011, 1845). Insoweit besteht kein Klärungsbedarf.

cc) Klärungsbedarf ist auch nicht dadurch entstanden, dass das BSG in dem Urteil in NJW 2011, 1099 für den Bereich des Sozialrechts zu § 37 Abs. 2 Satz 1 und zu § 26 Abs. 3 Satz 1 des [X.] entschieden hat, dass sich an der [X.] nichts ändert, wenn der Tag, für den der Zugang eines Bescheids unterstellt wird, ein Samstag, Sonntag oder gesetzlicher Feiertag ist. Das BSG war der Ansicht, es weiche nicht von der [X.]-Rechtsprechung ab, da der [X.] auf die von der finanzgerichtlichen Rechtsprechung entwickelten Anforderungen an die Erschütterung der [X.] abgestellt habe sowie auf die besondere Situation im Steuerrecht mit der dort üblichen Vertretung durch Bevollmächtigte steuerberatender Berufe, die ihre Postfächer an Samstagen generell nicht leerten. Wegen der bewussten Abgrenzung des BSG hat der [X.] keinen Anlass, seine Rechtsauffassung zu überdenken. Aufgrund der generellen Anwendbarkeit des § 108 Abs. 3 [X.] in den Fällen, in denen der Bekanntgabezeitpunkt nach § 122 Abs. 2 Nr. 1 [X.] vermutet wird, kann es im Einzelfall auch keinen Unterschied machen, ob ein Steuerpflichtiger durch einen Bevollmächtigten vertreten wird oder nicht.

b) Auch hinsichtlich der Rechtsfrage, ob sich die Rechtsprechung des [X.] zur Verlängerung der Dreitagesfrist in den Fällen des § 108 Abs. 3 [X.] zu Lasten von Steuerpflichtigen auswirken kann, besteht kein Klärungsbedarf. Ist die Vorschrift anwendbar, so folgt daraus zwangsläufig, dass sie auch dann gilt, wenn sie sich für einen Steuerpflichtigen nachteilig auswirkt.

2. Die Revision ist auch nicht zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen.

a) Der Zulassungsgrund der Rechtsfortbildung nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 [X.]O ist ein Unterfall des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung (s. Senatsbeschluss vom 22. August 2011 III B 192/10, [X.]/NV 2011, 2043). Die Rechtssache hat jedoch --wie ausgeführt-- keine grundsätzliche Bedeutung.

b) Das [X.] ist auch nicht von einem im [X.] in NJW 2011, 1099 enthaltenen Rechtssatz abgewichen (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 [X.]O). Das BSG hat zu den § 122 Abs. 2 Nr. 1, § 108 Abs. 3 [X.] keinen Rechtssatz aufgestellt, vielmehr hat es sich --wie oben [X.] bewusst von der hierzu ergangenen [X.]-Rechtsprechung abgegrenzt.

3. [X.] beruht auf § 143 Abs. 1, § 135 Abs. 2 [X.]O.

Meta

III B 85/13

05.05.2014

Bundesfinanzhof 3. Senat

Beschluss

vorgehend FG Köln, 23. April 2013, Az: 15 K 1243/12, Urteil

§ 108 Abs 3 AO, § 122 Abs 2 Nr 1 AO, § 169 Abs 1 S 3 Nr 1 AO, § 26 Abs 3 S 1 SGB 10, § 37 Abs 2 S 1 SGB 10, § 115 Abs 2 Nr 1 FGO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 05.05.2014, Az. III B 85/13 (REWIS RS 2014, 5905)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 5905

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

X B 47/12 (Bundesfinanzhof)

Zustellung an eine Postfach-Adresse durch einen privaten Postdienstleister unter Einschaltung eines weiteren Postdienstleisters


12 K 758/20 (FG München)

Dienstleistungen, Unfallversicherung, Bescheid, Revision, Werbungskosten, Einspruch, Einspruchsfrist, Aufwendungen, Zugang, Wiedereinsetzung, PKH], Einkommensteuerbescheid, Steuerberater, Einspruchsverfahren, Aufgabe …


V S 1/12 (PKH) (Bundesfinanzhof)

Zugangsvermutung bei Bekanntgabe von Verwaltungsakten; Verteilung der Beweislast, Verstoß gegen rechtsstaatliche Prinzipien


V B 17/11 (Bundesfinanzhof)

Bekanntgabe von Steuerbescheiden


III B 76/11 (Bundesfinanzhof)

Behauptung des verspäteten Zugangs der Einspruchsentscheidung - Berechnung der Klagefrist


Referenzen
Wird zitiert von

26 W (pat) 5/21

B 14 AS 41/15 B

M 10 S 20.4106

L 2 U 140/13

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.