Bundesgerichtshof, Beschluss vom 16.05.2012, Az. 2 ARs 159/12

2. Strafsenat | REWIS RS 2012, 6354

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Gegenstand

Anordnung der Unterbringungsfortdauer in einer Entziehungsanstalt: Begriff der "Aufnahme" im Rahmen der Bestimmung der örtlich zuständigen Strafvollstreckungskammer


Tenor

Die Strafvollstreckungskammer des [X.] ist für die nachträglichen Entscheidungen, die sich auf die Unterbringung des Verurteilten in einer Entziehungsanstalt beziehen, zuständig.

Gründe

1

1. Das [X.] hat den Untergebrachten am 3. Februar 2009 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Die Maßregel wird seit dem 17. April 2009 zunächst im Maßregelvollzugszentrum M. -      und seit dem 10. Oktober 2011 in der forensischen Abteilung des [X.] in [X.]     vollzogen. Zuvor hatte die Strafvollstreckungskammer des [X.] mit Beschluss vom 18. August 2011 die Fortdauer der Unterbringung angeordnet. Seit dem 18. Februar 2012 steht die erneute Regelüberprüfung des weiteren Maßregelvollzugs an (§ 67e Abs. 1 und 2 StGB). Die Staatsanwaltschaft hat diese am 10. Januar 2012 durch Anfordern einer Stellungnahme des [X.] eingeleitet und am 3. Februar 2012 beantragt, die Fortdauer der Unterbringung anzuordnen. Die [X.] der [X.] und [X.] halten sich nicht für zuständig, über diesen Antrag zu entscheiden. Die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts [X.] hat die Sache zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt.

2

2. Das Landgericht [X.], in dessen Bezirk das [X.] liegt, ist für die nachträglichen Entscheidungen, die sich auf den Maßregelvollzug beziehen, zuständig.

3

a) Örtlich zuständig für die zu treffende Entscheidung ist gemäß § 462a Abs. 1 Satz 1 StPO i.V.m. § 463 Abs. 1 StPO die Strafvollstreckungskammer, in deren Bezirk sich die [X.] befindet, in die der Verurteilte zu dem Zeitpunkt aufgenommen ist, in dem das Gericht mit der Sache befasst wird (§ 463 Abs. 1, § 462a Abs. 1 Satz 1 StPO). "Aufgenommen" im Sinne des § 462a Abs. 1 Satz 1 StPO ist ein Verurteilter, wenn er sich in der betreffenden [X.] auch tatsächlich und nicht nur vorübergehend wie etwa im Rahmen einer Verschubung oder zum Zwecke einer medizinischen Untersuchung aufhält. Dabei ist es unerheblich, ob die [X.] nach dem [X.] des jeweiligen Bundeslandes auch zuständig ist; dies gilt auch dann, wenn - wie im Fall vom Übergang der Untersuchungshaft in Strafhaft - eine spätere Verlegung in eine zuständige Einrichtung schon abzusehen ist (st. Rspr.; vgl. [X.]St 38, 63, 65; 27, 302, 304; [X.] Beschluss vom 28. Juli 2004 - 2 [X.]; vgl. auch [X.] NStZ 1999, 638; [X.] NStZ 2010, 295, 296; [X.]Appl StPO § 462a Rn. 14, 15; [X.]/Wagner, Strafvollstreckung, 8. Aufl. Rn. 827; vgl. auch [X.] StPO § 462a Rn. 6; [X.]/[X.] § 462a Rn. 8 sowie [X.]/[X.] StPO § 462a Rn. 11, die für eine Aufnahme im Sinne des § 462a Abs. 1 StPO auf den tatsächlichen Aufenthalt und die Zuständigkeit der Einrichtung abstellen). Anders zu beurteilen sind lediglich die Fälle, in denen sich der Verurteilte entgegen der Ladung in einer unzuständigen Vollzugsanstalt zum Strafantritt meldet und alsbald in die zuständige Anstalt verlegt wird (vgl. [X.]Appl StPO § 462a Rn. 15; [X.]/[X.] § 462 Rn. 8); wird aber die Haft in der Folge gleichwohl in der unzuständigen Vollzugsanstalt vollzogen, ist auch in diesen Fällen allein der tatsächliche Aufenthalt des Verurteilten für die Bestimmung der zuständigen Strafvollstreckungskammer maßgeblich. Die nach Landesrecht zuständige [X.] kann daher die Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer nach § 462a Abs. 1 Satz 1 StPO nur begründen, wenn sich der Verurteilte in der Einrichtung auch zugleich und dies nicht nur vorübergehend aufhält (nicht anders ist auch die Entscheidung des Senats in NStZ-RR 1998, 155 zu verstehen, die an die tatsächliche Aufnahme eines Untergebrachten in einer zugleich zuständigen Maßregelvollzugseinrichtung anknüpft).

4

Die Anknüpfung an den tatsächlichen Aufenthalt des Verurteilten entspricht dem Gebot des gesetzlichen Richters nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, der verlangt, dass sich der für den Einzelfall zuständige Richter möglichst eindeutig aus einer allgemeinen Norm ergeben muss ([X.] 40, 268, 271). Eine Auslegung des § 462a Abs. 1 Satz 1 StPO dahingehend, dass sich die Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer - unabhängig davon, in welcher Einrichtung sich der Verurteilte tatsächlich aufhält - allein nach der gemäß dem [X.] zuständigen [X.] richtet, würde dem nicht gerecht. Denn aus den Vollstreckungsplänen der Länder, die regelmäßig z.B. für besonders fluchtverdächtige oder gefährliche Verurteilte Abweichungen bestimmen, ließe sich in solchen Fällen die zuständige Vollzugsanstalt nicht entnehmen (vgl. [X.]St 38, 63, 65). Vor dem Hintergrund, dass die Abweichung vom [X.] einer gerichtlichen Kontrolle zugänglich ist (nach [X.] StraFo 2001, 432 ist die Ablehnung eines auf Verlegung in die zuständige Anstalt gerichteter Antrag als Justizverwaltungsakt im Sinne der §§ 23 ff [X.] anzusehen), begegnet die Anknüpfung an den tatsächlichen Aufenthalt auch nicht deshalb Bedenken, weil sich die örtlich und sachlich zuständige Vollzugsanstalt und daran anknüpfend auch die zuständige Strafvollstreckungskammer nicht mehr nach Landesrecht (vgl. § 138 Abs. 1, § 152 [X.]) bestimmen würde. Dieses Ergebnis entspricht auch der Intention des § 462a StPO, der getragen vom Gedanken der Vollzugsnähe (vgl. [X.]/[X.] § 462a Rn. 6) die Zuständigkeit des im Bezirk der [X.] ansässigen und mit den dortigen Gegebenheiten besonders vertrauten Vollstreckungsgerichts bestimmt.

5

Nichts anderes gilt für eine spätere Verlegung eines Verurteilten. Da unter den Begriff der Aufnahme nicht nur die Erstaufnahme, sondern auch jede spätere Verlegung in eine andere [X.] fällt, also der tatsächliche Aufenthalt des Verurteilten in einer Einrichtung entscheidend ist, bewirkt der (nicht nur vorübergehende) [X.] den Übergang der Zuständigkeit auf diejenige Strafvollstreckungskammer, zu deren Bezirk die Einrichtung gehört, in die der Betroffene verlegt wird (vgl. [X.] NJW 1990, 264).

6

b) Da sich der Verurteilte zum Zeitpunkt der anstehenden Regelüberprüfung in der forensischen Abteilung des [X.] in [X.]     befand und dort nicht nur vorübergehend untergebracht war, war er dort "aufgenommen" im Sinne des § 463 Abs. 1, § 462a Abs. 1 Satz 1 StPO. Dabei ist unerheblich, dass das [X.] nach dem [X.] für das [X.] nur für Unterbringungen gemäß § 63 StGB zuständig ist und damit auch die Voraussetzungen für eine von dem [X.] abweichende Unterbringung gemäß § 5 Abs. 2 Nds.[X.] nicht erfüllt waren.

Ernemann                                    Appl                               Berger

                        Eschelbach                              Ott

Meta

2 ARs 159/12

16.05.2012

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: ARs

§ 64 StGB, § 462a Abs 1 S 1 StPO, § 463 Abs 1 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 16.05.2012, Az. 2 ARs 159/12 (REWIS RS 2012, 6354)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 6354

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