Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 14.07.2000, Az. 3 StR 195/00

3. Strafsenat | REWIS RS 2000, 1621

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[X.]/00vom14. Juli 2000in der Strafsachegegenwegen gefährlicher Körperverletzung- 2 -Der 3. Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des [X.] und des [X.], zu Ziffer 2. auf dessen Antrag, am14. Juli 2000 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig [X.] Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Land-gerichts [X.] vom 8. Februar 2000 im [X.] den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer [X.] und Entscheidung, auch über die Kosten [X.], an eine andere Strafkammer des Landge-richts zurückverwiesen.2. Die weitergehende Revision wird verworfen.Gründe:Das [X.] hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverlet-zung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und seine Unterbrin-gung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet.Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der erdie Verletzung materiellen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat allein zum [X.] Erfolg, im übrigen ist es [X.] Nach den Feststellungen trank der Angeklagte am Tag vor der [X.] ca. 14.00 und 18.30 Uhr zunächst mit einem Freund vor einem Ein-kaufsmarkt und später allein in einer Gaststätte Bier. Er kehrte in der Nacht- 3 -gegen 1.30 Uhr mit dem Fahrrad zu der gemeinsam mit seiner Mutter genutz-ten Wohnung zurück. Dort entschloß er sich, seiner Mutter für die Jahre, die ermit ihr und seinem Stiefvater erlebt hatte, einen Denkzettel zu verpassen. Erholte aus einem Werkzeugkasten einen Eisenhammer und begab sich in [X.] der Mutter. Dort schlug er seiner tief schlafenden Mutter mit derflachen Seite des [X.] einmal auf den [X.], um sie zu verlet-zen. Er verursachte eine blutende Kopfplatzwunde. Das durch den [X.] entstandene Geräusch veranlaßte ihn, innezuhalten. Als seine durchden Schlag erwachte Mutter sich im Bett aufsetzte und ihn ansprach, rannteder Angeklagte aus der Wohnung und lief zu einer Telefonzelle. Von dort riefer zu Hause an, um zu sehen, wie es seiner Mutter geht. Nachdem diese [X.] Telefon gemeldet hatte, begab er sich in die Wohnung zurück, versuchtedie Blutung am Kopf der Mutter mit einem Handtuch zu stillen und rief sodanndie Polizei und einen Krankenwagen. Eine ihm um 2.52 Uhr entnommene Blut-probe ergab eine Blutalkoholkonzentration von 1,11 %o. Nach der [X.] wurde er mit seiner Zustimmung in das [X.] für seelische Ge-sundheit der [X.] gebracht, wo er bereits zuvor zweimal wegenAlkoholmißbrauchs in Behandlung gewesen war. Das [X.] geht davonaus, daß die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei der Tatausführung er-heblich vermindert war.2. Die Überprüfung des Schuldspruchs und des Strafausspruchs auf-grund der [X.] hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil [X.] ergeben. Durch die fehlerhafte, weil den rechtlichen Anforderun-gen nicht genügende Annahme erheblich verminderter Schuldfähigkeit im [X.] des § 21 StGB und der auch hierauf beruhenden Strafrahmenmilderung istder Angeklagte im Strafausspruch nicht [X.] -3. Dagegen kann die [X.] keinen Bestand haben.Die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Kranken-haus gemäß § 63 StGB setzt die positive Feststellung eines länger andauern-den, nicht nur vorübergehenden geistigen Defekts voraus, der zumindest eineerhebliche Einschränkung der Schuldfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit [X.] des § 21 StGB begründete. In diesem Zustand muß er eine rechtswidrigeTat begangen haben, die auf den die Annahme der §§ 20, 21 StGB tragendendauerhaften Defekt zurückzuführen ist, das heißt mit diesem in einem kausa-len, symptomatischen Zusammenhang steht ([X.], 128, 129m.w.[X.] stellt das [X.] im Anschluß an den von ihm gehörten Sach-verständigen bei dem hirnorganisch und psychisch gesunden Angeklagten einesich in überspitzter Form in der Beziehung zu seiner Mutter darstellende "Per-sönlichkeitsproblematik" fest, die als "gemischte Persönlichkeitsstörung" [X.] einer "abhängige(n) (asthenischen)", "ängstlichen ([X.] "dis[X.] Persönlichkeitsstörung" für sich so stark sei, daß "die [X.] schweren seelischen Abartigkeit überschritten sei mit der Folge einer [X.] Beeinträchtigung des Hemmungsvermögens". Zugrunde liege demeine weitgehende innere Abhängigkeit des Angeklagten mit Ansprüchen aufHalt, Fürsorge und Versorgung. Daneben gebe es zusätzlich inzestuöse [X.] als Ausdruck einer ungelösten ödipalen Problematik. Andererseits fühleer sich von seiner Mutter unterdrückt, bevormundet, eingeengt und in [X.] behindert. Dies führe zu einer höchst zwiespältigen Einstel-lung gegenüber der Mutter mit der Folge besonderer Spannungen "und auchimmer wieder aggressiver Affekte". Ein solcher Affekt habe auch zu der [X.] -urteilenden Tat geführt. Für den Angeklagten habe sich die Tat als ein impulsi-ves Handeln aus einer psychischen Notsituation dargestellt. Es sei von einererheblichen neurotischen Fehlentwicklung auszugehen, die vor allem eineReifeverzögerung sowie eine erhebliche Selbstwertproblematik beinhalte. [X.] Alkoholisierung sei daneben keine eigene Bedeutung, sondern ledig-lich "unterstreichende Funktion" zugekommen. Aufgrund seiner Persönlich-keitsstörung werde sich der Angeklagte auch dann, wenn er zu seiner Mutterkeinen Kontakt mehr habe, in seinem unmittelbaren [X.] Umfeld eine Per-son suchen, zu der er ein ähnliches Abhängigkeitsverhältnis aufbauen werde.Es müsse in diesem Falle mit Sicherheit davon ausgegangen werden, daß [X.] einer solchen Bezugsperson wieder aggressive Affekte aufbauen,so daß auch wieder erhebliche Straftaten gegenüber einer solchen Person zuerwarten seien.Damit ist jedoch weder eine erheblich verminderte [X.] Sinne des § 21 StGB noch ein Zustand hinreichend belegt, der die [X.] in einem psychiatrischen Krankenhaus [X.].Zutreffend ist das [X.] allerdings davon ausgegangen, daß [X.] pathologisch bedingte Störungen grundsätzlich Anlaß für eine Unterbrin-gung nach § 63 StGB sein können. Dies setzt jedoch voraus, daß sie in ihremGewicht den krankhaften seelischen Störungen - mit Ausnahme der wenigergewichtigen - entsprechen und als länger dauernde Umstände den [X.] widerspiegeln und seine Gefährlichkeit für die Zukunft begründen([X.]St 34, 22, 28 m.w.Nachw.). Die Diagnose einer "gemischten Persönlich-keitsstörung" mit Merkmalen der abhängigen, ängstlichen und dis[X.] Per-- 6 -sönlichkeitsstörung läßt jedoch für sich - auch in Verbindung mit der weiterenSchilderung der Symptomatik - noch keine Aussage zu Einschränkungen derSchuldfähigkeit des [X.] zu (vgl. [X.]St 42, 385, 388; [X.]R StGB § 21 see-lische Abartigkeit 13; [X.], 77, 78). Hierzu bedarf es vielmehreiner Gesamtschau aller Umstände, die einen Schluß auf eine Verminderungoder gar Aufhebung des Einsichts- oder Hemmungsvermögens zulassen, umfestzustellen, ob die Auswirkungen der Persönlichkeitsstörung in ihrer Gesamt-heit das Leben des [X.] in vergleichbar schwerer Weise beinträchtigen, be-lasten oder einengen wie krankhafte seelische Störungen (vgl. [X.]St 34, 22,28; 37, 397, 401; [X.], 77, 78). In die Prüfung sind die [X.], ihre Entwicklung, der unmittelbare Anlaß und [X.] sowie das Verhalten des Angeklagten nach der Tat einzu-beziehen ([X.]St 37, 397, 402 m.w.Nachw.). Dabei ist insbesondere zu unter-suchen, ob in der Person des Angeklagten letztlich nicht nur Eigenschaften [X.] hervortreten, die sich im Rahmen dessen halten, was beischuldfähigen Menschen anzutreffen und übliche Ursache für strafbares [X.] ist (vgl. [X.], 383; [X.]R StGB § 63 Zustand 26; [X.],[X.]. vom 9. Mai 2000 - 4 StR 59/00).Den Gründen der angefochtenen Entscheidung kann nicht entnommenwerden, daß das [X.] diese Gesamtwürdigung vorgenommen hätte. Esbeschränkt sich darauf, das vom Sachverständigen aufgrund "psychiatrischer,neurologischer und allgemeiner körperlicher Untersuchung des Angeklagten"sowie eines testpsychologischen Zusatzgutachtens und des Eindrucks in [X.] gewonnene Ergebnis der Begutachtung zu referieren undsich diesem "aus eigener Überzeugung" anzuschließen, ohne weitere maßgeb-liche Umstände in seine Betrachtung mit einzubeziehen. So hat das Landge-- 7 -richt zunächst unberücksichtigt gelassen, daß keine früheren Aggressions-handlungen des zum Tatzeitpunkt 36 Jahre alten Angeklagten gegen seineMutter oder sonstige Personen aus seinem [X.] Nahbereich festgestelltsind. Bei den wiedergegebenen, jeweils mit Geldstrafen geahndeten Taten [X.] aus den Jahren 1984 bis 1996 handelte es sich im [X.] Vermögensdelikte, die - nach der Art ihrer Ahndung - nicht dem Bereichschwererer Kriminalität zugerechnet werden können. Auch die im März 1995abgeurteilte gefährliche Körperverletzung zum Nachteil eines Taxifahrers [X.] Beziehung zu der vom Sachverständigen ermittelten Persönlichkeits-störung des Angeklagten erkennen. Das Verhalten des Angeklagten nach [X.] war von Sorge um seine Mutter geprägt. Letztlich hatte er Einsicht in [X.] seiner Tat gezeigt und sich zur Behandlung seiner Alkoholproblemefreiwillig in eine Fachklinik begeben.Darüber hinaus hat es das [X.] unterlassen, die [X.] Sachverständigen kritisch zu hinterfragen. So ist dessen Feststellung, ein"aggressiver Affekt" habe zu der Tat des Angeklagten geführt, mit dem der Tatvorausgehenden Geschehen nur schwer vereinbar. Der Angeklagte hatte vomfrühen Nachmittag des Vortages bis in die Nacht zunächst mit einem Freundund später allein Alkohol konsumiert, ohne daß in diesem Zeitpunkt irgend einekonfliktträchtige Situation, insbesondere mit seiner Mutter eingetreten wäre. Esist daher nur schwer nachvollziehbar, wie es beim Angeklagten zu einem Af-fektaufbau gekommen sein soll. Hierzu hätte es näherer Nachfrage beim Sach-verständigen zu den Grundlagen seiner Beurteilung bedurft. Gleiches gilt [X.] vom Sachverständigen festgestellte impulsive Handeln des [X.] einer "psychischen Notsituation". Auch insoweit fehlt es an nachvollziehba-- 8 -ren Darlegungen, welche Umstände den Angeklagten subjektiv in eine psychi-sche Notsituation gebracht haben könnten.Das Fehlen der gebotenen Gesamtwürdigung der Persönlichkeit [X.], seines [X.], seiner Tat und des [X.] führt desweiteren dazu, daß es auch für die vom [X.] im Rahmen des § 63 [X.] an einer tragfähigen Grundlage mangelt(vgl. [X.]St 27, 246, 248; [X.] NJW 1983, 350; [X.]R StGB § 63 Gefährlich-keit 2 und 3). Auch insoweit hat das [X.] insbesondere das Fehlen frü-herer Aggressivitäten des Angeklagten gegen seine Mutter oder sonstiger Per-sonen aus seinem [X.] Umfeld nicht in seine Bewertung miteinbezogen,ebensowenig das Fehlen sonstiger Straftaten, die in einem [X.] mit der vom Sachverständigen festgestellten Persönlichkeits-störung des Angeklagten stehen [X.] 9 -Über die Unterbringung des Angeklagten muß daher nochmals [X.].[X.] Ri[X.] von [X.] ist [X.] bedingt ortsabwesend und des- halb an der Unterschrift gehindert. [X.]

Meta

3 StR 195/00

14.07.2000

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 14.07.2000, Az. 3 StR 195/00 (REWIS RS 2000, 1621)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2000, 1621

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