Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 23.09.2010, Az. 6 AZR 330/09

6. Senat | REWIS RS 2010, 3099

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Gegenstand

Rufbereitschaft - Entgelt für die Inanspruchnahme des Arztes außerhalb des Krankenhauses - TV-Ärzte/VKA


Tenor

1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des [X.] vom 6. Februar 2009 - 3 [X.] 751/08 - wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten darüber, wie Arbeitsleistungen der Klägerin während der Rufbereitschaft in den Monaten August 2006 bis Januar 2007 zu vergüten waren.

2

Die Beklagte ist eine Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie. Die Klägerin ist bei ihr seit dem 1. April 2000 als Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie beschäftigt. Am 5. Januar 2001 wurde sie zur Oberärztin der Abteilung „Ambulante Behandlung“ bestellt. Auf das Arbeitsverhältnis findet seit dem 1. August 2006 der Tarifvertrag für Ärztinnen und Ärzte an kommunalen Krankenhäusern im Bereich der [X.] vom 17. August 2006 ([X.]/[X.]) Anwendung. In diesem Tarifvertrag heißt es ua.:

        

„§ 10          

        
        

Bereitschaftsdienst und Rufbereitschaft           

                          
        

...     

                                   
        

(8)     

1[X.] hat sich auf Anordnung des Arbeitgebers außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit an einer dem Arbeitgeber anzuzeigenden Stelle aufzuhalten, um auf Abruf die Arbeit aufzunehmen (Rufbereitschaft). …

                          
        

...     

                                   
                                                     
        

§ 11        

                          
        

Ausgleich für Sonderformen der Arbeit           

                          
        

(1)     

1Die Ärztin/ [X.] erhält neben dem Entgelt für die tatsächliche Arbeitsleistung Zeitzuschläge. 2Die Zeitzuschläge betragen - auch bei teilzeitbeschäftigten Ärztinnen und Ärzten - je Stunde

                          
        

a)    

für Überstunden

15 v.H.,

                          
        

b)    

für Sonntagsarbeit

25 v.H.,

                          
        

c)    

bei Feiertagsarbeit

                                   
                 

  - ohne Freizeitausgleich  

135 v.H.,

                                   
                 

  - mit Freizeitausgleich

35 v.H.,

                                   
        

d)    

für Arbeit am 24. Dezember und

                                   
                 

am 31. Dezember jeweils ab 6 Uhr

35 v.H.,

                          
        

des auf eine Stunde entfallenden Anteils des Tabellenentgelts der Stufe 3 der jeweiligen [X.]; bei Ärztinnen und Ärzten gemäß § 16 Buchst. c und d der höchsten tariflichen Stufe.

                          
        

...     

        
        

(3)     

1Für die Rufbereitschaft wird eine tägliche Pauschale je [X.] bezahlt. … 4Hinsichtlich der Arbeitsleistung wird jede einzelne Inanspruchnahme innerhalb der Rufbereitschaft mit einem Einsatz im Krankenhaus einschließlich der hierfür erforderlichen Wegezeiten auf eine volle Stunde gerundet. 5Für die Inanspruchnahme wird das Entgelt für Überstunden sowie etwaige Zeitzuschläge nach Absatz 1 gezahlt. …

                 
        

...“   

                          

3

Die Tarifvertragsparteien des [X.]/[X.] haben sich am 9. Juni 2010 auf Eckpunkte zur Änderung dieses Tarifvertrags geeinigt. Diese sehen hinsichtlich der Inanspruchnahme innerhalb der Rufbereitschaft vor, dass in § 11 Abs. 3 [X.]/[X.] rückwirkend zum 1. Januar 2010 folgender Satz 6 eingefügt wird:

        

6Wird die Arbeitsleistung innerhalb der Rufbereitschaft am Aufenthaltsort im Sinne des § 10 Abs. 8 telefonisch (z.B. in Form einer Auskunft) oder mittels technischer Einrichtungen erbracht, wird abweichend von Satz 4 die Summe dieser Arbeitsleistungen auf die nächste volle Stunde gerundet und mit dem Entgelt für Überstunden sowie etwaigen Zeitzuschlägen nach Absatz 1 bezahlt.“

4

Die Beklagte ordnet für die Klägerin Rufbereitschaft an. Diese ist bei der Beklagten als telefonischer Dienst eingerichtet und garantiert die Erreichbarkeit von Fachärzten 24 Stunden am Tag, auch am Wochenende. Die Klägerin war während der Rufbereitschaft bei psychischen Irritationen der Akutpatienten, die sich nicht in der Klinik, sondern zu Hause befanden, die einzige Ansprechpartnerin. Ein Einsatz während der Rufbereitschaft am Aufenthaltsort eines Akutpatienten ist nur sehr selten erforderlich. Da es sich bei der Klinik der Beklagten um eine Institutsambulanz handelt, ist ein Einsatz in der Klinik während der Rufbereitschaft ausgeschlossen.

5

Die Klägerin wurde in den Monaten August 2006 bis Januar 2007 insgesamt 33,30 Stunden während der Rufbereitschaft von Akutpatienten telefonisch in Anspruch genommen. Die Beklagte zahlte ihr bis Dezember 2006 die tarifliche Pauschale für die Rufbereitschaft und vergütete darüber hinaus die Zeiten der telefonischen Inanspruchnahme der Klägerin während der Rufbereitschaft. Ab Januar 2007 erhielt die Klägerin für die Rufbereitschaft nur noch die tarifliche Pauschale. Die von der Beklagten gezahlte Vergütung für die telefonischen Inanspruchnahmen der Klägerin wurde mit Entgeltansprüchen der Klägerin verrechnet.

6

In einem Rundschreiben vom 19. März 2007 vertrat der [X.] ua. die Ansicht, eine Abgeltung der Arbeitsleistung eines Arztes während der Rufbereitschaft ohne Notwendigkeit, das Krankenhaus aufzusuchen, sei im [X.]/[X.] nicht vereinbart.

7

Die Klägerin ist der Auffassung, die Beklagte habe ihre tatsächliche Arbeitsleistung während der Rufbereitschaft in den Monaten August 2006 bis Januar 2007 gemäß § 11 Abs. 3 Satz 5 [X.]/[X.] mit dem Entgelt für Überstunden nebst den tariflich vorgesehenen Zeitzuschlägen zu vergüten und deshalb 1.348,50 Euro brutto an sie zu zahlen. Aus der Regelung in § 11 Abs. 3 Satz 4 [X.]/[X.] folge nicht, dass während der Rufbereitschaft nur mit einem Einsatz im Krankenhaus verbundene Arbeitsleistungen zu vergüten seien.

8

Die Klägerin hat beantragt,

        

die Beklagte zu verurteilen, an sie 1.348,50 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Februar 2007 zu zahlen.

9

Die Beklagte hat zu ihrem Klageabweisungsantrag die Auffassung vertreten, § 11 Abs. 3 Satz 4 [X.]/[X.] definiere die Inanspruchnahme während der Rufbereitschaft. An diese Definition knüpfe § 11 Abs. 3 Satz 5 [X.]/[X.] an und begründe damit nur für Arbeitsleistungen im Krankenhaus den Vergütungsanspruch.

Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit der vom [X.] zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Ziel der Klageabweisung weiter. Die Klägerin beantragt, die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben der Klage zu Recht stattgegeben.

I. Der Anspruch der Klägerin auf Vergütung iHv. 1.348,50 Euro brutto für die telefonische Inanspruchnahme während der Rufbereitschaft in den Monaten August 2006 bis Januar 2007 folgt aus § 11 Abs. 3 Satz 5 [X.]/[X.]. Diese Tarifvorschrift bestimmt, dass für die Inanspruchnahme das Entgelt für Überstunden sowie etwaige [X.]zuschläge nach Absatz 1 gezahlt werden. Darüber, dass die Klägerin im Klagezeitraum während der als telefonischer Dienst eingerichteten Rufbereitschaft insgesamt 33,30 Stunden durch Anrufe von Akutpatienten in Anspruch genommen wurde, besteht kein Streit. Unstreitig ist auch die Höhe der Vergütung. Die Parteien streiten nur darüber, ob der Anspruch auf Vergütung für die Arbeitsleistung innerhalb der Rufbereitschaft nach § 11 Abs. 3 Satz 5 [X.]/[X.] voraussetzt, dass die Inanspruchnahme im Krankenhaus erfolgt. Entgegen der Ansicht der Beklagten ist dies nicht der Fall.

1. Allerdings ist der Wortlaut der tariflichen Regelung, auf den es nach ständiger Rechtsprechung des [X.] zunächst ankommt (vgl. 19. September 2007 - 4 [X.] - Rn. 30, [X.] 124, 110; 7. Juli 2004 - 4 [X.] - [X.] 111, 204, 209; 9. Oktober 2003 - 6 [X.] - [X.] 108, 72, 74), nicht ganz eindeutig. Weder § 10 Abs. 8 Satz 1 noch § 11 Abs. 3 Satz 4 und Satz 5 [X.]/[X.] sehen ausdrücklich eine Vergütung für die Aufnahme der Arbeit außerhalb des Krankenhauses vor. Diese [X.] schließen ihrem Wortlaut nach jedoch die Vergütung einer innerhalb der Rufbereitschaft vom Arzt außerhalb des Krankenhauses erbrachten Arbeitsleistung auch nicht aus.

a) § 10 Abs. 8 Satz 1 [X.]/[X.] regelt, dass der Arzt sich auf Anordnung des Arbeitgebers außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit an einer dem Arbeitgeber anzuzeigenden Stelle aufzuhalten hat, um auf Abruf die Arbeit aufzunehmen (Rufbereitschaft). Damit definiert die Bestimmung den Begriff der Rufbereitschaft im [X.] und begründet zugleich die Verpflichtung des Arztes zur Leistung von Rufbereitschaft. Da nach § 1 Abs. 1 [X.]/[X.] der Tarifvertrag insbesondere für in Krankenhäusern beschäftigte Ärztinnen und Ärzte gilt und diese ihre Patienten in aller Regel in einem Krankenhaus behandeln, auch dann, wenn die Patienten dort nicht stationär untergebracht sind, liegt es in der Natur der Sache, dass ein in einem Krankenhaus beschäftigter Arzt die Arbeit regelmäßig dort aufzunehmen hat, wenn er innerhalb der Rufbereitschaft zur Arbeitsaufnahme abgerufen wird.

b) § 11 Abs. 3 Satz 5 [X.]/[X.] bestimmt, dass für die Inanspruchnahme das Entgelt für Überstunden gezahlt wird nebst etwaigen [X.]zuschlägen nach Absatz 1. [X.] „für die Inanspruchnahme“ lassen offen, an welchem Ort die Arbeit vom Arzt innerhalb der Rufbereitschaft auf Abruf aufgenommen werden muss. Eine Inanspruchnahme während der Rufbereitschaft setzt damit nach dem Wortlaut des § 11 Abs. 3 Satz 5 [X.]/[X.] nicht voraus, dass die Aufnahme der Arbeit auf Abruf an dem Ort erfolgt, an dem der Arzt seine Arbeitsleistung regelmäßig erbringt. Es reicht vielmehr aus, dass der Arzt innerhalb der angeordneten Rufbereitschaft auf einen entsprechenden Abruf des Arbeitgebers tatsächlich zur Arbeitsleistung herangezogen wird (vgl. zur Vorgängervorschrift § 15 Abs. 6b [X.] Senat 9. Oktober 2003 - 6 [X.] - [X.] 108, 72, 74; 29. Juni 2000 - 6 [X.] - [X.] 95, 210, 213; 28. Juli 1994 - 6 [X.] - AP [X.] § 15 Nr. 33 = Ez[X.] [X.] § 15 Rufbereitschaft Nr. 4). Einer Inanspruchnahme steht auch nicht entgegen, dass die Beklagte die Klägerin nicht jeweils zu den Telefongesprächen mit den Akutpatienten abgerufen hat. Maßgebend ist, dass die Beklagte die Rufbereitschaft als telefonischen Dienst eingerichtet hat, die Klägerin während der Rufbereitschaft für die Akutpatienten als deren einzige Ansprechpartnerin telefonisch erreichbar sein musste und bei psychischen Irritationen und Anrufen der Akutpatienten mit diesen am Telefon Gespräche zu führen hatte.

c) Entgegen der Ansicht der Beklagten haben die Tarifvertragsparteien des [X.]/[X.] den Begriff der Inanspruchnahme in § 11 Abs. 3 Satz 4 [X.]/[X.] nicht abweichend vom allgemeinen Sprachgebrauch definiert und bestimmt, dass der Arzt nur dann innerhalb der Rufbereitschaft im [X.] in Anspruch genommen wird, wenn die Arbeitsleistung im Krankenhaus erbracht wird. Sie haben in dieser Tarifvorschrift festgelegt, dass hinsichtlich der Arbeitsleistung jede einzelne Inanspruchnahme innerhalb der Rufbereitschaft mit einem Einsatz im Krankenhaus einschließlich der hierfür erforderlichen Wegezeiten auf eine volle Stunde gerundet wird. Damit haben sie dem Wortlaut nach für den Regelfall, der Aufnahme der Arbeit durch einen Krankenhausarzt im Krankenhaus, angeordnet, dass bei einem Einsatz im Krankenhaus nicht nur die [X.] der tatsächlichen ärztlichen Arbeitsleistung zu vergüten ist, sondern dass auch die erforderlichen Wegezeiten sowie die [X.]en, die sich aufgrund der [X.] auf volle Stunden ergeben, zu vergüten sind. Es handelt sich damit um eine Vorschrift zur Berechnung des Entgelts für die Arbeitsleistung bei einem Einsatz im Krankenhaus. Ein Wille der Tarifvertragsparteien, dass tatsächliche Arbeitsleistungen eines Arztes während der Rufbereitschaft, die nicht in einem Krankenhaus erbracht werden, nicht besonders zu vergüten, sondern mit der nach § 11 Abs. 3 Satz 1 [X.]/[X.] zu zahlenden Pauschale abgegolten sind, hat im Wortlaut des § 11 Abs. 3 Satz 4 [X.]/[X.] keinen Niederschlag gefunden. Das hat offensichtlich auch die Beklagte zunächst so gesehen und der Klägerin bis Dezember 2006 die [X.]en tatsächlicher Arbeitsleistung während der Rufbereitschaft vergütet.

2. Der tarifliche Gesamtzusammenhang der Regelung gibt entgegen der Ansicht der Beklagten kein anderes Auslegungsergebnis vor.

a) Die Systematik und der Aufbau der tariflichen Regelung zwingen nicht zu dem Verständnis, dass nach § 11 Abs. 3 Satz 5 [X.]/[X.] nur während der Rufbereitschaft in einem Krankenhaus erbrachte Arbeitsleistungen mit dem Entgelt für Überstunden nebst etwaigen [X.]zuschlägen zu vergüten sind. Es trifft zwar zu, dass die Tarifvertragsparteien zunächst in § 11 Abs. 3 Satz 4 [X.]/[X.] festgelegt haben, welche [X.]en bei einer Inanspruchnahme des Arztes im Krankenhaus bei der Berechnung des Entgelts zu berücksichtigen sind, und erst danach in § 11 Abs. 3 Satz 5 [X.]/[X.] geregelt haben, wie die Inanspruchnahme während der Rufbereitschaft zu vergüten ist. Allerdings ist der Schluss nicht zwingend, dass die Tarifvertragsparteien des [X.]/[X.] damit entgegen dem üblichen Aufbau gesetzlicher und tariflicher Regelungen eine Ausnahmeregelung einer Grundsatzregelung vorangestellt hätten, wenn man die Vergütungspflicht für Inanspruchnahmen außerhalb des Krankenhauses aus Satz 5 entnehmen würde. Denkbar ist auch, dass die Tarifvertragsparteien vor Augen hatten, dass ein Krankenhausarzt seine Patienten in aller Regel im Krankenhaus behandelt, und dass sie die Aufnahme der Arbeit eines Krankenhausarztes in einem Krankenhaus auf entsprechenden Abruf des Arbeitgebers deshalb nicht als Ausnahmefall, sondern als Regelfall verstanden haben. Wenn sie bei einem solchen Verständnis zunächst festgelegt haben, welche [X.]en zu vergüten sind, und erst danach angeordnet haben, welches Entgelt für diese [X.]en zu zahlen ist, kann daraus nicht abgeleitet werden, dass die tatsächliche Arbeitsleistung eines Arztes innerhalb der Rufbereitschaft nicht zu vergüten ist, wenn der Arzt außerhalb eines Krankenhauses die Arbeit aufzunehmen und Arbeitsleistungen zu erbringen hat.

b) Selbst wenn die Tarifvertragsparteien entsprechend dem Verständnis der Beklagten die Aufnahme der Arbeit durch einen Krankenhausarzt in einem Krankenhaus während der Rufbereitschaft nach entsprechendem Abruf nicht als Regelfall angesehen haben sollten, gölte nichts anderes. Sie haben in § 10 Abs. 8 Satz 1 [X.]/[X.] die Pflicht des Arztes zur Aufnahme der Arbeit begründet und sind in § 11 Abs. 1 [X.]/[X.] davon ausgegangen, dass der Arzt für jede tatsächliche Arbeitsleistung Entgelt und unter den genannten Voraussetzungen [X.]zuschläge erhält. Wenn sie von diesem Grundsatz der Vergütung der tatsächlichen Arbeitsleistung hätten abweichen wollen, hätten sie regeln müssen, dass tatsächliche Arbeitsleistungen des Arztes außerhalb eines Krankenhauses mit der Pauschale abgegolten sind, die für die Rufbereitschaft nach § 11 Abs. 3 Satz 1 [X.]/[X.] bezahlt wird. Für einen solchen übereinstimmenden Willen der Tarifvertragsparteien fehlt allerdings jeder Anhaltspunkt, er kann insbesondere nicht aus dem Rundschreiben des [X.] vom 19. März 2007 abgeleitet werden, wonach für vom Arzt während der Rufbereitschaft außerhalb des Krankenhauses erbrachte Arbeitsleistungen im [X.]/[X.] keine Vergütung vereinbart ist.

c) Der Umstand, dass die Tarifvertragsparteien des [X.]/[X.] sich in der Eckpunktevereinbarung vom 9. Juni 2010 geeinigt haben, dass rückwirkend ab Januar 2010 telefonische Inanspruchnahmen während einer Rufbereitschaft addiert, auf die jeweils nächste volle Stunde gerundet und mit dem Entgelt für Überstunden zuzüglich etwaiger [X.]zuschläge vergütet werden, spricht nicht gegen das Auslegungsergebnis. Er legt vielmehr nahe, dass die Tarifvertragsparteien telefonische Inanspruchnahmen innerhalb der Rufbereitschaft im Vergleich zur bisherigen Rechtslage im Wesentlichen nicht völlig anderen Regeln unterwerfen, sondern nur klarstellen wollten, dass und mit welchem Umfang ([X.]) auch eine tatsächliche Inanspruchnahme des Arztes außerhalb des Krankenhauses zu vergüten ist.

3. Sinn und Zweck der Regelung bestätigen das Auslegungsergebnis.

a) Die in § 11 Abs. 3 Satz 5 [X.]/[X.] geregelte Vergütung stellt die Gegenleistung für die Arbeitsleistung des Arztes innerhalb der Rufbereitschaft dar. Ist die Rufbereitschaft wie bei der Beklagten als telefonischer Dienst eingerichtet und befinden sich die Akutpatienten, die der Arzt bei psychischen Irritationen telefonisch zu betreuen hat, nicht in einem Krankenhaus, sondern in ihrem häuslichen Umfeld, ist es für die Arbeitsleistung des Arztes und deren Wert ohne Bedeutung, ob er die Anrufe der Patienten im Krankenhaus oder an einem anderen Ort entgegennimmt. Eine Bindung der Gegenleistung für die Inanspruchnahme an einen Einsatz im Krankenhaus wäre deshalb nicht sachgerecht.

b) Dies wird besonders deutlich, wenn während der Rufbereitschaft ein Einsatz des Arztes am Aufenthaltsort des Akutpatienten erforderlich ist. Zwar ist dies nach den Feststellungen des [X.] nur sehr selten der Fall. Tritt ein solcher Ausnahmefall aber ein, wäre die tatsächliche Arbeitsleistung des Arztes innerhalb der Rufbereitschaft, die sich dann nicht mehr auf eine telefonische Betreuung des Patienten beschränkt, nach der Auffassung der Beklagten nicht zu vergüten, weil sie nicht mit einem Einsatz im Krankenhaus verbunden ist. Dafür, dass die Tarifvertragsparteien des [X.]/[X.] mit den Regelungen in § 11 Abs. 3 Satz 4 und 5 [X.]/[X.] bezweckten, dass ein Arzt, der innerhalb der Rufbereitschaft tatsächlich Patienten behandelt, für diese Arbeitsleistung unabhängig von ihrer Dauer keinen Anspruch auf Vergütung hat, wenn die Behandlung nicht im Krankenhaus erfolgt, fehlt jeder Anhaltspunkt, zumal die Tarifvertragsparteien es für angemessen gehalten haben, dass nicht nur [X.]en ärztlicher Tätigkeit, sondern auch erforderliche Wegezeiten abgegolten werden. Gegen eine von den Tarifvertragsparteien beabsichtigte Differenzierung zwischen Arbeitsleistungen innerhalb und außerhalb des Krankenhauses spricht auch, dass Tarifvertragsparteien Arbeitnehmern keine erheblichen Leistungen ohne Vergütung abverlangen dürfen (vgl. Senat 5. Februar 2009 - 6 [X.] - Rn. 25, [X.] § 8 Nr. 6 = [X.] 100 TVöD-AT § 8 Rufbereitschaftsentgelt Nr. 5). Schließlich ist auch die Haftung des Arztes bei Aufklärungs- oder Behandlungsfehlern nicht an einen Einsatz in einem Krankenhaus geknüpft. Das Risiko der Haftung besteht auch bei Verletzung der ärztlichen Berufspflicht außerhalb eines Krankenhauses. Dass die Tarifvertragsparteien des [X.]/[X.] dem Arzt gleichwohl ungeachtet des Umfangs seiner tatsächlichen Arbeitsleistung und trotz seines [X.] während der Rufbereitschaft bei einer Inanspruchnahme außerhalb des Krankenhauses eine Gegenleistung vorenthalten wollten, kann ihnen entgegen der Auffassung der Beklagten deshalb nicht unterstellt werden.

II. [X.] folgt aus § 286 Abs. 2 Ziff. 1, § 288 Abs. 1 BGB. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

        

    Fischermeier    

        

    Brühler    

        

    Spelge    

        

        

        

    B. Stang    

        

    Augat    

        

        

Meta

6 AZR 330/09

23.09.2010

Bundesarbeitsgericht 6. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Frankfurt, 13. Februar 2008, Az: 22/3 Ca 5642/07, Urteil

§ 1 TVG, § 11 Abs 3 S 5 TV-Ärzte/VKA, § 10 Abs 8 S 1 TV-Ärzte/VKA, § 611 Abs 1 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 23.09.2010, Az. 6 AZR 330/09 (REWIS RS 2010, 3099)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 3099

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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