Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 01.12.2011, Az. 3 StR 284/11

3. Strafsenat | REWIS RS 2011, 882

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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL
3 StR
284/11
vom
1. Dezember 2011
in der Strafsache
gegen

1.

2.

wegen schwerer räuberischer Erpressung

-
2
-
Der 3.
Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom 1. Dezember 2011, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender [X.] am [X.]
[X.],

die [X.] am [X.]
von Lienen,
[X.],
[X.],
[X.]in am [X.]
Dr. Menges

als beisitzende [X.],

Staatsanwalt

als Vertreter der [X.],

Rechtsanwalt

als Verteidiger
des Angeklagten C.

L.

,

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:

-
3
-
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil der auswärtigen großen Strafkammer des [X.] in [X.] vom 31.
Januar 2011 mit den [X.] aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die den [X.] dadurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des [X.].

Von Rechts wegen

Gründe:
Das [X.] hat die Angeklagten aus tatsächlichen Gründen von dem Vorwurf der gemeinschaftlichen schweren räuberischen Erpressung frei-gesprochen. Die hiergegen gerichtete und vom [X.] Revision der Staatsanwaltschaft, die das Verfahren beanstandet und mit der Sachrüge die Beweiswürdigung angreift, ist begründet.

1
-
4
-
I.

Mit der unverändert zur Hauptverhandlung zugelassenen Anklageschrift hat die Staatsanwaltschaft den Angeklagten zur Last gelegt, am 10.
November 2005 gemeinschaftlich mittels Vorhalt einer ungeladenen Gaspistole eine in einer Tankstelle tätige Verkäufern dazu veranlasst zu haben, ihnen einen Geld-betrag von 420

Die Angeklagten haben sich in der Hauptverhandlung nicht zur Sache eingelassen.

Das [X.] hat in den Urteilsgründen ausgeführt, von dem in der Anklageschrift geschilderten Geschehen, nicht aber von der Täterschaft der Angeklagten überzeugt zu sein. Weder anhand der Aussage der als Zeugin vernommenen Verkäuferin noch anhand des bei der Tat gewonnenen und in der Hauptverhandlung in Augenschein genommenen Bildmaterials habe es diese Überzeugung gewinnen können.

II.

Die Revision der Staatsanwaltschaft hat mit der Verfahrensrüge Erfolg. Denn das [X.] hat den auf Einholung eines anthropologischen Identi-tätsgutachtens gerichteten Beweisantrag der Staatsanwaltschaft unter Verstoß gegen §
244 Abs.
3 Satz
2 [X.]
abgelehnt.

1. Dem liegt folgender Verfahrensgang zugrunde:

2
3
4
5
6
-
5
-
Die Staatsanwaltschaft hat in der Hauptverhandlung den Antrag gestellt, zum Beweis der Tatsache, dass es sich bei den zur Tatzeit mittels einer Über-wachungskamera im Verkaufsraum der Tankstelle aufgezeichneten männlichen Personen um die Angeklagten handele, ein anthropologisches Identitätsgutach-ten einzuholen. Das [X.] hat den Antrag mit der Begründung abgelehnt, es handele sich um ein "ungeeignetes Beweismittel"
im Sinne des §
244 Abs.
3 Satz
2 [X.], weil es nicht möglich sei, dem Sachverständigen neben dem aus den Aufzeichnungen der Überwachungskamera stammenden "Videomaterial" das für die Begutachtung erforderliche "Vergleichsmaterial" zu verschaffen. Entsprechendes Material könne nur mittels eines Nachstellens der Tat unter Mitwirkung der Angeklagten gewonnen werden. Dazu seien diese nicht bereit.

2. Diese Begründung trägt die Ablehnung des Beweisantrags nicht; sie ist mit §
244 Abs.
3 Satz
2 [X.] nicht vereinbar.

a) Ein Beweismittel ist völlig ungeeignet im Sinne des §
244 Abs.
3 Satz
2 [X.], wenn ungeachtet des bisher gewonnenen Beweisergebnisses nach sicherer Lebenserfahrung feststeht, dass sich mit ihm das im Beweisan-trag in Aussicht gestellte Ergebnis nicht erreichen lässt und die Erhebung des Beweises sich deshalb in einer reinen Förmlichkeit erschöpfen müsste ([X.], Beschluss vom 13.
März 1997 -
4
StR
45/97, [X.]R [X.] §
244 Abs.
3 Satz
2 Ungeeignetheit
16; Beschluss vom 15.
März 2007 -
4
StR 66/07, NStZ
2007, 476, 477; Beschluss vom 7.
August 2008 -
3
StR
274/08, NStZ
2009, 48
f.).

Wird eine Beweiserhebung durch Einholung eines Sachverständigengut-achtens beantragt, kommt dies in Betracht, wenn es nicht möglich ist, dem Sachverständigen die tatsächlichen Grundlagen zu
verschaffen, deren er für sein Gutachten bedarf. Umgekehrt ist ein Sachverständiger nicht schon dann 7
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9
10
-
6
-
ein völlig ungeeignetes Beweismittel, wenn er absehbar aus den Anknüpfungs-tatsachen keine sicheren und eindeutigen Schlüsse zu ziehen vermag. Als Be-weismittel eignet er sich vielmehr schon dann, wenn seine Folgerungen die un-ter Beweis gestellte Behauptung als mehr oder weniger wahrscheinlich er-scheinen lassen und hierdurch unter Berücksichtigung des sonstigen [X.] Einfluss auf die Überzeugungsbildung des Gerichts erlangen kön-nen ([X.], Beschluss vom 13.
März 1997 -
4
StR
45/97, [X.]R [X.] §
244 Abs.
3 Satz
2 Ungeeignetheit
16; Beschluss vom 7.
August 2008
-
3
StR
274/08, NStZ
2009, 48, 49 mwN).

Ob eine sachverständige Begutachtung auf der verfügbaren tatsächli-chen Grundlage zur Klärung der Beweisbehauptung nach diesen Maßstäben geeignet ist, kann und muss der Tatrichter in Zweifelsfällen im Wege des [X.] -
etwa durch eine Befragung des Sachverständigen zu den von ihm für eine Begutachtung benötigten Anknüpfungstatsachen -
klären ([X.], [X.] vom 31.
Mai 1994 -
1
StR
86/94, [X.]R [X.] §
244 Abs.
3 Satz
2 Un-geeignetheit
14; Beschluss vom 9.
März 1999 -
1
StR
693/98, [X.]R [X.] §
244 Abs.
3 Satz
2 Ungeeignetheit
20; Beschluss vom 15.
März
2007
-
4
StR
66/07, NStZ
2007, 476, 477).

b) Danach vermag die vom [X.] gegebene Begründung die Ab-lehnung des Beweisantrags nicht zu rechtfertigen.

Sie stützt sich allein darauf, es fehle an dem notwendigen Vergleichs-bildmaterial, das ohne Mitwirkung der Angeklagten auch nicht beschafft werden könne. Damit ist aber nicht belegt, dass ein anthropologischer Sachverständi-ger nicht in der Lage wäre, aus einem Vergleich des vorhandenen Bildmaterials mit den in der Hauptverhandlung anwesenden Angeklagten sowie mit Lichtbil-11
12
13
-
7
-
dern und Messungen, deren Herstellung die Angeklagten gemäß §
81b [X.] zu dulden haben, nicht zumindest Wahrscheinlichkeitsaussagen zur Identität der Angeklagten mit den durch die Überwachungskamera gefilmten Tätern zu treffen.
Auch verhält sich der Ablehnungsbeschluss nicht dazu, ob das vorhan-dene Bildmaterial trotz seiner nur mäßigen Qualität nach den maßgeblichen Kriterien (vgl. dazu [X.], Urteil vom 15.
Februar 2005 -
1
StR
91/04, [X.]R [X.] §
244 Abs.
2 Sachverständiger 19) nicht doch hinreichende morphologi-sche Merkmale der Täter erkennen lässt, die mit denen der Angeklagten abge-glichen werden könnten. Eine freibeweisliche Klärung dieser Fragen durch [X.] hat das [X.] nicht vorge-nommen.

3. Auf der fehlerhaften Ablehnung des Beweisantrags beruht das Urteil, weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass das [X.] nach Einholung eines anthropologischen Sachverständigengutachtens zu einer anderen Beur-teilung gekommen wäre. Die
Voraussetzungen, unter denen in Fällen der [X.] begründeten Ablehnung eines Beweisantrags ausnahmsweise ein [X.] ausgeschlossen werden kann ([X.], Beschluss vom 12.
Januar 2010
-
3
StR
519/09, [X.], 211, 212 f.), liegen nicht vor.

III.

Auf die von der Staatsanwaltschaft erhobene Sachrüge kommt es mithin nicht mehr an. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass die Annahme eines Beweisverwertungsverbotes bezüglich der vom Angeklag-ten C.

L.

bei der
Polizei gemachten Aussage die sichere Feststel-lung voraussetzt, dieser habe die ihm vor seiner Vernehmung erteilte [X.] nach §
163a Abs.
4 Satz
2, §
136 Abs.
1 Satz
2 [X.] wegen einer akuten 14
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-
8
-
psychotischen Störung nicht verstanden ([X.], Urteil vom 12.
Oktober 1993
-
1
StR
475/93, [X.]St 39, 349, 351
f.; vgl. auch [X.], Beschluss vom 27.
Februar 1992 -
5
StR
190/91, [X.]St 38, 214, 224; Urteil vom 20.
Juni 1997 -
2
StR
130/97, NStZ
1997, 609, 610). Dem Beschluss des [X.] vom 8.
November 2006
(1
StR
454/06, [X.]R [X.] §
136 Belehrung
14) liegt entgegen Stimmen in der Literatur (vgl. [X.], [X.], 54.
Aufl., §
136 Rn.
20; [X.], [X.], 26.
Aufl., §
136a Rn.
78) kein anderer rechtlicher Maß-stab zugrunde. Vielmehr gelangte der [X.] dort zu einem Be-weisverwertungsverbot, weil der Verstoß gegen §
163a Abs.
4 Satz
2, §
136 Abs.
1 Satz
2 [X.] mangels jeglicher Anhaltspunkte für eine Belehrung fest-stand.

[X.] Schäfer

[X.] Menges

Meta

3 StR 284/11

01.12.2011

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 01.12.2011, Az. 3 StR 284/11 (REWIS RS 2011, 882)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 882

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Wird zitiert von

4 StR 423/15

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