Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 20.07.2011, Az. 3 StR 44/11

3. Strafsenat | REWIS RS 2011, 4596

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BUNDE[X.]GERICHT[X.]HOF

BE[X.]CHLU[X.][X.]
3 [X.]tR 44/11
vom
20. Juli
2011
in der [X.]trafsache
gegen

wegen
erpresserischen Menschenraubs u.a.

-
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Der 3. [X.]trafsenat des [X.] hat nach Anhörung des [X.] und des Beschwerdeführers am 20.
Juli 2011 gemäß §
349 Abs.
4 [X.] einstimmig beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 22.
April 2010, soweit es ihn betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben.
Die [X.]ache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger dadurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere [X.]trafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen erpresserischen [X.] in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu der [X.] von zwölf Jahren verurteilt und den Maßstab für die Anrechnung in den [X.] erlittener Untersuchungshaft auf 1:1 bestimmt. Der Angeklagte [X.] mit seiner Revision die Verletzung formellen sowie materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg.
I.
Die Revision beanstandet zu Recht, dass die Kammer über einen Be-weisantrag entgegen §
244 Abs.
6 [X.] nicht in der Hauptverhandlung, son-dern erst im Urteil entschieden hat.
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1. Der Rüge liegt folgender Verfahrensgang zugrunde:
Die Hauptverhandlung begann am 8.
November 2007. Am 26.
November 2009 verkündete der Vorsitzende seine Entscheidung, den Prozessbeteiligten "für das [X.]tellen von Beweisanträgen eine Frist bis zum 02.12.2009" zu setzen. Die Kammer behalte sich vor, danach gestellte Beweisanträge ohne gesonder-ten Beschluss erst im Urteil zu bescheiden und sie insbesondere wegen [X.] abzulehnen. In einem ebenfalls am 26.
November 2009 verkündeten Beschluss führte die Kammer unter anderem näher aus, dass das Verhalten der Verteidiger des Mitangeklagten den Verdacht nahe lege, ein Be-weisantrag sei mit Verschleppungsabsicht gestellt worden. In einem weiteren Beschluss vom 19.
April 2010 teilte die Kammer mit, weitere Beweisanträge erst in den Urteilsgründen zu bescheiden, "sofern der jeweilige Antragsteller nicht substantiiert darlegt, warum ihm eine frühere Antragstellung nicht möglich gewesen ist oder dies sonst ersichtlich ist". In den
Gründen des Beschlusses legte die Kammer unter Darstellung des bisherigen [X.] dar, dass es dem Wahlverteidiger des Mitangeklagten bei einer Antragstellung um [X.] gegangen sei. Am selben [X.] ein Verteidiger des Mitangeklagten, den Zeugen D.

(zu einer die Glaub-würdigkeit eines Mittäters betreffenden Hilfstatsache) zu vernehmen. Diesem Antrag schloss sich der Verteidiger des Angeklagten an. Die Kammer lehnte den Antrag erst in den Urteilsgründen mit der Begründung ab, er sei zur [X.] gestellt worden.
2. Die Rüge, welche die in der Hauptverhandlung unterbliebene Be-scheidung des Beweisantrags betrifft, ist zulässig erhoben. Ihre Zulässigkeit setzt nicht voraus, dass die durch den Vorsitzenden bestimmte Frist zunächst nach §
238 Abs.
2 [X.] beanstandet wird. Eine derartige Beanstandung kann regelmäßig nur dann Voraussetzung einer Revisionsrüge sein, wenn sich diese 3
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gegen eine sachleitende Anordnung des Vorsitzenden richtet (vgl. KK/[X.], [X.], 6.
Aufl., §
238 Rn.
29; [X.]/[X.], [X.], 26.
Aufl., §
238 Rn.
43). Gegenstand der [X.] ist hier jedoch nicht die Fristsetzung zur [X.]tel-lung von Beweisanträgen durch den Vorsitzenden als solche, sondern die un-terbliebene Bescheidung des Antrags in der Hauptverhandlung.
Dieses Unterlassen selbst bedurfte keiner Beanstandung nach §
238 Abs.
2 [X.]. Für das tatsächlich als Beweisantrag zu qualifizierende Beweis-begehren auf Vernehmung des Zeugen D.

ergibt sich dies bereits daraus, dass dessen Ablehnung nach §
244 Abs.
6 [X.] einen Gerichtsbeschluss er-fordert hätte.
3. Die genannte Verfahrensrüge ist begründet.
a) Die vor der Urteilsverkündung unterbliebene Bescheidung des Antrags war fehlerhaft. Der Beweisantrag auf Vernehmung des Zeugen
D.

hätte gemäß §
244 Abs.
6 [X.] nur durch einen in der Hauptverhandlung bekannt gemachten Gerichtsbeschluss abgelehnt werden dürfen. Hiervon durfte die Kammer nicht absehen.
Der [X.] hat zwar in verschiedenen Entscheidungen die Möglichkeit aufgezeigt, unter bestimmten Voraussetzungen eine Frist zu [X.], in der Beweisanträge zu stellen sind, und eine verspätete Antragstellung als Indiz für eine Verschleppungsabsicht im [X.]inne des §
244 Abs.
3 [X.]atz
2 Var.
6 [X.] zu werten (vgl. [X.], Beschlüsse vom 9.
Mai 2007 -
1 [X.], [X.][X.]t
51, 333, 344
f.; vom 19.
Juni 2007 -
3 [X.]tR
149/07, N[X.]tZ
2007, 716; vom 23.
[X.]eptember 2008 -
1 [X.], [X.][X.]t
52, 355, 361
ff.; vom 10.
November 2009 -
1 [X.], N[X.]tZ
2010, 161
f.; s. auch [X.], Beschlüsse
vom 6.
Oktober 2009 -
2 BvR 2580/08, NJW
2010, 592
ff.; vom 24.
März 2010 -
2 BvR 2092/09 (u.a.), NJW 2010, 2036
f.). Doch enthebt dies das Gericht auch 6
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bei Anträgen, die nach Ablauf der Frist gestellt sind, nicht von der Pflicht, über diese in der gesetzlich vorgesehenen Weise zu entscheiden (vgl. etwa [X.], Beschluss vom 10.
November 2009 -
1 [X.],
aaO).
Ob gleichwohl darüber hinaus in extrem gelagerten Fällen eine [X.] in der Hauptverhandlung ausnahmsweise entbehrlich sein kann (so [X.], Beschluss vom 14.
Juni 2005 -
5 [X.], NJW
2005, 2466, 2468
f.), muss der [X.]enat hier nicht entscheiden. Der zitierte Beschluss betrifft den [X.]onderfall massenhaft gestellter Beweisanträge, die erkennbar [X.] abzielten, das Tatgericht allein schon durch die notwendige (einkalkuliert negative) Bescheidung der Anträge und nicht durch Beweiserhebungen nach Maßgabe der Anträge am Abschluss des Verfahrens zu hindern (vgl. [X.]/[X.], [X.], 26.
Aufl., §
244 Rn.
283). Für diese Konstellation hat der 5.
[X.]trafsenat erwogen, dass den Verfahrensbeteiligten eine Frist zur [X.] gesetzt und mit eingehender Begründung die pau-schale Ablehnung nach Fristablauf gestellter Anträge wegen Verschleppungs-absicht vorab beschlossen werden könne; die nach Fristablauf angebrachten Anträge überprüfe das Tatgericht dann vornehmlich unter Aufklärungsgesichts-punkten, bescheide sie aber -
so sie nicht doch Anlass zu weiterer Beweiserhe-bung unter diesem Gesichtspunkt bieten -
wie [X.] erst im Urteil, wobei auch der Ablehnungsgrund der Verschleppungsabsicht nicht ausge-schlossen sei. Der 5. [X.]trafsenat hat allerdings ausdrücklich darauf hingewiesen, dass diese Verfahrensweise in der Regel allenfalls dann in Betracht gezogen werden könne, wenn zuvor gestellte Beweisanträge wiederholt wegen [X.] abgelehnt werden mussten.
Damit ist der hier zu beurteilende [X.]achverhalt schon im Ansatz nicht ver-gleichbar. Zudem hat sich die Kammer in ihren Beschlüssen vom 26.
November 2009 und 19.
April 2010 ausführlich lediglich mit dem [X.] 10
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des Mitangeklagten, nicht aber dem des Angeklagten befasst. Eine "
"
([X.], Beschluss vom 14.
Juni 2005 -
5 [X.], aaO) ergibt sich hieraus in Bezug auf eine etwaige Prozessverschleppung durch den Angeklagten oder seinen Verteidiger nicht.
b) Das Urteil beruht auf dem Verfahrensfehler, da die Entscheidung ohne die Gesetzesverletzung möglicherweise anders ausgefallen wäre. Es ist nicht auszuschließen, dass der Angeklagte und sein Verteidiger den Vorwurf der Prozessverschleppung hätten entkräften oder weitere Anträge hätten stellen können, wenn sie den Ablehnungsgrund gekannt hätten (vgl. [X.], Beschlüsse vom 22.
April 1986 -
4 [X.], N[X.]tZ
1986, 372; vom 7.
Dezember 1979 -
3 [X.] ([X.]), [X.][X.]t
29, 149, 152). Da sich die Kammer in ihren Beschlüs-sen im Wesentlichen mit der Verschleppungsabsicht der Verteidigung des [X.] befasste, konnten der Angeklagte und sein Verteidiger in der Hauptverhandlung nicht auf die erst in den Urteilsgründen genannten Gesichts-punkte, die sie betrafen, reagieren.
Dass die begehrte Beweiserhebung im Falle ihrer Durchführung ohne Einfluss auf das Urteil geblieben
wäre, vermag der [X.]enat nicht festzustellen, weil er das Beweisergebnis nicht vorwegnehmen kann (vgl. KK/[X.], [X.], 6.
Aufl., §
337 Rn.
38). Anders als bei anderen Anträgen hat die Kammer [X.] nicht darauf abgestellt, dass die Tatsachen, für
die der Zeuge D.

be-nannt worden ist, für die Entscheidung ohne Bedeutung gewesen wären und das Urteil nicht geändert hätten.
12
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II.
Das Urteil ist auf die dargelegte zulässige und begründete [X.] hin aufzuheben. Eine nähere Erörterung der in die gleiche Richtung [X.] und ebenfalls begründeten Rüge, dass weder der Vorsitzende noch die Kammer über den Beweisermittlungsantrag auf Vernehmung von Rechtsanwalt K.

entschieden hat, ist daher entbehrlich. Auf die weiteren [X.]n kommt es ebenso wenig an wie auf die [X.]achrüge, die keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat.
[X.] [X.] von Lienen

Mayer

Menges
14

Meta

3 StR 44/11

20.07.2011

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 20.07.2011, Az. 3 StR 44/11 (REWIS RS 2011, 4596)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 4596

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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