Bundesfinanzhof, Urteil vom 12.01.2012, Az. IV R 3/11

4. Senat | REWIS RS 2012, 10197

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Gegenstand

Rechtskraftdurchbrechung aufgrund widerstreitender rechtskräftiger Urteile


Leitsatz

1. NV: Zwei rechtskräftige Urteile, die zu demselben Sachverhalt, aber zu verschiedenen Veranlagungszeiträumen ergangen sind, erzeugen unabhängig voneinander jeweils Bindungswirkung dahin, wie der Sachverhalt in dem jeweiligen Veranlagungszeitraum steuerlich zu behandeln ist. Dies schließt eine Kollision im Umfang der Bindungswirkung beider Urteile (§ 110 Abs. 1 FGO) aus.

2. NV: Ein Widerspruch zwischen der rechtlichen Begründung oder den rechtlichen Schlussfolgerungen zweier rechtskräftiger Urteile, die zu demselben Sachverhalt, aber zu verschiedenen Veranlagungszeiträumen ergangen sind, legimitiert nicht die Durchbrechung der Rechtskraft eines der beiden Urteile zugunsten der Änderungsvorschriften der AO.

Tatbestand

1

I. Es ist streitig, ob der [X.]sbescheid für das Streitjahr 1984 gemäß § 174 Abs. 4 i.V.m. Abs. 3 der Abgabenordnung ([[[[X.].].]]) geändert werden durfte.

2

Die Klägerin und Revisionsklägerin zu 1. (Klägerin zu 1.) ist eine KG. Die Klägerin und Revisionsklägerin zu 2. (Klägerin zu 2.) ist die Witwe des verstorbenen Kommanditisten [[[X.].].] Dieser hatte von der Klägerin zu 1. für die von ihm entwickelten Erzeugnisse jährlich umsatzabhängige "Lizenzgebühren" bezogen. Sämtliche Forderungen des [[X.].] sind in Erfüllung eines Vermächtnisses auf die Klägerin zu 2. übergegangen. Nachdem zwischen den Klägerinnen Streit darüber entstanden war, ob die Klägerin zu 1. die "Lizenzgebühren" nach dem Tod des [[X.].] an die Klägerin zu 2. weiterzahlen müsse, einigten sie sich im [X.] vor dem [X.] vergleichsweise auf eine Einmalzahlung in Höhe von 2.000.000 [X.]. Die Klägerin zu 1. hatte wegen des [X.] ab dem [X.] eine Rückstellung gebildet, die sie im [X.] von 465.000 [X.] um 1.535.000 [X.] auf 2.000.000 [X.] erhöhte.

3

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --[X.]--) rechnete der Klägerin zu 2. im [X.] die Erhöhung der Rückstellung in Höhe von 1.535.000 [X.] als Sonderbetriebseinnahmen zu. Die Klägerin zu 1. erhob daraufhin Klage gegen die [X.] bis 1985. Das Finanzgericht ([X.]), das die Klägerin zu 2. zum Verfahren beigeladen hatte, gab mit Urteil vom 28. August 1998 der Klage hinsichtlich des Bescheids für 1984 überwiegend statt. Es entschied, dass der Gewinn aus Gewerbebetrieb und dessen Verteilung auf die Gesellschafter für das [X.] so festgestellt werden müssten, dass die Abfindungszahlung an die Klägerin zu 2. nur in Höhe von 165.000 [X.] als Sondervergütung behandelt werde. Im Übrigen führte das [X.] aus, dass die Vergleichszahlung nicht im Jahr des Zuflusses, sondern in den Jahren, auf die sie entfalle, als Sonderbetriebseinnahmen der Klägerin zu 2. zu versteuern sei, wobei auf die Jahre 1981 und 1982 jeweils ein Betrag von 150.000 [X.] sowie auf die Jahre 1983 und 1984 jeweils ein Betrag von 165.000 [X.] entfalle. Der Restbetrag in Höhe von 1.370.000 [X.] entfalle auf die Ansprüche für das [X.] sowie auf die zukünftigen Ansprüche. Auf die Höhe der Sonderbetriebseinnahmen der Klägerin zu 2. für das [X.] ging das [X.] in seinem Urteil wegen des Verbots einer verbösernden Entscheidung nicht näher ein. Das Urteil wurde rechtskräftig.

4

Am 4. Januar 1999 erließ das [X.] einen nach § 174 Abs. 3 und Abs. 4 [[[[X.].].]] geänderten Feststellungsbescheid für 1985, in dem es die Restsumme der Vergleichszahlung in Höhe von 1.370.000 [X.] als Sonderbetriebseinnahmen der Klägerin zu 2. berücksichtigte. Dagegen erhoben die Klägerinnen nach erfolglosem Vorverfahren Klage, die das [X.] zunächst mit Urteil vom 15. Oktober 2003 als unbegründet abwies. Aufgrund der daraufhin eingelegten Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerinnen hob der [X.] ([X.]) das Urteil des [X.] auf und verwies die Sache an das [X.] zurück ([X.]-Beschluss vom 24. August 2005 [X.], [X.]/NV 2006, 86). Das [X.] habe es zu Unrecht unter Hinweis auf die Rechtskraft der ersten Entscheidung abgelehnt, sich mit den materiellen Einwendungen der Klägerinnen gegen die Richtigkeit des geänderten Feststellungsbescheids für 1985 zu befassen. In seinem Urteil vom 28. August 1998 habe das [X.] nicht darüber entschieden, ob und in welcher Höhe ein Teilbetrag auf das [X.] entfalle. Das [X.] sei mangels entgegenstehender Rechtskraft daher befugt gewesen, in einem Folgebescheid gemäß § 174 Abs. 4 [[[[X.].].]] erneut darüber zu entscheiden, ob und in welcher Höhe ein Teilbetrag der Vergleichssumme im [X.] zu berücksichtigen sei. Hierbei könnten allerdings nur die materiell richtigen Folgerungen gezogen werden.

5

Im zweiten Rechtsgang gab das [X.] durch Urteil vom 29. November 2006 der Klage statt und hob den geänderten [X.] auf. Die gewinnwirksame Erfassung des streitigen Betrags in Höhe von 1.370.000 [X.] als Sonderbetriebseinnahmen der Klägerin zu 2. im [X.] sei nicht die materiell richtige steuerliche Folgerung i.S. des § 174 Abs. 4 [[[[X.].].]], da die Klägerin zu 1. diesen Betrag bereits in ihrer Handelsbilanz zum 31. Dezember 1984 gewinnmindernd der Rückstellung für Prozessrisiken zugeführt habe und nach dem Grundsatz der korrespondierenden Bilanzierung dieser Betrag im [X.] durch einen gleich hohen Aktivposten in der Sonderbilanz der Klägerin zu 2. ausgeglichen werden müsse. Das Urteil wurde rechtskräftig.

6

Am 15. August 2007 erließ das [X.] einen auf § 174 Abs. 4 [[[[X.].].]] gestützten Änderungsbescheid über die gesonderte und einheitliche [X.] für 1984, worin der Betrag von 1.370.000 [X.] als Sondervergütung gewinnerhöhend berücksichtigt war. In der Bescheidbegründung verwies das [X.] auf ein zuvor ergangenes Schreiben, worin der Klägerin zu 1. mitgeteilt worden war, dass von der Vergleichszahlung bislang ein Teilbetrag in Höhe von 1.370.000 [X.] unversteuert geblieben sei und die Voraussetzungen für eine Änderung des Feststellungsbescheids für 1984 nach § 174 Abs. 4 [[[[X.].].]] gegeben seien. Die Rechtskraft des [X.]-Urteils vom 28. August 1998 stehe dem nicht entgegen, da nach der Rechtsprechung des [X.] der in § 110 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) normierte Vorrang der Rechtskraft dann nicht bestehe, wenn sich zwei rechtskräftige Urteile in unvereinbarer Weise gegenüberstünden.

7

Den Einspruch der Klägerin zu 1. hiergegen wies das [X.] mit Einspruchsentscheidung vom 25. Oktober 2007 als unbegründet zurück, worauf die Klägerinnen gemeinsam Klage erhoben, die das [X.] mit Urteil vom 23. Juni 2009 unter Hinweis auf das [X.]-Urteil des vom 18. März 2004 [X.] ([X.]E 205, 402, [X.], 763) abwies. Es liege im Streitfall ein vergleichbarer Sachverhalt vor, in dem eine Rechtskraftdurchbrechung wegen zweier sich in unvereinbarer Weise gegenüberstehender rechtskräftiger Urteile zugelassen worden war. Nach dem [X.]-Urteil vom 28. August 1998 sei der streitige Betrag in Höhe von 1.370.000 [X.] nicht im [X.] zu erfassen, während nach dem [X.]-Urteil vom 29. November 2006 der streitige Betrag in Höhe von 1.370.000 [X.] im [X.] zu erfassen sei. Damit stünden sich zwei rechtskräftige Urteile in unvereinbarer Weise gegenüber. Das [X.] könne diesen Widerstreit durch eine Änderung des Feststellungsbescheids für das [X.] nach § 174 Abs. 4 [[[[X.].].]] und die zutreffende Erfassung des verbleibenden Betrags im [X.] beseitigen.

8

Mit der Revision rügen die Klägerinnen die Verletzung materiellen Rechts. Das [X.]-Urteil stehe im Widerspruch zur Rechtskraft des ersten [X.]-Urteils über die [X.] für 1984. Es bestehe keine Rechtsgrundlage für eine Rechtskraftdurchbrechung bei zwei sich in unvereinbarer Weise gegenüberstehenden Urteilen. Die gegenläufige [X.]-Rechtsprechung bedeute, dass dem Bürger günstige, aber falsche Urteile faktisch überhaupt nicht in Rechtskraft erwüchsen und die Finanzverwaltung nicht mehr gehalten sei, gegen falsche Urteile Rechtsmittel einzulegen. Denn sie könne durch die Einleitung eines neuen Besteuerungsverfahrens, das mit einem richtigen Urteil abschließe, erreichen, dass sich zwei voneinander abweichende Urteile gegenüberstünden, um die Rechtskraft des ersten Urteils zugunsten der nachträglichen Änderung eines Steuerbescheids gemäß § 174 Abs. 4 [[[[X.].].]] zu durchbrechen. Dies widerspreche dem verfassungsrechtlich verankerten Institut der Rechtskraft.

9

Die Klägerinnen beantragen, das [X.]-Urteil und den Änderungsbescheid vom 15. August 2007 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 25. Oktober 2007 aufzuheben.

Das [X.] beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen. Die Änderungsvorschriften der [[[[X.].].]] seien ungeachtet der Rechtskraft einer früheren gerichtlichen Entscheidung anwendbar, wenn die frühere Entscheidung zwar denselben Streitgegenstand betreffe, aber über ihn keine sachliche Entscheidung vorliege. Im Streitfall bestehe zwischen dem Erst- und dem Zweiturteil ein Widerspruch, da der Gewinnanteil von 1.370.000 [X.] weder in 1984 noch in 1985 erfasst gewesen sei.

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und des Änderungsbescheids zur [X.] 1984 vom 15. August 2007 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 25. Oktober 2007 (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 [X.]O).

Das [X.] hat in seinem Urteil rechtsfehlerhaft entschieden, dass das [X.] den [X.]sbescheid für 1984 gemäß § 174 Abs. 4 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 [X.] durch Bescheid vom 15. August 2007 nochmals ändern durfte. Dem stand die Bindungswirkung des rechtskräftigen Urteils vom 28. August 1998 gemäß § 110 Abs. 1 Satz 1 [X.]O entgegen.

1. Ist aufgrund irriger Beurteilung eines bestimmten Sachverhalts ein Steuerbescheid ergangen, der durch das Gericht zugunsten des Steuerpflichtigen aufgehoben oder geändert wird, so können aus dem Sachverhalt nachträglich durch Erlass oder Änderung eines Steuerbescheids die richtigen steuerlichen Folgen gezogen werden (§ 174 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. Abs. 4 Satz 2 [X.]). Dies ist jedoch gemäß § 110 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 [X.]O ausgeschlossen, soweit zu dem steuerlichen Sachverhalt, dessen steuerliche Folgen durch den Änderungsbescheid gezogen werden sollen, bereits ein rechtskräftiges Urteil mit Bindungswirkung für die Beteiligten besteht.

a) Gemäß § 110 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 [X.]O binden rechtskräftige Urteile die Beteiligten, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist. Nach der Regelung des § 110 Abs. 2 [X.]O bleiben die Vorschriften der [X.] über die Änderung von Verwaltungsakten unberührt, soweit sich aus § 110 Abs. 1 Satz 1 [X.]O nichts anderes ergibt. § 110 Abs. 2 [X.]O ist nach der Rechtsprechung des [X.] im Sinne eines Vorrangs der Rechtskraft gegenüber den Änderungsvorschriften der [X.] auszulegen. Dem Erlass eines späteren Steuerbescheids steht die [X.] eines früheren Urteils entgegen, wenn dieses denselben Streitgegenstand betrifft. Für den Umfang der Bindungswirkung eines rechtskräftigen Urteils ist der Begriff Streitgegenstand in § 110 Abs. 1 Satz 1 [X.]O im Sinne von "[X.]" zu verstehen. Dies ist die Teilmenge aller mit dem angefochtenen Verwaltungsakt erfassten Besteuerungsgrundlagen, zu denen das Gericht selbstentscheidend Feststellungen getroffen hat. Es kommt auf den vom Gericht in seiner Entscheidung tatsächlich zugrunde gelegten Sachverhalt und die hierzu angestellten rechtlichen Erwägungen an. Der sachliche Umfang der Bindungswirkung eines rechtskräftigen Urteils ergibt sich in erster Linie aus der Urteilsformel. Zu deren Auslegung sind erforderlichenfalls Tatbestand und Entscheidungsgründe heranzuziehen, ohne dass die Begründung eines Urteils als solche bzw. die Urteilselemente rechtskraftfähig wären ([X.]-Urteile vom 7. Februar 1990 [X.]/87, [X.]E 161, 387, [X.] 1990, 1032, unter [X.] der Gründe; vom 26. November 1998 IV R 66/97, [X.]/NV 1999, 788, unter [X.] der Gründe, und vom 19. Dezember 2006 [X.]/02, [X.]/NV 2007, 924, unter [X.] der Gründe).

b) Im Streitfall stand der Änderung des [X.]sbescheids für 1984 gemäß § 174 Abs. 4 [X.] die Rechtskraft des [X.]-Urteils vom 28. August 1998 entgegen. In diesem Urteil war für die Beteiligten bindend entschieden worden, dass im [X.] von der Vergleichszahlung lediglich 165.000 [X.] als Sonderbetriebseinnahmen der Klägerin zu 2. zu versteuern sind.

aa) [X.] des [X.]-Urteils vom 28. August 1998 war, in welcher Höhe bei der Klägerin zu 2. wegen der Vergleichszahlung von der Klägerin zu [X.] zu berücksichtigen sind. Hierzu hat das [X.] rechtskräftig entschieden, dass die Klägerin zu [X.] lediglich Sonderbetriebseinnahmen in Höhe von 165.000 [X.] erzielt hat. Dies ergibt sich bereits aus dem Tenor des [X.]-Urteils, wonach der [X.]sbescheid für 1984 so zu ändern ist, dass die Abfindungszahlung in Höhe eines Betrags von 165.000 [X.] als Sondervergütung behandelt wird. Auch den Urteilsgründen ist zu entnehmen, dass das [X.] allein über die steuerliche Behandlung der [X.] geurteilt hat. An einer Entscheidung für das [X.] sah sich das [X.] durch das Verböserungsverbot gehindert. Die Erwägungen in den Entscheidungsgründen, wie die Vergleichssumme auf die Jahre 1981 bis 1985 zu verteilen ist, sind nicht der Rechtskraft fähig und nehmen nicht an der Bindungswirkung des Urteils teil ([X.]-Beschluss in [X.]/NV 2006, 86, unter [X.] der Gründe).

bb) Für die Bindungswirkung des [X.]-Urteils vom 28. August 1998 ist seine materielle Fehlerhaftigkeit unerheblich.

Richtigerweise hätte im [X.] in der Sonderbilanz der Klägerin zu 2. ein Aktivposten in Höhe von 1.535.000 [X.] gewinnerhöhend berücksichtigt werden müssen. Die Klägerin zu 1. hatte bereits im [X.] in ihrer Handelsbilanz wegen der Vergleichsverhandlung ihre Rückstellung gewinnmindernd um 1.535.000 [X.] erhöht. Die Vergleichszahlung hat auch tatsächlich zu einer Sondervergütung der Klägerin zu 2. geführt. Nach dem Grundsatz der korrespondierenden Bilanzierung wird bei Sondervergütungen der Personengesellschaft an einen ihrer Gesellschafter der Gesamtgewinn der Mitunternehmerschaft in der Weise ermittelt, dass die in der Steuerbilanz der Gesellschaft passivierte Verbindlichkeit zur Zahlung der Sondervergütung durch einen gleich hohen Aktivposten in der Sonderbilanz des begünstigten Gesellschafters ausgeglichen wird ([X.]-Urteil vom 28. März 2000 [X.], [X.]E 191, 517, [X.] 2000, 612, unter 2. der Gründe, m.w.N.).

Die in einem rechtskräftigen Urteil getroffene Entscheidung bindet, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist, die Beteiligten unabhängig davon, ob sie richtig ist (ständige Rechtsprechung, z.B. [X.]-Beschluss vom 9. Juli 2003 [X.]/03, [X.]/NV 2003, 1422, unter 1. der Gründe). Auch ein rechtskräftiges, aber materiell falsches Urteil steht daher gemäß § 110 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 [X.]O der nachträglichen Änderung eines Steuerbescheids nach § 174 Abs. 4 [X.] entgegen, soweit es denselben Streitgegenstand betrifft.

c) Die Wirkung der Rechtskraft des [X.]-Urteils vom 28. August 1998 ist auch nicht deshalb aufgehoben, weil es in unvereinbarer Weise dem [X.]-Urteil vom 29. November 2006 gegenübersteht.

aa) Durch [X.]-Urteil vom 29. November 2006 ist zwischen den Beteiligten des Streitfalls rechtskräftig entschieden, dass im [X.] bei der Klägerin zu 2. wegen der Vergleichszahlung keine Sonderbetriebseinnahmen zu erfassen sind. [X.] dieses Urteils war die Berücksichtigung der Vergleichszahlung als Sonderbetriebseinnahmen der Klägerin zu 2. im geänderten [X.]sbescheid für 1985. In dem streitgegenständlichen Änderungsbescheid für 1985 waren Sonderbetriebseinnahmen der Klägerin zu 2. in Höhe von 1.370.000 [X.] erfasst. Nach dem Tenor des [X.]-Urteils vom 29. November 2006 waren dieser Bescheid und die Einspruchsentscheidung aufzuheben. Das [X.] hat somit rechtskräftig und mit Bindungswirkung für die Beteiligten des Streitfalls entschieden, dass sich die Sonderbetriebseinnahmen der Klägerin zu 2. im [X.] nicht wegen der Vergleichszahlung um 1.370.000 [X.] erhöhen.

Abweichend von der Vorentscheidung ist im [X.]-Urteil vom 29. November 2006 keine der Rechtskraft fähige Feststellung enthalten, dass die Vergleichszahlung bei der Klägerin zu 2. im Veranlagungszeitraum 1984 als Sonderbetriebseinnahmen zu berücksichtigen ist. Das [X.] hat entsprechend dem Streitgegenstand dieses finanzgerichtlichen Verfahrens tatsächlich nur über die Auswirkungen der Vergleichszahlung im [X.] entschieden. Zwar ergibt sich aus der Aufhebung des [X.]sbescheids für 1985 und den Urteilsgründen, dass die Restsumme der Vergleichszahlung richtigerweise im [X.] als Sonderbetriebseinnahmen der Klägerin zu 2. zu berücksichtigen ist. Dabei handelte es sich aber lediglich um eine materiell-rechtliche Schlussfolgerung, die nicht der Rechtskraft fähig ist und somit nicht von der Bindungswirkung des Urteils (§ 110 Abs. 1 Satz 1 [X.]O) umfasst wird.

bb) Eine Kollision zwischen dem [X.]-Urteil vom 28. August 1998 und dem [X.]-Urteil vom 29. November 2006 liegt weder deshalb vor, weil beide Urteile zu den Auswirkungen der Vergleichszahlung auf die Sonderbetriebseinnahmen der Klägerin zu 2. und damit zu demselben tatsächlichen Sachverhalt ergangen sind, noch führt die gegebene Widersprüchlichkeit in den Entscheidungsgründen beider Urteile dazu, dass die Rechtskraft des [X.]-Urteils vom 28. August 1998 aufgehoben wird. Der Anwendungsbereich des § 174 Abs. 4 [X.] bleibt deshalb unberührt.

aaa) Im Streitfall sind die beiden [X.]-Urteile mit unterschiedlichen Streitgegenständen in Rechtskraft erwachsen. Beide betreffen zwar die steuerliche Behandlung der Vergleichszahlung als Sonderbetriebseinnahmen der Klägerin zu 2. und damit denselben Sachverhalt. In zeitlicher Hinsicht sind die Urteile aber zu den Auswirkungen dieses Sachverhalts in verschiedenen [X.] ergangen. Der [X.] eines rechtskräftigen Urteils, das zu einem bestimmten Sachverhalt in einem Veranlagungszeitraum ergangen ist, ist in zeitlicher Hinsicht auf den jeweiligen Veranlagungszeitraum begrenzt. Zwei rechtskräftige Urteile, die zu demselben Sachverhalt, aber zu verschiedenen [X.] ergangen sind, erzeugen daher unabhängig voneinander jeweils Rechtssicherheit dahin, wie der Sachverhalt in dem jeweiligen Veranlagungszeitraum steuerlich zu behandeln ist. Dies schließt eine Kollision im Umfang der Bindungswirkung beider Urteile (§ 110 Abs. 1 [X.]O) und damit eine Durchbrechung der Rechtskraft eines der beiden Urteile aus.

bbb) Im Streitfall widersprechen sich die beiden Urteile allein in ihren materiell-rechtlichen Schlussfolgerungen. Aus den Entscheidungsgründen des [X.]-Urteils vom 28. August 1998 folgt, dass von der Vergleichszahlung die Restsumme in Höhe von 1.370.000 [X.] auf das [X.] und die Folgejahre entfällt. Aus den Entscheidungsgründen des [X.]-Urteils vom 29. November 2006 ist dagegen zu schlussfolgern, dass dieser Betrag schon im [X.] als Sonderbetriebseinnahmen der Klägerin zu 2. zu berücksichtigen ist. Dieser Widerspruch berührt jedoch nicht die jeweilige Bindungswirkung beider Urteile. Nach der gefestigten Rechtsprechung des [X.] nehmen die materiell-rechtlichen Begründungen oder Schlussfolgerungen eines Urteils nicht an der Rechtskraft eines Urteils teil. Sie geben lediglich Aufschluss darüber, wie weit der Streitgegenstand und damit der sachliche Umfang der materiellen Rechtskraft reicht (ständige Rechtsprechung, z.B. [X.]-Urteile vom 27. Februar 1997 [X.], [X.]/NV 1997, 388, unter 2.b der Gründe, und in [X.]/NV 2007, 924, unter [X.] der Gründe). Ein Widerspruch zwischen den rechtlichen Begründungen oder Schlussfolgerungen zweier Urteile legitimiert folglich auch nicht die Durchbrechung der Rechtskraft eines der beiden Urteile zugunsten der Änderungsvorschriften der [X.].

cc) Entgegen der Vorinstanz führt die Rechtsprechung des [X.] [X.] (Urteil in [X.]E 205, 402, [X.] 2004, 763) im Streitfall nicht zu einer Rechtskraftdurchbrechung, die eine nachträgliche Änderung eines Steuerbescheids gemäß § 174 Abs. 4 [X.] ermöglicht.

In seinem Urteil in [X.]E 205, 402, [X.] 2004, 763 hat der V. Senat des [X.] eine Rechtskraftdurchbrechung zugunsten der Änderung eines Steuerbescheids nach § 174 Abs. 4 [X.] bejaht, wenn sich zwei rechtskräftige Urteile in unvereinbarer Weise gegenüberstehen. Der mit der Rechtskraft bezweckte Rechtsfrieden sei dann nicht eingetreten, so dass die nachträgliche Änderung eines Steuerbescheids gemäß § 174 Abs. 4 [X.] zulässig sei.

Diese Rechtsprechung ist auf den vorliegenden Streitfall nicht anwendbar. Wie unter [X.] ausgeführt, liegen im Streitfall nicht zwei rechtskräftige Urteile vor, die im Umfang ihrer jeweiligen Bindungswirkung kollidieren. Es fehlt damit schon an den Voraussetzungen, die nach der Rechtsprechung des [X.] [X.] für eine Rechtskraftdurchbrechung vorliegen müssen. Darüber hinaus bestand in dem vom V. Senat des [X.] entschiedenen Fall die Besonderheit, dass in dem ersten finanzgerichtlichen Verfahren eine tatsächliche Verständigung zwischen den Beteiligten stattgefunden hatte, wodurch der Umfang der Bindungswirkung des ersten finanzgerichtlichen Urteils zweifelhaft war ([X.], [X.] 2004, 841 f.).

d) Die Bindungswirkung des [X.]-Urteils vom 28. August 1998 hat Vorrang vor der nochmaligen Änderung des [X.]sbescheids für 1984, auch wenn nur mit einer nochmaligen Änderung gemäß § 174 Abs. 4 [X.] die richtigen steuerlichen Folgen aus der Vergleichszahlung bei der Klägerin zu 2. für die [X.] im [X.] gezogen werden können. Eine Rechtskraftdurchbrechung ist auch dann unzulässig, wenn erst durch die nochmalige Änderung eines Steuerbescheids die richtigen steuerlichen Folgen aus einem bestimmten Sachverhalt gezogen werden könnten.

Durch die Bindungswirkung eines materiell falschen rechtskräftigen Urteils (s. oben [X.] bb der Gründe) tritt auch für den unrichtig entschiedenen Sachverhalt Rechtsfrieden ein. Dies steht einer nochmaligen Änderung eines Steuerbescheids entgegen, soweit die Änderung den rechtskräftig entschiedenen Sachverhalt betrifft. § 110 Abs. 2 [X.]O i.V.m. § 174 [X.] stellt keine hinreichend bestimmte Rechtsgrundlage dar, um die Rechtskraft eines materiell falschen Urteils zu durchbrechen, damit durch nachträglichen Änderungsbescheid die materiell richtigen Folgerungen aus einem Sachverhalt gezogen werden können.

Es ist daher im Streitfall hinzunehmen, dass von der Vergleichszahlung die Restsumme in Höhe von 1.370.000 [X.] endgültig unversteuert bleibt.

2. Das Urteil der Vorinstanz beruht auf anderen Rechtsgrundsätzen. Es war daher aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Der Änderungsbescheid vom 15. August 2007 über die gesonderte und einheitliche [X.] für 1984 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 25. Oktober 2007 ist aufzuheben.

Meta

IV R 3/11

12.01.2012

Bundesfinanzhof 4. Senat

Urteil

vorgehend Finanzgericht Rheinland-Pfalz, 23. Juni 2009, Az: 3 K 2633/07, Urteil

§ 174 Abs 4 AO, § 110 FGO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 12.01.2012, Az. IV R 3/11 (REWIS RS 2012, 10197)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 10197

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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