Bundesgerichtshof, Beschluss vom 14.03.2023, Az. 2 StR 265/22

2. Strafsenat | REWIS RS 2023, 1748

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Gegenstand

Berichtigung der Urteilsformel nach der Urteilsverkündung wegen eines "offensichtlichen Verkündungsversehens"


Tenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 4. April 2022 wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der [X.] keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat, jedoch mit der Maßgabe, dass dieser unter Einbeziehung der Strafe aus dem Strafbefehl des [X.] vom 5. März 2019 – [X.]. 4705 Js 38225/18 – 71 Cs – verurteilt ist.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten ausweislich der Sitzungsniederschrift wegen Vergewaltigung in drei Fällen, jeweils in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und wegen gefährlicher Körperverletzung in einem weiteren Fall zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt und hiervon einen Monat zur Kompensation einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung für vollstreckt erklärt. Durch Beschluss vom selben Tage hat das [X.] die verkündete Urteilsformel im „Einverständnis mit den Verfahrensbeteiligten“ wegen eines „offensichtlichen [X.]s“ dahingehend berichtigt, dass der Angeklagte unter Einbeziehung der Strafe aus dem Strafbefehl des [X.] vom 5. März 2019 zu der Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt ist; dem entspricht auch der Tenor in der [X.].

2

Zur Begründung der Berichtigung hat die Strafkammer ausgeführt, die Strafe aus vorbezeichnetem Strafbefehl sei – wie sich „aus dem Verfahrensablauf und der mündlichen Urteilsbegründung ergeben“ habe – im Wege der nachträglichen Gesamtstrafenbildung einbezogen, die Einbeziehung aber versehentlich nicht in die mündlich verkündete Urteilsformel aufgenommen worden. Hierauf seien die Verfahrensbeteiligten bereits „im Rahmen der Urteilsbegründung“ aufmerksam gemacht worden; sie hätten ihr Einverständnis mit der Berichtigung der Urteilsformel erklärt.

3

Aus dem [X.] vom 4. April 2022 ergibt sich hierzu lediglich, dass im [X.] an die Verkündung des Urteils durch Verlesung der Urteilsformel und mündliche Mitteilung des wesentlichen Inhalts der Urteilsgründe „sämtliche Verfahrensbeteiligten […] nach dem Hinweis des Vorsitzenden, wonach in dem Tenor die Einbeziehung der Strafe aus dem Strafbefehl entsprechend der mündlichen Urteilsbegründung unerwähnt geblieben sei“, erklärten, „dass gegen eine entsprechende Berichtigung des Tenors keine Bedenken bestehen“.

4

Die auf die Rüge der Verletzung formellen und sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der [X.] ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist das Rechtsmittel offensichtlich unbegründet (§ 349 Abs. 2 [X.]).

5

1. Die Verfahrensrügen bleiben aus den Gründen der Zuschrift des [X.] ohne Erfolg.

6

2. Die auf die Sachrüge veranlasste Überprüfung der schriftlichen Urteilsgründe hat zum Schuldspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Lediglich der [X.] war wie geschehen zu berichtigen.

7

Die in den Urteilsgründen ausgewiesene Einbeziehung der Strafe aus dem Strafbefehl des [X.] vom 5. März 2019 steht nicht im Einklang mit der in der Hauptverhandlung verkündeten Urteilsformel. Zwar weist der in die [X.] aufgenommene [X.] eine Gesamtfreiheitsstrafe unter Einbeziehung der Strafe aus dem vorgenannten Strafbefehl aus. Dies beruht jedoch auf dem [X.] des [X.]s vom 4. April 2022, der unzulässig und damit unwirksam ist.

8

a) Eine Berichtigung der Urteilsformel nach der Urteilsverkündung, die mit der mündlichen Bekanntgabe der Urteilsgründe abgeschlossen ist, kommt nur bei einem offensichtlichen Schreib- bzw. [X.] in Betracht. Bei dieser Prüfung ist ein strenger Maßstab anzulegen, um zu verhindern, dass mit einer solchen Berichtigung eine unzulässige inhaltliche Abänderung des Urteils verbunden ist. Insbesondere ist in Ansehung der überragenden Bedeutung der Urteilsformel, die – anders als die schriftlichen Urteilsgründe – bei Verkündung schriftlich vorliegen muss, bei einer Berichtigung der Urteilsformel Zurückhaltung geboten. Ein der Berichtigung zugängliches offensichtliches [X.] kann nur angenommen werden, wenn sich der Fehler ohne Weiteres aus solchen Tatsachen ergibt, die für alle Verfahrensbeteiligten – auch ohne Berichtigung – klar zutage liegen und der auch nur entfernte Verdacht einer späteren inhaltlichen Änderung des verkündeten Urteils ausgeschlossen ist, die Berichtigung also lediglich dazu dient, die äußere Übereinstimmung der Urteilsformel mit der tatsächlich beschlossenen herzustellen (st. Rspr.; vgl. Senat, Urteile vom 14. Januar 2015 – 2 StR 290/14, [X.], 119; vom 8. November 2017 – 2 [X.], juris Rn. 17 f.; Beschlüsse vom 11. November 2020 – 2 StR 48/20, NStZ-RR 2021, 181 und vom 8. Februar 2023 – 2 StR 344/22 jeweils mwN).

9

b) Hieran gemessen liegen die Voraussetzungen für die vom [X.] vorgenommene Berichtigung nicht vor.

Die ausweislich der Sitzungsniederschrift verkündete Urteilsformel lässt einen offensichtlichen Fehler oder eine sonstige offensichtliche Unrichtigkeit nicht erkennen. Auch unter Berücksichtigung aller sonstigen Umstände vermag der Senat nicht mit der erforderlichen Sicherheit festzustellen, dass ein offensichtliches [X.] vorliegt. Das gilt auch in Ansehung des vom [X.] in seinem [X.] angeführten Umstandes, wonach sich aus dem Verfahrensablauf und der mündlichen Urteilsbegründung ergeben habe, dass „die Kammer die Strafe aus dem Strafbefehl im Wege der nachträglichen Gesamtstrafenbildung einbezogen“ habe.

So verhält sich der [X.] weder zum „Verfahrensablauf“ noch zu Inhalt und Umfang der Darstellung der Vorsitzenden in der mündlichen Urteilsbegründung zur Einbeziehung der Strafe aus der Vorverurteilung.

Die Sitzungsniederschrift weist unter der Urteilsformel keine Liste der angewendeten Vorschriften aus (§ 260 Abs. 5 [X.]), die gegebenenfalls einen Rückschluss auf die Anwendung des § 55 StGB ermöglicht hätte (vgl. zur Zweckmäßigkeit der Liste unter der Urteilsformel [X.]/[X.], [X.], 65. Aufl., § 260 Rn. 52). Im Übrigen wird § 55 StGB auch in der Liste der angewendeten Vorschriften in den schriftlichen Urteilsgründen nicht erwähnt.

Eine dienstliche Erklärung der beteiligten Berufsrichter (vgl. hierzu Senat, Urteil vom 15. April 1981 – 2 StR 645/80) und ggf. der Schöffen zum Beratungsergebnis und der mündlichen Urteilsbegründung findet sich ebenso wenig in den Akten wie eine Stellungnahme der Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft und des Verteidigers.

Im Übrigen rechtfertigt auch ein nach Urteilsverkündung erklärtes Einverständnis aller Verfahrensbeteiligten nicht die Berichtigung, denn es steht nicht im „freien Belieben“ der Verfahrensbeteiligten, einen verkündeten [X.] nachträglich zu ändern.

c) Die Unwirksamkeit der Berichtigung des [X.]s nach Abschluss der Urteilsverkündung führt dazu, dass der [X.] im Revisionsverfahren unbeachtlich ist (vgl. Senat, Urteil vom 8. November 2017 – 2 [X.], juris Rn. 20). Maßgeblich ist allein die protokollierte Urteilsformel. Danach wurde der Angeklagte ohne Einbeziehung der Strafe aus dem Strafbefehl des [X.] zu der Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt.

d) Da jedoch die nachträgliche Einbeziehung gemäß § 55 StGB zwingend geboten war und auszuschließen ist, dass das [X.] die Gesamtstrafe ohne den Rechtsfehler anders bemessen hätte, ändert der Senat den [X.] in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 [X.] dahin, dass der Angeklagte unter Einbeziehung der Strafe aus dem Strafbefehl des [X.] vom 5. März 2019 zu der Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt ist.

Franke     

  

Appl     

  

Zeng

  

Grube     

  

Schmidt     

  

Meta

2 StR 265/22

14.03.2023

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Kassel, 4. April 2022, Az: 10 KLs 2620 Js 41659/18

§ 260 Abs 1 StPO, § 260 Abs 4 StPO, § 319 StPO, § 55 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 14.03.2023, Az. 2 StR 265/22 (REWIS RS 2023, 1748)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 1748

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