Bundesgerichtshof, Beschluss vom 07.04.2020, Az. XIII ZB 53/19

13. Zivilsenat | REWIS RS 2020, 679

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Leitsatz

1. In einem Antrag auf Anordnung der Überstellungshaft nach Art. 28 Abs. 2 Dublin-III-VO muss weder dargelegt werden, dass und weshalb der Zielstaat nach der Verordnung zur Aufnahme verpflichtet ist, noch muss angegeben werden, in welchem Verfahren die Überstellung erfolgen soll, ob also eine Aufnahme (Art. 21 f. Dublin-III-VO) oder eine Wiederaufnahme (Art. 23 ff. Dublin-III-VO) betrieben wird (Aufgabe von BGH, Beschlüsse vom 26. Januar 2012 - V ZB 234/11, juris und vom 6. Dezember 2012 - V ZB 118/12, juris). Allerdings muss ausgeführt werden, dass eine Inhaftnahme nach Art. 28 Abs. 2 Dublin-III-VO und nicht nach § 62 AufenthG beantragt wird.

2. Für die Anordnung der Überstellungshaft nach Art. 28 Abs. 2 Dublin-III-VO kommt es grundsätzlich nicht darauf an, ob die Pflicht des Zielstaates zur Aufnahme nach Art. 22 Dublin-III-VO oder zur Wiederaufnahme nach Art. 25 Dublin-III-VO wirksam entstanden ist und bei Ablauf der beantragten Haftdauer noch fortbesteht oder nach Art. 29 Abs. 2 Dublin-III-VO wieder entfallen ist. Vom Haftrichter sind Bedenken gegen das von der Ausländerbehörde gewählte Verfahren erst dann zu berücksichtigen, wenn ihm bekannt wird, dass der Betroffene deswegen um Rechtsschutz durch die Verwaltungsgerichte nachgesucht hat und sich daraus ein der Überstellung entgegenstehendes Hindernis ergeben kann (Bestätigung von BGH, Beschlüsse vom 29. April 2010 - V ZB 202/09, juris, vom 3. Februar 2011 - V ZB 12/10, juris und vom 10. Januar 2019 - V ZB 159/17, juris).

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des [X.] - 1. Zivilkammer - vom 19. Oktober 2018 wird auf Kosten des Betroffenen zurückgewiesen.

Der Gegenstandswert des [X.] beträgt 5.000 €.

Gründe

1

I. Der Betroffene, Staatsangehöriger von [X.], reiste aus [X.] am 13. Dezember 2017 erstmals in das [X.] ein. Seinen am 11. Januar 2018 gestellten Asylantrag lehnte das [X.] mit seit dem 27. März 2018 bestandskräftigem Bescheid vom 13. März 2018 als unzulässig ab, nachdem ein am 12. Januar 2018 an [X.] gestelltes Übernahmeersuchen unbeantwortet geblieben war.

2

Eine für den 13. September 2018 geplante Überstellung nach [X.] konnte nicht durchgeführt werden, weil sich der Betroffene entgegen einer ihm erteilten Anweisung an dem ihm mitgeteilten Überstellungstermin nicht in seiner Unterkunft aufhielt. Am 19. September 2018 wurde er vorläufig festgenommen.

3

Mit Beschluss vom selben Tag ordnete das Amtsgericht auf Antrag der beteiligten Behörde Haft zur Sicherung der Überstellung des Betroffenen nach [X.] bis zum 31. Oktober 2018 an. Die dagegen gerichtete Beschwerde hat das [X.] zurückgewiesen. Nach seiner Entlassung aus der Haft beantragt der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde die Feststellung, dass er durch die genannten Entscheidungen in seinen Rechten verletzt worden sei.

4

II. Das zulässige Rechtsmittel hat in der Sache keinen Erfolg.

5

1. Das Beschwerdegericht meint, der Haftantrag sei zulässig. Die Darlegungen dazu, dass die Überstellung bis zum 31. Oktober 2018 vollzogen werden könne, seien ausreichend. Der Flugtermin für die Überstellung nach [X.] sei inzwischen für den 22. Oktober 2018 bestätigt. Die Überstellung könne durchgeführt werden, da [X.] nach wie vor zur Aufnahme des Betroffenen verpflichtet sei. Die sechsmonatige Überstellungsfrist des Art. 29 Abs. 1 [X.] habe noch am 13. September 2018 nach Art. 29 Abs. 2 Satz 2 [X.] auf achtzehn Monate bis zum 13. September 2019 verlängert werden können, da der Betroffene flüchtig gewesen sei.

6

2. Zu Recht geht das Beschwerdegericht von einem zulässigen Haftantrag aus.

7

a) Das Vorliegen eines zulässigen [X.] ist eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung. Zulässig ist der Haftantrag der beteiligten Behörde nur, wenn er den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung entspricht. Erforderlich sind Darlegungen zu der zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungs- oder Überstellungsvoraussetzungen, zu der Erforderlichkeit der Haft, zu der Durchführbarkeit der Abschiebung oder Überstellung und zu der notwendigen Haftdauer (§ 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 5 FamFG). Zwar dürfen die Ausführungen zur Begründung des [X.] knapp gehalten sein, sie müssen aber die für die richterliche Prüfung des Falls wesentlichen Punkte ansprechen. Fehlt es daran, darf die beantragte [X.] nicht angeordnet werden (st. Rspr., vgl. nur [X.], Beschluss vom 21. August 2019 - [X.]/17, juris Rn. 5 mwN).

8

b) Diesen Anforderungen wird der Antrag der beteiligten Behörde gerecht. Insbesondere enthält er hinreichende Ausführungen zur notwendigen Haftdauer. Unter Berufung auf Erfahrungswerte der beteiligten Behörde wird im Einzelnen dargelegt, dass die Überstellung bei den [X.] Behörden angemeldet, ein Flug gebucht und bei der Polizei ein Schubauftrag erteilt werden müsse, um den Betroffenen von der Gewahrsamseinrichtung zum [X.] zu verbringen, was eine Dauer der Haft bis zum 31. Oktober 2018 erforderlich mache.

9

c) Anders als die Rechtsbeschwerde meint, muss in einem Antrag auf Anordnung der Überstellungshaft nach Art. 28 Abs. 2 [X.] weder dargelegt werden, dass und weshalb der [X.] nach der Dublin-III-Verordnung zur Aufnahme verpflichtet ist, noch muss angegeben werden, in welchem Verfahren die Überstellung erfolgen soll, ob also eine Aufnahme (Art. 21 f. [X.]) oder eine Wiederaufnahme (Art. 23 ff. [X.]) betrieben wird. Soweit der bisher für das [X.] zuständige V. Zivilsenat des [X.] zur [X.] eine abweichende Auffassung vertreten hat ([X.], Beschlüsse vom 26. Januar 2012 - [X.] 234/11, juris Rn. 8 f., vom 6. Dezember 2012 - [X.] 118/12, juris Rn. 5 und vom 15. Januar 2015 - [X.] 165/13, juris Rn. 6, jeweils mwN) hält der nunmehr zuständige beschließende Senat hieran nicht fest.

aa) Eine Aufnahme- oder Wiederaufnahmeverpflichtung entsteht allerdings nur dann, wenn innerhalb der in Art. 21 Abs. 1 (Aufnahme) und Art. 23 Abs. 2 [X.] (Wiederaufnahme) vorgeschriebenen Fristen ein Gesuch an den [X.] gerichtet wird. Dabei müssen die in [X.] der Verordnung zwingend aufgestellten Regeln eingehalten werden, insbesondere hat ein Aufnahmegesuch die in Art. 21 Abs. 3 [X.] i.V.m. Art. 1 der Verordnung ([X.]) Nr. 1560/2003 in der Fassung der Durchführungsverordnung ([X.]) Nr. 118/2014 der [X.] vom 30. Januar 2014 ([X.] 1; im Folgenden: DurchführungsVO) aufgeführten Angaben und Unterlagen zu enthalten und ist unter Verwendung des in Anhang I DurchführungsVO abgedruckten Formulars zu stellen. Für [X.] ergeben sich entsprechende Anforderungen aus Art. 23 Abs. 4 [X.] i.V.m. Art. 2 und Anhang III DurchführungsVO (vgl. zum Ganzen VG München, Beschlüsse vom 22. Juni 2016 - M 8 S 16.50295, juris Rn. 32 f. und vom 8. Juli 2016 - M 8 S 16.50302, juris Rn. 29 f.).

bb) Die einmal entstandene Aufnahme- oder Wiederaufnahmeverpflichtung entfällt nach Art. 29 Abs. 2 Satz 1 [X.], wenn die Überstellung nicht innerhalb von sechs Monaten durchgeführt wird. Diese Frist kann nach Art. 29 Abs. 2 Satz 2 [X.] i.V.m. Art. 9 Abs. 1a DurchführungsVO unter Verwendung des in [X.] abgedruckten Formulars höchstens auf ein Jahr verlängert werden, wenn die Überstellung auf Grund der Inhaftierung der betreffenden Person nicht erfolgen konnte, oder höchstens auf achtzehn Monate, wenn die betreffende Person flüchtig ist.

cc) Es obliegt jedoch grundsätzlich den Verwaltungsgerichten zu überprüfen, ob eine Aufnahme- oder Wiederaufnahmeverpflichtung des [X.]es unter Einhaltung dieser Regelungen entstanden und nicht wieder entfallen ist. Der Haftrichter ist an die Verwaltungsakte gebunden, die der Überstellung zugrunde liegen. Er hat grundsätzlich nicht zu prüfen, ob die Ausländerbehörde die Überstellung zu Recht betreibt. Mit der Prüfung dieser Frage würde der Haftrichter in unzulässiger Weise in den Zuständigkeitsbereich der Verwaltungsgerichtsbarkeit übergreifen (st. Rspr., vgl. [X.], Beschluss vom 25. September 1980 - [X.], [X.]Z 78, 145, 147, vom 11. Oktober 2017 - [X.] 41/17, [X.] 2018, 41 Rn. 22 und vom 21. August 2019 - [X.] 174/17, juris Rn. 8 mwN). Ebenso wenig hat er zu prüfen, ob die Behörde mit dem [X.] das richtige Verfahren gewählt hat oder vielmehr eine Abschiebung nach § 58 [X.] zu betreiben wäre (vgl. [X.], Beschlüsse vom 20. Dezember 2018 - [X.] 80/17, NVwZ-RR 2019, 662 Rn. 7 und vom 10. Januar 2019 - [X.] 159/17, juris Rn. 14 jeweils mwN). Der Haftantrag muss demgemäß hierzu auch keine Ausführungen enthalten.

d) Allerdings muss im Haftantrag ausgeführt werden, dass eine Inhaftnahme nach Art. 28 Abs. 2 [X.] und nicht nach § 62 [X.] beantragt wird. Dies folgt aus den unterschiedlichen Regelungen des Haftgrunds (vgl. [X.], Beschluss vom 22. Oktober 2015 - [X.] 79/15, [X.] 2016, 711 Rn. 18 f.). Im vorliegenden Fall erfüllt der Haftantrag diese Anforderung.

3. Vom Haftrichter sind Bedenken gegen das von der Ausländerbehörde gewählte Verfahren erst dann zu berücksichtigen, wenn ihm bekannt wird, dass der Betroffene deswegen um Rechtsschutz durch die Verwaltungsgerichte nachgesucht hat und sich daraus ein der Überstellung entgegenstehendes Hindernis ergeben kann. In diesem Fall muss der Haftrichter den Stand und voraussichtlichen Fortgang des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens aufklären. Steht danach zu erwarten, dass das Verwaltungsgericht dem Eilantrag des Betroffenen stattgeben und dessen Überstellung aussetzen wird, darf er die Haft nicht anordnen und muss eine bereits ergangene Haftanordnung aufheben (vgl. [X.], Beschluss vom 29. April 2010 - [X.] 202/09, juris Rn. 11). Dass dem Beschwerdegericht bekannt gewesen wäre, dass der Betroffene um verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz nachgesucht hätte, wird jedoch von der Rechtsbeschwerde nicht geltend gemacht und ist auch nicht ersichtlich.

4. Anders als die Rechtsbeschwerde meint, war die Aufrechterhaltung der Haft durch das Beschwerdegericht verhältnismäßig.

a) Im Einklang mit dem allgemeinen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist die Haft gemäß Art. 28 Abs. 3 Unterabs. 1 [X.] auf die kürzest mögliche Dauer zu beschränken. Stellt sich im Beschwerdeverfahren heraus, dass die Abschiebung oder Überstellung, deren Sicherung die angeordnete Haft dient, in einem kürzeren als dem ursprünglich ermittelten Zeitraum zu erreichen ist, ist die Haft nach dem Rechtsgedanken von § 426 Abs. 1 FamFG von Amts wegen auf den nach den Feststellungen im Beschwerdeverfahren benötigten Zeitraum zu begrenzen und ist die Haftanordnung im Übrigen aufzuheben (vgl. [X.], Beschluss vom 20. September 2018 - [X.] 102/16, juris Rn. 27 mwN).

b) So liegt es hier aber nicht. Zwar war nach den Feststellungen des [X.] inzwischen ein Flug für die Überstellung des Betroffenen am 22. Oktober 2018 bestätigt. Unter Berücksichtigung eines zeitlichen Puffers für allfällige Verzögerungen durfte die Haft jedoch jedenfalls bis zum 28. Oktober 2018 aufrechterhalten werden (vgl. dazu [X.], Beschlüsse vom 20. Oktober 2016 - [X.] 167/14, juris Rn. 13 und vom 20. September 2018 - [X.] 102/16, juris Rn. 29 f. mwN). [X.] kann, ob die Aufrechterhaltung der Haft über den 28. Oktober 2018 hinaus verhältnismäßig war, da die Entscheidung des [X.] ab dem 29. Oktober 2018 keine Auswirkungen für den Betroffenen mehr hatte. Denn das [X.] hat mit Beschluss vom 29. Oktober 2018 die Haft gegen den Betroffenen bis zum 9. November 2018 verlängert. Ob die auf der Grundlage dieses Beschlusses vollzogene Haft den Betroffenen in seinen Rechten verletzt hat, ist im vorliegenden Verfahren nicht zu prüfen (vgl. [X.], Beschluss vom 17. Januar 2019 - [X.] 85/18, juris Rn. 2 f. mwN).

Meier-Beck     

      

Schmidt-Räntsch     

      

[X.]

      

Tolkmitt     

      

[X.]     

      

Meta

XIII ZB 53/19

07.04.2020

Bundesgerichtshof 13. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Deggendorf, 19. Oktober 2018, Az: 12 T 125/18

§ 417 Abs 2 FamFG, Art 25 EUV 604/2013, Art 28 Abs 2 EUV 604/2013, Art 29 Abs 2 EUV 604/2013, § 62 AufenthG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 07.04.2020, Az. XIII ZB 53/19 (REWIS RS 2020, 679)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 679

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