Bundesgerichtshof, Beschluss vom 08.12.2016, Az. V ZB 41/14

5. Zivilsenat | REWIS RS 2016, 1109

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Gegenstand

Zwangsversteigerungsverfahren: Öffentliche Lasten des Grundstücks als dingliche Rechte im Sinne der Europäischen Insolvenzverordnung


Leitsatz

Öffentliche Lasten des Grundstücks (hier: Grundsteuerforderungen) sind als dingliche Rechte im Sinne von Art. 5 Abs. 1 der Europäischen Insolvenzverordnung anzusehen (Vergleiche EuGH, Urteil vom 26. Oktober 2016, Senior Home, C-195/15, EU:C:2016:804).

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 4. Zivilkammer des [X.] vom 7. Februar 2014 wird auf Kosten der Schuldnerin zurückgewiesen.

Gründe

I.

1

Die Schuldnerin, eine [X.] nach [X.] Recht, ist Eigentümerin des im Rubrum genannten Grundstücks in [X.]     , [X.]. Mit Urteil vom 6. Mai 2013 ordnete der [X.], [X.], das Betriebssanierungsverfahren („procédure de redressement [X.]“) für die Schuldnerin an und beauftragte einen gerichtlich bestellten Verwalter mit deren Betreuung („administrateur [X.]“). Am 15. Mai 2013 beantragte die Gemeinde [X.]    wegen rückständiger Grundsteuern für die [X.] vom 1. Oktober 2012 bis zum 30. Juni 2013 in Höhe von 7.471,19 € die Zwangsversteigerung des Grundstücks und bescheinigte die Vollstreckbarkeit der Forderungen.

2

Mit Beschluss vom 21. Mai 2013 hat das Amtsgericht die Zwangsversteigerung angeordnet. Der dagegen gerichteten Erinnerung der Schuldnerin hat es nicht abgeholfen. Das [X.] hat ihre sofortige Beschwerde zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde will die Schuldnerin erreichen, dass die Anordnung der Zwangsversteigerung aufgehoben und der Zwangsversteigerungsvermerk im Grundbuch gelöscht wird. Mit Beschluss vom 12. März 2015 (veröffentlicht u.a. in [X.], 1768 ff.) hat der Senat dem [X.] die Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt, ob der Begriff des dinglichen Rechts gemäß Art. 5 Abs. 1 der Verordnung ([X.]) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren ([X.]. [X.] 2000 Nr. L 160 S. 1; [X.], nachfolgend EuInsVO) eine nationale Regelung erfasst, wonach Grundsteuerforderungen kraft Gesetzes als öffentliche Last auf dem Grundstück ruhen und der Eigentümer insoweit die Zwangsvollstreckung in den Grundbesitz dulden muss. Der [X.] hat über die Vorlagefrage mit Urteil vom 26. Oktober 2016 ([X.]/15, [X.]:[X.], veröffentlicht u.a. in [X.], 2175 ff.) entschieden.

II.

3

Nach Ansicht des [X.] ist die Zwangsversteigerung zu Recht angeordnet worden. Die Eröffnung des ausländischen Insolvenzverfahrens wirke sich insoweit nicht aus. Da die rückständigen Grundsteuern gemäß § 12 GrStG als öffentliche Last auf dem Grundstück ruhten, stehe der Gläubigerin gemäß § 49 [X.] i.V.m. § 10 Abs. 1 Nr. 3 [X.] ein Recht auf abgesonderte Befriedigung zu. Dieses Recht werde gemäß § 351 [X.] durch die Eröffnung des ausländischen Insolvenzverfahrens nicht berührt.

4

Eine Umschreibung des Titels auf den Insolvenzverwalter und eine Zustellung an diesen sei nicht erforderlich, da die Zwangsversteigerung aufgrund eines auf § 58 [X.] gestützten behördlichen Ersuchens erfolgt sei.

III.

5

Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung im Ergebnis stand.

6

1. Ob sich das ausländische Insolvenzverfahren auf die Anordnung der Zwangsversteigerung auswirkt, bestimmt sich allerdings nicht nach § 351 [X.]. Maßgeblich ist vielmehr die [X.], die in ihrem Anwendungsbereich den Vorschriften des in §§ 335 ff. [X.] geregelten [X.] Internationalen Insolvenzrechts vorgeht (vgl. Senat, Beschluss vom 3. Februar 2011 - [X.], [X.], 177 Rn. 11 mwN). Der Anwendungsbereich der [X.] ist eröffnet, da es sich bei dem Verfahren des "redressement [X.]" um eines der in Art. 2 Buchstabe a EuInsVO i.V.m. [X.] der Verordnung genannten Insolvenzverfahren handelt und der für die Schuldnerin auftretende "administrateur [X.]" zu den in Art. 2 Buchstabe [X.]. Anhang C der Verordnung bezeichneten Verwaltern gehört.

7

2. Nach der [X.] unterliegt das Insolvenzverfahren zwar dem [X.] Recht (Art. 4 Abs. 1 EuInsVO). Gemäß Art. 5 Abs. 1 EuInsVO bleiben aber dingliche Rechte eines Gläubigers an unbeweglichen Gegenständen, die sich im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats befinden, von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens unberührt. Die Grundsteuerforderungen, die zu der Anordnung der Zwangsversteigerung geführt haben, sind als dingliches Recht im Sinne dieser Norm anzusehen, da sie als öffentliche Last auf dem Grundstück ruhen (§ 12 GrStG). Das infolgedessen maßgebliche [X.] Insolvenzrecht gewährt gemäß § 49 [X.] ein Recht auf abgesonderte Befriedigung.

8

a) Maßgeblich für die Einstufung als dingliches Recht ist zunächst das [X.] Recht als Recht des Belegenheitsorts (vgl. [X.], Urteil vom 26. Oktober 2016, [X.], [X.]/15, [X.]:[X.] Rn. 20). Danach sind öffentliche Lasten als dingliche Verwertungsrechte anzusehen, weil der Eigentümer gemäß § 77 Abs. 2 Satz 1 AO die Zwangsvollstreckung in das Grundstück dulden muss; funktionell entsprechen öffentliche Lasten einem Grundpfandrecht. Wegen der Einzelheiten wird auf den Vorlagebeschluss des [X.] vom 12. März 2015 in dieser Sache Bezug genommen ([X.], 1768 Rn. 6 ff.).

9

b) Wie der [X.] auf die Vorlage des [X.] entschieden hat, ist Art. 5 Nr. 1 EuInsVO dahingehend auszulegen, dass auch solche dinglich ausgestalteten öffentlichen Lasten unter den Begriff des dinglichen Rechts fallen (vgl. [X.], Urteil vom 26. Oktober 2016, [X.], [X.]/15, [X.]:[X.]). Weder die steuerrechtliche Natur der Forderungen noch deren Entstehung ipso iure (vgl. hierzu auch [X.], Urteil vom 16. April 2015, [X.], [X.]/13, [X.]:[X.] Rn. 27 f.) stehen dieser Einordnung entgegen.

c) Die Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 1 EuInsVO sind auch im Übrigen gegeben. Insbesondere entstand die öffentliche Last jedenfalls überwiegend vor der Eröffnung des „redressement [X.]“ (vgl. zu dieser Voraussetzung Virgós/[X.], [X.] Bericht zu dem [X.]-Übereinkommen über Insolvenzverfahren, 1996, [X.], abgedruckt u.a. in [X.], Vorschläge und Gutachten zur Umsetzung des [X.]-Übereinkommens über Insolvenzverfahren). Denn die Steuer entsteht gemäß § 9 Abs. 2 GrStG zu Beginn des Jahres; selbst wenn die auf die [X.] nach der Verfahrenseröffnung entfallenden Steuern kein dingliches Recht mehr begründen sollten, wären die Forderungen aus der [X.] vom 1. Oktober 2012 bis zum 5. Mai 2013 vor Verfahrenseröffnung entstanden.

3. Ohne Erfolg rügt die Schuldnerin, der Antrag auf Anordnung der Zwangsversteigerung sei dem [X.] Insolvenzverwalter nicht bekanntgegeben worden. Ob eine solche Bekanntgabe erforderlich ist, richtet sich nach [X.]m Verfahrensrecht als der lex fori. Hiernach ist die Bekanntgabe des Antrags der Finanzbehörde an den Schuldner bzw. an den Insolvenzverwalter kein Vollstreckungserfordernis und daher ohne Bedeutung für eine wirksame Anordnung der Zwangsversteigerung (vgl. [X.], [X.], 21. Aufl., § 15 Rn. 34.4 a.E.; [X.], 310, hierzu [X.], [X.] 1991, 90).

4. Ob im Übrigen die Voraussetzungen für den Beginn der Zwangsvollstreckung vorliegen, hat das Vollstreckungsgericht bei der Beitreibung von Steuerschulden (anders als bei der Vollstreckung von Urteilen) nicht zu prüfen. Dies ist vielmehr Aufgabe der Finanzbehörde (vgl. Senat, Beschluss vom 14. Juli 1951 - [X.], [X.], 140, 144 f.). Zuständige Behörde ist nach dem [X.] ([X.]) die Gemeinde (§ 6 Abs. 1 [X.]). Bestätigt diese - wie hier - in ihrem Antrag, dass die Voraussetzungen für die Vollstreckung vorliegen, sind die Gerichte daran gebunden (§ 58 Abs. 3 Satz 2 und 3 [X.]). Insbesondere darf das Vollstreckungsgericht nicht prüfen, ob ein Duldungsbescheid gegen den ausländischen Insolvenzverwalter erforderlich und ob dieser ergangen ist (dazu MüKo-[X.]/Ganter, 3. Aufl., § 49 Rn. 53). Die Schuldnerin (bzw. der Insolvenzverwalter) kann insoweit Rechtsbehelfe vor den Finanzgerichten ergreifen (vgl. [X.], 53; 158, 310).

5. Schließlich ist es unerheblich, dass die Anordnung nach Eröffnung des „redressement [X.]“ der Schuldnerin und nicht dem Insolvenzverwalter zugestellt worden ist. Selbst wenn die Zustellung an den Insolvenzverwalter erforderlich sein sollte, stellt dies jedenfalls keinen Grund für eine Aufhebung der Anordnung dar.

IV.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Diese Vorschrift ist hier anwendbar, weil sich die Parteien bei dem Streit um die Anordnung der Zwangsversteigerung wie in einem kontradiktorischen Verfahren gegenüberstehen (vgl. Senat, Beschluss vom 25. Januar 2007 - [X.], [X.], 378 Rn. 8).

[X.]      

        

Brückner      

        

Weinland

        

Kazele      

        

[X.]      

        

Meta

V ZB 41/14

08.12.2016

Bundesgerichtshof 5. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend EuGH, 26. Oktober 2016, Az: C-195/15, Urteil

Art 5 Abs 1 EGV 1346/2000, § 10 Abs 1 Nr 3 ZVG, § 12 GrStG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 08.12.2016, Az. V ZB 41/14 (REWIS RS 2016, 1109)

Papier­fundstellen: WM2017,437 REWIS RS 2016, 1109

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