Bundesgerichtshof, Urteil vom 18.02.2010, Az. IX ZR 101/09

9. Zivilsenat | REWIS RS 2010, 9250

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Gegenstand

Freihändige Veräußerung eines Grundstücks durch den Insolvenzverwalter: Abgesonderte Befriedigung der Gemeinde als Inhaberin einer öffentlichen Last wegen ihrer Grundsteuerforderung


Leitsatz

Der Inhaber einer öffentlichen Last gemäß § 12 GrStG kann dann, wenn der Insolvenzverwalter das belastete Grundstück freihändig veräußert hat, keine abgesonderte Befriedigung aus dem Veräußerungserlös verlangen .

Tenor

Auf die Rechtsmittel des Beklagten werden das Urteil der 1. Zivilkammer des [X.] vom 22. April 2009 und das Urteil des [X.] vom 11. April 2008 aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden der Klägerin auferlegt.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der [X.] ist Verwalter in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der [X.] (fortan: Schuldnerin). Die Schuldnerin war Eigentümerin von Grundstücken, die auf dem Gebiet der klagenden Gemeinde lagen. Bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 3. Mai 2004 war Grundsteuer in Höhe von insgesamt 15.352,34 € nicht bezahlt. In der Folgezeit veräußerte der [X.] die Grundstücke im Wege des freihändigen Verkaufs.

2

Im vorliegenden Rechtsstreit begehrt die Klägerin die Feststellung, dass sie wegen der rückständigen Grundsteuerforderungen aus den Jahren 2003 und 2004 abgesonderte Befriedigung aus dem Veräußerungserlös verlangen kann. Die Vorinstanzen haben antragsgemäß entschieden. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision will der [X.] die Abweisung der Klage erreichen.

Entscheidungsgründe

3

Die Revision führt zur Aufhebung der Urteile der Vorinstanzen und zur Abweisung der Klage.

I.

4

Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Das [X.] der Klägerin folge aus §§ 49 [X.], 10 Abs. 1 Nr. 3 [X.]. Gemäß § 12 [X.] ruhe die Grundsteuer als öffentliche Last auf dem Steuergegenstand. Dies bedeute eine dingliche Haftung und damit die Entstehung eines Pfandrechts. Nach der freihändigen Veräußerung des Grundstücks setze sich das Pfandrecht am Veräußerungserlös fort, soweit keine Umschuldung stattfinde bzw. das Pfandrecht untergegangen sei. Das Grundstück hafte zwar auch nach einer freihändigen Veräußerung für die vor der Veräußerung angefallene Grundsteuer. Übernehme der Erwerber also die vorhandenen Pfandrechte, komme eine Haftung des Erlöses nicht in Betracht, weil sich die Rechtsstellung des [X.] durch die Veräußerung nicht verbessern dürfe. Im Falle einer [X.] Übertragung bleibe es dagegen bei der Haftung des Verkaufserlöses. Der Beklagte habe nicht behauptet, dass der (oder die) Käufer Lasten übernommen hätten. Das [X.] der Gemeinde bestehe unabhängig davon, ob der Verwalter das Grundstück im Wege der Zwangsversteigerung oder aber freihändig veräußere.

II.

5

Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.

6

1. Im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens war die Klägerin Inhaberin eines [X.]s am Grundstück der Schuldnerin. Nach § 49 [X.] sind Gläubiger, denen ein Recht auf Befriedigung aus einem Grundstück oder einem grundstücksgleichen Recht zusteht, im Insolvenzverfahren zur abgesonderten Befriedigung berechtigt. Der Klägerin stand ein Recht auf Befriedigung aus dem Grundstück zu. Gemäß § 12 [X.] ruht die Grundsteuer als öffentliche Last auf dem Grundstück. Unter dem Begriff der "öffentlichen Last", der gesetzlich nicht definiert ist, wird eine Abgabenverpflichtung verstanden, welche durch wiederkehrende oder einmalige Geldleistung zu erfüllen ist und nicht nur die persönliche Haftung des Schuldners, sondern auch die dingliche Haftung des Grundstücks voraussetzt ([X.], Urt. v. 22. Mai 1981 - [X.], [X.] 1981, 777, 778; v. 30. Juni 1988 - [X.], [X.], 1574). Die Vorschrift des § 49 [X.] nimmt auf das Gesetz über die Zwangsversteigerung und die Zwangsverwaltung (fortan: Zwangsversteigerungsgesetz oder [X.]) Bezug. In der Zwangsversteigerung berechtigt die öffentliche Last zur bevorrechtigten Befriedigung aus dem Grundstück (§ 10 Abs. 1 Nr. 3 [X.]). Entgegen der Ansicht des [X.] (NJW-RR 1994, 469 f) bedeutet die Verweisung jedoch nicht, dass das [X.] erst und nur dann entsteht, wenn das Grundstück nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zwangsversteigert wird. Die Anordnung der Zwangsversteigerung (oder der Zwangsverwaltung) kann nicht die Entstehung eines Rechts zur Folge haben. Die Vorschrift des § 12 [X.] ist überdies eindeutig anders zu verstehen. Die Grundsteuer ruht unabhängig davon als öffentliche Last auf dem Grundstück, ob ein Zwangsversteigerungsverfahren eingeleitet worden ist oder nicht ([X.], 1622). Auch die übrigen in § 10 Abs. 1 [X.] genannten Rechte werden sogleich mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu [X.]en, nicht etwa erst und nur im Rahmen einer Zwangsversteigerung.

7

2. Nach der freihändigen Veräußerung des Grundstücks kann die klagende Gemeinde jedoch nicht die Befriedigung ihrer Forderung aus dem bei der Veräußerung erzielten Erlös verlangen.

8

a) Die Verwertung eines zur Insolvenzmasse gehörenden Grundstücks ist in § 165 [X.] geregelt. Der Verwalter kann die Zwangsversteigerung oder die Zwangsverwaltung betreiben, auch wenn an dem Grundstück ein [X.] besteht. Die Befriedigung des absonderungsberechtigten Gläubigers erfolgt in einem solchen Fall nach den Vorschriften des Zwangsversteigerungsgesetzes. Der Gläubiger hat - wenn er nicht gemäß § 27 [X.] dem Verfahren beitritt - sein Recht gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 3 [X.] anzumelden, so dass es bei der Feststellung des geringsten Gebots berücksichtigt wird (§ 45 Abs. 1 [X.]). Mit dem Zuschlag erlischt das Recht (§ 52 Abs. 1 Satz 2, § 91 Abs. 1 [X.]); an seine Stelle tritt der Anspruch auf Ersatz seines Wertes aus dem [X.] (§ 92 Abs. 1 [X.]). Meldet der Gläubiger sein Recht gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 3 [X.] nicht an, wird es nicht in das geringste Gebot aufgenommen. Nach § 52 Abs. 1 Satz 2 [X.] erlischt das Recht. Die Vorschrift des § 52 [X.] ist allerdings nicht abschließend. Es gibt auch Rechte, die aufgrund ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung auch außerhalb des geringsten Gebots bestehen bleiben (BVerwG NJW 1993, 480). § 12 [X.] enthält jedoch keine entsprechende Regelung. Das Schicksal der öffentlichen Last des § 12 [X.] richtet sich folglich, wenn das betroffene Grundstück zwangsversteigert wird, ausschließlich nach den Vorschriften des Zwangsversteigerungsgesetzes (BVerwGE 70, 91 = NJW 1985, 756). Mit dem Zuschlag erwirbt der Berechtigte anstelle des erloschenen Rechtes einen pfandhaft gesicherten Anspruch auf Wertersatz aus dem [X.].

9

b) Gleiches gilt, wenn der [X.] selbst die Zwangsversteigerung oder die Zwangsverwaltung betreibt. Hier gelten ebenfalls die Vorschriften des Zwangsversteigerungsgesetzes. Das Verwertungsrecht des Gläubigers besteht nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens grundsätzlich fort (vgl. BT-Drucks. 12/2443, [X.]). Der Gläubiger kann dadurch, dass er selbst die Zwangsversteigerung beantragt oder dem vom Verwalter (oder einem anderen [X.]n) beantragten Verfahren beitritt, seine Rechte wahren. Einschränkungen können sich allerdings aus § 30d Abs. 1 [X.] ergeben, wonach die vom Gläubiger betriebene Zwangsversteigerung unter bestimmten Voraussetzungen auf Antrag des Verwalters einstweilen einzustellen ist. Kommt es jedoch zur Zwangsversteigerung, gelten die Vorschriften des Zwangsversteigerungsgesetzes mit dem oben beschriebenen Ergebnis.

c) Obwohl das Gesetz diese Möglichkeit nicht ausdrücklich vorsieht, kann der Verwalter das belastete Grundstück - wie sich mittelbar aus § 160 Abs. 2 Nr. 1 [X.] ergibt - auch freihändig veräußern ([X.]/[X.], [X.] § 49 Rn. 33; MünchKomm-[X.]/[X.], 2. Aufl. § 49 Rn. 4; [X.]/[X.], [X.] 13. Aufl. § 49 Rn. 1c; HK-[X.]/[X.], 5. Aufl. § 165 Rn. 4; vgl auch [X.], [X.]. v. 29. November 2007 - [X.], [X.] 2008, 281, 282 Rn. 13). Wie in einem solchen Fall die [X.]e gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 3 [X.] abgegolten werden, ist im Gesetz nicht geregelt und wird in Rechtsprechung und Literatur unterschiedlich beantwortet. Teilweise wird angenommen, die in § 10 Abs. 1 Nr. 3 [X.] genannten Rechte ließen sich nur im Zwangsversteigerungsverfahren umsetzen ([X.] NJW-RR 1994, 469 mit krit. [X.]. [X.] [X.] 1995, 67; [X.]/[X.] aaO § 51 Rn. 38; MünchKomm-[X.]/[X.] aaO § 51 Rn. 262; HmbKomm-[X.]/[X.], 3. Aufl. § 165 Rn. 13). Ebenso wird vertreten, die abgesonderte Befriedigung könne nicht von der Art und Weise der Verwertung des Grundstücks abhängig sein (LG Erfurt [X.] 2009, 17; [X.] [X.] 2005, 175; [X.]/[X.], [X.] § 49 Rn. 33; FK-[X.]/[X.], 5. Aufl. § 49 Rn. 50; [X.] [X.] 1995, 67, 68). Auf diesen Meinungsstreit kommt es hier nicht an.

Der hier gegebene Fall einer öffentlichen Last gemäß § 12 [X.] weist die Besonderheit auf, dass die öffentliche Last bei einer freihändigen Veräußerung nicht erlischt. Wird das Grundstück nach Festsetzung, Fälligkeit und Vollstreckbarkeit der Steuerforderung veräußert, haftet das Grundstück weiterhin (BVerwGE 77, 38 = NJW 1987, 2098; BVerwG KStZ 1975, 10; Troll/[X.], [X.] 8. Aufl. § 12 Rn. 3). Die Haftung wird durch einen gegen den neuen Eigentümer gerichteten [X.] geltend gemacht. Wenn das Grundstück nach der freihändigen Veräußerung weiterhin für die Steuerforderung haftet, das [X.] also fortbesteht, kann es sich nicht im Wege der dinglichen [X.] durch ein Pfandrecht am Veräußerungserlös fortsetzen (vgl. MünchKomm-[X.]/[X.], aaO Vor §§ 49-52 Rn. 99a). Eine den Vorschriften des § 52 Abs. 1 Satz 2 [X.] entsprechende Bestimmung, welche in Verbindung mit § 91 Abs. 1 und § 92 Abs. 1 [X.] das Erlöschen des Rechts am Grundstück und das Entstehen eines Anspruchs auf Wertersatz aus dem Veräußerungserlös anordnet, gibt es in der Insolvenzordnung nicht.

Entgegen der Ansicht des [X.] gilt im vorliegenden Fall nicht deshalb etwas anderes, weil das Grundstück "lastenfrei" verkauft worden ist oder sein soll. Die Vorschrift des § 12 [X.] enthält zwingendes Recht. Die (auf das erworbene Grundstück beschränkte) Haftung des Erwerbers aus § 12 [X.] kann nicht durch eine Vereinbarung der Vertragsparteien abbedungen werden.

III.

Das angefochtene Urteil kann folglich keinen Bestand haben. Es ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da die Aufhebung des Urteils nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist, hat das Revisionsgericht in der Sache selbst zu entscheiden (§ 563 Abs. 3 ZPO). Die Klage wird unter Aufhebung der Urteile der Vorinstanzen abgewiesen.

[X.]                             Raebel                             Kayser

                  Lohmann                            Pape

Meta

IX ZR 101/09

18.02.2010

Bundesgerichtshof 9. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend LG Gera, 22. April 2009, Az: 1 S 137/08, Urteil

§ 49 InsO, § 12 GrStG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 18.02.2010, Az. IX ZR 101/09 (REWIS RS 2010, 9250)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 9250

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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