Bundesgerichtshof, Beschluss vom 21.09.2022, Az. 1 StR 479/21

1. Strafsenat | REWIS RS 2022, 5936

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Tenor

1. Dem Angeklagten M.      wird auf seinen Antrag und seine Kosten Wiedersetzung in den vorigen Stand vor Versäumung der Frist zur Begründung seiner Revision gegen das Urteil des [X.] vom 5. Mai 2021 gewährt.

2. Der Vorwurf der Beihilfe zur banden- und gewerbsmäßigen strafbaren Verletzung von Gemeinschaftsmarken (richtig: [X.]) wird von der Strafverfolgung bezüglich der vier Revidenten ausgenommen.

3. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das vorgenannte Urteil, soweit es diese Angeklagten und den Mitangeklagten [X.]betrifft, aufgehoben,

a) soweit die Angeklagten und der Mitangeklagte D.      wegen banden- und gewerbsmäßiger Steuerhehlerei verurteilt worden sind; insoweit werden die Angeklagten freigesprochen und hat die Staatskasse die Kosten des Verfahrens sowie die notwendigen Auslagen der Angeklagten zu tragen;

b) im verbliebenen Strafausspruch.

4. Die weitergehenden Revisionen der Angeklagten werden als unbegründet verworfen.

5. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die weiteren Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat die Angeklagten wegen Steuerhinterziehung, wegen banden- und gewerbsmäßiger Steuerhehlerei sowie wegen Beihilfe zur banden- und gewerbsmäßigen strafbaren Verletzung von Gemeinschaftsmarken (Unionsmarken) jeweils zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt; zudem hat es die Angeklagten nicht betreffende Einziehungen angeordnet. Die gegen ihre Verurteilungen im nach einer Verfahrensbeschränkung verbliebenen Umfang gerichteten Revisionen der Angeklagten, mit denen sie die Verletzung materiellen Rechts beanstanden, haben mit der Sachrüge den aus der [X.] ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO), und zwar auch zugunsten des nichtrevidierenden Mitangeklagten [X.]; im Übrigen sind die Rechtsmittel unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

2

1. Nach den Feststellungen des [X.]s ließen sich die Angeklagten in ihrer [X.] bzw. [X.] Heimat spätestens im Juni 2020 von unbekannt gebliebenen Hintermännern anwerben, um in einer illegalen Zigarettenproduktionsstätte in [X.]      ab dem 16. Juli 2020 zu arbeiten und dadurch den Lohn für ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Dort ließen die Organisatoren unversteuerten [X.] anliefern, maschinell trocknen, in [X.] zerteilen und in Cellophan verpacken. Dabei wurden bei den Zigarettenpapieren, -filtern und -verpackungen die [X.]rken „[X.]“, „[X.].      “ und „[X.]   “ verwendet, ohne dass die Inhaber dieser im Register eingetragenen Unionsmarken, die [X.] mit Sitz in B.    bzw. die [X.], dem zugestimmt hätten. Die Angeklagten bestückten die Produktionsmaschinen mit dem [X.], überwachten den Produktionsablauf und verpackten die Zigaretten; der Angeklagte M.       wartete zudem die [X.]schinen. Wöchentlich ließen die Hintermänner etwa 10 Millionen Zigaretten herstellen und innerhalb der [X.] ausliefern, ohne dass auf den [X.] [X.] angebracht oder [X.] abgegeben wurden. Nach längerer Observation stellten die Ermittlungsbehörden am 18. August 2020 11.006.050 Stück unter unberechtigter Verwendung der drei genannten [X.]rken gefälschte versandfertige Zigaretten sowie rund 17.360 Kilogramm [X.] sicher, worauf Tabaksteuer in Höhe von rund 1,8 Millionen € bzw. 1,2 Millionen € lastete.

3

2. Die Verfahrensbeschränkung bezüglich des Vorwurfs der Beihilfe zur banden- und gewerbsmäßigen strafbaren Verletzung von Unionsmarken (§ 143a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, § 143 Abs. 2, 5 [X.], Art. 9 Abs. 1, 2, Buchst. a, Abs. 3 Buchst. [X.]; § 27 StGB) trägt wie im Verfahren 1 [X.] dem Umstand Rechnung, dass die Würdigung des [X.]s, die [X.]rken [X.], [X.].      und [X.]    seien unionsweit geschützt ([X.]), nicht belegt ist (insbesondere [X.]). Damit kann auch hier offenbleiben, ob infolge des Austritts des [X.] aus der [X.] die Gesamtrechtslage für die Angeklagten günstiger ist und dies einer Bestrafung entgegensteht (§ 2 Abs. 3 StGB).

4

3. Im verbliebenen Verfahrensumfang sind die Revisionen teilweise begründet.

5

a) Das Urteil birgt Rechtsfehler zu Lasten der Angeklagten.

6

aa) Die Verurteilungen wegen banden- und gewerbsmäßiger Steuerhehlerei (§ 374 Abs. 1, 2 [X.], § 1 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 5 [X.]) halten sachlichrechtlicher Nachprüfung nicht stand; die Angeklagten sind insoweit aus tatsächlichen Gründen freizusprechen (§ 354 Abs. 1 Variante 1 StPO).

7

(a) Der [X.] hat – im Wesentlichen gleich – in den jeweiligen [X.] zur Tatvariante des Sichverschaffens (§ 374 Abs. 1 Variante 1 [X.]) bzw. der Beihilfe hierzu (§ 27 StGB) zutreffend ausgeführt:

ʺDie Steuerhehlerei bezieht sich nach den Urteilsgründen auf den [X.], der auf dem Fabrikgelände sichergestellt worden ist ([X.] 39).

[…]

Der Angeklagte hat den Feinschnitt auch nicht sich oder einem [X.] verschafft gemäß § 374 Abs. 1 [X.].

Unerheblich ist, ob der Angeklagte selbst, die zehn Mitangeklagten und der gesondert Verfolgte [X.]oder die unbekannten Hintermänner durch die Anlieferung und Einlagerung des Feinschnitts auf dem Fabrikgelände Besitz an dem Feinschnitt erlangt haben. Zwar ist es Voraussetzung für ein Verschaffen von Erzeugnissen oder Waren gemäß § 374 Abs. 1 [X.], dass der Täter oder der Dritte, dem die Erzeugnisse oder Waren verschafft werden, dadurch Verfügungsgewalt erlangt (vgl. [X.], Beschluss vom 13. Juli 2016 - 1 [X.] -, Rn. 33; Urteil vom 7. November 2007 - 5 StR 371/07 -, Rn. 15). Die Urteilsgründe belegen jedoch nicht, dass der Angeklagte in irgendeiner Form als Täter (§ 25 StGB) oder Gehilfe (§ 27 StGB) zur Anlieferung oder Einlagerung des Feinschnitts beigetragen hat.

Nach den Urteilsfeststellungen steuerten unbekannte Hintermänner die Belieferung der illegalen Fabrik mit den zur Herstellung der Zigaretten erforderlichen [X.]terialien, die Produktion der Zigaretten und deren Abtransport ([X.] 12). Aufgabe des Angeklagten war es, unmittelbar im Produktionsprozess an den [X.]schinen zu arbeiten, die [X.]schinen mit Feinschnitt zu bestücken, den Produktionsablauf zu überwachen und die produzierten Zigaretten zu verpacken ([X.] 15). Für die Belieferung mit den zur Herstellung erforderlichen [X.]terialien und den Abtransport der Zigaretten waren demgegenüber die Mitangeklagten [X.]     , [X.].     und [X.].      zuständig, denen es auch oblag, den verwendeten Lastkraftwagen zu be- und entladen ([X.] 15 ff.; vgl. auch [X.] 34 f. zur Hierarchie unter den Beteiligten). Außer diesen drei Personen waren nach den Urteilsgründen lediglich in einem Fall die Mitangeklagten Kr.  und [X.].     an der Beladung eines Transportfahrzeugs beteiligt ([X.] 16). Da die Fabrik über einen Gabelstapler verfügte (vgl. ebd.), scheint die Beteiligung einer größeren Anzahl von Personen an den Ladearbeiten auch nicht notwendig gewesen zu sein. Die dennoch getroffene Feststellung, dass der Feinschnitt vom Angeklagten in die Fabrikhalle eingelagert worden sei ([X.]), wird jedenfalls nicht von der Beweiswürdigung getragen. Eine Beteiligung des Angeklagten an der Einlagerung ergibt sich insbesondere nicht aus seiner Einlassung […].ʺ

8

(b) Auch auf die Tatvariante der Absatzhilfe (§ 374 Abs. 1 Variante 3 [X.]) oder einer versuchten Absatzhilfe (§ 374 Abs. 3 [X.], § 22 StGB) kann die Verurteilung nicht gestützt werden. Denn der [X.] lagerte zum Zeitpunkt der Beschlagnahme am 18. August 2020 noch unbearbeitet auf dem Gelände. Mithin hatten insoweit weder andere Bandenmitglieder [X.] entfaltet noch die Angeklagten mit der ihnen zugewiesenen Arbeit begonnen. Neue Feststellungen zu bestimmten Tatbeiträgen der Angeklagten, die eine Verurteilung wegen Steuerhehlerei oder zumindest der Beihilfe hierzu tragen könnten, sind nach alledem von einem zweiten Rechtsgang nicht zu erwarten. Auch die Voraussetzungen der Ordnungswidrigkeitstatbestände der § 381 [X.], §§ 36 f. [X.] sind nicht erfüllt. Der [X.]nat entscheidet daher selbst auf Freispruch (§ 354 Abs. 1 Variante 1 StPO).

9

bb) Die Strafzumessung für die nach Teilbeschränkung und -freispruch allein verbleibende Steuerhinterziehung ist rechtsfehlerhaft; denn das straffreie Vorleben der Angeklagten (§ 46 Abs. 2 StGB) ist weder bei der Prüfung, ob die Indizwirkung der Regelbeispiele der Steuerverkürzung „in großem Ausmaß“ (§ 370 Abs. 3 Satz 1, 2 Nr. 1 [X.]) und der bandenmäßigen [X.] (§ 370 Abs. 3 Satz 1, 2 Nr. 5 [X.]) entkräftet ist, noch bei der Strafzumessung im engeren Sinne erkennbar berücksichtigt worden. Dies ist rechtsfehlerhaft, da es sich insoweit um einen bestimmenden Strafzumessungs-gesichtspunkt handelt (§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO; vgl. [X.], Beschlüsse vom 23. März 2022 – 6 StR 61/22 Rn. 2; vom 27. Oktober 2020 – 1 [X.] Rn. 9 und vom 29. [X.]ptember 2016 – 2 [X.] Rn. 15). Das neue Tatgericht darf seiner Strafzumessung weitere Feststellungen zugrunde legen, sofern diese den bisherigen nicht widersprechen.

b) Im Übrigen sind die Revisionen unbegründet. Die bezüglich der sichergestellten 11.006.050 Zigaretten die Schuldsprüche der Steuerhinterziehung tragende Vorschrift ist indes – ebenfalls mit dem Antrag des [X.]s – vorrangig § 370 Abs. 1 Nr. 3 [X.] und nicht § 370 Abs. 1 Nr. [X.]. Die Erwägungen aus dem Urteil des [X.]nats vom 28. Juli 2022 – 1 [X.] Rn. 15-30 gelten entsprechend. Für das Tilgen der Tabaksteuerschuld waren die Angeklagten als „an der Herstellung beteiligte Personen“ und damit als Steuerschuldner (§ 15 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Alternative 2, Abs. 2 Nr. 2, § 17 Abs. 1 Satz 3 [X.]) verantwortlich; sie verwendeten „pflichtwidrig“ keine Steuerzeichen, durch die das (vorherige) Entrichten der Tabaksteuer nachgewiesen werden soll. Die Angeklagten wirkten insbesondere am Zuschnitt und an der Ummantelung des [X.]s zu einzelnen Zigaretten mit; dies gehörte zum erlaubnispflichtigen Herstellungsprozess (vgl. § 1 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a [X.], § 4 Abs. 3 Satz 2 TabStV aF).

Jäger     

      

Fischer     

      

Bär     

      

Leplow     

      

Pernice     

      

Meta

1 StR 479/21

21.09.2022

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend BGH, 21. September 2022, Az: 1 StR 479/21, Beschluss

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 21.09.2022, Az. 1 StR 479/21 (REWIS RS 2022, 5936)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 5936

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