Bundesgerichtshof, Beschluss vom 21.09.2022, Az. 1 StR 479/21

1. Strafsenat | REWIS RS 2022, 5939

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Gegenstand

Verständigung in Strafsachen: Unstatthafter Gegenstand eines deals


Tenor

1. Der Vorwurf der Beihilfe zur banden- und gewerbsmäßigen strafbaren Verletzung von Gemeinschaftsmarken (richtig: [X.]) wird von der Strafverfolgung ausgenommen.

2. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 5. Mai 2021, soweit es diese beiden Angeklagten betrifft, aufgehoben,

a) soweit die Angeklagten wegen banden- und gewerbsmäßiger Steuerhehlerei verurteilt worden sind; insoweit werden die Angeklagten freigesprochen und hat die Staatskasse die Kosten des Verfahrens sowie die notwendigen Auslagen der Angeklagten zu tragen;

b) im Übrigen mit den zugehörigen Feststellungen.

3. Im Umfang der Aufhebung zu 2. b) wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die weiteren Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat die Angeklagten jeweils wegen Steuerhinterziehung, wegen banden- und gewerbsmäßiger Steuerhehlerei sowie wegen Beihilfe zur banden- und gewerbsmäßigen strafbaren Verletzung von Gemeinschaftsmarken (Unionsmarken) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt; zudem hat es die Angeklagten nicht betreffende Einziehungen angeordnet. Die gegen ihre Verurteilungen im nach einer Verfahrensbeschränkung verbliebenen Umfang gerichteten Revision der Angeklagten, mit der sie die Verletzung materiellen und formellen Rechts beanstanden, führen mit der Sachrüge zum Teilfreispruch, mit der Verfahrensrüge zur [X.] im Übrigen (§ 349 Abs. 4 StPO).

2

1. Die Verfahrensbeschränkung bezüglich des Vorwurfs der Beihilfe zur banden- und gewerbsmäßigen strafbaren Verletzung von Unionsmarken (§ 143a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, § 143 Abs. 2, 5 [X.], Art. 9 Abs. 1, 2, Buchst. a, Abs. 3 Buchst. [X.]; § 27 StGB) trägt wie im Verfahren 1 StR 470/21 dem Umstand Rechnung, dass die Würdigung des [X.]s, die [X.]rken [X.], [X.].      und [X.].    seien unionsweit geschützt ([X.]), nicht belegt ist (insbesondere [X.]). Damit kann auch hier offenbleiben, ob infolge des Austritts des [X.] aus der [X.] die Gesamtrechtslage für die Angeklagten günstiger ist und dies einer Bestrafung entgegensteht (§ 2 Abs. 3 StGB).

3

2. Im verbliebenen Verfahrensumfang ist die Revision begründet.

4

a) Die Verurteilung wegen banden- und gewerbsmäßiger Steuerhehlerei (§ 374 Abs. 1, 2 [X.], § 1 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 5 [X.]) hält sachlichrechtlicher Nachprüfung nicht stand; die Angeklagten sind insoweit aus tatsächlichen Gründen freizusprechen (§ 354 Abs. 1 Variante 1 StPO). Der [X.] hat – im Wesentlichen gleich – in den jeweiligen [X.] zur Tatvariante des Sichverschaffens (§ 374 Abs. 1 Variante 1 [X.]) bzw. der Beihilfe hierzu (§ 27 StGB) zutreffend ausgeführt:

[X.]) ʺDie Steuerhehlerei bezieht sich nach den Urteilsgründen auf den [X.], der auf dem Fabrikgelände sichergestellt worden ist ([X.] 39).

[…]

Der Angeklagte hat den Feinschnitt auch nicht sich oder einem [X.] verschafft gemäß § 374 Abs. 1 [X.].

Unerheblich ist, ob der Angeklagte selbst, die zehn Mitangeklagten und der gesondert Verfolgte [X.]oder die unbekannten Hintermänner durch die Anlieferung und Einlagerung des Feinschnitts auf dem Fabrikgelände Besitz an dem Feinschnitt erlangt haben. Zwar ist es Voraussetzung für ein Verschaffen von Erzeugnissen oder Waren gemäß § 374 Abs. 1 [X.], dass der Täter oder der Dritte, dem die Erzeugnisse oder Waren verschafft werden, dadurch Verfügungsgewalt erlangt (vgl. [X.], Beschluss vom 13. Juli 2016 - 1 [X.] -, Rn. 33; Urteil vom 7. November 2007 - 5 StR 371/07 -, Rn. 15). Die Urteilsgründe belegen jedoch nicht, dass der Angeklagte in irgendeiner Form als Täter (§ 25 StGB) oder Gehilfe (§ 27 StGB) zur Anlieferung oder Einlagerung des Feinschnitts beigetragen hat.

Nach den Urteilsfeststellungen steuerten unbekannte Hintermänner die Belieferung der illegalen Fabrik mit den zur Herstellung der Zigaretten erforderlichen [X.]terialien, die Produktion der Zigaretten und deren Abtransport ([X.] 12). Aufgabe des Angeklagten war es, unmittelbar im Produktionsprozess an den [X.]schinen zu arbeiten, die [X.]schinen mit Feinschnitt zu bestücken, den Produktionsablauf zu überwachen und die produzierten Zigaretten zu verpacken ([X.] 15). Für die Belieferung mit den zur Herstellung erforderlichen [X.]terialien und den Abtransport der Zigaretten waren demgegenüber die Mitangeklagten [X.], [X.].    und [X.].       zuständig, denen es auch oblag, den verwendeten Lastkraftwagen zu be- und entladen ([X.] 15 ff.; vgl. auch [X.] 34 f. zur Hierarchie unter den Beteiligten). Der Angeklagte [Kr.  ] war lediglich in einem Fall gemeinsam mit dem Mitangeklagten an der Be- (!) ladung eines Transportfahrzeugs beteiligt ([X.] 16). Da die Fabrik über einen Gabelstapler verfügte (vgl. ebd.), scheint die Beteiligung einer größeren Anzahl von Personen an den Ladearbeiten auch nicht notwendig gewesen zu sein. Die dennoch getroffene Feststellung, dass der Feinschnitt vom Angeklagten in der Fabrikhalle eingelagert worden sei ([X.]), wird jedenfalls nicht von der Beweiswürdigung getragen. Eine Beteiligung des Angeklagten an der Einlagerung ergibt sich insbesondere nicht aus seiner Einlassung […].ʺ

5

bb) Auch auf die Tatvariante der Absatzhilfe (§ 374 Abs. 1 Variante 3 [X.]) oder einer versuchten Absatzhilfe (§ 374 Abs. 3 [X.], § 22 StGB) kann die Verurteilung nicht gestützt werden. Denn der [X.] lagerte zum Zeitpunkt der Beschlagnahme am 18. August 2020 noch unbearbeitet auf dem Gelände. Mithin hatten insoweit weder andere Bandenmitglieder [X.] entfaltet noch die Angeklagten mit der ihnen zugewiesenen Arbeit begonnen. Neue Feststellungen zu bestimmten Tatbeiträgen der Angeklagten, die eine Verurteilung wegen Steuerhehlerei oder zumindest der Beihilfe hierzu tragen könnten, sind nach alledem von einem zweiten Rechtsgang nicht zu erwarten. Auch die Voraussetzungen der Ordnungswidrigkeitstatbestände der § 381 [X.], §§ 36 f. [X.] sind nicht erfüllt. Der [X.] entscheidet daher selbst auf Freispruch (§ 354 Abs. 1 Variante 1 StPO).

6

b) Im nach [X.] und -freispruch verbliebenen [X.], der Verurteilung wegen Steuerhinterziehung, greift jeweils die – übereinstimmend erhobene – Rüge durch, die dem Urteil zugrundeliegende Verständigung habe einen unzulässigen Inhalt (§ 257c Abs. 2 Satz 1 StPO).

7

[X.]) Nach dem Vorschlag des [X.]s sollten die Angeklagten die Tatvorwürfe nicht nur – für sich genommen freilich bedenkenfrei – gestehen (vgl. § 257c Abs. 2 Satz 2 StPO), sondern auch „Beweisanträge und Anträge, die zu einer Verzögerung eines Verfahrensabschlusses führen würden“, nicht stellen. Im Gegenzug sicherte die Kammer zu, die Strafen aus einem Strafrahmen von zwei Jahren sechs Monaten bis zu zwei Jahren zehn Monaten zu verhängen. Diesem Vorschlag stimmten die beiden Angeklagten zu.

8

bb) Damit hat das [X.] die Zusage eines bestimmten Strafrahmens unsachgemäß mit dem von ihm erwarteten Prozessverhalten der Angeklagten verknüpft: Den umfassenden Verzicht auf Prozessanträge gegen die Zusicherung eines Strafrahmens hat der Gesetzgeber als zu weitgehend erachtet (BT-Drucks. 16/12310, [X.]). Allenfalls einzelne Anträge können zum Gegenstand der Verständigung gemacht werden (vgl. § 257c Abs. 2 Satz 1 Variante 3 StPO). Anderenfalls wäre die Verletzung der Aufklärungspflicht zu besorgen, die der Verständigung entzogen ist (§ 257c Abs. 1 Satz 2, § 244 Abs. 2 StPO). Eine solch weitgehende Unterwerfung ist zudem mit der Subjektstellung der Angeklagten unvereinbar, die auch bei Urteilsabsprachen zu wahren ist (vgl. [X.], Beschluss vom 18. [X.]i 2005 – 4 [X.]).

Jäger     

      

Fischer     

      

Bär     

      

Leplow     

      

Pernice     

      

Meta

1 StR 479/21

21.09.2022

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend BGH, 21. September 2022, Az: 1 StR 479/21, Beschluss

§ 244 Abs 2 StPO, § 257c Abs 2 S 1 Alt 3 StPO, § 337 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 21.09.2022, Az. 1 StR 479/21 (REWIS RS 2022, 5939)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 5939

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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