Bundesgerichtshof, Beschluss vom 09.06.2017, Az. 1 StR 39/17

1. Strafsenat | REWIS RS 2017, 9716

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Gegenstand

Strafverfahren: Verfahrenshindernis des Strafklageverbrauchs bei Verurteilung wegen derselben Tat; Strafvollstreckung bei zur Bewährung ausgesetzter Freiheitsstrafe


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 29. November 2016 wird das Verfahren eingestellt.

2. Der Staatskasse fallen die insoweit entstandenen Kosten des Verfahrens zur Last. Es wird davon abgesehen, der Staatskasse die notwendigen Auslagen des Angeklagten aufzuerlegen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen gewerbs- und bandenmäßiger Fälschung von Zahlungskarten mit Garantiefunktion in Tateinheit mit 28 tateinheitlichen Fällen des [X.] zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und zehn Monaten verurteilt sowie eine Anrechnungsentscheidung hinsichtlich in [X.] erlittener Auslieferungshaft getroffen.

2

Mit seiner dagegen gerichteten Revision macht der Angeklagte u.a. das Verfahrenshindernis des Strafklageverbrauchs wegen einer bereits in [X.] erfolgten rechtskräftigen Verurteilung geltend.

3

Das Rechtsmittel hat Erfolg und führt zur Einstellung des hiesigen Strafverfahrens. Der Angeklagte ist wegen derselben wie der hier gegenständlichen Tat bereits aufgrund der Entscheidung des [X.] vom 27. September 2016 in [X.] rechtskräftig verurteilt worden. Es besteht deshalb das Verfahrenshindernis des Strafklageverbrauchs gemäß Art. 54 Schengener Durchführungsübereinkommen ([X.]).

I.

4

1. Nach den Feststellungen des [X.]s brachte ein unbekannt gebliebener Täter am 11. April 2009 auf Weisung des Angeklagten ein zuvor von dem Zeugen [X.]zusammengebautes Kartenlesegerät am Türöffner einer näher bezeichneten Bankfiliale in [X.]        an, um so die auf den Magnetstreifen von [X.] gespeicherten Daten auslesen zu können. Unmittelbar anschließend installierte ein weiterer Mittäter eine ebenfalls zuvor von [X.]aus vom Angeklagten zur Verfügung gestellten Bestandteilen gefertigte Videoleiste. Damit wurden die [X.] der Bankkunden ausgespäht. Zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt nach dem 11. April 2009 stellten der Angeklagte und weitere Mittäter - möglicherweise auch lediglich Mittäter auf Anweisung des Angeklagten - unter Nutzung der ausgespähten Daten Kartendubletten her.

5

Zwischen dem 17. und dem 20. April 2009 kam es jedenfalls durch die gesondert Verfolgten [X.]und [X.]sowie weitere unbekannt gebliebene Mittäter auf Weisung des Angeklagten unter Einsatz der Kartendubletten an näher bezeichneten Geldautomaten in [X.] zu insgesamt 28 Bargeldabhebungen. Dabei wurde ein Gesamtbetrag von knapp 9.100 Euro erlangt.

6

2. Ausweislich der Beweiswürdigung des angefochtenen Urteils hat der Zeuge [X.], auf dessen Angaben das [X.] seine Überzeugung von dem festgestellten Sachverhalt stützt, u.a. ausgesagt, im April 2009 sei er mit dem gesondert Verfolgten [X.]von [X.] aus nach [X.] eingereist. Der ebenfalls gesondert Verfolgte [X.] sei auf einem anderen Reiseweg ebenfalls nach [X.] gekommen und habe die für die Skimminggeräte benötigten Teile bei sich gehabt. Nach dem Zusammenbau der Gerätschaften habe man sich mit dem Angeklagten in [X.]     getroffen. Durch diesen sei dort eine Wohnung angemietet worden. Im [X.] an die Übergabe der Skimminggeräte an den Angeklagten sei die Gruppe für zwei Tage in [X.]      geblieben, um dort für die Tatbegehung geeignete Banken auszukundschaften. Dies sei ebenso erfolglos geblieben, wie das Auskundschaften von Banken in Dr.     und [X.]        auf dem Rückweg nach [X.]. Weiterhin hat [X.] ausgesagt, am Tag nach seiner Rückkehr in sein Heimatland habe sich der Angeklagte telefonisch bei ihm gemeldet und ihm mitgeteilt, dass man anderenorts erfolgreich Bankdaten ausgespäht habe. Abhebungen mit aufgrund der in [X.]        erlangten Daten erstellten Kartendubletten seien dann u.a. durch [X.]und [X.]     erfolgt.

II.

7

Das in [X.] geführte Strafverfahren gegen den Angeklagten war einzustellen, weil zu dessen Gunsten das Verbot der [X.] aus Art. 54 [X.] eingreift und dies - derzeit - ein durch den [X.] wegen zu prüfendes Verfahrenshindernis bewirkt ([X.], Beschluss vom 25. Oktober 2010 - 1 StR 57/10, [X.]St 56, 11; Urteil vom 12. Dezember 2013 - 3 StR 531/12, [X.]St 59, 120, 123 Rn. 10 [X.]; siehe auch [X.], Beschluss vom 28. Dezember 2006 - 1 [X.], [X.], 179).

8

1. Die im hiesigen Strafverfahren gegenständliche prozessuale Tat ist bereits Gegenstand eines gegen den Angeklagten in [X.] geführten Strafverfahrens gewesen. Das dortige Verfahren ist durch Entscheidung des [X.] vom 27. September 2016 (Beschluss Nr.          ) rechtskräftig abgeschlossen worden, indem die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des erstinstanzlichen Gerichts in [X.] vom 24. Mai 2016 (Nr.          ) als unbegründet verworfen worden ist. In erster Instanz war der Angeklagte wegen betrügerischer Finanzoperationen (Art. 250 Abs. 1 [X.] StGB), Nachmachen von Zahlungsinstrumenten (Art. 311 Abs. 2 [X.] StGB), Besitz von Gerätschaften zum Nachmachen von Zahlungsinstrumenten (Art. 314 Abs. 2 [X.] StGB), unberechtigtem Zugang zu Computersystemen (Art. 360 Abs. 1 und 3 [X.] StGB), unerlaubter Handlungen mit Vorrichtungen oder Software (Art. 365 Abs. 1 und 2 [X.] StGB) sowie wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung (Art. 367 Abs. 1 [X.] StGB) zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden.

9

Ausweislich des durch den Senat eingeholten Gutachtens des [X.] ist der Angeklagte durch das vorgenannte Urteil auf der Grundlage von Art. 33 bis Art. 34 des [X.] Strafgesetzbuchs von 1969 in Verbindung mit dem Art. 5 des am 1. Februar 2014 in [X.] getretenen [X.] Strafgesetzbuchs vom 17. Juli 2009 unter Anwendung der lex mitior Regel im Wege der Gesamtstrafenbildung zu einer Hauptstrafe von drei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden. Das Gericht hat die Vollstreckung dieser Strafe bei einer Bewährungszeit von fünf Jahren zur Bewährung ausgesetzt. Dem Angeklagten ist aufgegeben worden, zu von der Bewährungshilfe festgelegten Terminen bei dieser zu erscheinen. Darüber hinaus ist er unter anderem verpflichtet, jeden [X.] und Arbeitsplatzwechsel sowie jede den Zeitraum von acht Tagen überschreitende Reise mitzuteilen. Das erstinstanzliche Gericht hat dem Angeklagten eine zusätzliche Strafe in Gestalt des Verbots der Ausübung einiger in Art. 64 Abs. 1 Buchst. a) und b) des [X.] Strafgesetzbuchs von 1969 aufgeführter Rechte sowie als Nebenstrafe ebenfalls das Verbot der Ausübung in dem genannten Artikel erfasster Rechte auferlegt. Die Nebenstrafe ist zur Bewährung ausgesetzt worden (Art. 71 Abs. 5 des [X.] StGB von 1969).

2. Dieser Verurteilung liegt dieselbe Tat im Sinne von Art. 54 [X.] zugrunde wie dem hier angefochtenen Urteil.

a) Nach der für die nationalen Gerichte verbindlichen Auslegung des Art. 54 [X.] durch die ständige Rechtsprechung des Gerichtshofs der Euro-päischen Union ([X.], Urteile vom 11. Februar 2003 - [X.]/01 und [X.]/01 - [X.] und [X.] -; vom 9. März 2006 - [X.]/04 - [X.] -, NJW 2006, 1781; vom 28. September 2006 - [X.]/04 - [X.] -; vom 28. September 2006 - [X.]/05 - Van Straaten -; vom 18. Juli 2007 - [X.]/05 - [X.] -, NJW 2007, 3412 und vom 18. Juli 2007 - [X.] -, NStZ 2008, 164; Beschluss vom 22. Dezember 2008 - [X.]/07 - [X.] -, NStZ-RR 2009, 109; Urteil vom 16. November 2010 - [X.]/09 [X.] -, NJW 2011, 983) gilt im Rahmen dieser Vorschrift ein im Verhältnis zu den nationalen Rechtsordnungen eigenständiger, autonom nach unionsrechtlichen Maßstäben auszulegender Tatbegriff. Danach ist maßgebendes Kriterium für die Anwendung des Art. 54 [X.] allein die Identität der materiellen Tat, verstanden als das Vorhandensein eines Komplexes konkreter, in zeitlicher und räumlicher Hinsicht sowie nach ihrem Zweck unlösbar miteinander verbundener Tatsachen. Das Verbot der [X.] greift ein, wenn ein solcher Komplex unlösbar miteinander verbundener Tatsachen besteht und die verschiedenen Verfahren jeweils Tatsachen aus dem einheitlichen Komplex zum Gegenstand haben ([X.], Beschluss vom 9. Juni 2008 - 5 [X.], [X.], 2931, 2932 f.; Urteil vom 12. Dezember 2013 - 3 StR 531/12, [X.]St 59, 120, 125 f. Rn. 15). Auf materiell-rechtliche Bewertungen, insbesondere darauf, ob die verschiedenen begangenen Delikte nach [X.] Recht sachlich-rechtlich im Verhältnis von Tateinheit oder Tatmehrheit stehen, kommt es demnach nicht an ([X.] aaO [X.]St 59, 120, 126 Rn. 15 aE).

Die nähere Auslegung dieses Tatbegriffs im Sinne des Art. 54 [X.] hat sich in erster Linie am Zweck dieser Norm auszurichten, der darin besteht, die ungehinderte Ausübung des Rechts auf Freizügigkeit der Unionsbürger zu sichern. Wer wegen eines Tatsachenkomplexes bereits in einem Vertragsstaat abgeurteilt ist, soll sich ungeachtet unterschiedlicher rechtlicher Maßstäbe in den einzelnen [X.] darauf verlassen können, dass er nicht - auch nicht unter einem anderen rechtlichen Aspekt - [X.] wegen derselben Tatsachen strafrechtlich verfolgt wird. Demgegenüber ist die Einordnung der Tatsachen nach den Strafrechtsordnungen der Vertragsstaaten unbeachtlich. Die Qualifizierung eines Tatsachenkomplexes als eine Tat im Sinne des Art. 54 [X.] ist darüber hinaus von dem jeweils rechtlich geschützten Interesse unabhängig; denn dieses kann wegen der fehlenden Harmonisierung der nationalen Strafvorschriften von einem Vertragsstaat zum anderen unterschiedlich sein. Allein aus dem Umstand, dass die Taten durch einen einheitlichen Vorsatz auf [X.] verbunden sind, lässt sich die Identität der Sachverhalte nicht herleiten; erforderlich ist vielmehr eine objektive Verbindung der zu beurteilenden Handlungen (vgl. [X.], jeweils aaO sowie [X.] aaO [X.]St 59, 120, 126 Rn. 16).

Ob im konkreten Fall nach diesen Kriterien eine einheitliche Tat anzunehmen ist, obliegt der Beurteilung durch die nationalen Gerichte ([X.], Urteile vom 9. März 2006 - [X.]/04 - [X.] -, NJW 2006, 1781 und vom 28. September 2006 - [X.]/04 - [X.] -; [X.] aaO [X.]St 59, 120, 126 Rn. 17).

b) Bei Anwendung dieser Maßstäbe liegt hier eine einheitliche Tat im Sinne des Art. 54 [X.] vor.

aa) Ausweislich des Urteils der Strafabteilung des Gerichts [X.] vom 24. Mai 2016 sowie der Entscheidung des [X.] vom 27. September 2016 war der Angeklagte im Zeitraum zwischen 2008 und 2010 Anführer einer kriminellen Gruppe, der neben ihm u.a. auch der hiesige Zeuge [X.]sowie [X.], [X.] und weitere namentlich benannte Personen angehörten. Nach den weiteren Feststellungen der [X.] Gerichte hat der Angeklagte die kriminelle Organisation u.a. dadurch unterstützt, dass er ihnen [X.] zur Verfügung gestellt hatte. Im April 2009 seien [X.], [X.]    und [X.]nach [X.]      gefahren, wo sie sich in der Wohnung eines weiteren Beteiligten getroffen hätten. Dort sei auch das weitere Vorgehen festgelegt worden. Am 12. April 2009 seien die Vorgenannten nach [X.] zurückgereist. Von dem Angeklagten seien ihnen insgesamt 64 PIN-Codes telefonisch übermittelt worden. Diese Daten seien auf gefälschte Kreditkarten gebrannt und in [X.] benutzt worden. Der Angeklagte habe einen weiteren Beteiligten eingesetzt, um [X.] nach [X.] zu bringen. Später seien dadurch hohe Geldsummen von „[X.]“ abgehoben worden.

bb) Auf der Grundlage der dem inländischen Urteil und den ausländischen Urteilen zugrundeliegenden Verfahrensgegenständen handelt es sich um denselben Komplex unlösbar miteinander verbundener Tatsachen. Maßgeblich dafür ist nämlich vor allem, ob die fraglichen Tatsachen in zeitlicher und räumlicher Hinsicht sowie nach ihrem Zweck unlösbar miteinander verbunden sind (etwa [X.], Urteil vom 9. März 2006 - [X.]/04 - [X.] -, NJW 2006, 1781; siehe auch [X.], Europäisches und Internationales Strafrecht, 2014, § 7 Rn. 27; [X.] in Böse [Hrsg.], Europäisches Strafrecht mit polizeilicher Zusammenarbeit [[X.] Band 9], 2013, § 12 Rn. 49; [X.], [X.], 184, 187). Sowohl die Verurteilung durch das [X.] als auch diejenige durch die [X.] Gerichte leiten das jeweils strafbare Verhalten jedenfalls auch aus den Geschehnissen im April 2009 in [X.]     und anderen Orten in [X.] sowie den sich an das Ausspionieren von Bankkundendaten in [X.] und die anschließenden Abhebungen unter Verwendung von mit diesen Daten versehenen Kartendubletten in [X.] ab. Zwar wird in dem Urteil der Strafabteilung des Gerichts in [X.] als Ort der Anbringung von [X.] nicht ausdrücklich eine Bankfiliale in [X.]      bezeichnet. Die übrigen zugrunde gelegten tatsächlichen Umstände der Tatbegehung stimmen aber zumindest in Bezug auf das zur Verurteilung durch das [X.] führende Geschehen überein. Grundlage in tatsächlicher Hinsicht ist jeweils die Einreise von näher benannten Bandenmitgliedern nach [X.], vor allem die Zusammenkunft u.a. von [X.] , [X.]und [X.]in [X.]     , mit dem Ziel, dort unter Einsatz der von [X.] zusammengebauten, vom Angeklagten stammenden Gerätschaften an die Daten von Bankkunden zu gelangen. Beiden Verurteilungen liegt zugrunde, dass mit Hilfe dieser [X.] Bankkundendaten ab dem 11. April 2009 erlangt und auf den anschließend hergestellten Kartendubletten verwendet worden sind. Es ist übereinstimmend festgestellt worden, dass die Daten durch andere Bandenmitglieder als [X.] , [X.]und [X.]  erlangt worden sind. Die beiden Letztgenannten haben dann neben weiteren Beteiligten an Bankautomaten in [X.] größere Geldbeträge unter Einsatz der Kartendubletten abgehoben.

Es steht der Annahme derselben Tat im Sinne von Art. 54 [X.] nicht entgegen, dass der in [X.] der Verurteilung zugrunde liegende Lebenssachverhalt umfänglicher ist als der Gegenstand (§§ 155, 264 [X.]) des hiesigen Verfahrens und auch einen Zeitraum vor den in [X.] abgeurteilten Geschehnissen umfasst. Der Verfahrensgegenstand im Inland wird jedenfalls vollständig von dem der Verurteilung in [X.] zugrunde liegenden umfasst. Der für den Tatbegriff im Sinne von Art. 54 [X.] maßgebliche unlösbare Tatsachenkomplex wird nicht dadurch aufgehoben, dass in den betroffenen Vertragsstaaten geringe Unterschiede bei den maßgeblichen tatsächlichen Umständen (etwa Zahl und Identität von Tatbeteiligten; Umfang von [X.] bei BtM-Handel etc.) bestehen (vgl. [X.], Urteil vom 28. September 2006 - [X.]/05 - Van Straaten - Rn. 53). Erst recht kommt es für den Tatbegriff des Art. 54 [X.] nicht auf die materiell-rechtliche Bewertung des verfahrensgegenständlichen Sachverhalts durch Gerichte der beteiligten Mitgliedstaaten an ([X.] aaO § 12 Rn. 51).

Die Verurteilung des Angeklagten durch die [X.] Gerichte bezieht sich auch nicht lediglich auf die Bildung einer kriminellen Vereinigung gemäß § 367 Abs. 1 des [X.] Strafgesetzbuchs. Wie sich aus den Entscheidungen beider Instanzen in [X.] auch ausweislich des dazu eingeholten Gutachtens des [X.] ergibt, umfasst der Schuldspruch die Verurteilung wegen insgesamt sechs verschiedener Delikte. Für die Verwirklichung jeder der oben (Rn. 8) genannten Straftatbestände des [X.] Strafrechts sind jeweils Einzelstrafen verhängt worden, die dann zu der Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren zusammengeführt worden sind. Insbesondere der in [X.] erfolgten Verurteilung aufgrund der Art. 250 Abs. 1, Art. 311 Abs. 2, Art. 314 Abs. 2, Art. 360 Abs. 1 und 3 sowie Art. 365 Abs. 1 und 2 des [X.] StGB liegen tatsächliche Umstände zugrunde, auf die auch die inländische Verurteilung gestützt ist. Es kommt daher nicht darauf an, ob bei der Bestimmung der Reichweite des Begriffs der Tat im Sinne von Art. 54 [X.] Einschränkungen vorzunehmen wären, wie sie für den innerstaatlichen Tatbegriff (§§ 155, 264 [X.]) bei [X.] angenommen werden (dazu [X.], Urteil vom 30. März 2001 - 3 [X.], [X.], 436 ff. und Beschluss vom 9. Juli 2015 - 3 StR 537/14, [X.]St 60, 308 ff.). Deshalb bedarf es auf der Grundlage von Art. 35 [X.] in Verbindung mit Art. 267 A[X.] auch keiner Anfrage an den [X.], ob bei der Verurteilung im Erstverfolgungsstaat wegen eines Organisationsdelikts (hier: Art. 367 Abs. 1 des [X.] Strafgesetzbuchs) der Tatbegriff des Art. 54 [X.] dahingehend auszulegen wäre, dass Straftaten, die sich als Beteiligung an der Organisation darstellen, nicht von diesem erfasst wären.

c) Art. 54 [X.] findet auch auf Abwesenheitsurteile, wie sie hier mit den verurteilenden Erkenntnissen in [X.] vorliegen, Anwendung ([X.], Urteil vom 11. Dezember 2008 - [X.]/07 - [X.] - Rn. 34, [X.], 454; siehe auch [X.], Urteil vom 27. Mai 2014 - [X.]/14 - [X.] -; siehe auch [X.], Beschluss vom 25. Oktober 2010 - 1 StR 57/10, [X.]St 56, 11, 13 Rn. 7).

d) Mit der Entscheidung des [X.] vom 27. September 2016 liegt eine rechtskräftige Aburteilung im Sinne von Art. 54 [X.] vor.

Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der [X.] besteht eine solche dann, wenn durch die entsprechende Entscheidung im Erstverfolgungsstaat nach dessen Recht die Strafklage endgültig verbraucht ist ([X.], Urteile vom 22. Dezember 2008 - [X.]/07 - [X.] -, Slg. 2008 [X.] Rn. 32; vom 16. November 2010 - [X.]/09 - [X.] -, NJW 2011, 983, 985 Rn. 45; siehe auch bereits [X.], Urteil vom 11. Februar 2003 - verbundene [X.]. [X.]/01 und [X.]/01 - [X.] und [X.] -, Slg. 2003, [X.] Rn. 27-30). Diese Voraussetzung ist vorliegend gegeben. Ausweislich des Gutachtens des [X.] regelt Art. 6 der [X.] Strafprozessordnung den Grundsatz ne bis in idem für das innerstaatliche Recht. Danach darf niemand für die Begehung einer Straftat verfolgt oder verurteilt werden, wenn gegen dieselbe Person zeitlich vorausgehend ein endgültiges strafrechtliches Urteil im Hinblick auf dieselbe Tathandlung ergangen ist, wobei es auf die materiell-rechtliche Bewertung der Tathandlung nicht ankommt. Nach dem maßgeblichen [X.] Recht ist gegen den Angeklagten mit der Verwerfung seiner Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil des Gerichts in [X.] durch die Entscheidung des [X.] vom 27. September 2016 eine endgültige Verurteilung in [X.] erfolgt. Der Senat hat unter Vermittlung des [X.] ([X.]) von den [X.] Justizbehörden die Auskunft erhalten, dass das Urteil des Berufungsgerichts dem Angeklagten am 5. Oktober 2016 an eine Adresse in [X.] und am 16. November 2016 an eine Adresse in [X.] zugestellt worden ist. Innerhalb der dafür gesetzlich vorgesehenen Frist von 30 Tagen ist gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel durch den Angeklagten eingelegt worden, so dass es innerstaatlich in [X.] rechtskräftig geworden ist.

e) Die gegen den Angeklagten rechtskräftig verhängte [X.], deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt ist, wird im Sinne von Art. 54 [X.] „gerade vollstreckt“. Es bedarf daher keiner Entscheidung, ob dieses Element der Vollstreckungsbedingung bereits deshalb erfüllt ist, weil der Angeklagte zusätzlich und neben der genannten Hauptstrafe mit dem Verbot der Ausübung bestimmter Rechte belegt worden ist.

aa) Der Senat hält im Ergebnis an seiner Rechtsprechung fest, dass es für den unionsweiten Strafklageverbrauch auf die in Art. 54 [X.] ausdrücklich statuierte Vollstreckungsbedingung auch nach dem Inkrafttreten der Charta der Grundrechte der [X.] ([X.]) ankommt, obwohl der Wortlaut von Art. 50 [X.] diese Bedingung nicht ausdrücklich enthält ([X.], Beschluss vom 25. Oktober 2010 - 1 StR 57/10, [X.]St 56, 11, 14 ff. Rn. 13 ff., [X.] etwa Böse, [X.] 2011, 504, 508 ff.; [X.]/[X.], [X.], 206, 210; siehe auch Weißer in [X.]/Zuleeg/[X.], Europarecht, 3. Aufl., § 42 Rn. 131-133 sowie [X.], [X.], 66, 68 ff.). Der [X.] hat mittlerweile entschieden, dass es sich bei der Vollstreckungsbedingung aus Art. 54 [X.] um eine mit Art. 50 [X.] zu vereinbarende, durch Art. 52 Abs. 1 [X.] gedeckte Einschränkung des Grundsatzes ne bis in idem handelt ([X.], Urteil vom 27. Mai 2014 - [X.]/14 - [X.] -, NJW 2014, 3007, 3008 f. Rn. 55-58). Der sachlich legitimierende Grund für diese Einschränkung liegt in ihrem Zweck, zu verhindern, dass ein in einem Vertragsstaat rechtskräftig Verurteilter, wenn dieser Staat die verhängte Strafe nicht hat vollstrecken lassen, nicht mehr wegen derselben Tat in einem anderen Vertragsstaat verfolgt werden kann und so letztlich einer Strafe entginge ([X.] aaO Rn. 58 [X.]).

bb) Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der [X.] wird im Sinne von Art. 54 [X.] eine Strafe auch dann „gerade vollstreckt“, wenn im Erstverfolgungsstaat auf eine Freiheitsstrafe erkannt worden ist, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden ist ([X.], Urteil vom 18. Juli 2007 - [X.]/05 - [X.] -, NJW 2007, 3412, 3414 Rn. 42 und 44). Dieses Teilelement der Vollstreckungsbedingung ist während des Laufs der Bewährungszeit verwirklicht ([X.] aaO Rn. 42).

Der Senat vertritt die Auffassung, dass die gegen den Angeklagten in [X.] verhängte Bewährungsstrafe „gerade vollstreckt“ wird, obwohl er sich bis zum 9. Juni 2017 in [X.] Untersuchungshaft in dieser Sache befand und deshalb bislang nicht den ihm im Erstverfolgungsstaat aufgegebenen Bewährungsauflagen und/oder -weisungen nachkommen konnte. Zwar hat sich der Angeklagte nach den dem Senat zugänglichen Erkenntnissen während der gesamten Dauer des Strafverfahrens in [X.] nicht dort aufgehalten, weshalb in beiden Instanzen in seiner Abwesenheit aber unter Mitwirkung eines Verteidigers verhandelt worden ist. Er hätte sich daher - unabhängig von der in [X.] seit dem 6. Juni 2016 gegen ihn vollzogenen Untersuchungshaft - erst nach [X.] begeben müssen, um die dortigen Bewährungsauflagen/-weisungen zu erfüllen. Auch in einer solchen Konstellation gebietet der Gedanke, dass die Handlungsfreiheit eines Verurteilten erheblich beeinträchtigt ist, solange die Bewährungszeit läuft, die Annahme des [X.]s (vgl. dazu die Schlussanträge der Generalanwältin [X.] in der Rechtssache [X.] [[X.]. [X.]/05] vom 5. Dezember 2006 Rn. 49; siehe auch [X.], Internationales und Europäisches Strafrecht, 7. Aufl., § 10 Rn. 81), zumal die faktische Unmöglichkeit für den Angeklagten, sich nach [X.] zu begeben, aus der in [X.] gegen ihn nach der Überstellung durch die [X.] Justizbehörden seit dem 6. Juni 2016 vollzogenen Untersuchungshaft in dieser Sache resultierte.

Daran ändert im Ergebnis auch das Urteil des Gerichtshofs der [X.] in der Rechtssache [X.] (Urteil vom 27. Mai 2014 - [X.]/14, NJW 2014, 3007 ff.) nichts. Dort hat der [X.] entschieden, dass nach dem Widerruf der Bewährung einer zunächst ausgesetzten Freiheitsstrafe diese erst dann (wieder) im Sinne von Art. 54 [X.] „gerade vollstreckt“ wird, wenn mit der Verbüßung im Erstverfolgungsstaat begonnen worden ist ([X.] aaO Rn. 83). Damit wäre der [X.] in einer solchen Konstellation berechtigt, die durch seine Gerichtsbarkeit - regelmäßig in Unkenntnis der rechtskräftigen Verurteilung im Erstverfolgungsstaat - erfolgte, ebenfalls rechtskräftig festgesetzte Strafe wegen derselben Tat nach dem [X.] und vor der tatsächlichen Verbüßung der Strafe aus dem Urteil im Erstverfolgungsstaat zu vollstrecken. Und dies, obwohl der Verurteilte - anders als im Fall der nicht widerrufenen Bewährung - nicht mehr beeinflussen kann, ob und wann es zum Beginn der Verbüßung im Erstverfolgungsstaat kommt.

Ungeachtet dessen ist nach Auffassung des Senats durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs der [X.] aber hinreichend geklärt, dass ohne weitere Differenzierungen eine in einem Vertragsstaat rechtskräftig verhängte Freiheitsstrafe, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt ist, während des Laufs der Bewährungszeit als im Sinne von Art. 54 [X.] „gerade vollstreckt“ gilt. Es bedarf deshalb nicht der Einleitung eines [X.] gemäß Art. 35 Abs. 3 [X.] i.V.m. Art. 267 A[X.].

f) Das Eingreifen des [X.]sverbots aus Art. 54 [X.] ist auch nicht durch Art. 55 Abs. 1 Buchst. a) [X.] ausgeschlossen. Dabei bedarf keiner Entscheidungen, ob die von der Bundesrepublik [X.] bei der Ratifikation des [X.] erklärten Vorbehalte ([X.]) nach der Einbeziehung des [X.] in den Rahmen der [X.] (siehe dazu Protokoll zur Einbeziehung des [X.] in den Rahmen der [X.], ABl. [X.] vom 10. November 1997 S. 93) und nach dem Inkrafttreten der Charta der Grundrechte der [X.] weiterhin Bestand haben (vgl. dazu näher Böse, Festschrift für [X.]-[X.] Kühne, 2013, [X.], 521 ff. [X.]). Denn der von der Bundesrepublik [X.] gemäß Art. 55 Abs. 1 Buchst. a) erster Halbsatz [X.] erklärte Vorbehalt greift vorliegend im Hinblick auf die Rückausnahme im zweiten Halbsatz der genannten Bestimmung ohnehin nicht. Die Tat - im Sinne des unionsrechtlichen Tatbegriffs - ist zumindest im Hinblick auf die verfahrensgegenständlichen Abhebungen an Geldautomaten zwischen dem 17. und dem 20. April 2009 mit den Kartendubletten auf rumänischem Staatsgebiet und damit auch im Erstverfolgungsstaat begangen worden (vgl. [X.], Beschluss vom 28. Dezember 2006 - 1 [X.], [X.], 179).

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 467 Abs. 1 [X.]. Die Entscheidung über die notwendigen Auslagen des Angeklagten beruht auf § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 [X.]. Dabei hat der Senat seiner Ermessensausübung zugrunde gelegt, dass die Revision des Angeklagten ohne das Eingreifen des [X.] aus den Gründen der Antragsschrift des [X.] [X.] geblieben wäre (vgl. [X.] in [X.]/[X.], [X.], 60. Aufl., § 467 Rn. 16). Das Verfahrenshindernis ist zudem erst nach der Verkündung des Urteils des [X.]s mit dem Ablauf der Frist für ein Rechtsmittel gegen das Urteil des [X.] eingetreten.

IV.

Eine Entscheidung über eine Entschädigung des Angeklagten für erlittene Strafverfolgungsmaßnahmen (§ 2 Abs. 1 [X.]) ist derzeit nicht veranlasst.

Eine Einstellung des Verfahrens wegen eines [X.] erfordert eine Entscheidung gemäß § 2 Abs. 1 [X.] lediglich dann, wenn es sich um ein dauerndes, also nicht oder nicht mehr ohne Weiteres behebbares Hindernis handelt ([X.], [X.], 10. Aufl., § 2 Rn. 28 und 29 [X.]). Diese Voraussetzung liegt derzeit nicht vor. Das Eingreifen des [X.]sverbots aus Art. 54 [X.] erfordert - wie dargelegt - auch das [X.], das hier in der Variante einer ausländischen Strafe gegeben ist, die wegen der Verurteilung zu einer Bewährungsstrafe „gerade vollstreckt“ wird. Sollte während des Laufs der durch die [X.] Strafgerichte festgesetzten fünfjährigen Bewährungsfrist die Bewährung widerrufen, die verwirkte Freiheitsstrafe aber im Erstverfolgungsstaat dennoch nicht vollstreckt werden, wäre das [X.] nicht mehr erfüllt. Dies eröffnete der Bundesrepublik [X.] die Möglichkeit, die durch das hier angefochtene Urteil verhängte Freiheitsstrafe ihrerseits zu vollstrecken (vgl. [X.], Urteil vom 27. Mai 2014 - [X.]/14 - [X.] -, NJW 2014, 3007, 3010 Rn. 83). Ein endgültiges Verfahrenshindernis wird daher erst dann eintreten, wenn die Bewährungsfrist ohne Widerruf durch die [X.] Gerichte verstrichen oder die in [X.] verhängte Freiheitsstrafe nach erfolgtem Widerruf vollzogen worden sein wird.

Vor diesem Hintergrund wird die zuständige Staatsanwaltschaft das Vorliegen bzw. Nichtvorliegen des [X.]s aus Art. 54 [X.] durch Konsultationen der [X.] Justizbehörden regelmäßig überwachen.

Raum     

       

Bellay     

       

Cirener

       

[X.]     

       

Hohoff     

       

Meta

1 StR 39/17

09.06.2017

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend BGH, 9. Juni 2017, Az: 1 StR 39/17, Beschluss

Art 54 SchÜbk

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 09.06.2017, Az. 1 StR 39/17 (REWIS RS 2017, 9716)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 9716


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. 1 StR 39/17

Bundesgerichtshof, 1 StR 39/17, 09.06.2017.


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