Bundesgerichtshof, Beschluss vom 02.02.2021, Az. 2 StR 302/19

2. Strafsenat | REWIS RS 2021, 9008

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Strafrecht: Verbot der Doppelbestrafung im transnationalen Bereich beim unerlaubten Finanzproduktevertrieb und Vorverurteilung in der Schweiz


Tenor

Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des [X.] am Mai vom 23. November 2018 werden mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass insgesamt jeweils drei Monate der verhängten Freiheitsstrafen als vollstreckt gelten.

Die Beschwerdeführer haben die Kosten ihrer Rechtsmittel zu tragen.

Gründe

1

Das [X.] hat die Angeklagten wegen unerlaubten Betreibens von Bankgeschäften nach § 54 Abs. 1 Nr. 2, § 32 Abs. 1 Satz 1 des Kreditwesengesetzes (KWG) verurteilt, den Angeklagten [X.]zu einer Freiheitsstrafe von elf Monaten, den Angeklagten [X.]zu einer solchen von einem Jahr. Die Vollstreckung der Freiheitsstrafen hat es zur Bewährung ausgesetzt, ferner [X.] getroffen und ausgesprochen, dass jeweils zwei Monate der Freiheitsstrafen wegen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung als bereits vollstreckt gelten. Die hiergegen gerichteten Revisionen der Angeklagten führen lediglich zu einer Ergänzung der Kompensationsentscheidung für einen weiteren Konventionsverstoß gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 1 [X.]; im Übrigen sind die Rechtsmittel unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

2

1. Die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigungen hat aus den Gründen der Zuschriften des [X.] weder im Schuld- noch im Strafausspruch einen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben. Insbesondere tragen die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen die Verurteilung wegen unerlaubten Betreibens von Bankgeschäften zwischen September 2010 und Ende Mai 2011 nach § 54 Abs. 1 Nr. 2, § 32 Abs. 1 Satz 1 KWG (vgl. auch Senat, Urteil vom 18. Juli 2018 - 2 StR 416/16, NJW 2018, 3467). Der Erörterung bedarf - im Hinblick auf die Revision des Angeklagten [X.] und den gegen ihn ergangenen [X.] des [X.] vom 14. Juli 2014, mit dem ihm wegen „Werbung für die Entgegennahme von [X.] ohne Bewilligung“ per [X.] und mittels Broschüren im [X.]raum vom 19. Dezember 2010 bis zum 25. September 2011 gemäß Art. 49 Abs. 1 lit. c des [X.]ischen Bundesgesetzes über die Banken und Sparkassen ([X.]isches Bankengesetz) eine Geldbuße auferlegt worden war - lediglich Folgendes:

3

Ein aus Art. 54 [X.] abzuleitendes Verfahrenshindernis ("ne bis in idem") besteht nicht. Es liegt keine Tatidentität im Sinne dieser Vorschrift vor. Auch unter Berücksichtigung der vom Senat mit Beschluss vom 15. Juli 2020 nach dem [X.] vom 7. Juni 1968 betreffend Auskünfte über ausländisches Recht und seines Zusatzprotokolls vom 15. März 1978 erbetenen Auskunft der [X.] Behörden vom 23. November 2020 zur dortigen Rechtslage steht der Verurteilung des Angeklagten [X.]das Verbot der Doppelbestrafung nicht entgegen.

4

a) Nach der für die nationalen Gerichte verbindlichen Auslegung des Art. 54 [X.] durch den [X.] gilt im Rahmen dieser Vorschrift ein im Verhältnis zu den nationalen Rechtsordnungen eigenständiger, autonom nach unionsrechtlichen Maßstäben auszulegender Tatbegriff. [X.] Kriterium für die Anwendung des Art. 54 [X.] ist danach die Identität der materiellen Tat, verstanden als das Vorhandensein eines Komplexes konkreter, in zeitlicher und räumlicher Hinsicht sowie nach ihrem Zweck unlösbar miteinander verbundener Tatsachen (vgl. [X.], Urteile vom 9. März 2006 - [X.]/04, [X.], 1781, 1782 - [X.]; vom 18. Juli 2007 - [X.]/05, NJW 2007, 3412, 3413 Rn. 34 - [X.]; vom 18. Juli 2007 - [X.], [X.], 164, 166 - [X.]; vgl. auch [X.], Urteil vom 12. Dezember 2013 - 3 StR 531/12, [X.]St 59, 120, 125 f.; Beschluss vom 4. Juni 2019 - 5 [X.]/19 NStZ-RR 2019, 259, 260; [X.]/[X.], 6. Aufl., Art. 54 [X.], Rn. 74; [X.]/[X.], 4. Aufl., Art. 54 [X.] Rn. 32 jeweils mwN). Auf materiell-rechtliche Bewertungen in einem Vertragsstaat, etwa dahin, ob die verschiedenen begangenen Delikte nach [X.] Recht sachlich-rechtlich im Verhältnis von Tateinheit oder Tatmehrheit stehen, kommt es nicht an (vgl. [X.], Urteil vom 9. März 2006 - [X.]/04, [X.], 1781, 1782 - [X.]; [X.], Urteil vom 12. Dezember 2013, aaO; Beschluss vom 24. Oktober 2019 - 1 StR 393/19, [X.], 612). Ob im konkreten Fall nach diesen Kriterien eine einheitliche Tat anzunehmen ist, obliegt der Beurteilung des zuständigen nationalen Gerichts (vgl. [X.], Urteile vom 9. März 2006 - [X.], aaO; vom 18. Juli 2007 - [X.], aaO Rn. 37; vom 18. Juli 2007 [X.], aaO; [X.], Urteil vom 12. Dezember 2013, aaO).

5

b) Hiervon ausgehend betrifft der [X.] des [X.] vom 4. Juli 2014 nicht „dieselbe Tat“ im Sinne des Art. 54 [X.], wie sie dem hiesigen Strafverfahren zugrunde liegt.

6

aa) Zwar beziehen sich beide Verfahren jeweils auf ein Handeln des Angeklagten [X.] im annähernd gleichen [X.]raum; involviert war jeweils die formell in [X.] geschäftsansässige [X.], deren Verwaltungsratspräsident der Angeklagte [X.]im Tatzeitraum war. Auch waren die - in [X.] geahndete - Werbung und der hier gegenständliche Ankauf von Versicherungen mit einem unbedingten Rückzahlungsversprechen in [X.] in ein unternehmerisches Gesamtgeschehen eingebettet, die Werbung mithin auf den Vertrieb des beworbenen Kapitalanlegeprodukts ausgerichtet; interessierte Kunden konnten Informationen hierüber auch auf der [X.]seite der [X.] beziehen.

7

bb) Auf der Grundlage der dem inländischen Urteil und der [X.] Sanktion zugrundeliegenden [X.] handelt es sich aber nicht um denselben Komplex unlösbar miteinander verbundener Tatsachen. Allein aus dem Umstand, dass die Taten auf [X.] verbunden sind (hier: durch den auf Einnahmenerzielung gerichteten einheitlichen Vorsatz), lässt sich die erforderliche Identität der materiellen Taten im Sinne von Art. 54 [X.] nicht ableiten (vgl. [X.], Urteil vom 18. Juli 2007 - [X.], [X.], 164, 165 Rn. 29 f. - [X.]; [X.], Urteil vom 12. Dezember 2013 - 3 StR 531/12, [X.]St 59, 120 Rn. 16; Beschluss vom 4. Juni 2019 - 5 [X.]/19, NStZ-RR 2019, 259, 260). Eine unlösbare objektive Verbindung der zu beurteilenden Handlungen hat das [X.] zutreffend verneint. Während die mit [X.] vom 4. Juli 2014 sanktionierte Handlung maßgeblich an den (wenngleich nur formellen) Sitz der [X.] in [X.] anknüpft, gründet sich das vorliegende Strafverfahren auf ein in [X.] tatsächlich durchgeführtes Geschäft, das nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des [X.]s entsprechend dem gemeinsamen [X.] „durchgängig und entscheidend“ für die [X.]von der in [X.] ansässigen v.    GmbH erbracht wurde. Diese war für die Kundengewinnung, den Vertrieb des Finanzprodukts, den Ankauf der Lebensversicherungen und die administrative Abwicklung des Geschäfts die „zentrale Schaltstelle“. Die Information der Kunden erfolgte über Makler, die jedenfalls überwiegend nicht mit der [X.], sondern mit der v.    GmbH vertraglich verbunden waren und die zur Kundenakquise umfangreiche und im Laufe der [X.] modifizierte Prospekte verwendeten. Der Ankauf von Versicherungen in [X.] setzte demnach auch keine hierauf gerichtete Werbung der [X.]per [X.] oder Broschüren voraus, sondern war maßgeblich - und insoweit auch das hier zur Aburteilung gelangte Geschehen prägend - auf die in [X.] von den Angeklagten mit der v.    GmbH aufgebauten Organisationsstrukturen und Vertriebswege zurückzuführen. Der Angeklagte [X.] konnte sich deshalb ungeachtet unterschiedlicher rechtlicher Maßstäbe in den einzelnen [X.] hier nicht darauf verlassen, nach der Sanktionierung wegen der Werbung nicht - unter einem anderen rechtlichen Aspekt - [X.] wegen der Durchführung des beworbenen Bankgeschäfts strafrechtlich verfolgt zu werden.

8

2. Das Urteil ist allerdings um eine weitere Kompensation für einen Konventionsverstoß im Revisionsverfahren zu ergänzen. Zwar ist ein Teil der Dauer des Revisionsverfahrens wegen der bereits genannten Anfrage bei den [X.] Behörden aus sachlichen Gründen gerechtfertigt. Der Senat stellt aber mit Blick auf das Gebot zügiger Verfahrenserledigung (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 [X.]) und um jegliche Beschwer für die Angeklagten auszuschließen in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1a StPO (vgl. Senat, Beschluss vom 3. November 2011 − 2 [X.], [X.], 1463, 1464; [X.], Beschluss vom 10. Dezember 2019 - 5 StR 578/19 Rn. 9 jeweils mwN) fest, dass von den verhängten Freiheitsstrafen jeweils ein weiterer Monat, insgesamt also drei Monate, als Entschädigung für die rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung als vollstreckt gelten. Eine noch weitergehende Kompensation wäre nicht angemessen.

Franke     

        

Krehl     

        

Meyberg

        

Grube     

        

Schmidt     

        

Meta

2 StR 302/19

02.02.2021

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Frankfurt, 23. November 2018, Az: 5/29 KLs 4/16

Art 54 SchÜbkDÜbk, § 32 Abs 1 S 1 KredWG, § 54 Abs 1 Nr 2 KredWG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 02.02.2021, Az. 2 StR 302/19 (REWIS RS 2021, 9008)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 9008

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

1 StR 39/17 (Bundesgerichtshof)

Strafverfahren: Verfahrenshindernis des Strafklageverbrauchs bei Verurteilung wegen derselben Tat; Strafvollstreckung bei zur Bewährung ausgesetzter Freiheitsstrafe


1 StR 393/19 (Bundesgerichtshof)

Strafklageverbrauch beim Einschleusen von Ausländern in Deutschland und einer bereits erfolgten Verurteilung in Bulgarien


1 StR 39/17 (Bundesgerichtshof)


3 StR 531/12 (Bundesgerichtshof)

Verbot der Doppelbestrafung nach Gemeinschaftsrecht: Begriff "derselben Tat"


6 AuslA 77/09 (Oberlandesgericht Köln)


Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.