Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 23.06.2008, Az. GSZ 1/08

Großer Senat für Zivilsachen | REWIS RS 2008, 3249

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[X.] [X.]08 vom 23. Juni 2008 in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja [X.]: ja [X.]R: ja ZPO § 531 Abs. 2 Die erstmals im [X.] erhobene [X.] ist unab-hängig von den Voraussetzungen des § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 3 ZPO zuzulassen, wenn die Erhebung der [X.] und die den Verjäh-rungseintritt begründenden tatsächlichen Umstände zwischen den [X.] unstreitig sind.
[X.], Beschluss vom 23. Juni 2008 - [X.]/08 - [X.]

LG Dresden - 2 - [X.] für Zivilsachen des [X.] hat durch den Präsidenten des [X.] Prof. Dr. [X.], die Vizepräsi-dentin des [X.] Dr. [X.], [X.] am [X.] [X.], die Vorsitzende Richterin am [X.], [X.] am [X.] Schlick, Prof. Dr. [X.], Prof. Dr. [X.], [X.], Prof. [X.] und [X.], sowie [X.] am [X.] [X.], Prof. Dr. [X.] und [X.] am 23. Juni 2008 beschlossen:
Die erstmals im [X.] erhobene [X.] ist unabhängig von den Voraussetzungen des § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 3 ZPO zuzulassen, wenn die Erhebung der [X.] und die den [X.] begründenden tatsächlichen Umstände zwischen den Prozessparteien unstreitig sind. - 3 - Gründe: [X.] Die Klägerin begehrt vom Beklagten Zahlung aus einer selbst-schuldnerischen Bürgschaft. 1 Die Klägerin gewährte der Hauptschuldnerin einen Kredit, für den der Beklagte eine Höchstbetragsbürgschaft übernahm. Nach der [X.] forderte die Klägerin vom Beklagten Zahlung in Höhe des [X.]. Da der Beklagte dieser Aufforderung nicht nachkam, erhob sie schließlich Klage. Nach Klageerhebung lief die Ver-jährungsfrist hinsichtlich der Hauptforderung ab. 2 3 Das [X.] hat den Beklagten antragsgemäß verurteilt. [X.] Berufung, mit der er erstmals auch die Verjährung der Hauptforderung geltend gemacht hat, hat das [X.] zurückgewiesen. Dabei hat es u.a. ausgeführt, die Hauptforderung sei zwar verjährt, die [X.] sei jedoch als neues Verteidigungsmittel des Beklagten nach § 531 Abs. 2 ZPO nicht zu berücksichtigen. Mit der - vom Berufungsgericht zugelassenen - Revision verfolgt der Beklagte sein Klageabweisungsbegehren weiter. 4 II. Der [X.]. Zivilsenat möchte die vom Beklagten erstmals in der Beru-fungsinstanz erhobene [X.] unabhängig von den [X.] des § 531 Abs. 2 ZPO berücksichtigen. Das würde der [X.] zum Erfolg verhelfen und zur Abweisung der Klage führen. Er sieht sich hieran durch ein Urteil des [X.] gehindert, nach dem die erstmals im [X.] erhobene [X.] auch bei unstreitiger Tatsachengrundlage nur zuzulassen ist, wenn einer der - hier nicht gegebenen - Ausnahmetatbestände des § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 3 ZPO vorliegt ([X.], Urteil vom 21. Dezember 2005 - [X.], [X.], 401, 404, [X.]. 26 f.). 6 Da nach der Rechtsauffassung des [X.] die Revision des Beklagten zurückgewiesen werden müsste und der [X.] mitgeteilt hat, an seiner Rechtsauffassung festhalten zu wollen, hat der [X.]. Zivilsenat die Sache dem [X.] für Zivilsachen gemäß § 132 Abs. 2 [X.] zur Entscheidung folgender Rechtsfrage vorgelegt: 7 Ist die erstmals im [X.] erhobene [X.] auch dann nur unter den Vorausset-zungen des § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 3 ZPO [X.], wenn die Erhebung der [X.] und die den [X.] begründenden tatsächlichen Umstände zwischen den Prozessparteien unstreitig sind? [X.] Die Vorlage des [X.]. Zivilsenats ist gemäß § 132 Abs. 2 [X.] zuläs-sig. 8 - 5 - II. [X.] verneint die Vorlagefrage des [X.]. Zivilsenats. § 531 Abs. 2 ZPO ist auf die erstmals in zweiter Instanz erhobene [X.] nicht anzuwenden, wenn zwischen den [X.]en sowohl die Erhebung der Einrede als auch die sie begründenden tatsächlichen Um-stände unstreitig sind. 9 1. Nach gefestigter Rechtsprechung des [X.] sind unstreitige Tatsachen, die erstmals in der Berufungsinstanz vorgetragen werden, unabhängig von den Zulassungsvoraussetzungen des § 531 ZPO zu berücksichtigen. Aus der den Zweck des Zivilprozesses und der Präklusionsvorschriften berücksichtigenden Auslegung der § 529 Abs. 1 Nr. 2, § 531 ZPO ergibt sich, dass unter —neue Angriffs- und [X.] im Sinne des § 531 ZPO lediglich streitiges und damit [X.] Vorbringen fällt. Nicht beweisbedürftiges Vorbringen hat das Berufungsgericht gemäß § 529 Abs. 1 ZPO seiner Entscheidung ohne weiteres zugrunde zu legen ([X.] 161, 138, 141 ff.; 166, 29, 31, [X.]. 6; [X.], Urteile vom 6. Dezember 2004 - [X.], [X.], 295, 296, vom 13. Juli 2005 - [X.], [X.], 1555, 1557, vom 19. Oktober 2005 - [X.], [X.], 298, 299, [X.]. 19, vom 2. Juli 2007 - [X.], [X.], 1932, 1938, [X.]. 63 und Beschluss vom 21. Februar 2006 - [X.], [X.], 1115, [X.]. 5). Die in der Lite-ratur daran geübte Kritik (vgl. [X.] ZZP 120 (2007), 219 ff.) gibt zu einer abweichenden Beurteilung keinen Anlass. Dabei kann hier offen bleiben, ob das neue unstreitige Vorbringen auch dann zuzulassen ist, wenn infolge seiner Berücksichtigung eine bis dahin nicht notwendige Be-weisaufnahme erforderlich wird (so [X.] 161, 138, 144). 10 - 6 - 2. Danach ist auch unstreitiger Tatsachenvortrag zu berücksichti-gen, der der erstmals in der Berufung erhobenen Einrede der Verjährung zugrunde liegt. Für die unstreitige Einrede selbst gilt nichts anderes (so auch: [X.] 166, 29, 31, [X.]. 6; [X.], Urteil vom 19. Oktober 2005 - [X.], [X.], 298, 299, [X.]. 19; [X.] OLGR 2006, 141 f.; [X.] OLGR 2006, 526, 528; [X.], Urteil vom 23. Februar 2006 - 28 U 217/04, juris [X.]. 41 ff.; OLG Stuttgart BKR 2006, 280, 285; [X.] NJW-RR 2006, 1530, 1531; [X.], Urteil vom [X.] 2006 - 17 U 103/04, juris [X.]. 38 ff.; [X.], Urteil vom 21. Dezember 2006 - 5 [X.]/06 S. 15; [X.]/[X.]/[X.]/ [X.], ZPO 6. Aufl. § 531 [X.]. 13; [X.]/Rimmelspacher, 3. Aufl. § 531 [X.]. 28; [X.]/[X.], [X.] Aufl. § 214 [X.]. 3; [X.], ZPO 7. Aufl. § 531 [X.]. 10, 13 Nr. 3; [X.]/[X.], [X.]. [X.]. 476; Meller-[X.] [X.], 3385, 3386 ff.; [X.] 2006, 1024, 1026 f.; [X.], 705, 707). 11 12 Die dagegen vorgebrachten Bedenken rechtfertigen keine andere Beurteilung. a) Von einem Teil der Rechtsprechung und Literatur wird die [X.] vertreten, es sei zu unterscheiden zwischen den Fällen, in denen der Tatsachenvortrag ohne besondere Geltendmachung entscheidungser-heblich sei, und den Fällen, in denen - wie bei der Einrede der Verjäh-rung - der Vortrag erst Bedeutung erlange, wenn ein Leistungsverwei-gerungsrecht wahrgenommen werde; in letzteren Fällen sei bereits die Einrede als neues Verteidigungsmittel zurückzuweisen, so dass sich das Gericht mit den das Leistungsverweigerungsrecht begründenden Tatsa-chen erst befassen müsse, wenn die Einrede nicht zurückgewiesen werde ([X.], Urteil vom 21. Dezember 2005 - [X.], [X.], 401, 13 - 7 - 404, [X.]. 26 f.; [X.], Urteil vom 4. Juli 2007 - 5 U 106/06, juris [X.]. 27; [X.], Urteil vom 12. September 2007 - 7 U 169/06, juris [X.]. 23; vgl. auch [X.]/[X.], 5. Aufl. § 214 [X.]. 4; [X.]/Schmidt-Räntsch, [X.]. § 214 [X.]. 3; [X.] 2005, 726 ff.). Dem kann nicht gefolgt werden: [X.]) Der Umstand, dass ein Tatsachenvortrag erst aufgrund einer Einrede materiell-rechtliche Wirkung entfaltet, gibt keinen Anlass, ihn in der Berufungsinstanz anders zu behandeln als sonstigen, etwa materiell-rechtliche Einwendungen stützenden Tatsachenvortrag. Der den Wortlaut der Norm einschränkenden Auslegung des § 531 ZPO liegt im [X.] die Erwägung zugrunde, dass das geltende Präklusionsrecht keine Entscheidung in der Berufungsinstanz verhindern will, die auf unstreitiger Tatsachengrundlage ergehen müsste ([X.] 161, 138, 142). Diese Erwä-gung gilt auch dann, wenn neuer Vortrag mit einer Einrede verbunden und unstreitig ist. 14 15 bb) Eine Unterscheidung zwischen Einwendungen und Einreden im materiellen Sinne ist dem Prozessrecht zudem fremd (vgl. auch §§ 282, 146 ZPO). Sowohl der Einwendung als auch der Einrede liegt ein Sach-verhalt zugrunde. Für § 529 ff. ZPO geht es vorrangig um dessen Berück-sichtigung. Insoweit ist eine Differenzierung nicht geboten. Es ist zwar richtig, dass Einreden erst dann Bedeutung erlangen, wenn sie erhoben werden. Das gilt prozessual gleichermaßen jedoch auch für [X.], die von Amts wegen zu berücksichtigen sind. Auch diese erlangen im Prozess grundsätzlich erst dann Bedeutung, wenn sie von einer [X.] vorgetragen, d.h. in den Rechtsstreit eingeführt werden. So setzt etwa die Berücksichtigung der materiell-rechtlichen Einwendung eines Rücktritts Vortrag sowohl zu den Rücktrittsvoraussetzungen als auch zur Rücktritts-erklärung voraus. Dass das Gericht Einwendungen —von Amts [X.] zu - 8 - beachten hat, bedeutet nicht die Aufhebung des Beibringungsgrundsatzes und Geltung der Amtsermittlung, sondern nur, dass ihre materiell-rechtliche Wirkung ohne zusätzliche materiell-rechtliche Rechtsausübung seitens des Schuldners eintritt (vgl. [X.]/[X.], Allgemeiner Teil des bürgerlichen Rechts 9. Aufl. § 18 [X.]. 47; Meller-[X.] JZ 2005, 656, 659 und [X.], 3385, 3387; [X.] 2006, 1024, 1026). Die erstmalige Berufung auf eine materiell-rechtliche Einwendung in zweiter Instanz kann, wie die Erhebung einer Einrede, dazu führen, dass bis dahin unerheblicher Sachvortrag entscheidungserheblich wird. Übt [X.] eine [X.] in zweiter Instanz ein ihr zustehendes Rücktrittsrecht aus, verändert sie wie bei der Erhebung der Einrede der Verjährung durch die willentliche Ausübung eines Rechts, das sie erstinstanzlich nicht genutzt hat, nachträglich die Entscheidungsbasis und den Prüfungsumfang des Gerichts. 16 Andererseits können im Prozess auch materiell-rechtliche Einreden Wirkung entfalten, ohne dass sie vom Schuldner eingebracht worden sein müssen. Die Einrede der Verjährung etwa ist bei der [X.] im [X.] auch dann zu beachten, wenn der Kläger ihre außerprozessuale Erhebung durch den Beklagten vorträgt (vgl. [X.], Urteil vom 22. April 1999 - [X.], [X.], 1532, 1535; OLG Düsseldorf NJW 1991, 2089, 2090; Musielak/[X.], ZPO 5. Aufl. § 331 [X.]. 7 m.w.Nachw.; [X.], in: [X.]/[X.], ZPO 28. Aufl. § 331 [X.]. 5; [X.]/Schmidt-Räntsch, [X.]. § 214 [X.]. 3; [X.]/[X.] [X.]O § 17 [X.]. 67 f.). b) Ferner wird der Berücksichtigung der auf der Grundlage unstrei-tigen Sachverhalts erstmals in der Berufungsinstanz erhobenen Einrede der Verjährung entgegengehalten, das Urteil erster Instanz sei richtig ge-wesen, und es sei kein Verstoß gegen die materielle Gerechtigkeit, wenn 17 - 9 - es Bestand habe ([X.] MDR 2006, 695; [X.] 2005, 726, 727); vor dem Hintergrund des Gebots, im Einklang mit der materiellen Gerechtigkeit zu entscheiden, seien problematische Prozessergebnisse umso eher hinzunehmen, wenn die durch die Präklusion benachteiligte [X.] ihre Rechte letztendlich durch die Inanspruchnahme von Sekundär-rechtsschutz, insbesondere im Wege des [X.], wahren könne (OLG S[X.]rbrücken OLGR 2007, 592). Diese wertenden Gesichtspunkte sind nicht maßgebend. [X.] ist allein der Umstand, dass die Berufung nach geltendem [X.] die Möglichkeit eröffnet, auf einer unstreitigen Grundlage eine [X.] Entscheidung zu finden. Ebenso wie eine gerichtsbekannte Tatsache gehört unstreitiger Tatsachenvortrag zu dem Prozessstoff, den das [X.] seiner Entscheidung zugrunde zu legen hat, ohne an entge-genstehende erstinstanzliche Feststellungen gebunden zu sein ([X.] 161, 138, 142). 18 19 cc) Auch aus § 533 ZPO lässt sich entgegen der Auffassung des [X.] des [X.] (Urteil vom 21. Dezember 2005 - [X.], [X.]O) kein Argument gegen die Zulassung einer erstmals zweitinstanzlich erhobenen [X.] herleiten. Bei dieser Norm handelt es sich um eine spezielle Präklusionsvorschrift, die durch beson-dere Zulassungsvoraussetzungen verhindern soll, dass der Streitstoff auf dem Wege der Klageänderung, Aufrechnung oder Widerklage erweitert wird (vgl. [X.], in: [X.]/[X.], [X.] 2002 § 533 [X.]. 1; [X.]/[X.], in: [X.], ZPO 26. Aufl. § 533 [X.]. 1). Aus die-ser Spezialregelung folgt nicht, dass der Gesetzgeber generell [X.] Vorbringen in zweiter Instanz nur unter solchen besonderen- 10 - Voraussetzungen zulassen wollte (vgl. Meller-[X.] [X.], 3386, 3387; [X.] 2006, 1024, 1026 f.). [X.] [X.] Melullis

Hahne Schlick [X.]
[X.] [X.] Bornkamm
Ganter Schlichting [X.] [X.]: [X.], Entscheidung vom 14.07.2005 - 6 O 5142/04 [X.], Entscheidung vom 07.04.2006 - 12 U 1605/05

Meta

GSZ 1/08

23.06.2008

Bundesgerichtshof Großer Senat für Zivilsachen

Sachgebiet: False

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 23.06.2008, Az. GSZ 1/08 (REWIS RS 2008, 3249)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2008, 3249

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