Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 26.01.2017, Az. 1 StR 646/16

1. Strafsenat | REWIS RS 2017, 16575

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[X.]:[X.]:[X.]:2017:260117B1STR646.16.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 646/16

vom
26. Januar 2017
in der Strafsache
gegen

wegen
versuchter schwerer räuberischer Erpressung

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2
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Der 1. Strafsenat des [X.] hat
auf Antrag des [X.] und nach Anhörung des Beschwerdeführers
am 26. Januar 2017
ge-mäß §
349 Abs.
2 und 4 StPO beschlossen:

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 15. Juni 2016, soweit es ihn betrifft, im Rechtsfolgenausspruch mit den dazugehörigen Feststellun-gen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmit-tels, an eine andere Jugendkammer des [X.]s zurück-verwiesen.
3. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird als unbe-gründet verworfen.

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen versuchter schwerer [X.] Erpressung zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt und davon abgesehen, die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt als Maßregel anzuordnen.
Hiergegen richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision des [X.]. Sein Rechtsmittel hat den aus der [X.] ersichtlichen Erfolg (§
349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist es aus den Gründen der Antrags-schrift
des
[X.]s
vom 15. Dezember 2016 unbegründet im Sinne von
§
349 Abs. 2 StPO.
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3
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Die Nichtanordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt ge-mäß §
64 StGB hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Dies führt zur Aufhe-bung des gesamten Rechtsfolgenausspruchs.
1. Der vom [X.] beauftragte Sachverständige hat bei
dem Ange-klagten

auch [X.]

ein Abhängigkeitssyndrom von synthetischen
Cannabinoiden sowie ein missbräuchliches [X.]verhalten an der Grenze zur Abhängigkeit von Cannabis diagnostiziert ([X.], 85). Insbesondere ha-be der Angeklagte trotz Wissens um die negativen Auswirkungen dieses Be-täubungsmittelkonsums auf seine psychische Verfassung den [X.] fortge-setzt und ein körperliches Entzugssymptom bei Beendigung des [X.]s ent-wickelt. Bei ihm sei eine verminderte Kontrollfähigkeit bezüglich des Beginns, der Beendigung und der Menge des [X.]s festzustellen. Anfang Dezember 2015 sei es nach dem [X.] einer Kräutermischung auch zur Bewusstlosig-keit des
Angeklagten gekommen, was zu einer stationären Behandlung geführt habe ([X.]). Im Ergebnis spreche dies

gerade unter Berücksichtigung dieses letzten Vorfalls

dafür, dass bei
dem Angeklagten bereits eine tief ver-wurzelte innere Disposition vorliege, synthetische Cannabinoide im Übermaß zu konsumieren ([X.]).
Gleichwohl geht das [X.] im Rahmen der Prüfung der Voraus-setzungen einer Unterbringung nach §
64 StGB davon aus, dass bei dem [X.]). Dies wird damit begründet, dass sich bei
dem Angeklagten erhebliche psychosoziale Leis-tungseinbußen infolge des [X.]s synthetischer Drogen nicht feststellen lie-ßen
und es auch am Arbeitsplatz weder zu Fehlzeiten noch zu irgendwelchen Beanstandungen seiner Leistungen gekommen sei. Auch im [X.] Bereich seien im maßgeblichen Zeitraum keine Defizite erkennbar gewesen ([X.]).
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4
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4
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2. Diese Ausführungen lassen besorgen, dass das [X.]

wie der [X.] zutreffend ausgeführt hat

rechtsfehlerhaft von einem zu engen Verständnis eines Hanges im Sinne des §
64 StGB ausgegangen
ist. Sie enthalten keine umfassende und widerspruchsfreie Gesamtabwägung aller Umstände des Einzelfalls bei der Entscheidung über die Maßregel.
a) Für einen
Hang
ist nach ständiger Rechtsprechung des [X.] eine eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene Neigung
ausreichend, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren, wobei diese Neigung
noch nicht den Grad einer physischen Ab-hängigkeit
erreicht haben muss. Ein übermäßiger Genuss von Rauschmitteln im Sinne des
§
64
StGB
ist jedenfalls dann gegeben, wenn der Betreffende auf Grund seiner psychischen Abhängigkeit sozial gefährdet oder gefährlich [X.] (vgl.
[X.], Beschluss
vom 14.
Oktober 2015

1 StR 415/15;
Urteile
vom 10.
November 2004

2 [X.], NStZ 2005,
210 und
vom 15. Mai 2014

3 [X.], [X.], 271). Insoweit kann dem Umstand, dass durch den [X.] bereits die Gesundheit,
Arbeits-
und Leistungs-fähigkeit
des Betreffenden erheblich beeinträchtigt ist, zwar indizielle Bedeu-tung für das Vorliegen eines Hanges zukommen (vgl.
[X.],
Beschlüsse
vom 1.
April 2008

4 StR 56/08, [X.], 198
und
vom 14. Dezember 2005

1 [X.], NStZ-RR 2006,
103). Wenngleich solche Beeinträchtigungen in der Regel mit übermäßigem [X.] einhergehen werden, schließt deren Fehlen jedoch nicht notwendigerweise die Annahme eines Han-ges aus ([X.], Beschlüsse
vom 1. April 2008

4 StR 56/08, [X.], 198 und
vom 2. April 2015

3 [X.]).

b) Diesem Maßstab
genügen die Ausführungen des [X.]s nicht. Auch wenn das [X.] noch zutreffend davon ausgegangen ist, dass die Feststellung eines Hanges nach §
64 StGB das Kriterium des [X.] 6
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nicht voraussetzt ([X.]), hätte es sich im Folgenden nicht einseitig damit begnügen dürfen, die Arbeits-
und Leistungsfähigkeit des Angeklagten zu [X.]. Vielmehr wäre eine nähere Auseinandersetzung mit der vom Sachver-ständigen diagnostizierten Abhängigkeitserkrankung des Angeklagten [X.] gewesen. Dies umso mehr als sich durch den festgestellten Vorfall Anfang Dezember 2015

und damit wenige Wochen vor der verfahrensgegenständli-chen Tat

mit einem stationären Krankenhausaufenthalt nach dem [X.] einer Kräutermischung und der eingetretenen
Bewusstlosigkeit durchaus [X.] dafür ergeben haben, dass der [X.] synthetischer Cannabinoi-de bereits erhebliche negative Auswirkungen auf die Lebensgestaltung des [X.] hat.
3. Den bisher getroffenen Feststellungen ist auch nicht zu entnehmen, dass die übrigen Voraussetzungen für die Anordnung der Maßregel nicht [X.].
a) Dies gilt insbesondere für den für eine Unterbringung
nach § 64 StGB
erforderlichen symptomatischen Zusammenhang zwischen Hang und Taten. Dieser ist anzunehmen, wenn der Hang allein oder zusammen mit anderen Umständen dazu beigetragen hat, dass der Täter eine erhebliche rechtswidrige Tat begangen hat und dies bei unverändertem Verhalten auch für die Zukunft zu erwarten ist ([X.], Beschlüsse vom 25. November 2015

1 StR 379/15, [X.], 113;
vom 6. November 2013

5 StR 432/13 und vom 25. Mai 2011

4 StR 27/11, [X.], 309), mithin die konkrete Tat in dem Hang ihre Wurzel findet (vgl. [X.], Beschluss vom 28. August 2013

4 [X.], [X.], 75). Dieser Zusammenhang liegt bei Delikten, die begangen werden, um Rauschmittel selbst oder Geld für ihre Beschaffung zu erlangen, nahe ([X.], Urteil vom 18.
Februar 1997

1
StR
693/96, [X.]R StGB § 64 Abs. 1 Rausch 1; Beschluss vom 28. August 2013

4 [X.], NStZ-RR 9
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6
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2014, 75). Das [X.] hat eine Mitursächlichkeit der Abhängigkeit des [X.] für die
verfahrensgegenständliche Tat selbst nicht ausgeschlossen ([X.])
und ist bei
dem-i-ter hat es
die Feststellung
getroffen, dass die Tat auf Grund von [X.] begangen wurde (UA S. 67).
b) Einer Anordnung der Unterbringung steht auch nicht entgegen, dass der Angeklagte

wie vom [X.] im Rahmen der Strafzumessung erör-tert

von der Möglichkeit einer Zurückstellung nach §
35 BtMG Gebrauch ma-chen kann und das [X.] bereits
in Aussicht gestellt hat, einem solchen Antrag stattzugeben ([X.]). Das begegnet schon deswegen Bedenken, da dies die Annahme einer Betäubungsmittelabhängigkeit voraussetzt und lässt besorgen, dass das [X.] verkannt
hat, dass
die Unterbringung nach §
64 StGB der Zurückstellung der Strafvollstreckung vorgeht
(st. Rspr.; vgl. et-wa [X.], Beschlüsse
vom 5. April 2016

3 [X.], [X.], 209 und
vom 11. Juli 2013

3 StR 193/13

Wahl

des Angeklagten besteht insoweit nicht.
4. Wegen des durch §
5 Abs. 3 [X.] vorgegebenen sachlichen Zusam-menhangs zwischen Strafe und Unterbringung (vgl. [X.], Beschlüsse vom 17.
Dezember 2013

2 [X.] für §
64 StGB; vom 19. Dezember 2012

4 [X.], [X.]R [X.] §
5 Abs. 3 Absehen 3
und vom 18. Januar 1993

5 [X.], [X.]R [X.] §
5 Abs. 3 Absehen 1, jeweils für §
63 StGB) ist auch der Strafausspruch aufzuheben. Der [X.] kann nicht ausschließen, dass das [X.] bei Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt in Anwendung von §
5 Abs. 3 [X.] davon abgesehen hätte, eine Jugendstrafe zu verhängen (vgl. [X.], Beschluss vom 17. Dezember 2013

2 [X.] mwN).
Die zum Rechtsfolgenausspruch getroffenen Feststel-11
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7
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lungen werden mit aufgehoben, um dem neuen Tatrichter widerspruchsfreie eigene Feststellungen zu ermöglichen.
5. Dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, hindert eine
Nachho-lung der Unterbringungsanordnung nicht (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO; [X.], [X.] vom 25. November 2015

1 StR 379/15, [X.], 113; Urteil vom 10. April 1990

1 StR 9/90, [X.]St 37, 5, 9). Er hat die Nichtanwendung des §
64 StGB durch das Tatgericht auch nicht vom Rechtsmittelangriff ausge-nommen (vgl. [X.], Urteil vom 7. Oktober 1992

2 StR 374/92, [X.]St 38, 362).
Raum

Graf Cirener

Radtke Bär
13

Meta

1 StR 646/16

26.01.2017

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 26.01.2017, Az. 1 StR 646/16 (REWIS RS 2017, 16575)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 16575

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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(Unterbringung in einer Entziehungsanstalt: Begriff des Hangs)


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