Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 19.09.2014, Az. 7 B 6/14

7. Senat | REWIS RS 2014, 2772

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Gegenstand

Planfeststellung für Bau und Betrieb eines Hochwasserrückhalteraums; ökologische Flutung


Leitsatz

Ökologische Flutungen können Vermeidungsmaßnahmen im Sinne des § 15 Abs. 1 BNatSchG (juris: BNatSchG 2009) gegenüber Beeinträchtigungen von Natur und Landschaft durch die Hochwasserrückhaltung und gleichzeitig Ersatzmaßnahmen im Sinne des § 15 Abs. 2 BNatSchG für die durch sie selbst bewirkten Eingriffe sein.

Gründe

I.

1

Die Klägerin wendet sich gegen den Planfeststellungsbeschluss des [X.] vom 20. Dezember 2007 für den [X.]au und [X.]etrieb des [X.]s Elzmündung.

2

Der [X.] Elzmündung ist auf [X.] [X.] eine von insgesamt 13 geplanten Hochwasserschutzanlagen des von der [X.] beschlossenen Integrierten Rheinprogramms. Da die relativ seltenen Hochwassereinsätze des [X.]s die Natur und Landschaft erheblich und nachhaltig beeinträchtigen würden, sollen zusätzlich so genannte Ökologische Flutungen durchgeführt werden. Sie sollen die Pflanzen und Tiere sowie die Landschaft an die bei Hochwasserrückhaltung auftretenden Überflutungen adaptieren bzw. die [X.] im [X.] so beeinflussen, dass sich überflutungstolerante Gemeinschaften bilden können.

3

Das Verwaltungsgericht hat festgestellt, dass der Planfeststellungsbeschluss nach Maßgabe der Rechtsauffassung des Gerichts rechtswidrig ist und nicht vollzogen werden darf; im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Der Planfeststellungsbeschluss leide nicht an einem zu seiner Aufhebung führenden Fehler. Er sei aber rechtswidrig und nicht vollziehbar, weil der [X.]eklagte - was die Klägerin gemäß Art. 10a der [X.] geltend machen könne - die Möglichkeit einer erheblichen [X.]eeinträchtigung der [X.]estände der [X.] und der Schmalen Windelschnecke ohne hinreichende Untersuchungen verneint habe. Zudem habe er ein methodisch fehlerhaftes Grundwassermodell zugrunde gelegt und deshalb die möglichen Gefahren der Flutungen für das Trinkwasserschutzgebiet [X.] nicht hinreichend sicher abgeschätzt.

4

Das Oberverwaltungsgericht hat die [X.]erufung der Klägerin zurückgewiesen und zur [X.]egründung ausgeführt: § 31 Wasserhaushaltsgesetz ([X.]) a.[X.]. § 64 Wassergesetz [X.] ([X.]) und §§ 72 bis 78 [X.] stellten eine ausreichende Rechtsgrundlage für den Erlass des Planfeststellungsbeschlusses dar. Das Integrierte Rheinprogramm habe nicht in der Form eines Gesetzes beschlossen werden müssen ([X.] bis 32). Das Vorhaben werde den Anforderungen gerecht, die sich aus der naturschutzrechtlichen Eingriffs- und Ausgleichsregelung nach den §§ 20, 21 Naturschutzgesetz [X.] (NatSchG [X.]W), §§ 18, 19 [X.] ([X.]) 2007 unter [X.]erücksichtigung der Vorgaben der §§ 14, 15 [X.] 2010 ergäben. Die Ökologischen Flutungen hätten eine Doppelfunktion: Sie seien Vermeidungsmaßnahmen gegenüber der Hochwasserrückhaltung und - gleichzeitig - Ersatzmaßnahme für die auch durch sie selbst bewirkten Eingriffe in Natur und Landschaft. Dass der [X.]eklagte sie lediglich als Vermeidungsmaßnahme und nicht als eigenständigen Eingriff und als Ersatzmaßnahme angesehen habe, begründe keine durchgreifenden [X.]edenken gegen die Rechtmäßigkeit des Planfeststellungsbeschlusses, weil der [X.]eklagte sowohl ihre beeinträchtigenden Folgen ermittelt und bewertet als auch eine eingehende Prognose ihrer Wirkungen erarbeitet habe ([X.] f.). Die durch die Hochwasserrückhaltung und die Ökologischen Flutungen bewirkten - in ihrer Intensität sukzessiv abnehmenden - [X.]eeinträchtigungen von Natur und Landschaft würden über die Umwandlung der Natur im [X.] vollständig kompensiert ([X.]). Der Planfeststellungsbeschluss leide auch nicht an einem anderen zu einem weitergehenden Erfolg der Klage führenden Fehler.

5

Der Verwaltungsgerichtshof hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die [X.]eschwerde der Klägerin.

II.

6

Die auf den Zulassungsgrund des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte [X.]eschwerde hat keinen Erfolg. Die Rechtssache hat nicht die mit der [X.]eschwerde geltend gemachte rechtsgrundsätzliche [X.]edeutung.

7

1. Als rechtsgrundsätzlich bedeutsam bezeichnet die Klägerin die Frage:

"Erfordert der aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) und dem Demokratiegebot (Art. 20 Abs. 1 GG) entwickelte Grundsatz, dass der Gesetzgeber in grundlegenden normativen [X.]ereichen alle wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen hat und dies nicht dem Handeln und der Entscheidungsmacht der Exekutive überlassen darf ('Wesentlichkeitstheorie'), dass ein Gesamtvorhaben zur Verbesserung des Hochwasserschutzes, das aus einer Vielzahl von einzelnen z.T. sehr großen Hochwasserrückhalteräumen mit einem Gesamtrückhaltevolumen von mehreren hundert Mio. cbm Wasser entlang einer Flussgebietseinheit besteht, die in mehreren [X.]undesländern realisiert werden sollen, aufgrund seiner weitreichenden Auswirkungen auf Natur und Landschaft (Tiere und Pflanzen, Grundwasser, Umgestaltung weiter [X.]), der [X.]etroffenheit weiter [X.]evölkerungskreise sowie der Auswirkungen auf die kommunale [X.] (Planungshoheit, Trinkwasserversorgung) eine Grundsatzentscheidung in Form eines Parlamentsgesetzes über

- die Notwendigkeit der Gesamtmaßnahme,

- den insgesamt zu überplanenden Raum,

- die Grundkonzeption der Gesamtmaßnahme sowie der sodann umzusetzenden Einzelmaßnahmen und

- die Finanzierung?."

8

Diese Frage bedarf nicht der Klärung in einem Revisionsverfahren. Sie kann auf der Grundlage der bereits vorhandenen Rechtsprechung mit dem Verwaltungsgerichtshof ohne Weiteres verneint werden.

9

Die Grundsätze der so genannten Wesentlichkeitstheorie sind in der Rechtsprechung des [X.] geklärt. Das [X.] hat sie wie folgt zusammengefasst ([X.], Urteil vom 14. Juli 1998 - 1 [X.]vR 1640/97 - [X.]E 98, 218 <251 f.> - Rechtschreibreform):

"Dieser Grundsatz (gemeint ist der Vorbehalt des Gesetzes) verlangt, dass staatliches Handeln in bestimmten grundlegenden [X.]ereichen durch förmliches Gesetz legitimiert wird. Der Gesetzgeber ist verpflichtet, alle wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen, und darf sie nicht anderen [X.] überlassen. Wann es danach einer Regelung durch den parlamentarischen Gesetzgeber bedarf, läßt sich nur im [X.]lick auf den jeweiligen Sachbereich und auf die Eigenart des betroffenen [X.] beurteilen. Die verfassungsrechtlichen Wertungskriterien sind dabei den tragenden Prinzipien des Grundgesetzes, insbesondere den darin verbürgten Grundrechten, zu entnehmen (vgl. [X.]E 40, 237 <248 ff.>; 49, 89 <126 f.>; 95, 267 <307 f.>). Danach bedeutet wesentlich im grundrechtsrelevanten [X.]ereich in der Regel 'wesentlich für die Verwirklichung der Grundrechte' (vgl. [X.]E 47, 46 <79> m.w.N.; 83, 130 <140>). Die Tatsache, dass eine Frage politisch umstritten ist, führt dagegen für sich genommen nicht dazu, dass diese als wesentlich verstanden werden müsste (vgl. [X.]E 49, 89 <126>). Zu berücksichtigen ist im Übrigen auch, dass die in Art. 20 Abs. 2 GG als Grundsatz normierte organisatorische und funktionelle Unterscheidung und Trennung der Gewalten auch darauf zielt, dass staatliche Entscheidungen möglichst richtig, das heißt von den Organen getroffen werden, die dafür nach ihrer Organisation, Zusammensetzung, Funktion und Verfahrensweise über die besten Voraussetzungen verfügen. Dieses Ziel darf nicht durch einen Gewaltenmonismus in Form eines umfassenden Parlamentsvorbehalts unterlaufen werden (vgl. [X.]E 68, 1 <86 f.>)."

Ausgehend hiervon begegnet es keinen [X.]edenken, dass weder der [X.]undes- noch der [X.]gesetzgeber in der Form eines förmlichen Gesetzes über das Gesamtkonzept zur Verbesserung des Hochwasserschutzes am [X.] entschieden haben. Das Gesamtkonzept ist nicht "wesentlich für die Verwirklichung der Grundrechte". Das hat der Verwaltungsgerichtshof für das von der [X.] [X.]regierung beschlossene Integrierte Rheinprogramm zutreffend dargelegt ([X.] bis 32); soweit das Gesamtkonzept darüber hinaus auch Maßnahmen in [X.] und in [X.] umfasst ([X.]), kann unabhängig von [X.] bereits wegen der fehlenden Wesentlichkeit für die Grundrechte nichts anderes gelten. Zu Eingriffen in Grundrechte und auch in die Planungshoheit der Gemeinden können erst die Planfeststellungen der einzelnen im Gesamtkonzept vorgesehenen Maßnahmen führen. Das Gesamtkonzept als solches hat keine Außenwirkungen. Solange es nicht Eingang in Erfordernisse der Raumordnung (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 Raumordnungsgesetz ) gefunden hat, kommt ihm auch verwaltungsintern keine [X.]indungswirkung zu. Die Planfeststellungen für die Einzelmaßnahmen finden in den §§ 67, 68 [X.] (§ 31 Abs. 2 [X.] a.F., § 64 [X.]) ihre gesetzliche Grundlage. Der Hochwasserschutz ist eine maßgebliche Zielsetzung des Wasserhaushaltsgesetzes, die den Ausbau eines Gewässers - auch den [X.]au von Hochwasserrückhaltebecken (vgl. [X.]/[X.], [X.], 11. Aufl. 2014, § 67 Rn. 28, 43) - rechtfertigt ([X.], 32). Soweit im Rahmen der Planfeststellung zur Rechtfertigung der Einzelmaßnahmen auf das Gesamtkonzept [X.]ezug genommen wird, können die Verwaltungsgerichte dieses Konzept im Klageverfahren inzident auf seine Tragfähigkeit überprüfen. Wäre über das Konzept und die Notwendigkeit der Gesamtmaßnahme bereits durch förmliches Gesetz entschieden, wären die Verwaltungsgerichte hieran gebunden. Wenn sie das Gesetz für verfassungswidrig hielten, müssten sie das Verfahren nach Art. 100 Abs. 1 GG aussetzen und die Entscheidung des [X.] einholen. Erleichtert würde die Erlangung von Rechtsschutz dadurch nicht. Sollte die Klage gegen den Planfeststellungsbeschluss für eine Einzelmaßnahme abgewiesen werden, später aber die Klage gegen die Planfeststellung einer anderen Einzelmaßnahme Erfolg haben, würde die Planrechtfertigung der zuerst planfestgestellten Einzelmaßnahme dadurch nicht in Frage gestellt; auch das Eintreten eines solchen Falls muss mithin nicht durch eine gesetzliche Entscheidung über das Gesamtkonzept verhindert werden. Das in der [X.] vom 6. Dezember 1982 ([X.] 1984 S. 268) festgelegte Gesamtziel, unterhalb der [X.] den vor dem Ausbau des [X.]s vorhandenen Hochwasserschutz wieder herzustellen (Art. 7 Abs. 1 der Vereinbarung), kann zwar nur erreicht werden, wenn allein in [X.] ein Gesamtrückhaltevolumen von 167,3 Mio. cbm geschaffen wird ([X.], 43). Jede Einzelmaßnahme ist jedoch auch für sich betrachtet geeignet, einen wirksamen [X.]eitrag zur Erreichung dieses Ziels zu leisten. Sie wird, selbst wenn eine andere Einzelmaßnahme scheitern sollte, nicht zu einem Planungstorso. Die Erreichung des [X.] hängt auch nicht davon ab, dass alle Einzelmaßnahmen exakt an dem im Gesamtkonzept vorgesehenen Standort und exakt in der vorgesehenen Form verwirklicht werden.

Die Klägerin hat auch nicht aufgezeigt, warum die gesetzgebenden Körperschaften besser als die Verwaltung geeignet sein könnten, ein Gesamtkonzept für den Hochwasserschutz am [X.] zu entwickeln und hierfür die Auswirkungen auf Natur und Landschaft, die [X.]evölkerung und die Gemeinden im betroffenen Planungsraum zu bewerten. Staatliche Planung kann weder eindeutig der Legislative noch eindeutig der Exekutive zugeordnet werden ([X.], [X.]eschluss vom 17. Juli 1996 - 2 [X.] - [X.]E 95, 1 <16>). Fachplanungen sind üblicherweise der Verwaltung vorbehalten, die dafür den erforderlichen Verwaltungsapparat und Sachverstand besitzt. Verbindlichkeit für nachfolgende Planungen erlangen vorbereitende Konzepte auf der Grundlage des [X.] und des [X.] des jeweiligen [X.] insbesondere durch die Festlegung von Zielen der Raumordnung (§ 3 Abs. 1 Nr. 2, § 4 Abs. 1 ROG). Auch das ist hier sowohl im [X.]entwicklungsplan 2002 ([X.]) als auch im Regionalplan Südlicher [X.] 1995 ([X.]) geschehen. Um die [X.] Legitimation der Regionalplanung zu stärken, werden in [X.] die Mitglieder der Regionalversammlung, die den Regionalplan zu beschließen hat, von den Land- und den Stadtkreisen gewählt (§ 35 LPlG).

Über die [X.]ereitstellung von Haushaltsmitteln für die Umsetzung der einzelnen Vorhaben zur Umsetzung der Gesamtkonzeption hat der Haushaltsgesetzgeber zu entscheiden. Welche Entscheidungen über die Finanzierung in einem Gesetz über das Gesamtkonzept getroffen werden sollten, ist weder dargelegt noch ersichtlich.

2. Die Klägerin hält außerdem folgende Fragen für rechtsgrundsätzlich klärungsbedürftig:

"Kann es sich bei einer Maßnahme (im konkreten Fall: ökologische Flutungen), deren räumlicher Umgriff im Wesentlichen mit dem räumlichen Umgriff des zugelassenen Vorhabens übereinstimmt, die zeitlich vor Durchführung des zugelassenen Vorhabens (im konkreten Fall: [X.]) durchgeführt wird und die ihrerseits bereits zu einer erheblichen [X.]eeinträchtigung des zuvor vorhandenen [X.]estandes an Tier- und Pflanzenarten führt, aufgrund ihrer positiven naturschutzfachlichen Gesamtbilanz um eine Vermeidungsmaßnahme i.S.d. § 19 Abs. 1 [X.] 2007 bzw. § 15 Abs. 1 [X.] 2010 handeln, oder handelt es sich bei dieser Maßnahme vielmehr um einen eigenständigen Eingriff in Natur und Landschaft i.S.d. § 18 Abs. 1 [X.] 2007 bzw. § 14 Abs. 1 [X.] 2010?"

und

"Ist es, sofern es sich um einen Eingriff in Natur und Landschaft handelt, nach § 19 Abs. 2 [X.] 2007 und § 15 Abs. 2 [X.] 2010 zulässig, dass diese Maßnahme zugleich dem Ersatz des durch sie selbst bewirkten Eingriffes dient ('Selbstkompensation')?".

a) Mit der ersten Frage setzt die Klägerin voraus, dass Ökologische Flutungen nur entweder eine Vermeidungsmaßnahme oder ein eigenständiger Eingriff im Sinne des § 18 Abs. 1 [X.] 2007 bzw. § 14 Abs. 1 [X.] 2010 sein können. Das ist nicht die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichtshofs. Nach seiner Auffassung haben Ökologische Flutungen eine Doppelfunktion: Sie sind Vermeidungsmaßnahmen gegenüber der Hochwasserrückhaltung und - gleichzeitig - Ersatzmaßnahme für die auch durch sie selbst bewirkten Eingriffe in Natur und Landschaft im Sinne einer erheblichen nicht vermeidbaren [X.]eeinträchtigung der Leistungs- und Funktionsfähigkeit des [X.] und der Landschaft ([X.]). Als eigenständigen Eingriff im Sinne der Eingriffsregelung bewertet der Verwaltungsgerichtshof die Ökologischen Flutungen auch für den Fall, dass [X.] erst durchgeführt werden, nachdem die Natur über die Ökologischen Flutungen erfolgreich adaptiert wurde (a.A. [X.]eschwerdebegründung S. 27). Nur in diesem Fall können die Ökologischen Flutungen die Eingriffswirkungen der [X.] vermeiden. Gerade soweit sie als Vermeidungsmaßnahmen wirken, bejaht der Verwaltungsgerichtshof aber zugleich einen durch sie selbst bewirkten Eingriff in Natur und Landschaft. Er verkennt nicht, dass die mit den Ökologischen Flutungen bezweckte Umwandlung des Naturraums [X.]eeinträchtigungen des bestehenden [X.] bewirkt; diese seien entsprechend dem Vermeidungskonzept der Ökologischen Flutungen "systemimmanent" (UA S. 91).

Die Frage, ob Ökologische Flutungen Vermeidungsmaßnahmen im Sinne des § 19 Abs. 1 [X.] 2007 bzw. § 15 Abs. 1 [X.] 2010 sein können, stellt sich auch dann, wenn sie zugleich als Eingriffe in Natur und Landschaft zu qualifizieren sind. Dass die Vorinstanzen Ökologische Flutungen zu Recht als Vermeidungsmaßnahmen anerkannt haben, unterliegt jedoch keinen Zweifeln, die erst in einem Revisionsverfahren ausgeräumt werden könnten. Gemäß § 15 Abs. 1 Satz 2 [X.] 2010 sind [X.]eeinträchtigungen vermeidbar, wenn zumutbare Alternativen, den mit dem Eingriff verfolgten Zweck am gleichen Ort ohne oder mit geringeren [X.]eeinträchtigungen von Natur und Landschaft zu erreichen, gegeben sind. Das Vermeidungsgebot verpflichtet den Verursacher, in allen Planungs- und Realisierungsphasen dafür Sorge zu tragen, dass Vorhaben so umweltschonend wie möglich umgesetzt werden ([X.]TDrucks 16/12274 S. 57). Das Vermeidungsgebot zielt nicht auf die Vermeidung des Eingriffs, sondern der mit ihm verbundenen nachteiligen Folgen (Urteile vom 7. März 1997 - [X.]VerwG 4 C 10.96 - [X.]VerwGE 104, 144 <149 f.> = [X.] 406.401 § 8 [X.] Nr. 21 S. 19 f. und vom 16. Dezember 2004 - [X.]VerwG 4 A 11.04 - [X.] 406.400 § 19 [X.] 2002 Nr. 1 S. 3 - juris Rn. 16; [X.], in: [X.][X.], Umweltrecht [X.]and II, § 15 [X.] Rn. 4; [X.], in: [X.], GK-[X.], § 15 Rn. 5; Lütkes, in: [X.], [X.], § 15 Rn. 7). In [X.]etracht kommt nicht nur schlichtes Unterlassen bestimmter Maßnahmen; auch die Durchführung zusätzlicher Maßnahmen kann zur Schadensvermeidung geboten sein ([X.], a.a.[X.] Rn. 4). Wie die mit dem Eingriff verbundenen [X.]eeinträchtigungen vermieden werden können, hängt maßgebend davon ab, auf welchen Wirkpfaden das Vorhaben Natur und Landschaft beeinträchtigt.

[X.], die durch den [X.]au eines [X.] ermöglicht werden, führen wiederkehrend und wegen ihrer relativen Seltenheit immer wieder neu zu [X.]eeinträchtigungen von Natur und Landschaft. Nach dem Konzept der Ökologischen Flutungen sollen diese [X.]eeinträchtigungen soweit wie möglich vermindert werden, indem [X.] und Fauna an die bei Hochwasserrückhaltung auftretenden Überflutungen so angepasst wird, dass sich überflutungstolerante Gemeinschaften etablieren ([X.] f.). Ökologische Flutungen sollen also [X.]eeinträchtigungen vermeiden, die im Fall unvorbereiteter [X.] eintreten würden. In [X.]ezug auf diese [X.]eeinträchtigungen wirken sie verhindernd und nicht wiedergutmachend (vgl. Sparwasser/Wöckel, [X.], 764 <769>). Dadurch unterscheiden sie sich von Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen, die auf einer zweiten Stufe nicht vermeidbare [X.]eeinträchtigungen kompensieren sollen. Die Anerkennung von Ökologischen Flutungen als Vermeidungsmaßnahmen widerspricht auch nicht dem Zweck des Vermeidungsgebots. Das Vermeidungsgebot hat im Rahmen der Eingriffsregelung die Aufgabe, den status quo der gegebenen Situation zu erhalten (Urteil vom 16. Dezember 2004 a.a.[X.] Rn. 21). Ökologische Flutungen sollen zwar zu einer Anpassung von Natur und Landschaft an Überflutungen führen; wenn das gelungen ist, soll aber im Fall eines Eingriffs durch eine Retentionsflutung der im Zeitpunkt dieses Eingriffs bestehende status quo in seiner natürlichen Dynamik erhalten werden. Es trifft auch nicht zu, dass durch Ökologische Flutungen nur die Natur an den Eingriff, nicht aber der Eingriff an die Natur angepasst werde. Die Ökologischen Flutungen treten - möglichst zeitlich vorlaufend - zu den [X.] hinzu; insoweit verändern sie bereits den Eingriff. Dass Ökologische Flutungen trotz ihrer schadensvermeidenden Wirkungen gegenüber den [X.] zunächst den bei ihrer Durchführung vorhandenen status quo von Natur und Landschaft beeinträchtigen und insoweit selbst Eingriffe im Sinne des § 18 Abs. 1 [X.] 2007 bzw. § 14 Abs. 1 [X.] 2010 darstellen, hat der Verwaltungsgerichtshof - wie dargelegt - ausdrücklich anerkannt.

b) In [X.]ezug auf die zweite Frage hat die Klägerin einen rechtsgrundsätzlichen Klärungsbedarf nicht aufgezeigt.

Gemäß § 15 Abs. 2 Satz 3 [X.] 2010 ist eine [X.]eeinträchtigung ersetzt, wenn und sobald die beeinträchtigten Funktionen des [X.] in dem betroffenen Naturraum in gleichwertiger Weise hergestellt sind und das Landschaftsbild [X.] neu gestaltet ist. In der Rechtsprechung des [X.] ist geklärt, dass die [X.]ehörde zur Kompensation eines Eingriffs wegen eines naturschutznäheren Endziels auch Maßnahmen ergreifen darf, die zunächst eine [X.]eeinträchtigung des bestehenden naturhaften Zustands darstellen. Erweist sich die Maßnahme in der naturschutzfachlichen Gesamtbilanz als günstig, stellt sie also insbesondere eine wesentliche Verbesserung des bestehenden Zustandes dar, bedarf der mit der Maßnahme zunächst bewirkte Eingriff keiner weiteren Kompensation durch Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen. Die an sich erforderliche Kompensation geht in die ökologische Gesamtbilanz regelmäßig ein ([X.]eschluss vom 28. Januar 2009 - [X.]VerwG 7 [X.] - NVwZ 2009, 521 - juris Rn. 20; Gerichtsbescheid vom 10. September 1998 - [X.]VerwG 4 [X.] - [X.] 406.401 § 8 [X.] Nr. 25 S. 31 - juris Rn. 33). Dass auf die Herstellung eines naturnäheren Zustands gerichtete Ersatzmaßnahmen die hierfür erforderlichen Eingriffe selbst kompensieren können, ist damit bereits anerkannt. Inwiefern dies hier für die Ökologischen Flutungen ausgehend von den tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs weiter klärungsbedürftig sein sollte, hat die Klägerin nicht dargelegt. Sie macht lediglich geltend, dass die Annahme einer "Selbstkompensation" den Vorrang von Ausgleich vor Ersatz (§ 19 Abs. 2 [X.] 2007) aushebeln würde ([X.]eschwerdebegründung S. 8). Das [X.] 2010 hat an diesem Vorrang aber nicht festgehalten. Ausgleich und Ersatz stehen gemäß § 15 Abs. 2 Satz 1 [X.] 2010 als Formen der [X.] nunmehr alternativ nebeneinander ([X.]TDrucks 16/13298 S. 3; Urteil vom 6. November 2012 - [X.]VerwG 9 A 17.11 - [X.]VerwGE 145, 40 Rn. 139 = [X.] 451.91 Europ UmweltR Nr. 52 Rn. 139). Es soll dem Einzelfall überlassen bleiben, ob die Durchführung einer Maßnahme zur [X.] die unmittelbare Nähe zum [X.] (Ausgleich) erfordert oder im gelockerten räumlichen Zusammenhang des betroffenen Naturraums erfolgen kann ([X.]TDrucks 16/13298 S. 3, 16/13430 S. 19; [X.], a.a.[X.] Rn. 20; Lütkes, a.a.[X.] Rn. 29; Guckelberger, in: [X.]/[X.], [X.], § 15 Rn. 44). Fragen, die sich nur aufgrund von auslaufendem und ausgelaufenem Recht stellen, verleihen einer Rechtssache regelmäßig - und so auch hier - keine grundsätzliche [X.]edeutung (stRspr, vgl. [X.]eschluss vom 6. Juni 2014 - [X.]VerwG 3 [X.] 58.13 - juris Rn. 3 m.w.N.). Dass sich auch nach § 15 Abs. 2 [X.] 2010 rechtsgrundsätzliche Fragen zum Verhältnis von Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen stellen, hat die Klägerin nicht dargelegt (vgl. dazu 3.).

3. Schließlich rechtfertigt auch folgende Frage nicht die Zulassung der Revision:

"Ist es mit § 19 Abs. 2 [X.] 2007 und mit § 15 Abs. 2 [X.] 2010 vereinbar, eine Maßnahme als Ersatzmaßnahme anzuerkennen, wenn die den Eingriff zulassende [X.]ehörde selbst davon ausging, dass es sich um eine Vermeidungsmaßnahme handelt ('Umdeutung')?"

Die Klägerin macht geltend, die [X.]ehörde habe, weil sie die Ökologischen Flutungen zu Unrecht nur als Vermeidungsmaßnahme und nicht auch als Eingriff qualifiziert habe, nicht geprüft, ob die durch die Ökologischen Flutungen bewirkten nicht vermeidbaren [X.]eeinträchtigungen jedenfalls ausgeglichen werden könnten. Ohne eine solche Prüfung könne aber nicht festgestellt werden, dass die Kompensation im Wege des Ersatzes ausreichend sei. Eine rechtsgrundsätzliche [X.]edeutung der Rechtssache ergibt sich daraus nicht. Ob die [X.] einen Ausgleich erfordert oder auch im Wege des Ersatzes bewirkt werden kann, soll - wie dargelegt - nach § 15 Abs. 2 Satz 1 [X.] 2010 dem Einzelfall überlassen bleiben. Die Frage, ob dieser Einzelfallentscheidung eine Ermittlung und [X.]ewertung der in [X.]etracht kommenden Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen vorangehen muss, würde sich in einem Revisionsverfahren nur stellen, wenn im vorliegenden Fall ein weitergehender Ausgleich überhaupt möglich wäre. Hierfür hat der Verwaltungsgerichtshof keine hinreichenden Anhaltspunkte gesehen. Die Klägerin habe lediglich vorgetragen, der [X.]eklagte hätte über die Festsetzung von Ausgleichsmaßnahmen nachdenken müssen; dass überhaupt die Möglichkeit von weiteren Ausgleichsmaßnahmen bestehe, habe die Klägerin nicht dargelegt noch habe sie konkrete Ausgleichsmaßnahmen aufgezeigt, die über die im Landschaftspflegerischen [X.]egleitplan vorgesehenen Maßnahmen hinausgingen ([X.]). Die Klägerin wendet hiergegen ein, sie treffe diesbezüglich auch keine Darlegungslast; im Übrigen habe der Verwaltungsgerichtshof nicht festgestellt, dass sonstige Kompensationsmaßnahmen unmöglich seien ([X.]eschwerdebegründung S. 25). Ob und inwieweit ein Kläger die Möglichkeit weiterer Ausgleichsmaßnahmen darzulegen hat, hängt jedoch nicht nur vom materiellen Recht, sondern auch von den tatsächlichen Umständen des jeweiligen Falles ab. Wenn - wie nach der Einschätzung des Verwaltungsgerichtshofs hier - in tatsächlicher Hinsicht nicht ersichtlich ist, wie überhaupt ein weiterer Ausgleich möglich sein sollte, besteht ohne einen entsprechenden Vortrag die Klägerin kein Anlass, dieser Frage weiter nachzugehen oder die Unmöglichkeit sonstiger Kompensationsmaßnahmen ausdrücklich festzustellen. Welche Anhaltspunkte für die Möglichkeit eines weiteren Ausgleichs bestanden haben sollten, zeigt die Klägerin in der [X.]eschwerdebegründung nicht auf.

Meta

7 B 6/14

19.09.2014

Bundesverwaltungsgericht 7. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, 23. September 2013, Az: 3 S 284/11, Urteil

Art 20 Abs 1 GG, § 67 WHG 2009, § 68 WHG 2009, § 15 Abs 1 BNatSchG 2009, § 15 Abs 2 BNatSchG 2009

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 19.09.2014, Az. 7 B 6/14 (REWIS RS 2014, 2772)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 2772

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