Bundessozialgericht, Urteil vom 17.12.2015, Az. B 8 SO 14/14 R

8. Senat | REWIS RS 2015, 437

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Sozialgerichtliches Verfahren - Unzulässigkeit einer Klage auf höhere Leistungen - anderweitige Rechtshängigkeit - neuer Bescheid nach Klageerhebung - Abänderung des Ursprungsbescheides - Sozialhilfe - Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung - Änderungsbescheid - Wegfall des Sperrwirkung - Abschluss des Klageverfahrens - Rücknahme der Berufung - entgegenstehende Rechtskraft der klageabweisenden Entscheidung des Sozialgerichts


Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des [X.] vom 27. Mai 2014 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

[X.] sind höhere Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (Grundsicherungsleistungen) nach dem [X.] - ([X.]) für die [X.] vom 1.1. bis 31.12.2012.

2

Die 1988 geborene Klägerin ist behindert (Grad der Behinderung von 100; Merkzeichen aG). Sie bezog seit dem [X.] von der Beklagten Grundsicherungsleistungen; ua bewilligte die Beklagte solche Leistungen für die [X.] ab 1.1.2011 bis auf Weiteres (bestandskräftiger Bescheid vom 7.4.2011). Einen im Oktober 2011 gestellten Antrag auf höhere Leistungen unter Berücksichtigung eines Bedarfs wegen eines behinderungsbedingten besonderen Verschleißes bei Bekleidung und Schuhen lehnte sie ab (Bescheid vom 7.11.2011; [X.] vom 30.1.2012); die Klage (vom [X.]) beim Sozialgericht ([X.]) [X.] ([X.] SO 1075/12) wies das [X.] ab (Urteil vom 12.11.2013). Zur Begründung hat es unter anderem ausgeführt, die Klage sei dahin auszulegen, dass höhere Leistungen für die [X.] vom 1.10.2011 bis zum 31.12.2011 begehrt würden; dementsprechend sei ein Bescheid für die [X.] ab dem 1.1.2012 nicht Gegenstand des Klageverfahrens geworden. Die Berufung zum [X.] ([X.]) [X.] nahm die Klägerin zurück (Erklärung vom 1.4.2014).

3

Für die [X.] ab 1.1.2012 hatte die Beklagte bis auf Weiteres unter Aufhebung früherer Bewilligungsbescheide höhere Grundsicherungsleistungen bewilligt; dem bewilligten Betrag in Höhe von 626,59 Euro monatlich (statt zuvor 617,85 Euro) legte sie einen Regelsatz in Höhe von 299 Euro, einen Mehrbedarfszuschlag in Höhe von 50,83 Euro sowie Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von 250 Euro Kaltmiete und Nebenkosten mit Heizung inklusive Warmwasseranteile in Höhe von 50 Euro abzüglich einer [X.] in Höhe von 23,24 Euro zugrunde (Bescheid vom [X.]; der Klägerin bekannt gegeben am 16.6.2012). Die in Abzug gebrachte [X.] senkte sie in der Folge auf 15,78 Euro; der Widerspruch im Übrigen blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 28.12.2012).

4

Klage und Berufung hiergegen blieben ohne Erfolg (Urteil des [X.]; Urteil des [X.] vom 27.5.2014). Das [X.] hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, besondere Aufwendungen für Kleidung, Schuhe, Nacht- und Bettwäsche, die über dem lägen, was der Klägerin durch den im Regelsatz nach der Regelbedarfsstufe 3 und den im pauschalen Mehrbedarf nach § 30 Abs 1 [X.] enthaltenen Anteilen für solche Anschaffungen monatlich zur Verfügung stehe, seien nicht konkretisiert worden; den insoweit gestellten Beweisanträgen habe der [X.] nicht nachkommen müssen. Auch die Höhe der Bedarfe für Unterkunft und Heizung habe die Beklagte zutreffend bestimmt. Bei den Kosten für die Haushaltsenergie handele es sich von vornherein nicht um einen Bedarf, für den Leistungen für Unterkunft und Heizung gemäß § 35 [X.] erbracht werden könnten. Soweit die Klägerin vortrage, dass die kostenlose Bereitstellung von Haushaltsstrom allenfalls als Einkommen berücksichtigt werden könne, stehe dem entgegen, dass sie nach den mietvertraglichen Vereinbarungen eine Betriebskostenvorauszahlung leiste, die den Haushaltsstrom enthalte.

5

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 27a Abs 4 Satz 1 [X.]; denn ihr Regelbedarf, der sich entgegen der Auffassung des [X.] nach der Regelbedarfsstufe 1 richte, sei nach § 27a Abs 4 Satz 1 [X.] abweichend zu bemessen. Der geltend gemachte Bedarf sei mit dem Mehrbedarf nach § 30 Abs 1 [X.] nicht abgedeckt, weil er nicht aus einer Gehbehinderung, sondern einer geistig-seelischen Behinderung resultiere. Daneben rügt sie eine Verletzung von § 35 [X.], weil die Auslegung der mietvertraglichen Vereinbarungen durch das [X.], auf der die Kürzungen wegen der Energiekosten beruhten, unzutreffend sei; von den [X.] sei der Haushaltsstrom (anders als der Strom für Treppenhausbeleuchtung usw) regelmäßig - und auch vorliegend - nicht erfasst.

6

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des [X.] und das Urteil des [X.] aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheids vom [X.] in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.12.2012 zu verurteilen, ihr für die [X.] vom 1.1. bis zum 31.12.2012 höhere Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung zu zahlen.

7

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

8

Sie hält die angefochtenen Entscheidungen für zutreffend.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige Revision ist unbegründet (§ 170 Abs 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz <[X.]>). Im Ergebnis zu Recht hat das [X.] die Berufung zurückgewiesen; denn die Klage ist unzulässig. Der angefochtene Bescheid ist gemäß § 96 Abs 1 [X.] Gegenstand des früheren Klageverfahrens gegen den Bescheid vom 7.11.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30.1.2012 geworden. Auch nach Rücknahme der Berufung gegen das klageabweisende Urteil des [X.] bleibt die vorliegende Klage unzulässig, weil sie denselben Streitgegenstand betrifft.

Gegenstand der Klage ist der Bescheid vom [X.] in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.12.2012, den die Klägerin mit ihrer Anfechtungs- und Leistungsklage angreift, wobei sie in der Berufungsinstanz den Streitgegenstand auf die [X.] vom 1.1. bis zum 31.12.2012 beschränkt hat. In der Sache begehrt sie höhere Grundsicherungsleistungen, ohne ihr Begehren weiter zu begrenzen.

Diese Klage war zunächst wegen anderweitiger Rechtshängigkeit (§ 94 [X.]) unzulässig. Der Bescheid vom [X.] ist nämlich mit seiner Bekanntgabe am 16.6.2012 Gegenstand des zu diesem [X.]punkt bereits anhängigen Klageverfahrens ([X.] [X.] 1075/12) gegen den Bescheid vom 7.11.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30.1.2012 geworden. Nach § 96 Abs 1 [X.] (in der Fassung, die die Norm mit dem Gesetz zur Änderung des [X.] und des Arbeitsgerichtsgesetzes vom [X.] - BGBl I 444 - erhalten hat) wird nach Klageerhebung ein neuer Verwaltungsakt (nur) dann Gegenstand des Klageverfahrens, wenn er nach Erlass des Widerspruchsbescheids ergangen ist und den angefochtenen Verwaltungsakt abändert oder ersetzt. Geändert oder ersetzt wird ein Bescheid immer, wenn er denselben Streitgegenstand wie der Ursprungsbescheid betrifft, bzw wenn in dessen Regelung eingegriffen und damit die Beschwer des Betroffenen vermehrt oder vermindert wird (vgl nur [X.] in [X.]/[X.]/[X.], [X.], 11. Aufl 2014, § 96 RdNr 4 ff mwN). Ergehen auf einen zeitlich nicht beschränkten Dauerverwaltungsakt hin Folgebescheide, werden diese damit bei entsprechender inhaltlicher Regelung in (direkter) Anwendung von § 96 Abs 1 [X.] Gegenstand des Verfahrens; denn jeder dieser Bescheide ist dann ggf als den ursprünglichen Dauerverwaltungsakt abändernder Bescheid zu verstehen.

So liegt es hier. Die Beklagte hat entgegen § 44 Abs 1 Satz 1 [X.]B XII die Grundsicherungsleistungen zeitlich unbegrenzt bewilligt. Streitgegenstand des zunächst anhängigen Klageverfahrens gegen den Bescheid vom 7.11.2011 war dabei die Höhe dieser Leistungen ab 1.10.2011. Insofern hatte es die Beklagte mit Bescheid vom 7.11.2011 (gestützt auf § 48 Zehntes [X.] - <[X.]B X>) zunächst abgelehnt, wegen der geltend gemachten Änderung der Verhältnisse vom 1.10.2011 an zeitlich unbegrenzt höhere Leistungen zu bewilligen. Hiergegen hat sich die Klägerin ohne Einschränkung gewandt; insbesondere war - anders als das [X.] meint - ihrer Klagebegründung in der Sache [X.] [X.] 1075/12 (Schriftsatz vom [X.]) nicht zu entnehmen, dass sie selbst durch einen entsprechenden Antrag vor dem für die Beurteilung des § 96 Abs 1 [X.] maßgeblichen [X.]punkt (16.6.2012) eine Beschränkung des Streitgegenstandes auf die [X.] bis zum 31.12.2011 vorgenommen hätte. Der Bescheid vom [X.] hat sodann den angegriffenen Bescheid vom 7.11.2011 mit dem Inhalt ersetzt, dass er für einen teilweise identischen [X.]raum (ab 1.1.2012) die streitigen Leistungen neu berechnet hat - ohne indes dem Begehren der Klägerin vollständig abzuhelfen -, und ist insoweit an die Stelle des angegriffenen Bescheids (Ablehnung höherer Leistungen für unbestimmte [X.]) getreten. Er konnte damit zulässigerweise unabhängig davon nicht erneut zum Gegenstand eines anderen Verfahrens gemacht werden, dass er in dem ersten Verfahren unter Verkennung der Rechtslage tatsächlich nicht einbezogen worden ist.

Diese prozessuale Sperrwirkung endet zwar mit Abschluss des Verfahrens; die Klage bleibt aber unzulässig, weil nunmehr die (durch Rücknahme der Berufung am 1.4.2014) eingetretene Rechtskraft der Entscheidung des [X.] entgegensteht (vgl Urteil des Senats vom 15.11.2012 - [X.] [X.] 22/10 R -, RdNr 13 mwN). Ausnahmsweise anderes kann nur gelten, wenn eine erneute Klage zulässig gewesen wäre. Dies ist vorliegend nicht der Fall, weil im [X.]punkt der Rücknahme der Berufung eine Anfechtung des Bescheids vom [X.] fristgerecht (§ 88 [X.]) nicht mehr möglich war (vgl [X.] in [X.]/[X.]/[X.], [X.], 11. Aufl 2014, § 102 RdNr 11).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 [X.].

Meta

B 8 SO 14/14 R

17.12.2015

Bundessozialgericht 8. Senat

Urteil

Sachgebiet: SO

vorgehend SG Freiburg (Breisgau), 12. November 2013, Az: S 9 SO 533/13, Urteil

§ 94 SGG, § 95 SGG, § 96 Abs 1 SGG, § 48 Abs 1 SGB 10, § 44 Abs 1 S 1 SGB 12 vom 27.12.2003

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 17.12.2015, Az. B 8 SO 14/14 R (REWIS RS 2015, 437)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 437

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

B 8 SO 13/14 R (Bundessozialgericht)

(Sozialhilfe - Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung - Leistungen - Regelbedarfsstufe 1 oder Regelbedarfsstufe …


B 8 SO 3/15 R (Bundessozialgericht)

(Sozialhilfe - Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung - Einkommenseinsatz - Leistungen der russischen Rentenversicherung …


B 8 SO 14/18 R (Bundessozialgericht)

Sozialhilfe - Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung - Einkommens- und Vermögenseinsatz - Einsatzgemeinschaft - …


B 8 SO 23/16 R (Bundessozialgericht)

(Sozialgerichtliches Verfahren - Wiedereinsetzung in den vorigen Stand - Rechtsanwalt - Versäumung der Klagefrist - …


B 8 SO 1/10 R (Bundessozialgericht)

Sozialgerichtliches Verfahren - keine Beschränkung des Streitgegenstands - Anerkenntnis - Parteifähigkeit - Sozialhilfe - Grundsicherung …


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.