Bundessozialgericht, Urteil vom 05.09.2019, Az. B 8 SO 14/18 R

8. Senat | REWIS RS 2019, 3876

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

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Gegenstand

Sozialhilfe - Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung - Einkommens- und Vermögenseinsatz - Einsatzgemeinschaft - eheähnliche Gemeinschaft mit einem (noch) verheirateten Partner


Leitsatz

Das formale Bestehen einer Ehe schließt eine Bedarfsgemeinschaft mit einer dritten Person nicht aus.

Tenor

Auf die Revision des [X.] wird das Urteil des [X.] vom 20. Juli 2017 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

[X.] ist ein Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (Grundsicherungsleistungen) nach dem [X.] - ([X.]) ab Juni 2007.

2

Der 1936 geborene Kläger ist verheiratet und lebt seit 1982 von seiner Ehefrau getrennt. Seit November 1982 lebt er zusammen mit [X.] ([X.]) in einer rund 70 qm großen Zweizimmerwohnung, deren Mieterin [X.] ist. Es liegt ein "Untermietvertrag" zwischen dem Kläger und [X.] aus dem [X.] vor, nach dessen Inhalt der Kläger die Hälfte der gesamten Mietkosten zu zahlen habe und darüber hinaus vereinbart sei, dass alle weiteren, die [X.]ohnung betreffenden Kosten und der Lebensunterhalt jeweils hälftig getragen würden. [X.] war eine Gesamtmiete von 634,74 [X.] monatlich zu zahlen, ab Oktober 2011 730,23 [X.]. Der Kläger erhält eine Altersrente, die sich bis Juni 2007 auf 535,80 [X.] belief, ab Juli 2007 auf 538,67 [X.] und ab Juli 2011 auf 565,49 [X.]. Die Rente wird auf ein Konto der [X.] überwiesen; der Kläger selbst verfügt nicht über ein Bankkonto.

3

Nachdem der Beklagte einen Antrag auf Leistungen nach dem Gesetz über eine bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung ([X.]) wegen den Bedarf übersteigenden, eigenen Einkommens bestandskräftig abgelehnt hatte (Bescheid vom 28.5.2003), beantragte der Kläger im Juni 2007 formlos erneut Grundsicherungsleistungen und gab [X.] an, seine Vermieterin [X.] lehne die Offenlegung ihrer finanziellen Verhältnisse weiterhin ab. Die Beklagte lehnte den Antrag mit der Begründung ab, es liege nach den [X.] aus einem Hausbesuch gewonnenen Erkenntnissen eine eheähnliche Lebensgemeinschaft zwischen dem Kläger und [X.] vor. Das Einkommen beider übersteige nach überschlägiger Berechnung aber den gemeinsamen Bedarf (Bescheid vom 13.9.2007; [X.]iderspruchsbescheid vom 14.1.2008). Die dagegen gerichtete Klage ist ohne Erfolg geblieben (Urteil des Sozialgerichts <[X.]> Berlin vom 10.10.2011). Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem [X.] ([X.]) [X.] hob der Beklagte die angefochtenen Bescheide auf und verpflichtete sich, über den Antrag vom 18.6.2007 erneut zu entscheiden. Der Kläger nahm die Berufung im Übrigen zurück.

4

Bereits am 30.10.2011 hatte der Kläger erneut erfolglos Grundsicherungsleistungen beantragt (bestandskräftiger Bescheid vom 13.1.2012; ablehnender Überprüfungsbescheid vom 18.7.2013; [X.]iderspruchsbescheid vom [X.]). [X.]ährend des hiergegen gerichteten Klageverfahrens vor dem [X.] ([X.] SO 2516/13) entschied der Beklagte über den Antrag vom 18.6.2007 abschlägig (Bescheid vom [X.]; [X.]iderspruchsbescheid vom 8.12.2014). Hiergegen wandte sich der Kläger (mit Schreiben vom 17.12.2014), das er zum Verfahren [X.] SO 2516/13 übersandte. Schließlich hob der Beklagte auch die Bescheide vom 13.1.2012 und 18.7.2013 sowie den [X.]iderspruchsbescheid vom [X.] auf (Bescheid vom 24.4.2015).

5

Das [X.] hat die Klage abgewiesen (Urteil vom [X.]); die Berufung ist ohne Erfolg geblieben (Urteil des [X.] vom [X.]). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das [X.] ausgeführt, Gegenstand des Verfahrens sei der Bescheid vom [X.] in der Gestalt des [X.]iderspruchsbescheids vom 8.12.2014, worüber das [X.] auf zulässige Klageänderung hin zutreffend allein entschieden habe. Aufgrund der erneuten Antragstellung des [X.] im Oktober 2011 sei streitbefangen allerdings nur die [X.] bis 30.9.2011. Da der Kläger mit [X.] in einer eheähnlichen Gemeinschaft lebe, sei bei der Prüfung seiner Hilfebedürftigkeit das Einkommen von [X.] zu berücksichtigen. Der Umstand, dass der Kläger noch verheiratet sei, hindere nicht, vom Bestehen einer eheähnlichen Gemeinschaft mit [X.] auszugehen. Der Einwand des [X.], dass die Entscheidung des Beklagten und des [X.] nur auf Indizien beruhten, [X.] nicht. Es sei allein auf Basis objektiv vorliegender Tatsachen zu ermitteln, ob der Schluss auf eine innere Bindung im Sinne einer Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft gerechtfertigt sei. [X.]as die Beteiligten selbst angeben würden, etwa dass sie - wie hier - entgegen objektiv feststellbarer Umstände nicht bereit seien, füreinander einzustehen, sei deshalb unbeachtlich. Aus diesen Gründen sei auch die vom Kläger beantragte Vernehmung der [X.] als Zeugin entbehrlich gewesen.

6

Mit seiner Revision rügt der Kläger [X.] einen Verstoß gegen Art 6 Abs 1 Grundgesetz (GG) sowie gegen den Amtsermittlungsgrundsatz nach § 103 Sozialgerichtsgesetz ([X.]G). Eine eheähnliche Gemeinschaft sei aus verfassungsrechtlichen Gründen (Schutz von Ehe und Familie) ausgeschlossen, wenn daneben noch eine Ehe bestehe. Beide Lebensformen schlössen sich aus. Jedenfalls habe das [X.] seine Pflicht zur Ermittlung des Sachverhalts von Amts wegen verletzt, weil es den von ihm im Termin zur mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrag, [X.] als Zeugin zu vernehmen, übergangen habe. Deren Vernehmung wäre aber zwingend gewesen und hätte den Nachweis erbracht, dass kein Einstandswille bestehe.

7

Der Kläger beantragt,
die Urteile des [X.]s [X.] vom 20. Juli 2017 und des [X.] vom 28. Juli 2016 sowie den Bescheid vom 11. September 2014 in der Gestalt des [X.]iderspruchsbescheids vom 8. Dezember 2014 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihm ab dem 1. Juni 2007 Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung zu gewähren.

8

Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

9

Er hält die angefochtenen Entscheidungen für zutreffend.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist im Sinne der Aufhebung des Urteils des [X.] und der Zurückverweisung der Sache an dieses Gericht begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 [X.]G). Ob dem [X.]läger ab Juni 2007 Grundsicherungsleistungen zustehen, kann der [X.] nicht abschließend entscheiden. Zwar steht der Annahme einer eheähnlichen Gemeinschaft zwischen ihm und [X.], die zur Berücksichtigung des Einkommens und Vermögens der Partnerin bei Prüfung seiner Hilfebedürftigkeit führt, nicht schon entgegen, dass der [X.]läger mit einer anderen Frau verheiratet ist. Die Feststellung des [X.], es liege hier eine solche eheähnliche Gemeinschaft vor, ist aber - wie der [X.]läger zutreffend rügt - [X.] zustande gekommen (Verletzung des § 103 [X.]G). Das [X.] wird die von ihm beantragte, notwendige Beweisaufnahme nachzuholen und sodann eine abschließende Entscheidung zu treffen haben.

Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom [X.] in der Gestalt des [X.]iderspruchsbescheids vom 8.12.2014 (§ 95 [X.]G), gegen den sich der [X.]läger mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage wendet54 Abs 1, 4 [X.]G), hier zulässigerweise gerichtet auf den Erlass eines Grundurteils (§ 130 Abs 1 Satz 1 [X.]G). Dabei wendet sich der [X.]läger - entsprechend dem zeitlich unbefristeten [X.]lageantrag - zulässigerweise gegen die Ablehnung von Grundsicherungsleistungen für die gesamte [X.] von Juni 2007 bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz ([X.] vom 11.12.2007 - [X.]/9b [X.] - [X.] 4-3500 § 21 [X.] RdNr 8 mwN).

Der streitbefangene [X.]raum ist - entgegen der Auffassung des [X.] - nicht infolge der weiteren Antragstellung im Oktober 2011 auf die [X.] bis zum 30.9.2011 beschränkt. Denn der Bescheid vom [X.] ist nach § 96 [X.]G Gegenstand des Verfahrens geworden, weil er die [X.] ab 1.10.2011 betrifft und insoweit den Überprüfungsbescheid vom 18.7.2013 ersetzt hat. Seine Regelungswirkung beschränkt sich schon nach seinem Verfügungssatz und der dazu gegebenen Begründung nicht auf eine - weitere - Entscheidung über den Leistungsanspruch für die [X.] von Juni 2007 bis 30.9.2011; denn er enthält weder ausdrücklich noch seinem sonstigen Erklärungsgehalt nach eine entsprechende Befristung. Der Beklagte selbst hat (mit Schreiben vom 17.9.2014) dem [X.] den Bescheid vom [X.] nicht nur zur [X.]enntnis übersandt, sondern zudem erklärt, er halte wegen dieser Entscheidung auch an "seiner Ausgangsentscheidung vom 18.7.2013 in der Gestalt des [X.]iderspruchsbescheides vom 09.09.2013" fest. Damit hat er deutlich zu verstehen gegeben, dass er (erneut) auch eine inhaltliche Überprüfung des bestandskräftigen Bescheids vom 13.1.2012 vorgenommen und insoweit die Überprüfungsentscheidung vom 18.7.2013 in der Gestalt des [X.]iderspruchsbescheids vom [X.] nach § 96 [X.]G ersetzt hat. Die spätere "Aufhebung" der Bescheide vom 13.1.2012 und vom 18.7.2013 in der Gestalt des [X.]iderspruchsbescheids vom [X.] (Bescheid vom 24.4.2015) ging damit ins Leere.

Im Übrigen sind [X.] und [X.] zutreffend davon ausgegangen, dass der [X.]läger mit seinem Schreiben an das Gericht vom 17.12.2014 die bereits gegen den Bescheid vom 18.7.2013 gerichtete [X.]lage im [X.]ege einer zulässigen [X.]lageänderung (§ 99 Abs 2 [X.]G) erweitert hat und damit auch der [X.]raum vom [X.] bis zum 30.9.2011 Streitgegenstand geworden ist. Eine Einbeziehung nach § 96 [X.]G scheidet hier schon deshalb aus, weil der Überprüfungsbescheid vom 18.7.2013 keine Regelung für die [X.] vor dem 1.10.2011 enthält. Die insoweit geänderte [X.]lage war auch zulässig; insbesondere ist die [X.]lageänderung rechtzeitig, dh noch innerhalb der mit Zustellung des [X.]iderspruchsbescheids vom 8.12.2014 am 11.12.2014 in Lauf gesetzten [X.]lagefrist erklärt worden. Der [X.]läger hat mit seinem Schreiben vom 17.12.2014 (eingegangen beim [X.] am 19.12.2014), auf den es insoweit maßgeblich ankommt, ausdrücklich einerseits [X.]lage gegen den Bescheid vom [X.] in der Gestalt des [X.]iderspruchsbescheids vom 8.12.2014 erhoben und andererseits insbesondere durch die Bezugnahme auf das Aktenzeichen des dem vorliegenden Rechtsstreit zugrundeliegenden [X.]lageverfahrens ([X.] [X.] 2516/13) deutlich gemacht, dass er eine Einbeziehung der (weiteren) [X.]lage in das vorliegende Verfahren wünscht. Diesen [X.]unsch, dass die Verfahren im Ergebnis gemeinsam geführt werden, hatte er bereits während des [X.]iderspruchsverfahrens (Schreiben vom 30.9.2014) zum Ausdruck gebracht.

Prüfungsmaßstab für den geltend gemachten Anspruch auf Grundsicherungsleistungen in der Sache bilden § 19 Abs 2 Satz 1 [X.]B XII (bis 31.12.2007 in der Fassung des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 27.12.2003 - [X.] 3022; bis 31.12.2010 in der Fassung des [X.] an die demografische Entwicklung und zur Stärkung der Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung vom 20.4.2007 - [X.] 554; ab 1.1.2011 in der Fassung des [X.] [X.] und zur Änderung des [X.] und [X.] vom 24.3.2011 - [X.] 453) iVm § 41 [X.]B XII (hier zunächst in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des [X.] und anderer Gesetze vom 2.12.2006 - [X.] 2670 ab 1.1.2016 in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des [X.] und weiterer Vorschriften vom 21.12.2015 - [X.] 2557). Danach sind Grundsicherungsleistungen auf Antrag ua Personen zu leisten, die - wie der [X.]läger - die maßgebliche Altersgrenze erreicht haben und ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht aus Einkommen und Vermögen (§§ 82 bis 84 und 90 [X.]B XII) bestreiten können. Einkommen und Vermögen ua des nicht getrennt lebenden Ehegatten sowie des Partners einer eheähnlichen Gemeinschaft, die dessen notwendigen Lebensunterhalt nach dem [X.]B XII übersteigen, sind zu berücksichtigen (hier zunächst § 43 Abs 1 Halbsatz 1 [X.]B XII in der Normfassung des Gesetzes zur Vereinfachung der Verwaltungsverfahren im Sozialrecht vom 21.3.2005 - [X.] 818; ab 1.11.2011 in der Fassung des [X.] [X.] und zur Änderung des [X.] und [X.] vom 24.3.2011 - [X.] 453; ab 1.1.2013 in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des [X.] vom 20.12.2012 - [X.] 2783; ab 1.1.2016 in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des [X.] und weiterer Vorschriften vom 21.12.2015 - [X.] 2557 und ab 1.7.2017 in der Fassung des [X.] [X.] sowie zur Änderung des [X.] und [X.] vom 22.12.2016 - [X.] 3159).

Der Begriff der eheähnlichen Gemeinschaft, der im [X.]B XII vorausgesetzt wird (vgl § 20 Satz 1 [X.]B XII hier in der Fassung des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom [X.] - [X.] 1706), gesetzlich aber nicht definiert ist, ist bereits zu den Vorgängerregelungen im Arbeitsförderungsrecht (zuletzt § 193 Abs [X.] - <[X.]B III> in der bis zum 31.12.2004 geltenden Fassung) und § 122 [X.] ([X.]) durch das [X.] ([X.]), das [X.] ([X.]) und das B[X.] mit Blick auf das gesetzgeberische Ziel, eine verfassungswidrige Schlechterstellung der Ehe gegenüber gleichartigen Lebensgemeinschaften zu vermeiden, nach Maßgabe der Art 3 Abs 1 iVm Art 6 Abs 1 GG näher konturiert worden. Ein Verstoß gegen Art 6 Abs 1 GG läge nämlich vor, wenn in einem gemeinsamen Haushalt lebende Ehegatten gegenüber gleichartigen Lebensgemeinschaften bei der Gewährung von einkommens- und vermögensabhängigen Sozialhilfeleistungen benachteiligt werden, obwohl sich die Bedürftigkeit gleich darstellt (vgl etwa [X.] vom 10.7.1984 - 1 BvL 44/80 - [X.]E 67, 186, 196).

Bei einer gleichartigen ("eheähnlichen") Lebensgemeinschaft handelt es sich dabei um eine solche, die auf Dauer angelegt ist, daneben keine weitere Lebensgemeinschaft gleicher Art zulässt und sich durch innere Bindungen auszeichnet, die ein gegenseitiges Einstehen der Partner füreinander begründen, also über die Beziehung in einer reinen Haushalts- und [X.]irtschaftsgemeinschaft hinausgeht (vgl nur [X.] vom 17.11.1992 - 1 BvL 8/87 - [X.]E 87, 234, 265; zum Ganzen zuletzt B[X.] vom 18.7.2019 - [X.] [X.] 6/18 R - Rd[X.]5 mwN). Nur dann, wenn das Zusammenleben zweier Personen über eine reine Haushalts- oder [X.]irtschaftsgemeinschaft hinausgeht, darf der Gesetzgeber typisierend von einer wechselseitigen Unterstützung ausgehen, zu der keiner der Partner rechtlich verpflichtet ist. Dabei kommt es, anders als der [X.]läger meint, aber nicht darauf an, ob die Partner ledig, verwitwet oder geschieden sind oder - wie im vorliegenden Fall - mit einer dritten Person verheiratet sind. Für die Annahme, dass eine Partnerschaft "keine vergleichbare Lebensgemeinschaft daneben zulässt", ist der jeweilige Familienstand unerheblich; entscheidend ist allein, dass nach einer Scheidung eine Heirat rechtlich möglich ist (Voelzke in jurisP[X.]-[X.]B XII, 2. Aufl 2014, § 20 RdNr 24; [X.] in [X.], § 20 [X.]B XII, Stand Mai 2013, RdNr 20; [X.] in Hauck/[X.], [X.]B XII, Stand September 2015, [X.] § 20 Rd[X.]2). Insoweit schützen die Merkmale einer "gewissen Ausschließlichkeit der Beziehung" und "keine vergleichbare Lebensgemeinschaft daneben zulässt" lediglich vor einem ausufernden Verständnis des Begriffs der eheähnlichen Gemeinschaft, die - wie die Ehe - damit nur im Verhältnis zu einer Person denkbar ist.

Diese Auslegung verletzt Verfassungsrecht nicht, auch wenn der besondere Schutz der Ehe nach Art 6 Abs 1 GG auch der gescheiterten Ehe gilt (vgl dazu nur [X.] vom [X.] - 1 BvR 1284/79 - [X.]E 55, 134, 142). Mit der Aufgabe der ehelichen Lebensgemeinschaft nach einer dauerhaften Trennung der Ehepartner (zum anzuwendenden Beurteilungsmaßstab vgl nur B[X.] vom 6.12.2018 - [X.] [X.] 2/17 R - [X.] 4-3500 § 19 [X.] - Rd[X.]6; auch für B[X.]E vorgesehen) wird Einkommen und Vermögen des getrennt lebenden Ehepartners bei der Prüfung der Bedürftigkeit seines neuen Partners in eheähnlicher Gemeinschaft zwar berücksichtigt. Dies benachteiligt die fortbestehende, dauerhaft getrennte Ehe aber nicht bei der Gewährung von einkommens- und vermögensabhängigen Sozialhilfeleistungen, weil gerade wegen der dauerhaften Trennung in dieser Ehe nicht mehr "aus einem Topf" gewirtschaftet wird und eine gemeinsame Bedürftigkeitsprüfung also entfällt. Erfüllt die neue Lebensgemeinschaft die [X.]riterien an eine [X.], ist die wechselseitige Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen in dieser Partnerschaft nur eine rechtliche Folge der dem staatlichen Zugriff entzogenen Entscheidung der Trennung vom Ehegatten und der Zuwendung zu einem neuen Partner.

Ob zwischen dem [X.]läger und [X.] eine eheähnliche Gemeinschaft besteht, konnte der [X.] jedoch nicht abschließend beurteilen. Die entsprechenden Feststellungen des [X.] binden ihn nicht; denn der vom [X.]läger gerügte Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz (§ 103 [X.]G) liegt vor (vgl § 163 [X.]G). Dieser verlangt, von allen Ermittlungsmöglichkeiten, die vernünftigerweise zur Verfügung stehen, Gebrauch zu machen (vgl zu diesem Maßstab B[X.] vom 22.11.2011 - [X.] AS 138/10 R - [X.] 4-4200 § 21 [X.]4 Rd[X.]6 mwN). Auch wenn sich das Bestehen einer eheähnlichen Gemeinschaft in der Verwaltungspraxis nur anhand von Indizien feststellen lässt ([X.] vom 17.11.1992 - 1 BvL 8/87 - [X.]E 87, 234, 265), sind für die Entscheidung über das Vorliegen der eheähnlichen Gemeinschaft alle Anknüpfungstatsachen zu ermitteln, die den Schluss darauf zulassen, ob die Personen, die sich eine [X.]ohnung teilen, auch füreinander einstehen wollen und sie also zunächst den gemeinsamen Lebensunterhalt sicherstellen, bevor sie ihr persönliches Einkommen zur Befriedigung eigener Bedürfnisse verwenden. Hierzu gehören die Angaben der Betroffenen ebenso wie andere Hinweistatsachen, zB die Dauer des Zusammenlebens, die konkrete [X.]ohnsituation oder die Verfügungsmöglichkeit über das Einkommen und Vermögen des anderen Partners. Es ist auf dieser ermittelten Grundlage erst bei der von der Behörde bzw dem Gericht vorzunehmenden abschließenden Beweiswürdigung zu entscheiden, ob den genannten objektiven Hinweistatsachen eine Bedeutung zukommt, die nicht allein durch das Behaupten des Gegenteils entkräftet werden kann. [X.] ist das [X.] deshalb auch von seinem Rechtsstandpunkt aus, der sich wegen des Begriffs der eheähnlichen Gemeinschaft mit den oben dargestellten [X.]riterien deckt, davon ausgegangen, auf eine Befragung der [X.], deren Vernehmung als Zeugin der [X.]läger im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem [X.] ordnungsgemäß beantragt hatte, könne schon deshalb verzichtet werden, weil deren Aussage als Zeugin - wie ihre schriftliche Erklärung, nicht für den [X.]läger einstehen zu wollen - für die abschließende Entscheidung über das Bestehen einer eheähnlichen Gemeinschaft "unbeachtlich" sei. Die schriftliche Erklärung (zur Abgrenzung einer Auskunft von einer schriftlichen Zeugenaussage vgl nur B. [X.] in [X.]/[X.]/[X.]/[X.], [X.]G, 12. Aufl 2017, § 106 Rd[X.]1) befreit von ihrer Vernehmung nicht. Ohnehin sind weder die Verwendung der Rente des [X.]lägers, die auf ein [X.]onto der [X.] fließt, das Existenzminimum des [X.]lägers aber allein nicht deckt, noch die Frage, warum der [X.]läger weiterhin bei [X.] wohnt bzw wohnen kann, und schließlich die Umstände seiner mehrmonatigen Auslandsaufenthalte während der [X.]intermonate durch die schriftliche Einlassung der [X.] geklärt.

Das [X.] wird ggf auch über die [X.]osten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

Meta

B 8 SO 14/18 R

05.09.2019

Bundessozialgericht 8. Senat

Urteil

Sachgebiet: SO

vorgehend SG Berlin, 28. Juli 2016, Az: S 88 SO 2516/13, Urteil

§ 41 Abs 1 SGB 12 vom 21.12.2015, § 41 Abs 1 S 1 SGB 12 vom 24.03.2011, § 41 Abs 1 S 1 SGB 12 vom 20.04.2007, § 41 Abs 1 Nr 1 SGB 12 vom 27.12.2003, § 41 Abs 2 S 1 SGB 12 vom 20.04.2007, § 41 Abs 2 S 1 SGB 12 vom 27.12.2003, § 19 Abs 2 S 1 SGB 12 vom 24.03.2011, § 19 Abs 2 S 1 SGB 12 vom 20.04.2007, § 19 Abs 2 S 1 SGB 12 vom 27.12.2003, § 19 Abs 2 S 2 SGB 12 vom 27.12.2003, § 43 Abs 1 S 2 SGB 12 vom 21.12.2015, § 43 Abs 1 Halbs 1 SGB 12 vom 24.03.2011, § 43 Abs 1 Halbs 1 SGB 12 vom 21.03.2005, § 20 S 1 SGB 12 vom 20.07.2006, Art 6 Abs 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 05.09.2019, Az. B 8 SO 14/18 R (REWIS RS 2019, 3876)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 3876

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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