Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 11.02.2003, Az. 4 StR 8/03

4. Strafsenat | REWIS RS 2003, 4493

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[X.] StR 8/03vom11. Februar 2003in der Strafsachegegenwegen gefährlicher Körperverletzung u.a.- 2 -Der 4. Strafsenat des [X.] hat auf Antrag [X.] und nach Anhörung des Beschwerdeführers [X.] Februar 2003 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO [X.] Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil [X.] Halle/Saale vom 15. Mai 2002a) im Schuldspruch dahin geändert, daß dietateinheitliche Verurteilung wegen versuchtenTotschlags entfällt,b) im Strafausspruch mit den Feststellungenaufgehoben.2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuerVerhandlung und Entscheidung, auch über die [X.] Rechtsmittels, an eine andere [X.] [X.] zurückverwiesen.3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.Gründe:Das [X.] hat den Angeklagten wegen gemeinschaftlichbegangenen schweren Raubes und versuchten Totschlags in Tateinheit mitgefährlicher Körperverletzung zu einer Jugendstrafe von vier Jahren und zweiMonaten verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision,mit der er die Verletzung sachlichen Rechts rügt und insbesondere [X.] wegen versuchten Totschlags beanstandet. Das Rechtsmittel hat- 3 -den aus der Beschlußformel ersichtlichen weit gehenden Erfolg. Im übrigen [X.] unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.1. Die Überprüfung des Urteils hat zum Schuldspruch wegen schwerenRaubes keinen den Angeklagten [X.] Rechtsfehler ergeben. [X.] erhebt insoweit auch keine Einwendungen.2. [X.] weist auch keinen Rechtsfehler auf, soweit [X.] den Angeklagten im Fall II. 2 der Urteilsgründe der [X.] für schuldig befunden hat. Dagegen kann der Schuldspruchinsoweit nicht bestehen bleiben, als das [X.] den Angeklagten auchwegen tateinheitlich verwirklichten versuchten Totschlags verurteilt hat.a) Die [X.] hat dazu folgende Feststellungen getroffen:Der aus dem [X.] stammende Angeklagte lebt mit seinen Eltern seit 1999in [X.]. Er sowie weitere Familienmitglieder waren in [X.]des öfterenausländerfeindlichen Angriffen ausgesetzt, an denen teilweise auch der späterGeschädigte [X.]beteiligt war. Der Angeklagte fühlte sich deshalb durch[X.]bedroht und hatte Angst vor ihm, zumal [X.]ihm körperlich deutlichüberlegen war. Am Tattage trafen der seinerzeit 16 Jahre alte Angeklagte [X.], [X.] , zufällig auf [X.] . Da dieser alleine war und [X.] sich zusammen mit [X.]ihm überlegen fühlte, —kam ihm spontander Gedanke, die günstige Gelegenheit zu nutzen und sich an [X.]... zurächen.fi Er begann die tätliche Auseinandersetzung, indem er [X.]ins Gesichtschlug, worauf dieser so heftig zurückschlug, daß der Angeklagte zu [X.]. Darauf entwickelte sich nunmehr eine Auseinandersetzung zwischen [X.] und [X.] , wobei nunmehr [X.]zu Fall kam. [X.]konnte aber zunächst [X.] -als [X.]ein Messer zückte. Doch holte [X.]ihn ein und versetzte ihm einenStich in die Schulter. Inzwischen hatte auch der Angeklagte die beiden erreicht.Er zog nun ebenfalls sein Messer, das eine Klingenlänge von 8 bis 10 cm hatte.[X.]und er —attackiertenfi [X.]nunmehr gemeinsam mit ihren Messern, um [X.] verletzenfi. Als es dem Angeklagten schließlich gelang, sich —frontal vor [X.] (zu) positionieren, ... zögerte (er) nicht lange, holte aus und stach [X.]dasMesser mit voller Wucht in den unteren Bereich des Bauches links neben [X.] Das Messer drang durch die wattierte Jacke hindurch mindestens 10bis 15 cm in den Bauchraum und führte dort zu akut [X.].Nachdem der Angeklagte das Messer wieder aus dem Körper des [X.] herausgezogen hatte, entfernten er und [X.]sich. Der Geschädigte war trotzder Verletzungen —auf den Beinen gebliebenfi; er —entfernte sich langsam [X.] und schaffte es, das einige hundert Meter entfernte [X.], wo die notwendigen Rettungsmaßnahmen eingeleitet wurden. [X.] sind aufgrund der intensivmedizinischen Bemühungen [X.] folgenlos ausgeheilt.b) Die Annahme des [X.]s, der Angeklagte habe mit zumindestbedingtem Tötungsvorsatz gehandelt, begegnet im Ergebnis keinen rechtlichenBedenken. Maßstab ist entgegen der Auffassung der [X.] allerdingsnicht —jeder Normaldenkendefi, sondern allein, ob gerade der Angeklagte unterBerücksichtigung aller objektiven und subjektiven Umstände der Tat dietödlichen Gefahren erkannt und den [X.] innerlich gebilligt hat (vgl.zuletzt [X.] vom 14. Januar 2003 [X.] 4 StR 526/02). Doch belegt [X.] der Urteilsgründe hinreichend, daß die [X.]die gebotene Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls vorgenommen- 5 -und auf dieser Grundlage sowohl das Wissens-, als auch das Wollenselementdes Tötungsvorsatzes beim Angeklagten bejaht hat.c) Die Verurteilung des Angeklagten wegen versuchten Totschlags hältaber deshalb der rechtlichen Prüfung nicht stand, weil die [X.] esrechtsfehlerhaft unterlassen hat, die Frage eines freiwilligen Rücktritts [X.] zu erörtern, obwohl der Sachverhalt eine Auseinandersetzunghiermit erforderte. Das [X.] hätte sich mit den Vorstellungen [X.] nach Abschluß der letzten von ihm konkret vorgenommenenAusführungshandlung befassen müssen (sog. Rücktrittshorizont; vgl. [X.], 170; 39, 221, 227). Daß der Angeklagte nach der Zufügung des letztenMesserstichs mit der Möglichkeit gerechnet hätte, die dem Tatopferbeigebrachten Verletzungen könnten zu dessen Tod führen, läßt sich [X.] nicht entnehmen, da sie sich nicht dazu verhalten, welche - vondem Angeklagten wahrgenommenen - Wirkungen der Messerstich bei [X.] hinterlassen hatte. Rechnet der Täter noch nicht mit dem [X.] tatbestandsmäßigen Erfolgs und ist die Vollendung aus seiner Sicht nochmöglich, so liegt ein unbeendeter Versuch vor, bei dem das bloße (freiwillige)Aufgeben der weiteren Tatausführung zur Strafbefreiung nach § 24 Abs. 1Satz 1 1. Alt. StGB führt. Angesichts dessen, daß der Angeklagte und [X.]sichnach dem Messerstich entfernten und der Geschädigte noch ersichtlich ohnefremde Hilfe das mehrere hundert Meter entfernte Polizeirevier aufsuchenkonnte, ohne daß der Angeklagte und [X.]ihn noch verfolgten, drängt sich[X.] zumal angesichts des lediglich einen Stichs [X.] die Annahme eines (aus [X.] maßgeblichen Sicht des Angeklagten) unbeendeten Versuchs auf (vgl.[X.], 9; NStZ 1999, 449 f.; Senatsbeschlüsse vom 5. November1998 [X.] 4 StR 474/98 [X.], vom 4. Februar 1999 [X.] 4 StR 658/98 [X.] und [X.] Juni 2000 [X.] 4 StR 211/00). Anders könnte die Sachlage zu beurteilen [X.] -wenn der Angeklagte nach dem Stich zwar die akute Lebensgefahr des [X.], sich gleichwohl aber keine Vorstellungen über die Folgen seines Tunsgemacht hätte (vgl. BGHSt 40, 304 ff.). Für letzteres bieten die Feststellungenaber keinen Anhalt.Nach der bestehenden Beweislage erscheint es ausgeschlossen, daßsich aufgrund neuer Hauptverhandlung weiter gehende Feststellungen treffenlassen, die mit der erforderlichen Sicherheit die Annahme eines beendetenVersuchs tragen könnten, von dem der Angeklagte nur durch eigeneRettungsbemühungen hätte [X.] zurücktreten können. Der [X.] deshalb gemäß § 354 Abs. 1 StPO in der Sache selbst entscheiden undden Schuldspruch dahin ändern, daß im Fall II. 2 der Urteilsgründe [X.] wegen versuchten Totschlags entfällt.3. Die Schuldspruchänderung hat wegen des geänderten [X.] Aufhebung des Strafausspruchs zur Folge. Im übrigen könnte [X.] auch deshalb nicht bestehen bleiben, weil die Erwägungen zurBemessung der Jugendstrafe im angefochtenen Urteil in mehrfacher Hinsichtrechtlichen Bedenken begegnen. Dies betrifft namentlich die Begründung fürdie Annahme schädlicher Neigungen bei dem Angeklagten. So ist nicht belegt,daß bei dem Angeklagten "die grundsätzliche Bereitschaft" bestehen soll, "sichunter Verwendung von Waffen und unter Ausübung von Gewalt überhochrangige Rechtsgüter zur Durchsetzung seiner persönlichen Interessenhinwegzusetzen" ([X.]). Dies gilt jedenfalls für die Tat zum Nachteil des [X.] ,die die [X.] ihrer Bewertung in erster Linie zugrunde gelegt hat. [X.] aggressives früheres Verhalten des Angeklagten kann dem Urteilnicht entnommen werden. Zudem hat die [X.] dem Angeklagten [X.] der Prüfung niedriger Beweggründe im Sinne des § 211 Abs. 2 [X.] 7 -gerade zugute gehalten, daß die tatauslösenden Rachegefühle —zumindestnachvollziehbar und menschlichfi ([X.]) ihre Ursache in dem [X.], den der Angeklagte über Jahre hinweg von dem Geschädigten unddessen Freunden zu spüren bekam, was mit gravierenden Erziehungsdefizitenals Ursache nicht ohne weiteres vereinbar ist. Soweit das [X.] demAngeklagten anlastet, er habe "bis zuletzt wahrheitswidrig darauf beharrt, nichter, sondern der Geschädigte [X.]habe ihn angegriffen und den erstenSchlag gegen ihn [X.], ist dies keine zulässige Erwägung, weil auch demjugendlichen Angeklagten das Recht zusteht, sich effektiv gegen [X.] zu verteidigen, ohne befürchten zu müssen, daß ihm darausNachteile erwachsen. Schließlich lassen mehrere Erwägungen auf [X.]/19befürchten, daß die [X.] gegen den Angeklagten gewertet hat, daßer die Taten überhaupt begangen hat. Demgegenüber hätte die [X.]bei der Prüfung schädlicher Neigungen, nämlich erheblicher Anlage- oderErziehungsmängel in der Persönlichkeit (vgl. BGHR JGG § 17 Abs. [X.] 5 m.w.N.), zu berücksichtigen gehabt, daß [X.] sich nach seiner Übersiedelung nach [X.] in der Schule alszielstrebig und fleißig erwiesen hat und die Familie nach der Tat von [X.]nachN. verzogen ist, wo der Angeklagte in geordneten, harmonischen, von- 8 -keinen Problemen belasteten Familienverhältnissen lebt ([X.]; vgl. BGHR [X.] Neigungen 8).Tepperwien Maatz Athing

Meta

4 StR 8/03

11.02.2003

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 11.02.2003, Az. 4 StR 8/03 (REWIS RS 2003, 4493)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2003, 4493

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